Deutscher Antisemitismus ist längst keine Geschichte!
Antifa Iserlohn

Der geschichtliche Anlass

Die Reichspogromnacht vom 9. November '38 stellte den vorläufigen Höhepunkt des antisemitischen Terrors in Deutschland dar. Angestoßen von SS und NSDAP entluden sich die antisemitischen Wahnvorstellungen des deutschen Mobs in einem bis dahin beispiellosen Pogrom gegen jüdische Menschen und Symbole jüdischen Lebens in Deutschland. Dieses Ereignis fiel nicht vom Himmel, sondern hatte seine Wurzeln in einer langen Tradition des Antisemitismus bei einer Mehrheit der Deutschen. Trotz des gewaltigen Ausmaßes an Zerstörung markierte die Reichspogromnacht längst nicht den Endpunkt deutschen Vernichtungswahns. Ihr folgte der industriell perfektionierte Mord an 6 Millionen Jüdinnen und Juden, dessen Ziel es war, alle Menschen, die von den Antisemiten einer imaginierten jüdischen Rasse zugeordnet wurden, auszurotten. Dies konnte nur durch die Zerschlagung Nazideutschlands seitens der Alliierten und Partisanen verhindert werden.

Es wäre ein fataler Fehler zu glauben, dass die militärische Niederlage Deutschlands, die Verwaltung durch das Alliierte Militär oder die Gründung zweier neuer Republiken, den Antisemitismus aus der deutschen Gesellschaft getilgt hätte. Die so oft beschworene Stunde Null hat es in Deutschland nie gegeben. Die Menschen waren immer noch die gleichen die wenige Jahre zuvor an den antisemitischen Pogromen teilnahmen, als KZ-Aufseher arbeiteten oder ihre vermeintlich jüdischen Mitmenschen an die Gestapo verrieten. Sogar weite Teile der alten Nazikader aus NSDAP, SS und anderen NS-Organisationen gelangten besonders im westlichen Teil Deutschlands wieder in Amt und Würden und somit an die Hebel der Macht.

Antisemitismus heute

Ein perfektes Beispiel für den Antisemitismus heute, 65 Jahre nach der Reichspogromnacht und 58 Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation der deutschen "Herrenrasse" vor den Alliierten Befreiern, liefert die antisemitische Rede Hohmanns. Die vorrangegangen Äußerungen von Möllemann, Karsli und Walser machen deutlich, dass solche Meinungen nicht von einer verwirrten Randgruppe stammen, sondern in alle gesellschaftliche Spektren hinein Akzeptanz finden. Die Solidarisierung des KSK-Brigadegenerals Günzel mit Hohmann und die Tatsache, dass die Mehrheit der CDU es nicht für nötig hält Hohmann aus ihrer Fraktion auszuschließen, zeigen dies ebenfalls. Vom ordinären Stammtisch über bürgerliche Kreise bis hin zu höchsten politischen Repräsentanten und der intellektuellen "Elite" zieht sich die braune Spur des Antisemitismus.

Das solche Äußerungen dann doch noch, wenn auch im Fall Hohmanns erst mit vierwöchiger Verspätung, einen Skandal hervorrufen, liegt wohl daran, dass es in Deutschland noch ein Tabu ist sich direkt gegen Jüdinnen und Juden zu wenden. Deshalb tritt Antisemitismus in Deutschland heute vorrangig versteckt auf. Die Kritik am "zügellosen Finanzkapital" bedient sich beispielsweise bereitwillig antisemitischer Vorurteile und Klischees, obwohl es gerade ein entscheidendes Merkmal des modernen Antisemitismus ist, eine herbeihalluzinierte jüdische Rasse für die offensichtlich negativen Erscheinungen des Kapitalismus verantwortlich zu machen.

Deutsche Vergangenheitsbewältigung

Hohmanns Äußerungen, "die Juden" seien ein "Tätervolk", "Auch in der Geschichte des jüdischen Volkes gibt es dunkle Flecken" und "Wir brauchen eine Zukunft , und die darf nicht ständig belastet sein von diesen zwölf Jahren [Nationalsozialismus]" zeigen ganz klar, dass es sich hier auch um deutsche "Vergangenheitsbewältigung" handelt. Dort wird die Shoa, der in der Geschichte einzigartige Zivilisationsbruch, allzu oft gleichgesetzt mit dem Mord der USA an den Indianern oder der Vertreibung Deutscher aus Schlesien und Preußen, welche ein Resultat der deutschen Vernichtungspolitik im Osten war. Dadurch wird aus der Shoa ein universaler "dunkler Fleck", den jede Nation in ihrer Geschichte habe, und somit die einzigartige deutsche Schuld geleugnet.

Den perfiden Höhepunkt dieser Relativierung deutscher Verbrechen bildet dann die Bezeichnung jüdischer Menschen als "Tätervolk". Durch die Bezeichnung der Opfer als Täter, soll die Universalität der Schuld unterstrichen werden, damit sich dann im Umkehrschluss auch Deutsche als Opfer sehen können, wahlweise des "Alliierten Bombenterrors", der "Vertreibung" oder eben der "Moralkeule Auschwitz".

Die realpolitische Konsequenz dieses Opfermythos zeigt sich dann beispielsweise an der immer wieder verzögerten Entschädigung von Zwangsarbeitern oder an der schleichende Relativierung der Geschichte des 3. Reichs in der öffentlichen Debatte und der Ergebnisse des 2. Weltkriegs, unter anderem indem versucht wird, die Tschechische Republik zu eine Aufhebung des Benes-Dekrete zu zwingen.

Vor diesem Kontext läuft jede Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus Gefahr instrumentalisiert zu werden und als Begründung für deutsche Großmachtspolitik herhalten zu müssen. So wurde zum Beispiel der von Deutschland mitgeführte Angriffskrieg gegen Jugoslawien offiziell damit Begründet, dass es gelte, ein "neues Auschwitz" zu verhindern. Das diese Begründung ebenfalls von einer Universalität der Shoa ausgeht und somit eine Verharmlosung eben dieser darstellt, scheint niemanden zu interessieren.

Gegen jeden Antisemitismus

Solange es auf Rassenideologie beruhenden Antisemitismus gibt, besteht trotz der Einzigartigkeit der Shoa prinzipiell die Möglichkeit, dass sich Auschwitz wiederholt. Deshalb gilt es, Antisemitismus, egal wie versteckt er auch sein mag, aufzudecken und anzugreifen. Ebenso ist es notwendig, jede Relativierung und Verharmlosung der Verbrechen Deutschlands aufs Schärfste anzugreifen.


Deutsche Täter sind keine Opfer!

Antisemitismus bekämpfen!


Nachtrag von Schwarze Katze: Das obenstehende Flugblatt wurde am 09.11.03 anlässlich des 65. Jahrestags der Reichspogromnacht in Iserlohn verteilt.