Für die drei MCs Sayeed, Priest, Beans und Produzent und Engineer Earl Blaize ist dies ihr erstes Album; ein Auftritt, für den sie sich Zeit genommen haben. Die Gruppe stammt aus dem Umfeld von Company Flow, Mike Ladd und weiterer KünstlerInnen aus dem New Yorker Untergrund. Zudem gab es im Vorfeld Kooperationen mit DJ Vadim, Mowax, Leuten aus dem Umfeld von Ninja Tune, die den vier geholfen haben, einen eigenwilligen Stil zu entwickeln. So ist es nicht völlig abwegig, dass sie ebenfalls sehr experimentell, offen und ungezwungen an Hip Hop heran treten: Anti-pop steht für den Verzicht auf mackerhaftes Rumgepose, Gangsterattitüden und eingefahrene, inhaltsleere, lyrische Klischees. Statt der ewigen Wiederholungen des Vorgefertigten ist ihr Album ein ernsthafter Versuch, Hip Hop jenseits gängiger Normen zu entwickeln, mit einer Philosophie, die mir durchaus sympathisch ist: "Don't allow yourself the liberty of nostalgia. Romance is slavery." Die Folge: intelligente Lyrics, die nicht nur reimtechnisch alles andere hinter sich lassen. Ihr kreativer, reflektierterm leidenschaftlicher Umgang mit Worten, Betonungen und Reimen war für mich einfach nur umwerfend und begeistert mich bis heute: Der Spass am Hip Hop, am lyrischen wordplay ist den Underground-Künstlern wirklich anzumerken, ist mit jeder Zeile hör - und spürbar; auf mich hat er sich jedenfalls übertragen. Schade, dass dem Tonträger kein song booklet beigelegt wurde. Ihre geistreichen, ironischen Wortspiele legen sich über über charkteristische, dreckige Beats der alten Schule, die wirklich auf's Nötigste reduziert sind. Earl Blaize scheut sich nicht, Synthesizer für seine Kompositionen einzusetzen, die zusammen mit ausgewählten Samples und den breaks aus dem Drumcomputer erstaunlich organisch wirken; mal brummend, mal entspannt, mal düster und melancholisch. Anti-pop Consortium machen keine Kompromisse. Damit stehen sie abseits der Hip Hop Industrie und so ist ihre Platte erst einmal weit weg ist allem anderen; mensch muss ihr eine Chance geben und bereit sein, eigene Hörgewohnheiten in Frage zu stellen. Wer sich offene Ohren bewahrt, wird ahnen, dass hier wirklich Leben dahinter steckt. Hip Hop ist tot...Anti-pop nicht. 2000, Ozone/Zomba
Das bislang letzte Album der anarchistische Band, bestehend aus zwei Frauen & Männern, deren Musik - will mensch sie unbedingt kategorisieren - dem Namen ihres eigenen Labels entspricht: Digital Hardcore. Obwohl sich Atari Teenage Riot musikalisch gerade gegen solche Normierungen auflehnt. Ich versuch's mal zu beschreiben: Gitarrenriffs, rasendschnelle Techno u. - breakbeats, abgefahrene, bis zur Unkenntlichkeit verfremdete Geräusche und Unmengen von Samples, verzerrte, heisere und wutentbrannte Stimmen. Menschen und Musik, die sich verweigern: Vier Menschen, die so richtig ausrasten, alles raus lassen, schreien und kreischen. Musik, die druckvoller, energie, emotions & - hassgeladener nicht sein könnte und zeigt, dass mensch aus Computern verdammt viel Leben raus holen kann. Krach, der mit allen Mustern von schöner Komposition bricht, sich nicht an Regeln hält - musikalische Riots, die wild um sich schlagen. Ich kenne nichts, was so treffend pure Wut ausdrückt, Wut auf das System. Wenn ich mir abends die Platte anhöre, kribbelt es über meinen Körper; ich kann den Hass aufsteigen spüren. Und dann wünsche ich mir, mich auch so fallen lassen zu können wie Atari Teenage Riot: den ganzen verdrängten Unmut raus lasssen. Aber die unangreifbare Stärke, welche die vier Anarch@s durchgehend vermitteln, macht mir Sorgen, weil sie sich überhaupt nicht von der des Einzelkämpfers im kapitalistischen Betrieb unterscheidet: Schwäche, Angst und menschliche Beziehungen scheinen auf der Platte nicht zu existieren. Die Texte sind größtenteils ziemlich platt, phrasenhaft und sehr penenetrant auf Abgrenzung aus - Atari Teenage Riot ist unüberhörbar auf Subkultur zugeschnitten und ganz sicher nicht der Versuch, neue Menschen jenseits des Tellerrands zu erreichen. Darin spiegelt sich für mich die Selbstverblendung unter den SystemgegnerInnen wieder, die sich zwar verbalradikal von den Normalos abgrenzen, aber sich kaum von diesen unterscheiden. An keiner Stelle kommt dieser utopische Funke rüber, der Deut in eine freie, schöne Welt, der mich für ein anderes Leben begeistert hat & den ich an andere weiter geben möchte. Und von Reflexion ist nichts zu spüren. Das ist traurig. Hoffentlich ist die Platte nicht dazu verdammt, als Begleitmusik in Videos über die riots in Seattle, Genua und anderswo zu enden. Hoffentlich ist sie mehr als nur Teenage Riot; junge Menschen in Sturm und Drang Phase, die sich abgrenzen wollen, für eine zeitlang auflehnen - und in wenigen Jahren genau das Leben leben, das sie niemals leben wollten. 1999, Digtal Hardore Records
Irgendwann, noch bevor ich meine erste CD kaufte, sah ich auf MTV "Award Tour" von A Tribe Called Quest, in das ich mich sofort verliebt habe, das ich nicht vergessen konnte. Viel später, auf einer Party, prahlte ein Typ mit einer CD, die er besonders günstig bekommen hatte: Midnight Marauders. Da habe ich dieses Lied wieder gehört, und noch viele andere, von denen ich total angetan war. Ich kann mich noch daran erinnern, wie fasziniert und selbstvergessen ich da saß und die Musik in mich aufsog. Irgendwann hab' ich mir dann Midnight Marauders gekauft; es war eines meiner ersten Hip Hop Alben, und es gehört auch heute noch zu meinen Liebsten, ebenso wie A Tribe Called Quest. Midnight Marauders ist das dritte Album der inzwischen aufgelösten New Yorker Gruppe um Q-Tip, Phife Dowg und DJ Shaleed Ali Muhammed. Es zeichnet sich dadurch aus, dass mensch es sich wirklich von Anfang bis zum Ende anhören kann, eine seltene Qualität (heute reicht es aus, wenn ein videotauglicher Hit auf einer Plattte ist, um sie verkaufen zu können): Nur schöne Lieder, alle mit diesem bestimmen Vibe, der für A Tribe Called Quest so typisch ist und den ich einfach nur liebe. Schöne Samples und abwechslungsreiche Beats mit einem unüberhörbaren Einfluss von Jazz und einer sommerlichen Stimmung laden zum Tanzen ein; auch mich in meinem Zimmer, wo's keine sehen konnte. Und es ist schön, wie sich Q-Tip und Phife Dowg mit ihren Reimen die Bälle zu spielen und sich aufeinander beziehen. Insgesamt sehr relaxte Musik, die danach verlangt, bei Sonnenschein unter freiem Himmel gespielt zu werden. 1993, Jive/Zomba
Das schöne, abstrakte Graffiti auf dem Plattencover zeigt schon: Dose One aus San Francisco ist nicht nur MC, sondern auch Writer aus dem Umfeld der 1200 Hobos. Auf der Platte versammeln sich acht Songs plus Intro, produziert von J. Rawls (Lone Catalysts), Mr. Len (Company Flow), DJ Jel und Mr. Dibbs (beide 1200 Hobos), welcher auch die sparsam eingesetzten Scratches beigesteuert hat. Sie gehört zu den von mir am meißt gehörten. Unvergesslich für mich ist die Dose One's Art zu reimen und der Umgang mit seiner Stimmbändern: Dose spielt mit seiner hohen, quakenden Stimme, variert Tonlagen, zieht Worte in die Länge, manchmal abgehackt und hypnotisch, manchmal gehetzt; immer jedoch sensibel und emotional beladen. Seine Lyrix beinhalten viele abstrakte, zu entschlüsselnde Metaphern und sind insgesamt sehr nachdenklich & durchdacht, auch wenn es sich um battle rhymes handelt wie in "Spit Fire" oder "Self Explanitory". Musikalisch gehört Hemisperes zum experimentellsten Teil im Hip Hop Untergrund. Auf "Civilization" reimt Dose nonstop, ohne Refrain über den minimalistischen Beat von Mr. Len, der aus wenigen, varierten Samples besteht. "Spit Fire" ist ein Duett mit der weiblichen MC Lioness, das einzige Feature der Platte; es wurde von J.Rawls produziert, ist ziemlich flott unterwegs und hat einen vorsichtigen Groove in sich, doch ohne Freudenstürme. Das folgende "Self Explanitory", ebenfalls von J. Rawls, ist sehr melancholisch und gesetzt. Das extrem langsame und minimal gehaltene "Passive Voluntary Euthanasia" wirkt sehr düster; ein Bass und irgendwo im Hintergrund ein dramatisches Klaviersample, und kein Refrain weit und breit. Die zweite Seite beginnt mit "To Can Of Wupass", indem wenige, rauhe Samples immer wieder verändert und neu angeordnet werden. Auch "As For Bias" entwickelt sich, ist unterteilt in verschiedene, zusammenhängende Parts und gegen Ende melancholisch gestimmt. Auf "That Ol' Pagan Shit" erscheint Dose One's Stimme ist sehr ruhig und gefühlvoll, der Beat ist langsam, nachdenklich, irgendwie berührend - sentimental?. Irgendwann im letzen Song sprechen plötzlich zwei Dose', einer je einer Lautsprecherseite zugeteilt. Den Trotz unterschiedlicher ProduzentInnen ist den Songs gemeinsam ist: sie befördern Atmosphäre, meißt eher gesetzt, nachdenklich - Freudentaumel und jede Partystimmung sind ihnen fern. Ich habe mich in Dose One, seine Stimme verliebt & seine Definition von Hip Hop verliebt. 1998, Funktion / 1200 Hobos
Bei Welcome To The Afterfuture handelt es sich weniger um ein durchproduziertes Studioalbum, sondern eine Sammlung von Songs im Zeitraum von 1991 bis 99, ein erfreulicher Umstand, der Entwicklungen und Unterschiede erkennbar macht. Mike Ladd stammt ursprünglich aus England und ist Teil des New Yorker Undergrounds. Auf dem Album bleibt er bis auf eine Kollaboration mit Company Flow solo. Mike Ladd lässt sich nicht limitieren - und schon gar nicht auf Hip Hop: er besetzt seine Songs mit Raps, spoken words und Gesang. Auch musikalisch zeigt mensch sich freizügig: Synthesizer, elektronische Elemente, Samples und Soul verschmelzen zu ausgeklügelten, aber nicht schwerfälligen Kompositionen, die teilweise futuristisch anmuten. So viel Offenheit provoziert Vielfalt, die sich in den dreizehn Stücken wieder findet: In "Airwave Hysteria" findet sich ein Sample aus der Star Trek Titelhymmne (The Next Generation). "To The Moons Contractor" errinert eher an eine Sound Collage. Ein Lied ist all denen gewidmet, die von den Cops erschossen wurden, und dass sind nicht nur in den Staaten eine ganze Menge (vor allem und nicht ganz zufällig AfroamerikanerInnen). Ozone/Zomba
Scienz Of Life sind keine Unbekannten im Untergrund von NY. Die superben Maxis auf Fondle 'Em Records zeichneten sich durch groovy Produktionen und ein futuristisches Feeling aus; für mich wirkten Scienz Of Life bisher wie die Weiterentwicklung von A Tribe Called Quest. Ihr erstes Album auf dem eigenen Label Subverse überrascht: Scienz Of Life sind vielfältiger geworden. Fest steht: Sie gehören nicht zu den Wichtig-Mackern, sondern wollen mit ihren Lyrics Knowledge droppen. Ein durchgehender Eindruck: Samples halten sich im Hintergrund, tauchen ab in den Bass und erzeugen dadurch Tiefe. Die Stimmen und Rhymes der MCs stehen im Vordergrund, deren gemeinsam eingesunge Refrains mir besonders gefallen. Es ist nicht sinnvoll, das Album einzuordnen, da es viele unterschiedliche Stile vereint: "Divine Powers" und "U.S.A." tragen Partystimmung in sich und rufen Erinnerungen an die erwähnten ersten 12's wach. Vielen Songs ist eine eher mystische Atmospähre gemeinsam, so z.B. "Ancient Ritualz"; Andere Stücke sind rauh, "Live N Direct" ist zudem sehr experimentell, baut sich langsam auf. Subverse/Zomba
Zu ihrem neuen Album wird es keine Videos gegen, erklärte die Gruppe zum Ärger der Plattenfirma. Auf dieser Platte wird hörbar, dass Radiohead sich entwickeln - was ich nur von den wenigsten Musikprojekten sagen kann. Weil sie keine Rockband sein müssen, weil sie keine Berührungsängste vor Computern haben & diese auf interessante Weise einbringen. Schon lange - lange bevor ich mich mit Gesellschaftskritik in Berührung geriet - hatte ich zu oft dieses dumpfe Gefühl, das Lieder zu Wegwerfartikeln geworden sind; ein paar Wochen gehört und dann ausgetauscht. Sie haben keine Gesichter, genauso wie die Menschen auf den Strassen. Und manchmal habe ich den Eindruck, dass die Fliessbandproduktion im Song selbst schon angelegt ist. Aber ich habe nie aufgehört, nach dem unverwechselbaren Lied zu suchen; das ist wohl der Grund, warum ich immer noch durch Plattenkisten stöbere. Mit dieser Platte babe ich dieses Gefühl gefunden: Jeder Song ist ein Individuum, unvertauschbar, ein Experiment mit Gesicht, dass sich nicht einreiht; alle zusammen sind vielfätig, schön. Dabei erweckt die Vielfalt der Platte zumindestens bei mir nicht den Eindruck, dass mensch hier auf Konsumentensparten geschielt hat, es jeder Recht machen wollte, um die Absatzzahlen zu erhöhen. Es ist total schwer zu beschreiben, was diese Platte ausmacht, die mir so nah geht. Einfach nur dieses Gefühl, dass mich diese Musik berührt, mit dieser Melancholie - ganz besonders das erste Stück "everything in its right place". Einfach nur noch eintauchen. 2000, Emi
Das Cover der Platte zeigt ein Unterwasserszenario mit einem Taucher; mit dieser LP hatte ich das Gefühl, eine Perle aus dem Untergrund an Land zu ziehen. Die Platte ist eine angenehm bunte Kooperation von MCs, SängerInnen und einem DJ, allesamt aus San Francisco. DJ 'D, der alle Stücke produziert hat, beweist hier ein ausgezeichnetes Gespür für die Auswahl von Samples und ihre passende Zusammensetzung: Für seine Songs greift er u. A. auf Samples von Gitarren, Zupf - und anderer klassische Instrumente zurück, die er auf dem SP12 mit dicken Beats kombiniert. So entstanden ausnahmslos schöne, runde, aussagekräftige Produktionen der nachdenklicheren Art; stimmungsvoll und sehr atmosphärisch - sie stehen für sich: Auf einigen sind MCs wie Aceyalone und Mikah 8 (beide Freestyle Fellowship), Abstract Rude und Ginseng Roo zu hören, während andere mit dem Gesang von unbekannten SängerInnen belegt sind. Dazu gibt es noch einige Instrumentals. Ob Gesang, Raps oder instrumental - es passt einfach; eine schöne Mischung, die mensch die volle Aufmerksamkeit schenken kann.
Nach zu vielen Jahren Hip Hop, zu vieler liebloser Bausteintracks, zu vielen Wiederholungen (und viel zu wenig Kreativität) war mir die Lust auf Beatmusik ziemlich vergangen. Diese Platte hat mir wieder ein wenig Hoffnung gegeben. Was sie zeigt ist, dass elektronische Geräte wie Sampler nicht aus sich heraus, quasi-zwangsläufig in Gleichförmiges, Langweiliges münden müssen; es kommt darauf an, wie mensch damit umgeht. Auf der Platte finden sich hochkomplexe Kompositionen und ausgefeilte Klangwelten, die sich langsam aufbauen und entwickeln. Mit hörbarer Liebe zum Detail setzt Tobin Amon viele Samples, Drums usw. organisch zusammen und erzeugt Lieder so, als hätte er sie selbst eingespielt. Die Stücke laden ein, sich intensiv mit ihnen auseinanderzusetzen: Mir bereitet es Freude, immer wieder hinzuhören, Neues zu entdecken, die Mühen und Feinheiten dahinter ansatzweise zu verstehen. Aber: Die Stücke lassen sich nicht entzaubern; und so bleibt vom Versuch, nachzuvollziehen, wie sie verwirklicht wurden, am Ende doch nur Staunen übrig: wie macht mensch so was? Und das ist auch gut so - gerade weil's mich wurmt. Am Widerstand ist Weiterentwicklung möglich. Ob ein entspanntes Westernthema mit viel Leerlauf oder rockender, atmosphärische Drum & Base: sie leben. Und dass lassen sie sich nicht nehmen. Ninja Tune / Zomba
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