Frieden definitiv
Trafik # 11, Januar 84

Der Heiße Herbst ist erkaltet und die neuen Atomraketen wohl schon eingebunkert. Alles Protestieren und Demonstrieren der vergangenen Monate blieb ohne Einfluss und Wirkung. Und dabei hat es doch nun wirklich nicht an engagierten Leuten gefehlt, ebensowenig wie an eindrucksvollen Aktionen. Warum aber versagte denn doch die Friedensbewegung? Warum vermochte sie nicht, nun endlich ihrem Namen gerecht zu werden und die bundesdeutsche Gesellschaft zum Frieden hin zu bewegen?

In dem knapp vierzigjährigen Bestehen der Bundesrepublik haben noch alle Bewegungen gegen die atomare Militarisierung die bittere Erfahrung machen müssen, dass rein verbaler Widerstand vielleicht noch in das eine Ohr der Politiker hinein, aber sogleich aus dem anderen wieder herausgeht. Auch in noch so beeindruckender Lautstärke ist dieses Singen, Rufen und Brüllen für sie erträglich wie das Schreien von Babys, das ja auch über kurz oder lang verstummt. Ähnlich verhält es sich mit dem Unterschreiben von Appellen, das höchstens noch dazu geeignet ist, die Solidarität der gleichgesinnten Friedliebenden zu dokumentieren. Derartige Manifestationen haben auch nicht das Geringste mit tatkräftigem Einschreiten für sein individuelles Verlangen zu tun, sondern eher mit dem Einspannen für eine bestimmte Partei- und Gewerkschaftspolitik.

Auch all das andere Protestieren, bei dem anstelle des Mundes der Leib zu Markte getragen wird, ist kaum als engagiertes Handeln zu bezeichnen. Es handelt doch niemand, wenn er sich, den Tod simulierend, auf den Asphalt legt und wie eine Leiche forttragen lässt. Das Leichen-Spielen von Erwachsenen ist doch nicht weniger blödsinnig als das Soldaten-Spielen von Kindern. Genauso im Gegensatz zum Handeln steht das Fasten für den Frieden. Welcher Zusammenhang besteht denn dazwischen, dass sich jemand zu Tode hungert und dem erneuten Ankurbeln des Rüstungswettlaufes? Solche pseudoreligiöse Hungerei ist doch reiner Aberglaube, der dem Einzelnen höchstens Genugtuung über die eigene gute Tat bringt, Genauso gut, könnte er sich zu Tode fressen! Weder das eine noch das andere wird diese nationalistischen Militaristen zum Umdenken bewegen.

Natürlich ist die Verzweiflung derjenigen zu verstehen, die angesichts der ständig wachsenden atomaren Bedrohung den globalen Holocaust für unausweichlich halten und deshalb etwas tun wollen; lieber Sinn- und Nutzloses statt überhaupt nichts. Aber obwohl moralisch höchst symbolschwanger, bleiben diese Aktionen doch eben bloße Happenings, also Scheinaktivitäten all derer, die sich zwar einerseits nicht auf den rein verbalen Widerstand beschränken wollen, andererseits aber aus der Einsicht in die unbestreitbare Machtüberlegenheit der Herrschenden nur symbolische Scheintaten zu vollbringen wagen. Die wohl mit Abstand schwachsinnigste Scheintat eines Friedensbewegten war das Bespritzen eines kommandierenden Generals mit sich selbst abgezapftem Blut. Die Kain- und- Abel- Situation liegt doch längst hinter uns. Oder wird etwa im sogenannten Ernstfall je ein Opfer den Täter mit Blut bespritzen können? Diese Aktion ist abzulehnen , nicht, weil sie zu weit ging, sondern weil sie nicht weit genug ging, weil sie nämlich immer noch dem Zeitalter des Symbols und Intermezzos entstammt. Den Tatsachen ist jedoch nicht länger auszuweichen.

Die Realität ist heute immer noch, dass es Menschen gibt, die militaristische Traditionen pflegen, die in militärischen Kategorien denken, die Waffen aller Art konzipieren, konstruieren, produzieren und installieren entweder aus Überzeugung oder aus Eigennutz. Und ein Bedarf nach diesen Militaristen aller Schattierungen wird solange bestehen, wie das Menschengeschlecht dieses Planeten in nationalistische, nach Autoritäten und Hierarchien strukturierte Gewalt- und Machtsysteme gespalten ist. An diesen gesellschaftlichen Zuständen, und an sonst keinen, hat eine Sozialrevolutionäre Friedensbewegung anzusetzen, will sie das individuelle und kollektive Dasein der Menschen auf eine freiheitliche Basis stellen. Mag dieses Bestreben auch noch so utopisch sein; aber eine Friedensbewegung ist eben solange nicht ernst zu nehmen, geschweige denn von entscheidender Wirkung, wie der eine morgens eine Kasernenzufahrt blockiert und abends in der Familie den Pascha herauskehrt oder wie die andere heute den Krefelder Appell unterschreibt und morgen Mikrochips für Raketenleitsysteme fertigt.

Allein dieser, zugegebenermaßen vorerst rein aufklärerische Ansatz ist dazu fähig, die sozialen und ökonomischen Fundamente des Militarismus langfristig und dauerhaft zu zerstören; auch wenn dieses Ziel nicht innerhalb einer Jahreszeit zu verwirklichen ist. Aber dennoch haben wir uns der Realität zu stellen, hier und heute! Um auf die Frage unserer Kinder und Enkel: "Und was hast du damals dagegen gemacht?" nicht bloß mit den Achseln zucken zu müssen. Die bundesdeutsche Friedensbewegung wird erst dann ihre Rolle als gesellschaftliches Alibi verlassen können, wenn sie nicht länger nur in symbolischen Intermezzos verharrt. Das darf natürlich keinesfalls bedeuten, dass sie gewalttätig wird, aber sie hat in Permanenz zu gehen. Denn schließlich treiben die Militärstrategen in den Befehlszentralen ihr Werk ja auch nicht nur stunden- oder tageweise. Wir haben diese Stützpunkte - zunächst einzelne und später alle - auf Dauer funktionslos zu machen. Und dies kann nicht nur auf der Straße geschehen, sondern überall dort, wo für diese Installationen produziert und transportiert wird. Solange sich Hände für den Militarismus regen, wird dieser auch nicht aus den Köpfen zu verbannen sein.