Flug ins Ungewissse - die Angst des Orhan Sengül
Schwarze Katze Filmbesprechung

Die ReporterInnen versuchen in diesem Film, den Spuren des vom deutschen Staat in die Türkei abgeschobenen Orhan zu folgen, eines politisch aktiven Kurden, dessen mehr als reale Bedrohung durch Gefangennahme und Folter für die hiesigen Behörden nur "selbstgeschaffene Nachfluchtgründe" sind. Übersetzt: Selber schuld. Und das obwohl klar ist, dass die türkische Justiz aus seinem politischen Einsatz schwerste Anklagen konstruieren kann.

Trotz Mahnwachen und Lichterketten wird der Asylantrag des 33-jährigen Familienvaters abgelehnt. Nach drei Monaten im Abschiebeknast Büren wurde er, zusammen mit fünf anderen Kurden, von Düsseldorf per Flugzeug abgeschoben. Begleitet wurde er von Brigitte Hermann von den Grünen, weil sie sich im Gegensatz zu den zuständigen Behörden ernste Sorgen um sein Wohlergehen nach der Ankunft machte. Brigitte Hermann erzählt, dass mensch über illegale wie legale Möglichkeiten diskutiert habe, um Orhans Sicherheit zu gewährleisten: Untertauchen, falsche Papiere. Orhan Sengül entschied sich jedoch für die einzig legale Chance: die Rückkehr in sein Heimatdorf, um dort Papiere zu beantragen. Er selbst ging davon aus, dass ihn der türkische Staat aufgrund der internationalen Aufmerksamkeit vorerst nicht anrühren würde. Brigitte Hermann betont, dass es auf dem Ankunftflughafen in der Türkei verunmöglicht worden sei, zusammen zu bleiben.

Drei Wochen später, Orhan Sengül ist in deutschen Medien längst kein rentables Thema mehr, reist das Reporterteam in seine arme 200-Familien-Gemeinde. Zu diesem Zeitpunkt gibt sich das Team noch neutral und skeptisch ob der Befürchtungen. Doch Orhan ist nicht mehr da und der Bürgermeister berichtet ihnen, dass er mehrmals von den Millitärs geholt und verhört sowie gezwungen worden sei, sich jeden Abend auf der Wache zu melden. In der Türkei sei es normal, dass politische, kritische Menschen verschwänden und mensch nicht fragen dürfe, was mit diesen geschehen sei. "Wenn der deutsche Staat nicht einmal ein Menschenleben schützen kann, was ist das für ein Staat?" fragt einer der Dorfbewohner. Ein anderer sagt, dass es gut sein könne, dass die Türkei der BRD eine zwei- bis dreimonatige Garantie zugesichert habe, Orhan in dieser Zeit "in Ruhe zu lassen."

Die EinwohnerInnenschaft des Dorfes und der anliegenden Gemeinden setzt sich ausnahmslos aus KurdInnen und AlevitInnen zusammen, beides diskriminierte Minderheiten. Das einzige Programm des türkischen Staates sei, so der BM, KurdInnen in TürkInnen und AlevitInnen in sunnitische Moslems zu verwandeln. "In unserem Land gibt es keine Menschenrechte", so ein Mensch aus einem anderen Ort, aus dem die Mehrzahl aufgrund des Krieges zwischen der PKK und dem türkischen Staat bereits geflüchtet ist. Immer wieder werden jene kleinen, abseits gelegenen Dörfer Ziel des Terrors der staatlichen, sogenannten Anti-Terror-Einheiten. Folter und Vertreibung gehören zur Taktik der türkischen Armee: In einer größeren Stadt transportierten die Staatsdiener einen Toten ohne Kopf durch die Straßen, ließen diesen stundenlang vor einem Gebäude liegen und zeigten ihn auf allen Marktplätzen. Auf die Frage, warum dies geschehe, antworten alle BewohnerInnen übereinstimmend: "Sie wollen uns sagen: So machen wir es mit euch, wenn ihr nicht spurt." Menschen sollen so eingeschüchtert und in Angst versetzt werden. Es wird berichtet, dass die Anti-Terror-Einheiten nachts als PKKlerInnen verkleidet in die Orte gingen und nach Essen verlangten. Und am nächsten Tag kommen dieselben Leute, um zu sagen: "Ihr arbeitet mit Terroristen zusammen." Die damit erzeugte Angst veranlasst immer mehr Menschen zur Flucht.

In Ankara, wo Orhan bei Verwandten untergetaucht ist, kommt es zu einem Treffen mit dem aufgeregten und gehetzt wirkenden Kurden. Er erzählt von einem Verräter, welcher ihn schon in Deutschland als PKK-Aktiven denunziert und dies in seinem Heimatdorf wiederholt hatte, von den Drohungen der Millitärs, dass es ihm schlecht ergehen würde, wenn er mit seiner politischen Arbeit weiter machen würde. Aufgrund seiner sozialistischen und demokratischen Ideen, seines Engagements, z.B. beim Aufbau einer Kooperative in seinem Dorf, sei er von Anfang an überwacht worden.

Auf Wunsch Orhans besucht das Team den Menschenrechtsverein in Ankara, auf welchen die deutschen Behörden nur zu gerne verweisen, wenn es um die Durchsetzung von zweifelhaften Abschiebungen geht. Der Generalsekretär des Vereins sagt, dass es trotz der offiziellen Verneinung in der Türkei systematische Folterungen gebe, '95 seien mindestens 1350 Menschen gefoltert worden. Wie solle ein Menschenrechtsverein da behaupten können, den Schutz der Abgeschobenen sichern zu können. Die ReporterInnen begleiten ihn und einen Anwalt zum Flughafen, wo sie einen Abschübling aus der BRD betreuen sollen, um ein spurloses Verschwinden oder Polizeiübergriffe zu verhindern. Aber sie werden gar nicht erst hereingelassen und auch nach dreistündigem Warten taucht ihr Schützling nicht auf. Er ist, wie sich später herausstellt, unmittelbar nach der Ankunft festgenommen und verhört worden. Um dies zu vertuschen, wurde der Betreffende sogar aus der Passagierliste gestrichen. Am Ende der WDR-Dokumentation klagen auch die desillusionierten ReporterInnen den türkischen Staat an, welcher andere Kulturen, Religionen und Meinungen nicht duldet.