Gorleben ist überall
Der Kampf geht weiter

anarchistische Initiative gegen Atomanlagen
Unzensiert # 42, 09.06.95, Giessen/Marburg

Seit dem späten Nachmittag, des 25.04.1995 befindet sich nun der erste Castor-Behälter in dem Zwischenlager Gorleben. Trotz heftiger und zahlreicher Proteste & Widerstandsaktionen verschiedenster Art hat der Repressionsapparat des Staates mit einem Aufgebot von rund 9000 Polizisten den Castor-Transport durchgesetzt.

419 Transporte nach Gorleben sollen folgen. Dem deutschen Atomkapital wurde der Grundstein gelegt, ihren Atommüll in der BRD zwischen- und endzulagern, die Entsorgungslüge zu manifestieren und somit den Bau weiterer AKWs zu ermöglichen. Aus diesem Grund war dieser erste Castor-Transport für das Atomkapital so bedeutsam.

Obwohl wir diesen Transport nicht verhindern konnten, wurde durch unseren Widerstand die verschiedenen, sich ergänzenden Widerstandsformen und das "Sich-nicht-Spaltenlassen" in "gute" und "böse" Atemkraftgegnerlnnen, das Thema Atemkraft und Atomstaat wieder in die bürgerlichen Medien gebracht. Wir dürfen jetzt nicht resignieren, sondern müssen uns in eine neue Phase des Kampfes begeben.


Dieser Kampf darf sich nicht nur gegen Atommüll-Transporte und einzelne AKWs richten, er muss die Ursachen dafür, die kapitalistische Produktionsweise und den Staat, bekämpfen. Unser Kampf darf nicht nur die äußeren Erscheinungsformen dieses Gesellschaftssystems zurückdrängen, er muss im Kontext zur Gesamtgesellschaft gesehen werden. Und es muss jetzt, wo die Anti-AKW-Bewegung eine Widergeburt erlebt, darauf geachtet werden, dass wir nicht von den Profis aus den reformistischen Parteien und Verbänden funktionalisiert werden. Über Staat und Parlament ist noch nie etwas grundlegend positives verändert worden, nur durch unseren selbstorganisierten Widerstand von unten.

Denn wenn wir für ein Leben ohne Atomkraft kämpfen, müssen wir auch für ein von der HERRschaft des Menschen über den Menschen befreites Leben kämpfen. Die kapitalistische Produktionsweise, die nur am Profit für wenige orientiert ist, steht im Widerspruch zu einer sinnvollen, dezentralen und ökologischen Bedürfnisproduktion. Ohne soziale Revolution wird es keine wirklich ökologische Politik geben, das müssen wir uns klarmachen, wenn wir für unser Leben kämpfen.

Von diesen Staat können wir nichts erwarten. Mit seinem Gewaltmonopol hält er die Klassengesellschaft, dieses irrsinnige Produktionsverhältnis, und somit Ausbeutung, Naturzerstörung und Unterdrückung aufrecht. Er behindert nur die absolut notwendigen, grundlegenden Änderungen, die wir durchführen müssen, wenn wir ein lebenswertes Leben wollen.

Wir glauben, dass nur in einer Gesellschaft, wo auf der Basis von kollektiven (nicht verstaatlichten) Eigentumsformen, direkter Demokratie und HERRschaftsfreiheit und ökologischen, kollektivvereinbarten Rahmenbedingungen sinnvol1e Produkte, die unseren konkreten Bedürfnissen entsprechen und nicht dem Streben der Kapitaleigner nach Profit, hergestellt werden. Die Menschen müssen weltweit basisdemokratisch und kollektiv über das WAS, WIE und WO der Produktion bestimmen können.

An die Stelle des Staates sollen sich föderierende Gemeinwesen/Kommunen treten, die sich z.B. über dezentralisierte Rätestrukturen, Vollversammlungen, etc. organisieren - als ein Schritt zur Zurückgewinnung der persönlichen Verfügungsgewalt über das gesellschaftliche Leben, ein Schritt zur Gleichberechtigung des Menschen. Die Profitlogik des Kapitals, das die Ausbeutung und Zerstörung von Mensch und Natur, weltweit und durch die imperialistischen Staaten und ihrer Agenturen (IWF, Weltbank, Multinationale Konzerne, etc.) organisiert, muss gestoppt werden. Eine klassenlose und HERRschaftsfreie Gesellschaft wird kein Geld, keine Lohnarbeit, keine Konkurrenz kennen. Dafür aber gegenseitige Hilfe und Solidarität, um kollektiv ein Leben zu gestalten, das für den Mensch lebenswert wird und in Harmonie mit der Natur verläuft.

Die Versorgung mit Gütern kann z.B. über Produktions- und Konsumptionsräte, sich vernetzende Branchen- und Betriebsgruppen, etc. organisiert werden. Eine ökologisch orientierte Bedürfnisproduktion steht im Gegensatz zu dem jetzigen absolut rohstoffverschlingenden - welche ja nur durch die (öko)imperialistische Unterdrückung der Mehrheit der Menschen auf diesem Planeten aufrechterhalten wird- Profitsystem, dessen Folgen für die Natur und somit den Menschen, der ja auf eine für seine Lebensvoraussetzungen intakte Natur angewiesen ist, unlängst bekannt sind.

Wir alle wissen, dass Atomenergie den Weg zur Energiewende blockiert, nicht umweltfreundlich ist. Darüber brauchen wir nicht mehr zu reden. Wir brauchen eine dezentrale, auf Kollektiveigentum basierende, auf die jeweilige Region zu geschnitten Energieerzeugung (über regenerative Energien wie Sonne, Wind, Wasser, Biogas, Blockheizkraftwerke, Kraft-Wärme-Kopplung, etc.)

Wir haben nicht mehr viel Zeit, in der ökologischen Katastrophe befinden wir uns schon längst. Nutzen wir ein Wiederaufleben der Anti-AKW-Bewegung, um den Kampf für unsere Zukunft zu kämpfen.

"Wenn wir nicht das Unmögliche zuwege bringen wird das Unausdenkbare eintreten."
-Murray Bookchin-