Die "Schlacht" um Ahaus
Friedensfestzeitung 1998

Was passierte am 19. März wirklich im abgeriegelten Ahaus? Einige Sauerländer waren an diesem Tag unter den Demonstranten. Was sie sahen und am eigenen Leib miterleben, schildert der nachfolgende Bericht.

Als wir am Donnerstagabend in Ahaus am Bahnhof eintrafen, hatten wir natürlich so einige Erwartungen. So eine Art Bürgerkriegszustand vielleicht oder jede Menge gröhlende Demonstranten, die brandschatzend durch das idyllische Städtchen ziehen. Aber davon war nichts zu sehen. Sicherlich, einige Rucksackmenschen waren zu sehen und auch erstaunlich viel Polizei. Aber alles (bis zu diesem Zeitpunkt) nichts dramatisches. Irgendwo Richtung vermuteter Innenstadt hörten wir Musik schrebbeln und ab und zu eine rufende Menge. In der Innenstadt angekommen, bekamen wir auf Nachfrage die Auskunft, daß wir gerade den Rest der heutigen Großveranstaltung der Bürgerinitiative mitbekommen und Klaus den Geiger gehört hatten. Da kam dann das erste Mal eine Art Demofeeling auf; allerdings fehlte immer noch der Großteil der 30.000 angekündigten Polizisten. Aber die sollten noch kommen.

Worüber wir uns nicht beschweren konnten, war der Informationsfluß. Über Lautsprecher wurde mitgeteilt, daß von den eigentlich neun geplanten Camps zur Zeit nur noch das Camp 4 steht. Das Nordcamp wurde gerade von den Polizisten geräumt (da waren die also!).

Im Camp angekommen, sah alles noch ziemlich chaotisch aus: Überall nur Aufbau. Das Infozelt bestand aus einem provisorischen Biertisch und jeder war damit zugange, sein Zelt auf die Wiese zu kriegen. Zum Glück standen schon die Klos da und die Leute von Rampenplan hatten ihre Küche schon aufgebaut. Durch die Räumung, beziehungsweise dem Verbot der anderen Camps, traf sich natürlich alles in diesem einen Camp. Da gab es Leute von X-tausendmal-quer, die sich gewaltfrei auf die Schienen setzen wollten und es gab ein sogenanntes Plenum, in dem sich alle anderen organisiert hatten - also alles Einzelpersonen.

Um 0 Uhr sind dann die ersten 300 Leute losgezogen. Allerdings kamen davon nicht mehr alle wieder zurück. Ein Polizeikessel hinderte so um die 70 Demonstranten daran.

An Schlaf war dann nicht mehr zu denken. Um 6 Uhr morgens ging es in Richtung Ahauser Bahnhof. Inzwischen hatten wir auch gehört, daß der Zug mit den Castorbehältern um 4 Uhr morgens losgefahren ist. Um 8 Uhr war eine Großveranstaltung der BI auf dem Marktplatz geplant. Kaum da angekommen, wurde per Lautsprecher bekanntgegeben, daß auf dem Bahnübergang "Schorlemmer-Straße" gerade eine Blockade stattfindet. Also rannten wir zu diesem Bahnübergang und sahen noch, wie 150 Leute eingekesselt wurden und sich die Polizei vor diesem Übergang aufbaute.

Und so blieb die Situation dort auch erstmal: Auf den Schienen 150 Blockierer, die von den Polizisten eingekesselt waren. Dann kam die Presse und da, wo normalerweise die Schranken sind, da war eine 3er-Reihe von Polizisten, die die vielleicht 1200 Demonstranten (400 auf der einen, der Rest auf der anderen Seite) davon abhielten, auf die Schienen zu kommen. Daran konnten auch die Versuche der Demonstranten nichts ändern, durch Gerangel die Sperre zu durchbrechen oder der PR-Gag der Toten Hosen. Mittags wurden die Eingekesselten dann so langsam abtransportiert. Zwischendurch hörten wir immer wieder Gerüchte, daß die Berliner Polizei in der Innenstadt rumgeknüppelt und etliche Demonstranten verhaftet hat. So gegen 14 Uhr kam dann noch mal Bewegung in die festgefahrene Sache. Wieder über Lautsprecher wurde mitgeteilt, daß "beim Kreisverkehr" Leute auf die Schienen gelangen konnten und noch Unterstützung brauchten. Ein Großteil der Leute setzte sich erst in Bewegung und dann auch noch auf die Schienen. Und dann kamen wir uns vor wie in einem Asterix & Obelix-Heft.

Es wurden etliche Polizeiwagen und vier Wasserwerfer aufgeboten. Die Leute auf den Schienen wurden durch ein Megaphon mit den Worten "Hier spricht die Berliner Polizei!..." aufgefordert, dieselbigen zu verlassen. Und nach einiger Zeit wurde abgeräumt. Entweder man stand freiwillig auf, oder man wurde weggetragen. Beim Wegtragen konnte es auch schon mal sein, daß die Polizisten sich etwas "ungeschickt" anstellten und nicht an Armen und Beinen, sondern an Nase und Gürtel anpackten. Letztendlich wurden wir dann den Bahndamm runtergeschmissen.

Der Bahndamm wurde dann auch noch geräumt. Erst mit Wasserwerfern und, nachdem sich dort etliche Demonstranten tanzend wehrten, mit persönlichem Kontakt. Will sagen: Man wurde die fünf Meter runtergetreten und geschmissen.

Gegen 18 Uhr war es dann soweit. Eine eher gespenstische Szene: Eine Bahnstrecke, die im Abstand von 60 Metern auf einer Länge von 500 Metern von direkt nebeneinander stehenden Polizisten gesichert wurde. Innerhalb dieser 60 Meter waren nur noch andere Polizisten und die Wasserwerfer und die ganzen Wagen, die permanent ihre Christbaumbeleuchtung aufflackern ließen. Über unseren Köpfen flogen die ganze Zeit sechs Hubschrauber, die auch schon mal tiefer flogen. Irgendwann kamen zwei Hubschrauber mit Suchscheinwerfern dazu, und wir sahen den Zug. Während die beiden Scheinwerfer immer auf die Lok gerichtet waren, fuhr der Zug langsam durch das Blaulichtgewitter und das aufkommende Pfeifen und Geschrei der Demonstranten. Ein Scheiß-Gefühl von Wut, Angst und Ohnmacht kam auf.