Da gibt es keinen Grund zum Feiern!
Interim # 301, 29. September 1994, Seite 6

Am 2. und 3. Oktober 1994 wird sich wieder die 'creme de la creme' aus Politik und Wirtschaft in Bremen treffen. Mitten in der heißen Phase des Bundestagswahlkampfes ist ein ebenso umfangreiches wie kostspieliges Programm geplant, um diesen neuen Nationalfeiertag würdig zu begehen. Mehr noch als in den Jahren zuvor werden die diesjährigen Feierlichkeiten der Selbstbeweihräucherung des deutschen Staates, der Regierung und der herrschenden Elite aus Politik und irtschaft dienen. Sie werden ihre Erfolge feiern wollen, der wiedererstarkten Nationalismus, den in Gesetze gegossenen Rassismus und ihre Fortschritte in der sozialen Ausplünderung der Mehrheit der Menschen in diesem Land und international. Zwei Wochen vor der Bundestagswahl wird der diesjährigen Einheitsfeier also eine besondere Bedeutung zukommen: denn dann sollen millionenfach Kreuzchen auf den Wahlscheinen ihre Politik bestätigen und ihre Fortsetzung legitimieren.

Rund 650.000 DM wird Bremen für dieses Spektakel locker-machen. Sponsoren wie EDUSCHO, JACOBS, MARITIM und DIE SPARKASSE wollen nochmal ca. 850.000 DM dazusteuern. Geladen sind 1000 Gäste für die offizielle Feier im Kongressraum (CCB) - alle 500 Bundestagsabgeordneten, alle Abgeordneten der Bürgerschaft, und etwa 400 VertreterInnen der Industrie, der Gewerkschaften, Botschaften usw. Ihre Sicherheit lassen sie sich einiges kosten, nämlich zwischen 600.000 und 1 Mio. DM. Die dazu benötigten Kasernen für BGS und Polizeimannschaften aus anderen Bundesländern sind schon im Vorfeld beschlagnahmt worden.

Es erwartet uns also ein großes Spektakel in dieser Stadt. Im Rahmen des Musikfestes am 2.10. geben sich die Bonzen, ManagerInnen und VertreterInnen der herrschenden Elite in einer leergeräumten Werfthalle des Rüstungskonzerns LÜRSSEN-Werft in Lernwerder ihr Stell-Dich-ein beim Beethoven-Konzert. Am Tag darauf folgt ein klassisches Konzert in der GLOCKE.

Vom 1.-3.10. findet in der unteren Rathaushalle eine "Präsentation der Bundesländer" statt, und drumherum auf Marktplatz und Domshof ein sog. "Volksfest" mit entsprechenden Fress- und Saufständen, und um die rassistische Wirklichkeit zu verstecken, werden sie ein "Spektakel der Weltkulturen" (Drums of the world) am 2.10. inszenieren.

Der 3.10. soll ganz im Zeichen des offiziellen Festaktes im Kongresszentrum stehen, dem traditionsmäßig ein ökumenischer Gottesdienst vorangehen wird, Im CCB und auf dem Volksfest werden sie ihre schönfärberischen Reden schwingen, ihre Lügen, Heucheleien und Wahlslogans zum Besten geben, sich und ihre Erfolge feiern - in der Gewissheit, dass die 700 erwarteten JournalistInnen ihre Boptschaften in die Köpfe und Herzen der Menschen bringen werden.

Gegen dieses Propaganda-Spektakel organisieren zahlreiche Gruppen am 3.10.1994 eine bundesweite Demonstration.

Es gibt keinen Grund die "Einheit" zu feiern, denn es gibt nichts zu feiern. Die Gewalt gegen Frazen und Mädchen verschärft sich. Die Armut hat zugenommen, die Reichen werden reicher, Flüchtlinge drangsaliert und abgeschoben und die BRD giert weltweit nach miltärisch-ökonomischen Machtzuwachs.

Mehr als tausend gute Gründe sprechen dafür, dieser Politik und diesem ekelerregenden Propagandaspektakel eine entsprechende Antwort zu geben. Die bundesweite Demo am 3.10. ist eine Antwort, wir sehen hier eine Möglichkeit, die berechtigte Wut und den Zorn, den Protest und Widerstand gemeinsam auf die Straße zu tragen. Unser Ziel ist es, den reibungslosen Ablauf der nationalistischen Feiern zu verhindern. Sie sollen sich in ihrem Kongresszentrum verschanzen müssen, so dass ihnen jede ihrer "feierlichen" Rden im Halse stecken bleibt. Unser Ziel ist es klarzumachen, dass und warum es für Millionen keinen Grund gibt, die "Einheit" zu feiern. Deshalb werden wir auf den Straßen sein, wollen das Kongresszentrum belagern und blockieren, weil wir ihren Lügen keinen Glauben schenken, weil wir ihre Politik ablehnen und weil wir ihre Profit- und Gewinnsucht verachten.

Ihrem Versuch, durch eine Brot & Spiele-Inszenierung massenhafte Zustimmung vorzutäuschen, wollen wir einen Strich durch die Rechnung machen. Mit ihrem "Volksfest" und dem Vorstoß, den 2.10. zu einem verkaufsoffenen Sonntag (!) zu erklären, sollen die Menschen in die Innenstadt gelockt werden:

Geht nicht zum Fest und lasst euch nicht für den nationalistischen Rumel missbrauchen!

Während die einen konsumieren und ihr Geld in der City lassen sollen, werden die ohnehin gutbetuchten und elitären VolksvertreterInnen, Rationalisierer und Profiteure aus Industrie und Handel zusammen mit allerlei BotschaftsvertreterInnen sich kostenlos ihren Champagner zuprosten.
Bremer Bündnis gegen die Nationalfeiern