Die Einheitsfeier findet nicht statt!
(aus Interim # 301, 29. September 1994)
Die diesjährige Feier der "deutschen Einheit" soll bekanntlich
in Bremen stattfinden. Drei Tage zur Verhöhnung der Opfer
des rasssistischen Terrors in Rostock, Mölln, Solingen..., drei Tage
der Beschönigung der gesellschaftlichen Verhältnisse, drei Tage also,
an denen die Mächtigen und Reichen dieses Landes ihre Erfolge
feiern wollen.
Das Anti-Rassismus-Büro ruft zusammen mit zahlreichen
anderen Gruppen zu einer Demonstration gegen die Einheitsfeier auf. Wir rufen
dazu auf, sich gegen dieses ebenso skrupellose wie zynische
und menschenverachtende Spektakel auf der Straße zu versammeln, im Wege zu
stehen und so in der Öffentlichkeit dafür zu sorgen, dass ihre Propagandashow
in die Hose geht!
Was gibt es denn da zu feiern?
Etwa die Tatsache,
dass Arbeit heutzutage für Millionen von Menschen bedeutet, jenseits jeder
sozialen Absicherung wie Krankenversicherung, Kündigungsschutz und
Urlaubsgeld weit unter Tarif zu malochen? Dass die Gewerkschaften im
Schulterschluss mit den Bonzen aktiv dafür Sorge tragen, dass die Löhne auch
für Festangestellte sinken und sinken, während die Biolanzen und
Gewinne der Besitzenden steigen und steigen? Seit Jahren jedenfalls
werden Arbeitskräfte wegrationalisiert, um über die
Drehscheibe Arbeitslosigkeit entweder aufs Sozialamt abgedrängt, oder aber
in entgarantierte Beschäftigunsgverhältnisse entlassen zu
werden (520-DM-Jobs, Schwarzarbeit, etc.) Unter dem slogan "Wer
arbeitet muss mehr verdienen als eine Arbeitslose" werden Sozi,
ALG/Alhi eingefroren oder gekürzt und damit unter das
Existenzminimum gedrückt, und zusätzlich an Zwangsarbeitsprogramme
gekoppelt ("Erntehelfer", soz. Pflichtjahr für Frauen usw.)
Etwa die
Tatsache, dass ca. 5 Millionen Wohnungen fehlen, bezahlbarer Wohnraum immer
knapper wird, und mit zunehmender Armut die Zahl der Wohnung- und Obdachlosen
immer weiter ansteigt? Dass also z.B. zwischen 1980 und 1990 rund 1 Millionen
Wahungen zerstört wurden, umgewandelt in Yuppie-Appartements,
Arztpraxen, Computerfirmen und andere Geschäfte der Besserverdienenden,
oder einfach abgerissen werden. Dass z.B. ca. 85% aller wischen 1980
und 1990 errichteten Neubauwohnungen ebenfalls für die Masse der
Leute unbezahlbar sind, weil sie a la Weidedamm, Teerhof und Vegesack
dem "gehobenen Anspruch" dienen. Dass Wohnprojekte wir das
Bundentor eiskalt der Abrissbirne zum Opfer fallen, weil sie nicht in
das saubere Stadtbild passen
Etwa die Tatsache, dass bestimmte
Bevölkerungsgruppen aus öffentlichen Räumen und Plätzen der Stadt ausgegrenzt
und vertrieben werden? 1992 wurde ein generelles Aufenthaltsverbot
gegen hauptsächlich schwarze Flüchtlinge für den
gesammten Innenstadtbereich ausgesprochen. Begründung: "Gefährdung
der öffentlichen Ordnung", weil schwarzen Flüchtlingen pauschal
der Drogenhandel unterstellt wurde. Eine rassistisch
begründete No-go-area. Es folgre die Vertreibung drogenabhängiger
Prostituierter von Ziegenmakrt und Friesenstraß0e, die Vertreibung von
Junkies aus Teilen des Ostertor/Steintorviertels. Im Sommer 94
schlug Sparkassen-Vorstandsmitglied REBERS eine soziale Bannmeile
für Obdachlose vor, die "Bremens gute Stube verschandern"
würden ("Marktplatz pennerfrei"). Das obere Drittel dieser
Gesellschaft scheint sich zunehmend an der Armut zu stören, und
erklärt Hunderttausende im Handumdrehen zu Störenfrieden, ruft nach
der Polizei und engagiert private Wachmänner, um die Innenstadt und andere
Geschäfts- und Kommerzzentren zu säubern. Es sind keine "Randgruppen",
die da ausgegrenzt werden, sonder Schritt-für-Schritt richtet sich diese
Politik gegen Alle, die Arm sind, "behindert", den "falschen Passe" haben
oder einfach nicht geneigt sind, sich den herrschenden Verhältnissen und
ihrer Moral unterzuordnen.
Oder sind wir etwa aufgefordert, die
zurückliegende "Asyldebatte" zu feiern, die Progrome, Mord- und
Brandanschläge auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte? Die Internierung von
Flüchtlingen in Massensammellagern, die Abschaffung des Asylrechts, und all
die anderen Bausteine der herrschenden Politik?
Diese "Asyldebatte"
war das Einfallstor für die umfassenden Neuordnungspläne der Rechten. Das
Gesicht der kapitalistischen Gesellschaft wandelt sich mehr und mehr in
nackte Ausbeutung (ohne den "Luxus" Sozialstaat), auf gesellschaftliche
Widersprüche und Konflikte wird immer offener mit sozialer Ausgrenzung
und Polizeigewalt reagiert. Von der "rechten Intelligenz" wird
ein "Wertewandel", eine "geistig-moralische Wende" vorangetrieben,
die nicht nur die Verleugnung Ausschwitz's salonfähig gemacht hat,
oder eine deutsche Bevölkerungspolitikerin sagen lässt, dass
"Afrikaner wenigen intelligent sind, als andere" - sondern die
versucht, sämtliche gesellschaftliche Emanzipationsprozesse der vergangenen
25 Jahre zurückzudrehen. Rechte und rechtsradikale Parolen haben
Einzug gefunden bei allen Parteien, in den Medien, und selbst
offen faschistisches Gedankengut löst kaum mehr einen
gesellschaftlichen Skandal aus...
Es gibt keinen Grund, die "Einheit"
zu feiern! Aber es gibt tausende gute Gründe, am 3.10. auf die Straße zu
gehen! Wer jammern will, bleibt am Besten zuhause. Geholfen hat das aber noch
nie und niemanden. Und diejenigen, die uns auffordern, nicht
zu demonstrieren, sondern diesen Tag "würdig zu begehen", die uns
dazu auffordern, uns dem nationalen Konsens anzuschließen, denen
können wir nur sagen: Deutschland halt's Maul!
Demonstration 3.10.1994 um 8 Uhr morgens Sielwall/Ostertorsteinweg
Anti-Rassismus-Büro Bremen
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