Bundeswehr: Umstrukturierung zur Interventionsarmee
Vortrag für Münchner Anti-Kriegs-Veranstaltung am 18.11.02 in München
AnaRKomM - Anarchisten RäteKommunisten München
abgedruckt im Schwarze Katze Rundbrief 07.05.05
Vorweg hier ein Überblick über die aktuellsten Beschaffungsvorhaben der Bundeswehr. Am wichtigsten sind zweifellos die Transportflugzeuge vom Typ A 400 M, auch wenn die ursprüngliche Stückzahl von 73 noch nach unten korrigiert werden soll. Mit dieser ungeheuren Lufttransportflotte kann die Bundeswehr im weltweiten Maßstab Truppen incl. Material kurzfristig verlegen. Die Probleme mit den altersschwachen und zu kleinen Transall-Maschinen, die zudem eine zu geringe Reichweite haben, gehören damit bald der Vergangenheit an, kurzfristig sollen jetzt sogar amerikanische Boeing C-17 Transportflugzeuge geleast werden, um die Lücke bis zur Einführung der A 400 M zu schließen. Im Typenblatt des Herstellers wird unter Reichweite "global" angegeben, weil die C 17 luftbetankbar sind. Bei 265 t Eigengewicht haben sie eine Nutzlast von über 77 t. Auch die Marine tut ihr übriges. ETRUS, das Einsatztruppenunterstützungsschiff, nimmt immer mehr Konturen an. Zwei Schiffe sind zwar noch nicht offiziell beschlossen, die Militärstrategen reden aber zunehmend davon. Mit diesen Schiffen können komplette Einheiten für Landoperationen transportiert und angelandet werden. Die Flugplätze für die A 400 M müssen ja gegebenenfalls erst erobert werden. Wie alle neuen Fregatten und die zwei neuen Einsatzgruppenversorger, die zur Zeit größten Überwassereinheiten der Marine, wird auch ETRUS über Bordhubschrauber verfügen, die fliegende Komponente der Marine wird ständig ausgebaut. Es wird wahrscheinlich nicht mehr lange dauern, bis die Militärstrategen von Flugzeugträgern reden werden. Die Rüstungsindustrie verfügt über Konzepte von relativ kleinen Trägern und neuen trägertauglichen Marineflugzeugen, die für die europäischen Führungsnationen interessant sein dürften, und dazu muß auch Deutschland gezählt werden. Es kursiert derzeit in deutschen Militärkreisen der Vorschlag, im Vorgriff auf die Beschaffung von Flugzeugträgern kurzfristig trägerfähige Flugzeuge zu beschaffen, die dann auf den Flugzeugträgern anderer EU-Länder eingesetzt werden könnten. Und warum unterhält die Marine seit der Wiederbewaffnung eigene Flugzeuggeschwader, darunter auch Kampfflugzeuge? Das Heer verfügt über zwei neue Elitedivisionen, die Division Luftbewegliche Operationen und die Division Spezielle Operationen. In der Wehrtechnik III/02 wird der neue Schützenpanzer NSPZ Igel als "Schlüsselvorhaben des Heeres besonders für Auslandseinsätze" bezeichnet. Der Zulauf des Eurofighter 2000 hat begonnen, die Notwendigkeit eines Luftüberlegenheitsjägers war lange Zeit umstritten, das lag aber nur daran, daß er vor seiner Zeit projektiert wurde, die Militärstrategen sind aber gewohnt, weit vorauszudenken. Jetzt paßt er wie die Faust aufs Auge angesichts völlig neuer Szenarien.
Neue Befehlsstrukturen
Scheinbar weniger spektakulär wie Neuanschaffungen sind die strukturellen Neuerungen bei der Bundeswehr, sie sind aber ungleich wichtiger. Ein "Einsatzrat", quasi ein Generalstab, unter Führung des Generalinspekteurs, unterstützt den Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt bei Planung, Vorbereitung und Führung von Einsätzen der Bundeswehr. Ein "Rüstungsrat", ebenfalls unter Vorsitz des Generalinspekteurs, steuert die Ausrüstungsplanung und bereitet Rüstungsentscheidungen vor. Es wird neben den Teilstreitkräften Heer, Luftwaffe und Marine ein Zentraler Sanitätsdienst und eine Streitkräftebasis eingeführt. Die Teilstreitkräfte und der Zentrale Sanitätsdienst werden von der Streitkräftebasis bei Einsätzen umfassend unterstützt. "Basis", das klingt nach Hinterland, gibt es also vorgelagerte Einsatzräume?
Die BRD war bislang wirtschaftlich ein Riese, militärisch ein Zwerg, doch der bislang in Bezug auf weltweite Interventionsfähigkeit zahnlose deutsche Imperialismus bekommt jetzt im Verbund mit der EU tatsächlich wieder seine Reißzähne.
Veränderungen begannen vor 20 Jahren
Dies kommt nicht von ungefähr, seit Ende der Achtziger geht mit der Bundeswehr eine ungeheure Metamorphose vor sich. In Zusammenhang mit der Entscheidung zum Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan und benachbarten Regionen und der daran gekoppelten Vertrauensfrage sprach Schröder am 16. November 2001 von einer "epochalen Entscheidung". Offensichtlich geht die Metamorphose nach ca. 15 Jahren jetzt in die kritische Phase über, da müssen die politischen Grundlagen bereit sein. Gut gepaßt hat in diesen Zusammenhang auch die Entscheidung des BVG zur Klage der PDS, die wegen der 1999 beschlossenen neuen NATO-Strategie die Rechte des Parlamentes beschnitten sah. Die Bundeswehr darf also z.B. im Rahmen der NATO oder anderer Bündnisse jederzeit an Einsätzen außerhalb des Bündnisgebietes eingesetzt werden, um sogenannte Krisen zu beenden, als Krisen werden Terrorismus, Sabotage, organisiertes Verbrechen, die Gefährdung des freien Handels, unkontrollierte Flüchtlingsströme und Verletzungen des Völkerrechts angesehen. Der Freibrief ist also da, doch ist die Bundeswehr bereit?
Politische Grundlagen und erste Strukturveränderungen in den achtziger Jahren
Die Erstarkung des europäischen Pfeilers der NATO wurde aufgebaut über die Militärachse BRD-Frankreich. Von diesen beiden Ländern ging die Reaktivierung der WEU (Westeuropäische Union) als militärische Komponente der EU-Kernländer aus. Praktisch spielten diese beiden Länder durch den Aufbau der deutsch.-französischen Brigade ab dem 1. Oktober 1988 ebenfalls die Vorreiterrolle. Der damalige Kriegsminister Wörner: "Wir haben das langfristige Ziel, auch durch eine verdichtete dt.-franz. Sicherheitspartnerschaft dem europäischen Einigungsprozeß Schwung zu verleihen und durch einen starken europäischen Pfeiler das Bündnis zu stärken." Die Vorentscheidung dafür war am 23.01.88 gefallen, da wurde der "Deutsch-französische Rat für Verteidigung und Sicherheit" eingerichtet Dies zeigt deutlich, daß die jetzige Struktur der Bundeswehr nicht etwa ausschließlich mit der Auflösung der Sowjetunion zusammenhängt, sondern seit den Achtziger Jahren betrieben und vorbereitet wurden. 1988 wurde die Heeresstruktur 2000 konzipiert, wodurch der Weg in ein weltweit einsetzbares Elite- und Berufsheer vorgezeichnet wurde. 1989/90 kam es übrigens zu einen ersten Auslandseinsatz eines BRD-Kontingentes an einer sogenannten "UN-Friedenstruppe", damals übrigens nicht die Bundeswehr, sondern "nur" der BGS.
Konzepte und Realitäten aus den neunziger Jahren
Dies kann grob umschrieben werden mit weniger dienende Wehrpflichtige, mehr dienende Reservisten, mehr in Verfügungsbereitschaft stehende Reservisten, höherer Anteil länger dienender Soldaten im stehenden Heer, Schaffung von schnellen und flexiblen Eingreifverbänden. Die "Verkleinerung" der Bundeswehr war bereits damals kein Grund für Antimilitaristen, sich zu freuen. Die Ausweitung des Reservistensystems wird im Bedarfsfall die gleiche Aufmarschstärke wie bisher sicherstellen. Zu beachten ist auch, daß zunehmend Logistikaufgaben u.a. über Aufträge an Industrie und Dienstleistungsfirmen ausgelagert wird, auch die Bundeswehr beherrscht "Outsourcing". Das hat zur Folge, daß mehr Soldaten für Kampfeinsätze zur Verfügung stehen. Auf fünf Soldaten der Wehrmacht kam ein Frontsoldat, die Bundeswehr hat da ein wesentlich besseres Verhältnis. Am 10.09.90 fiel der Beschluß zur Entsendung von deutschen Marineeinheiten in die Golfregion, ein Minensuchverband aus sechs Schiffen. Weitere Schiffe wurden ins Mittelmeer verlegt. Genscher am 20.9.90: "Das vereinigte Deutschland wird größeres Gewicht haben." 1990 wurde mit der Aufstellung zweier neuer luftbeweglicher Divisionen begonnen. "Große Räume, operative Beweglichkeit im Krieg und rasche Einsatzfähigkeit auch im Frieden und in der Krise für Einsätze auch außerhalb Deutschlands erfordern die Weiterentwicklung luftbeweglicher Truppen des Heere", so ein Artikel in der Europäischen Wehrkunde 10/90. 1990 sah der Haushaltsansatz beim Militär eine 100prozentige Steigerung im Forschungsbereich auf 600 Millionen DM vor. Am 12.3.1991 hieß es im Münchner Merkur: "Nach dem Ende des kalten Krieges zwischen Ost und West könnte von den Brandherden der Dritten Welt die größte Gefahr für den Weltfrieden ausgehen. Und darauf sind bewegliche Elitesoldaten die richtige Antwort. Es ist nun die Aufgabe der Politiker, die Rahmenbedingungen, also die Maßstäbe für Zusammenstellung und Einsätze zu bestimmen. Etwa innerhalb der NATO und UNO. Möglichst mit Berufssoldaten, die wüßten, daß sie mit Ihren Dienst auch ein hohes Risiko eingehen."
Am 15. Dezember 1992 legte Volker Rühe sein neues Bundeswehrkonzept vor, Dreh- und Angelpunkt sind die sogenannten "Krisenreaktionsstreitkräfte" (KRK), zu denen bestimmte Kontingente der drei Teilstreitkräfte gehören: sieben Brigaden des Heeres, zwei Jagdstaffeln der Luftwaffe, das Gros der Marine, u.a. sechs Fregatten und Zerstörer, eine Jagdbomberstaffel der Marineflieger und acht U-Boote. Langfristig sollen bis zu 20.000 Soldaten für internationale Kriseneinsätze ausgebildet werden. Interessant ist auch, daß in dem Konzept z.B. eine für alle Klimazonen geeignete Bekleidung für die Soldaten enthalten war. 1941 beging die deutsche Wehrmacht noch den Fehler, nicht über genügend geeignete Winterbekleidung für den Angriffskrieg gegen die Sowjetunion verfügt zu haben. Die damalige Bundesregierung hatte es tatsächlich geschafft, den Spagat von drei an sich widersprüchlichen militärpolitischen Vorgaben zu schaffen:
1.) Eigene militärische Souveränität und Interventionsfähigkeit.
2.) Westeuropäische militärische und rüstungspolitische Integration auf der Basis der engen deutsch-französischen Zusammenarbeit.
3.) Erhalt der NATO bei gleichzeitiger Veränderung ihrer Aufgaben.
Was 1988 ganz klein mit der dt.-franz. Brigade angefangen hat, hat zu einer Entwicklung geführt, die am Beispiel der Indienststellung des aus deutschen, dänischen und polnischen Einheiten bestehenden Multinationalen Korps Nordost am 18.9.99 in Stettin in der Wehrtechnik IV/99 als historischer Moment bezeichnet wurde.
Im neuen Jahrtausend ist alles bittere Realität
In unglaublicher Konsequenz hat die rot-grüne Bundesregierung diesen Kurs weiterverfolgt. Aber es ist kein Wunder: Bereits 1993 forderten in einen gemeinsamen Aufruf, u.a. der CDU-Politiker Stefan Schwarz, Cohn-Bendit, Eva Quistorp (Grüne Europaparlamentarierin), Jürgen Roth (Bündnis 90/Die Grünen) und andere illustre Persönlichkeiten eine Intervention in Bosnien. Auch die verteidigungspolitischen Richtlinien für die Bundeswehr, die Volker Rühe November 1992 erließ und die auf ein vorausgegangenen Strategiepapier aus dem Stab des Generalinspekteurs basierte, könnten Oh-Ton Schröder und Fischer sein, im Anschluß zitieren wir hier die Definition "von vitalen Sicherheitsinteressen":
(1) Schutz Deutschlands und seiner Staatsbürger vor äußerer Gefahr und politischer Erpressung.
(2) Vorbeugung, Eindämmung und Beendigung von Krisen und Konflikten, die Deutschlands Unversehrtheit und Stabilität beeinträchtigen können.
(3) Bündnisbindung an die Nuklear- und Seemächte in der Nordatlantischen Allianz, da sich Deutschland als Nichtnuklearmacht und kontinentale Mittelmacht mit weltweiten Interessen nicht allein behaupten kann.
(4) Vertiefung und Erweiterung der europäischen Integration einschließlich der Entwicklung einer europäischen Verteidigungsidentität.
(5) "Partnerschaft unter Gleichen" zwischen Europa und Nordamerika, ausgedrückt in der Teilhabe Nordamerikas an den europäischen Prozessen und in der signifikanten militärischen Präsenz der USA in Europa.
(6) Festigung und Ausbau einer global und regional wirksamen Sicherheitsstruktur komplementärer Organisationen.
(7) Förderung der Demokratisierung und des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts in Europa und weltweit.
(8) Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt im Rahmen einer gerechten Weltwirtschaftsordnung.
(9) Fortsetzung eines stabilitätsorientierten rüstungskontrollpolitischen Prozesses (...)
(10)Einflußnahme auf die internationalen Institutionen und Prozesse im Sinne unserer Interessen und gegründet auf unsere Wirtschaftskraft, unseren militärischen Beitrag und vor allem unsere Glaubwürdigkeit als stabile, handlungsfähige Demokratie.
Deutschland, d.h. Deutschland im europäischen Kontext, ist heute jedenfalls im Club der Imperialisten wieder richtig vertreten. Im Zuge der Arbeitsteilung fand z.B. die Afghanistan-Konferenz in Bonn statt. Jetzt noch ein genauerer Blick auf die aktuellsten Veränderungen:
Die Division Spezielle Operationen
Diese Division ist seit dem 1. April 2001 im Aufbau, sie besteht aus zwei Luftlandebrigaden, dem Kommando Spezialkräfte sowie unterstellten Divisionstruppen. In Wehrtechnik III/2002 wird ganz offen gesagt, daß diese Division jederzeit zur Durchführung von bis zu zwei geographisch unabhängigen Operationen für Rettungs- Evakuierungs- und Schutzoperationen in der Lage sein muß. Was alles unter Schutzoperationen fallen kann, ist leicht vorstellbar. Bis Ende 2003 soll die Einsatzbereitschaft hergestellt sein, was aber nicht heißt, daß die DSO aber bereits heute über die Fähigkeit zur Durchführung spezieller Operationen in ihrem Aufgabenspektrum verfügt. In Afghanistan spielen die KSK eine sehr fragwürdige Rolle, was zum einen ihr Einsatzgebiet und ihren Auftrag betrifft, die zuständigen parlamentarischen Gremien der BRD haben dabei nichts zu melden und zum anderen bricht im Verbund mit den US-Truppen die KSK Völkerrecht und internationale bürgerlich-demokratische Normen. Zu diesen Punkt sei z.B. an die Behandlung der afghanischen Gefangenen erinnert, die über das Konstrukt "Feindliche Kämpfer" zu völlig rechtlosen Personen gemacht werden. Dabei ist das nicht einmal das schlimmste, am Tod von Tausenden von Taliban-Gefangenen im Norden Afghanistans waren direkt und indirekt US-Truppen beteiligt, eigentlich eine Sache für ein Kriegsverbrecher-Tribunal.
Die Division Luftbewegliche Operationen
Diese Division faßt die bereits vorhandenen Heeresfliegerkontingente aus Verbindungs- Transport- und Kampfhubschraubern zusammen, es handelt sich um insgesamt fast 400 Hubschrauber, darunter die 192 gerade im Zulauf befindlichen neue Kampf- und Transporthubschrauber (KHS Tiger und NH-90 LTH Heer). Ein solcher Verband, der für Dominanz im bodennahen Luftraum sorgen soll, ist weltweit einmalig und macht Lücken in anderen Bereichen, wo Deutschland im Vergleich zur USA und zu Großbritannien oder Frankreich noch militärisch hinterherhinkt, mehr als wett.
Aufwertung des Lufttransportkommando (LTKdo)
Diesem verantwortlichen Fachkommando obliegt die gesamte Planung, Steuerung, Führung und Auswertung aller Lufttransporteinsätze. Im unterstehen drei Lufttransportgeschwader (LTG) sowie die Flugbereitschaft des "Verteidigungs"ministeriums. Es verfügt über 96 Flugzeuge und 85 Hubschrauber und ist quasi eine weitere Sonderdivision. Doch nicht einmal diese Luftflotte reicht den Kriegsstrategen, in der Wehrtechnik III/2002 heißt es, daß "aufgrund der begrenzten Transportkapazität der Luftwaffe ... auch die Unterstützung des zivilen Lufttransportes mit in die Planungen einbezogen werden müssen", ähnliches hat übrigens auch die Marine vor. Ferner steht dort ganz offen: "Zu den erweiterten Aufgaben des Lufttransportes gehört auch die Befähigung, über feindlichen Gebiet notgelandete oder abgeschossene Luftfahrzeugbesatzungen, sowie von eigenen Truppenteilen abgeschnittene und versprengte Soldaten zurückzuholen und zu retten." Für diesen bewaffneten Such- und Rettungsdienst ist der im Zulauf befindende Hubschrauber NH 90 vorgesehen. Daß dies alles nichts mit Landesverteidigung zu tun haben kann ist klar. Angesichts solcher und anderer Szenarios in militärischen Fachzeitschriften sind z.B. die Koalitionsvereinbarungen zur Bundeswehr und zu internationalen Einsätzen nicht ihr Papier wert.
Luftwaffenstruktur 5 wurde zum 1. Oktober 2001 eingenommen
Seit diesem Datum existiert das "Kommando Operative Führung Luftstreitkräfte", in der Wehrtechnik II/2002 wird betont, daß damit "die Luftwaffe erstmals über eine nationale Fähigkeit für taktisch/operative Einsatzplanung und -führung von Luftstreitkräften verfügen wird, das zugleich für multinationale Einsätze außerhalb der etablierten NATO-Kommandostruktur angeboten werden kann". Neben dem oben beschriebenen Lufttransportkommando gibt es noch vier Unterkommandos für die fliegenden Kampfverbände sowie jeweils ein Kommando für Ausbildung und eines für Material.
NATO oder EU?
Interessant ist, daß gerade bei den neuen Divisionen immer gleichzeitig von Einsätzen im NATO- oder EU-Rahmen gesprochen wird, wobei die NATO allerdings immer mehr an Bedeutung als Durchführungsinstrument imperialistischer Interessen verliert. Der Transformationsprozeß der WEU in die EU ist inzwischen fast völlig abgeschlossen. Mit Beschluß des WEU-Ministerrates vom 13.11.00 wird die WEU nur noch Restfunktionen übernehmen, d.h. sie ist nur noch eine politische Organisation, weil sie in Art. 5 ihres Vertrages die Beistandspflicht ihrer 10 Mitglieder regelt. Die wichtigsten Funktionen der militärischen Organisation der WEU werden auf die EU übertragen. Die EU soll zukünftig für die "Krisen"einsätze zuständig sein. In der EU sind die erforderlichen Gremien eingerichtet, die Aktionen bis zur politischen und strategischen Führung einer Krisenmanegement-Operation ermöglichen. Dazu verschärfen sich die innerimperialistischen Widersprüche zur Zeit immer mehr. Im November 2000 kam es zu Unstimmigkeiten zwischen den USA und der EU, als die Staats- und Regierungschefs der EU in Köln beschlossen, sich nicht allein auf Mittel der NATO zu stützen, sondern sich auch außerhalb des Bündnisses militärische Kapazitäten zu schaffen, die 1999 vereinbarte Abgabe von Teilen der Stäbe und Führungsmittel der NATO an die WEU war den Europäern nicht genug. Ab 2003 soll die EU-Eingreiftruppe von 60.000 Mann einsatzfähig sein, zusammen mit Logistiktruppen umfaßt diese Armee allerdings mindestens 200.000 Mann. Die stärksten Kontingente stellt hierbei Deutschland. Heute und morgen beraten die EU-Minister wieder mal über diese Truppe, wir dürfen gespannt sein, wie sie aktuelle Probleme wie Finanzierung und Kompatibilität mit der bis Herbst 2004 zu bildenden und NATO-Response-Force (NRF) mit 21.000 Elite-Soldaten lösen wollen.
Es gibt drei neue, wichtige Gremien der sogenannten Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP):
- das Politische und Sicherheitspolitische Komitee (PSK), der Motor der ESVP
- der Militärausschuß, ihm unterliegt die militärische Leitung aller militärischen Aktivitäten im Rahmen der Union
- der Militärstab, ihm unterliegen drei operative Hauptfunktionen: Frühwarnung, Lagebeurteilung und strategische Planung und im Rahmen von Dauervereinbarungen die Aufrechterhaltung von Beziehungen zu NATO, zur UNO oder zur OSZE. Ein deutscher General leitet zukünftig den Militärstab, er konnte sich in einer Kampfabstimmung gegen den französischen Kandidaten durchsetzen.
Die von der USA geforderte NATO-Response-Force (NRF) darf als Versuch gewertet werden, zuviel Eigenständigkeit der ESVP zu verhindern. Wahrscheinlich wird es auf den NATO-Gipfel in Prag nochmals einen Kompromiß geben, d.h. jede Seite darf sich selber vorstellen, ob die beiden Eingreifverbände sich nun sich gegenseitig ergänzen oder als konkurrierend betrachtet werden können. Wohin der Hase läuft zeigt sich allerdings bei der Rüstungsindustrie: Alle wichtigen Kernbereiche sollen in Europa angesiedelt sein. Daß Großbritannien drohte, bei einen Scheitern des A 400 M auf Transportflugzeuge amerikanischer Bauart zurückzugreifen, belegt übrigens das derzeitige Lavieren Großbritanniens zwischen den Blöcken USA und (Kontinental)Europa.
Deutschland und EU - Friedensmacht?
Wer glaubt, die andere Taktik von Frankreich und Deutschland zum Vorgehen gegen den Irak ist uneigennütziger Natur, der ist naiv. Die Europäer können sich diese Differenzen jetzt auch leisten, die eigene Interventionsfähigkeit ist ja bis 2003 hergestellt. Die scheinbare Gefolgschaftsverweigerung kam Schröder und Fischer zudem gerade recht für den Wahlkampf. Es gibt auch allerdings kaum Unterschiede von CDU/CSU/FDP/Rot/Grün in dem Bestreben, Europa zu einer von den USA eigenständigen Supermacht zu entwickeln, Cohn-Bendit versucht dies als Reform der herrschenden Weltordnung zu verkaufen, CDU/CSU reden halt lieber von nationalen und europäischen Interessen, wenn auch immer noch sehr verhalten, um keinen Konflikt mit den USA zu riskieren.
Seit 20 Jahren Umstrukturierung der Bundeswehr
Interessant ist, daß so gut wie alle entscheidenden Rüstungsprojekte der Ära Kohl unter Rot-Grün fortgesetzt wurden, es gab keinerlei Bruch in der Kontinuität. Rüstungsprojekte wie der Einsatzgruppenversorger der Marine, der neue Transporthubschrauber der nächsten Generation NH-90, dem Transportflugzeug A 400 M", luftverladetaugliche Panzer u.v.a.m. haben im Allgemeinen mindestens eine Vorlaufzeit von zehn Jahren. War bis Anfang der 80-er Jahre noch die "Landesverteidigung" Schwerpunkt, wurde bereits vor Auflösung der Sowjetunion auf eine weltweit agierende Interventionsarmee hingearbeitet. Verfassung und Gelöbnisspruch hinken allerdings derzeit der neuen Wirklichkeit noch hinterher.
Stichworte für einen möglichen antimilitaristischen Widerstand
Patenrezepte für schnelle Erfolge hat bestimmt keine linke, fortschrittliche Kraft, deshalb vorerst hier nur einige Stichworte, die noch der Diskussion bedürfen:
- Schaffung einer starken Antikriegs- und antiautoritären sozialrevolutionären Bewegung
- Aktionen vor Kasernen und anderen militärischen Einrichtungen
- Verweigerung von konkreten Einsatzbefehlen
- Verbindung von antimilitaristischen Kampf und Klassenkampf
- Antimilitaristische Arbeit innerhalb der Bundeswehr
- Unterstützung von kritischen Soldaten von außen
- Konkrete Forderungen, z.B. Auflösung der NATO, Auflösung der EU-Eingreiftruppe, Auflösung der DLO und DSO, des Kommandos Spezialkräfte usw.
- Auflösung der Gremien der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik
- Recht auf Kriegsdienstverweigerung ohne Gewissensprüfung, aber nicht Abschaffung der Wehrpflicht
- Keine Sicherheitskonferenz in München
- Abschaffung von Kriegen nur durch die Abschaffung der Staaten und Blöcke und Abschaffung des Kapitalismus
- Selbstbestimmung des (arbeitenden) Volkes
- Der Hauptfeind steht im eigenen Land
- Krieg dem Krieg
Zuletzt müssen noch einige Fragen gestellt werden, deren Diskussion wichtig ist, um geeignete Gegenstrategien gegen die immer bedrohlicher werdenden imperialistischen Allüren des erstarkten Deutschlands/Europas zu finden:
* Gibt es Widersprüche im Kreis der Imperialisten, z.B. zwischen USA und Europa?
* Wie können wir Widersprüche für uns ausnützen?
* Können Widersprüche aufbrechen und zu tatsächlichen Konflikten führen?
* Sind wirklich nur gemeinsam abgesprochene Interventionen zu erwarten?
* Muß Rußland bald zum europäischen Block dazugezählt werden?
* Gibt es nur noch kurze Interventionskriege?