Papstbesoffen
Stefan Stickler

Nun ist es soweit: der Papst besucht "sein" Bayern; und Deutschland ist im Freudentaumel wie zum Weltjugendtag in Köln vergangenen Jahres. Eine Wiederentdeckung der Religiosität, oder sollte man besser sagen: der religiösen Gefühle scheint sich in unserem Land aufzutun, eine Neuauflage des deutschen "Wir"-Gefühls, nur auf einer anderen Ebene! Oder etwa doch nicht?

Die Fußball-WM zeigte schon, daß es heutzutage keine Schande mehr ist, als Deutscher sich seiner Nationalität bewußt zu sein und auch zu ihr zu stehen, ohne gleich ins politische Rechtsaußenlager gestellt zu werden. Doch was durch die Wahl des Kardinals Josef Ratzinger zum neuen Papst nach Johannes Paul II. geschah, vermochten die vier Wochen Fußball-WM nicht erreichen können. Das alltägliche "Volks"-Blatt des kleinen Mannes, genannt "BILD", postulierte sofort nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses aus der sixtinischen Kapelle: "Wir sind Papst!" Jawohl, wir (sic!) sind Papst, und nicht nur der kleine, alte Mann in dem für ihn viel zu großen Haus in Rom. Und um dieses wunderbare Ereignis gebürtig zu feiern, sponsert die "Volkesstimme" des 21. Jahrhunderts noch die passende "Volks-Bibel" mit Goldumschlag; "für alle gläubigen Volksgenossinnen und Volksgenossen!", möchte man am Liebsten ergänzend hinzufügen. Die Botschaft ist eindeutig!

Daß nach ein paar Jahrhunderten es wieder ein deutscher Kardinal auf den Papststuhl geschafft hat, beflügelte nicht nur das innere Zusammengehörigkeitsgefühl, sondern auch die Religiosität des Landes. Vergessen sind all die Zeiten der Aufklärung, vergessen auch die Abermillionen Opfer der Kirche in ihrer 2000jährigen Geschichte. Niemand will es wissen. Niemand will die gegenseitige Abhängigkeit und Verbindungen von staatlichen und religiösen Machthabern erkennen, oder den Zusammenhang zwischen Religiosität und Gewalt. Nur wenn die Gewalt von anderen Religionen ausgeht, sind das Entsetzen und das Geschrei nach schärferen Gesetzen gegen religiöse Fundamentalisten groß. Ist ein Vergleich des ach so offenen und toleranten Christentums mit dem intoleranten und gewaltbereiten Islam doch nicht redlich! Ist es nicht? War es im Christentum etwa nicht gefährlich, einer "falschen" Religion anzugehören? Wie viele Juden wurden z. B. durch den Großinquisitor Tomás de Torquemada (1420 – 1498) zwangsgetauft, und wie viele Menschen wurden von ihm auf den Scheiterhaufen geschickt oder sind in den Kerkern und unter der Folter elendig verreckt? Und wer weiß, daß dieser Menschenschlächter von der Kirche bis heute geschützt wird? Schwere Mißhandlungen von Schutzbefohlenen in christlichen Kinderheimen bis in die 80er Jahre des 20sten Jahrhunderts, Beihilfe zum Völkermord in Ruanda durch katholische Nonnen: die Liste der kirchlichen "Verfehlungen" ist lang; sehr lang; viel zu lang, um mißachtet zu werden!

Doch warum schweigt die Masse des deutschen Volkes über die eigenen Religions-Fundamentalisten? Selbst die Medien, welche mit ihren Informationen sich selbst als Aufklärer betrachten, verhalten sich außergewöhnlich zurückhaltend, wenn es um die Kirche geht. Die ARD widmet einige Internetseiten alleinig nur zum Papstbesuch am Wochenende, inklusive der "Privataudienz" von vier – selbstverständlich kirchenunkritschen - Journalisten vor laufender Kamera. Daß man dieses angebliche Interview nicht als journalistische Arbeit betrachten kann, sondern als widerwärtige Anbiederung von Propaganda-Dienstleistungen an die Kirche, ergibt sich schon aus der Auswahl der Interviewer und aus den Fragestellungen der Journalisten selbst. Nicht nur die räumliche Distanz der Journalisten zum "Heiligen Vater" wurde bewahrt, sondern auch die Distanz zu religionskritischen Fragen. Will der Journalismus es sich nicht mit der Kirche verscherzen!

Apropos "verscherzen": Noch zu laut klingen die Töne des Karikaturenstreites nach, will man sich doch nicht mehr gerne daran erinnern. Nur zu eifrig griffen konservative Kräfte in diesem Land den Streit zum Anlaß auf, um gegen jegliche Kritikern gegen den (Aber-)Glauben auch hierzulande politische Front zu machen. Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber forderte eine Verschärfung des Paragraphen 166 StGB, in dem er den Zusatz "…geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,…" ersatzlos streichen will! Bis zu drei Jahren Haft für die abscheulichen Lästermäuler. Der österreichische Karikaturist Gerhard Haderer durfte dies am eigenen Leib erfahren, als er in Griechenland wegen seinem Buch "Das Leben des Jesus" im Jahr 2005 zu 6 Monaten Haft verurteilt wurde. So will es auch unser Stoibi; so soll es sein! Doch sind nicht etwa Befürchtungen der Grund, daß Gewaltexzesse religiöser Fanatiker das weiß-blaue Bayernland überschwemmen könnten, sondern das religiöse Dogma der Wahrhaftigkeit der Kirche! Denn wer den Mut hat, sich über den Islam lustig zu machen, der traut sich das auch gegen das abendländische Heiligtum, die römisch-katholische Kirche, welche mit dem tief-religiösen Land der Bajuwaren eng verbunden (und vor allen Dingen auch verstrickt) ist! Schnell findet man auch Zustimmung bei allen anderen in Deutschland stark vertretenen Religionen, profitieren sie ebenfalls von dieser Verschärfung. Vergessen sind da plötzlich die Diskrepanzen zwischen den Glaubensrichtungen. Brüder im Geiste, hat man doch einen gemeinsamen Feind entdeckt: Religionskritiker!

So schlägt unsere Familienministerin in die gleiche Kerbe und glaubt mit der neu entdeckten deutschen Religiosität der Jugend christliche Werte vermitteln zu können. Doch Halt: Was genau sind denn "christliche" Werte? Welcher ach so aufklärerische Journalist hat je diese Frage ernsthaft gestellt? Liegt es vielleicht daran, daß man nicht anecken will; daß die Berufskarriere und die political correctness gegenüber einer Glaubensgemeinschaft höher zu bewerten ist, als das Sammeln und publizieren von Fakten? Ist es etwa eine differenzierte Interpretation von christlichen Werten, die darüber einen Streit auslösen könnte? Sind die von Frau von der Leyen erwähnte "Werte" keine christlichen, sondern normale Benimm- und Anstandsregeln, die auch in jeder anderen Religion oder einer säkularen Gesellschaft zu finden sind? "Die Ehrfurcht zu Gott" als festgesetztes Erziehungsziel für die Jugend in der Schule: ungeachtet der Tatsache, daß eine solche Forderung ein eklatanter Verstoß gegen Artikel 4 des Grundgesetzes ist, welches unser Staat zur Neutralität gegenüber jeder Weltanschauung verpflichtet, drängt sich die Frage auf, ob dadurch ein Schüler mit atheistischer Weltanschauung das Klassenziel zwangsläufig nicht erreicht!? Dies wird in den Medien nicht behandelt. Stattdessen scheint es wichtiger zu sein, wo man die besten Ärzte für die nächste anstehende Schönheits-OP findet. Facelifting, Fettabsaugung und Silikon-implantate für das Ego scheinen nach Ansicht einiger Redakteure interessanter zu sein. Oder scheuen die Medien eine Auseinandersetzung mit dem religiösen Moloch, welcher jede Form von Aufklärung im Keim ersticken will und das Gegenteil propagiert? Doch auch hier lauert eine ketzerische Frage, was denn genau das Gegenteil von Aufklärung sei? Etwa Vernebelung, Verschleierung, Verdunkelung? Ein Schelm, wer böses dabei denkt!

Vorbei die Zeiten, in denen kritische Journalmagazine wie "STERN" oder "SPIEGEL" sich mit solch grundlegenden Fragen auseinandersetzten. Selbst diese sind mittlerweile zu dressierten Schoßhündchen der mächtigen Kirchen geworden, zu Lakaien derer Propaganda. "Aufklärung? Gott bewahre…!" heißt es in den Redaktionsbüros deutscher Medien. Dabei sägen sie selbst an dem Ast, auf dem sie sitzen. Denn die journalistische Freiheit, die sie genießen, war zuvor gegen den massiven Widerstand der Kirchen errungen worden. Die unzähligen Opfer, die dieser Kampf gekostet hat, wird höflicherweise ignoriert. Dabei genügt nur ein Blick auf Kollegen in streng islamischen Ländern, um zu erkennen, wie diese durch die Macht der Religionen instrumentalisiert werden, und Kritik am Islam mit schwersten Strafen bis hin zum Todesurteil nach sich zieht. "Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen", postulierte Immanuel Kant schon im 18. Jahrhundert. Doch ungehört von den journalistisch Verantwortlichen verhallen seine Worte im Schleier des christlichen Dunstkreises! Der religiöse Trend ist eine willkommene Einnahmequelle, das haben die Redaktionen erkannt! Wenn durch die Euphorie Kauf- und Einschaltquoten, und somit der Umsatz gesteigert werden kann, ist man gerne bereit, auf diesen Zug aufzuspringen und die Schere im Kopf zu akzeptieren, die das selbstständige Denken beschneidet. Der eigentliche Sinn des Journalismus für die breite Öffentlichkeit geht dabei verloren. Daß dabei der Journalismus die Zeit unweigerlich zurückdreht, scheint ihn nicht wirklich zu stören. Gleichfalls auch die Erkenntnis aus der Geschichte, in der das deutsche Volk schon mehrfach unter dem Zeichen eines Kreuzes agierte, auch wenn die Kreuze in ihrer Form variierten! In allen Fällen "glaubte" das deutsche Volk an die Unfehlbarkeit und Wahrhaftigkeit der Kreuzträger, "glaubte" deren stereotypen Heilsversprechen; und in allen Fällen wurde es eines Besseren belehrt. Aber wen interessiert das alles? Egal! Hauptsache der Papst ist Deutscher!