Direkte Aktion

Nr.113 - Seite 9

Zeitung der FAU


Dank einer Justizposse der Klassenjustiz von der Schippe gesprungen

Urteil wegen des Protestmarschs zum 60. Jahrestag der Ermordung Erich Mühsams

Wie erwartet wurde ich am Freitag, dem 13. Oktober `95, "im Namen des Volkes" von allen Anklagepunkten im Zusammenhang mit der unangemeldeten Protestdemonstration zum 60. Jahrestag der Ermordnung Erich Mühsams am 10. Juli letzten Jahres in Oranienburg freigesprochen.

Gleich nach Verlesung des Strafbefehls (der Spaß sollte 20 Tagessätze á 30 DM kosten) attackierte mein Rechtsanwalt die Formulierungen in der Anklage als fehlerhaft, da dort von einer "Veröffentlichung Ihrer FAU" gesprochen wird. Wo bitte sei nachgewiesen, ob und in welchem Zusammenhang sein Mandant mit der FAU stehe. Außerdem hätten den Aufruf zur Demonstration die FAU und (Komma!!), Anarchistische Aktion Hamburg, sowie weitere anarchistische Gruppen aus ganz Deutschland unterzeichnet... Wieso also wurde gerade in Hamburg nach dem Verantwortlichen geforscht?

Die Beweisaufnahme entwickelte sich zur Lachnummer, da die Zeugen der Anklage (zwei Polizisten) überhaupt nichts mit der Sache direkt zu tun hatten: der Staatsschützer hatte die Strafanzeige von Amts wegen auf Weisung einer Staatsanwältin erstattet und die Unterlagen "bloß" zusammengetragen; die Vorgänge um die Demonstration kannte er nur vom "Hörensagen" und aus den Akten. Der zweite Beamte hatte am Tag der Demo gar keinen Dienst! War also noch schlauer.

Auf die Frage des Staatsanwaltes, ob bei der Demo überhaupt ein Megaphon eingesetzt wurde, es vielleicht zu Steinwürfen oder anderen Auseinandersetzungen (geifer!) gekommen sei, konnten beide Zeugen keine Aussage machen! Sie hätten aber gehört, daß alles friedlich abgelaufen und der Verkehr von der Schutzpolizei geregelt worden sei. Der Schutzbereichsleiter kommt übrigens in der gesamten Akte nicht vor und war auch als Zeuge nicht vorgesehen.

Nach diesem umrühmlichen Schluß der Beweisaufnahme mußte der Staatsanwalt Deutschländer (!) zähneknirschend Freispruch beantragen, da allein die Tatsache bewiesen werden konnte, daß ein Protestmarsch zum 60. Jahrestag der Ermordung Erich Mühsams in Oranienburg stattgefunden hatte; der Angeklagte jedoch nicht in Betracht für die Anklagepunkte kam, da nicht einmal bewiesen werden konnte, daß der sich an diesem Tage überhaupt in Oranienburg aufgehalten habe.

Mein Rechtsanwalt zeigte dem Gericht ein Foto mit Erich Mühsam als Redner auf einer Berliner Massenkundgebung mit dem Hinweis, daß aus dieser Tatsache Mühsam niemals zum Verantwortlichen der Protestdemonstration gemacht wurde... Außerdem sei es fast ein Witz, von Anarchisten zu verlangen, eine Demonstration anzumelden, das täten nur Sozialdemokraten (so Mühsam). Zur Kenntnis kam ebenfalls ein Urteil des Bayerischen OLG, wonach eindeutig jemand, der auf einer Versammlung eine Rede hält, nicht automatisch verantwortlicher Organisator ist.

Nach fünfminütiger Pause erfolgte dann die Urteilsverkündung: Freispruch! Nach der Belehrung über die Rechtsmittel gegen das Urteil wollte sich Staatsanwalt Deutschländer dazu noch nicht abschließend äußern... Der Staatsanwalt beantragt Freispruch, weil er zu dämlich war, die richtigen Zeugen zu benennen, die Akte zu lesen (dort gab's so schöne Fotos!) und dann will er noch nicht mal das logische Urteil akzeptieren, Lümmel!

Die Staatsanwaltschaft könnte also noch Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen. Das Kuddelmuddel dieser Justizposse kann man getrost den "blühenden Landschaften" zurechnen, im Westen wäre eine derart fidele Amtsgerichtssitzung nur noch im Fernsehen möglich. Die Staatsanwältin, die drei Tage nach der Demonstration das Verfahren gegen die FAU wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz noch blumig formuliert einleitete ("... die Veranstalter die Veranstaltung aber nicht angemeldet haben. Dies ist durch ihren anarchistischen Hintergrund in sich logisch, aber rechtswidrig"), mußte anderen Staatsanwälten weichen, bis dann Staatsanwalt Deutschländer am Verhandlungstage völlig ahnungslos "in die Bütt" sprang. Daß der Staatsschutz überall in der Republik auf dem Wege der Amtshilfe versuchte, die Gefährlichkeit der FAU auszuforschen (Fax des MI BB - Abt. V: "Mitteilung, daß die FAU als aggressiv und gewaltbereit einzustufen sei"), verharmlost die Sache ebensowenig, wie die Tatsache, daß die PDS Oranienburg auf Anfrage des Staatsschutz erklärte, daß sie ein Flugblatt zur Demonstartion zugesandt bekommen habe. Pflichtschuldig bzw. im vorauseilenden Gehorsam findet sich in meiner Akte die Anmeldung des PDS-Kreisvorstandes zur morgendlichen Kranzniederlegung ("In ehrendem Andenken") in trauter Eintracht mit der SPD ...

Sei's drum, nicht jeder Prozeß gegen uns und unsere Gewerkschaft wird so lustig und glimpflich ablaufen, wie der in der Provinz Brandenburgs. Dem sollten wir ruhig und besonnen entgegensehen, denn es gilt also auch in ruhigen Zeiten:

Sich fügen, heißt lügen!

FM /FAU-Hamburg