Linke Organisationen
Die Eule # 4, Ende 1997, Hans Mischnik-Seitzl

Linke Organisationen sind inhärent konterrevolutionär, ahmen sie doch zumeist nur die autoritären Strukturen herrschender Politik nach.

Linke Organisationen, also all jene, die für sich in Anspruch nehmen, die Bedürfnisse der Unterdrückten zu vertreten und für ihre wahren Interessen zu kämpfen, beanspruchen in gleicher Weise für sich, einen gesellschaftlichen Fortrschritt dadurch zu erreichen, daß sie die Ungerechtigkeiten der jetzigen Gesellschaft abschaffen, indem sie statt dessen eine Gesellschaftsform errichten, in der kein Mensch dadurch unterdrückt wird, daß er/sie den Interessen einer mächtigen Minderheit zu dienen hätte. Sie behaupten das, obwohl es offensichtlich ist, daß Linke Organisationen unter anderem ursächlich dafür sind, daß diese unterdrückerische Gesellschaft auch weiterhin bestehen bleibt.

Definition
Alle Linken Organisationen, seien es nun Vereinigungen, Parteien oder föderal organisierte Gruppen weisen die gleichen grundsätzlichen Merkmale auf: niedergeschrieben werden 'Ziele und Prinzipien', Mitgliedsbeiträge werden erhoben, es gibt eine formale Mitgliedschaft, es gilt Verhaltensregeln einzuhalten, es werden schier endlose Treffen abgehalten, es wird Wert auf diszipliniertes Vorgehen gelegt, Partei- oder Organisationsstatuten werden festgesetzt, eine hierarchische Struktur (mehr oder weniger demokratisch, dennoch: immer eine vertikale Struktur), ein in irgendeiner Form wirkendes Exekutivkomitee, Kontrolle der Minderheit durch die Mehrheit (sic!) und die strikte Durchsetzung einer gemeinsamen politischen Grundhaltung bei jeder möglichen Frage.
Grundlegendes Ziel dieser Strukturen und Merkmal ist es, abweichende Meinungen zu minimieren, Meinungen zu regulieren und das Treffen von Entscheidungen, auf eine kleine Gruppe von Menschen zu konzentrieren (nämlich gerade jene, die die stundenlangen Treffen durchstehen).

Die Organisation wird so in ihrer gegenwärtigen Form konserviert und gegen jede, sich ankündigende Änderung kann wirkungsvoll opponiert werden. Nun ja, das mag für jede andere Organisation gut sein, aber die Essenz einer Linksorganisation sollte es wohl nicht sein, kommenden gesellschaftlichen Veränderungen zu widerstehen, sondern sie sollte helfen, jeden einzelnen Menschen und die Gesellschaft zur Emanzipation zu befähigen. Aber wie können wir helfen, diese angestrebte Veränderung zu erreichen? Denn auch bei uns (meint: Green Anarchist u.ä.) finden sich kapitalistische Strukturen, die einige der übelsten Merkmale autoritärer Kontrolle verkörpern. Mit anderen Worten: die grundlegenden Werte und Prinzipien dieser unterdrückerischen Gesellschaft finden sich gerade bei jenen Organisationen wieder, die sich als der Rammbock verstehen, um diese Unterdrückung abzuschaffen.

Über die vielen Perioden, die von massenrevolutionären Umstürzen gekennzeichnet waren, haben Linke Organisationen kontinuierlich den Versuch unternommen, den bis dahin herrschenden Status Quo wieder einzurichten. Und normalerweise gelang ihnen dies auch - denn selbst im extremsten Fall können die Personen, die die Entscheidungsfindung in einer Gesellschaft kontrollieren, zwar ausgewechselt werden, aber alles Andere bleibt beim Alten:

Eigentum und Autorität, alles zeigt sich unverändert und die Armen verharren auch weiterhin in ihren miesen Lebensverhältnissen (diejenigen, die dann noch leben). Ursächlich dafür ist, daß Linke Organisationen die Grundelemente autoritärer Herrschaft, die in der alten Gesellschaft vorherrschten, gleich auch wieder in die potentiell neue Gesellschaft übertragen. Die Regel, die bislang nur intern galten, werden nun auf eine gesamte Gesellschaft übertragen, das Exekutivkomitee wird zu einer nationalen Autorität, aus Mitgliedsbeiträge werden nun Steuern und die Maßregelung Ausschluß mutiert zur Exekution. Fazit: gerade diese Menschen, die den Anspruch erheben, alles ändern zu wollen, ändern überhaupt nichts.

Linke Organisationen sind besonders auf solche Menschen zugeschnitten, die Inaktivität der Aktivität, theoretisierendes Beisammensein den 'Riots' und Schlafen dem Wachsein vorziehen. Sie sind also auf den sozial geschädigten Menschen, den der Kapitalismus als typisch 'normalen' Menschen hervorgebracht hat, zugeschnitten. Wie dem auch sei, Aufstände und soziale Umgestaltungen sind eben keine 'normalen' Vorkommnisse, es werden also ungewöhnliche Maßnahmen und Strukturen benötigt, um sie zum Erfolg zu bringen. Aufstand ist Bewegung und Freude, also genau das Gegenteil der Paralyse (= Lähmung) und Depression, die wir jeden Tag als unseren 'Normal'zustand erleben. Wir brauchen wahrlich keine 'normalen' Leute - was wir brauchen sind Verrückte und zwar eine Menge davon, so wir denn Erfolg haben wollen.

Die enttäuschte Mitgliedschaft
Es ist immer das gleiche, eine Menge Menschen gehen in Linke Organisationen und hegen die stille Hoffnung, nur dort einen realistischen Weg zu finden, um das System zu bekämpfen. Doch wird jede hohe Erwartung schnell enttäuscht. Die endlosen Treffen, das Verteilen und Verkaufen von politischen Pamphleten, das 'große' Herumreden und das Fehlen von effektiven @ktionen ruft zwei Arten der Reaktion hervor: die Mehrheit akzeptiert demütig die Erklärungen der FührerInnen für ihre Inaktivität und paßt sich fröhlich dem neuen 'alternativen' Lebensstil an (ein wenig Gemütlichkeit in einer grausamen Welt). Es ist so einfach, sich den unanfechtbaren - auf Grund von linker (repressiver) Moral und Ehrerbietung den autoritären FührerInnen gegenüber - Meinungen zu fügen.

Eine kleine Minderheit wird sich jedoch möglicherweise nicht fügen, sie wird Einwände vorbringen und fordern, daß die Organisation dem hohen Anspruch ihrer Propaganda gerecht wird. Diese Widerspenstigen haben die Spielregeln allerdings nicht verstanden. Zuerst werden sie lediglich verwarnt, sollte dies ihrem widerspenstigen Streben keine Abhilfe schaffen, so werden sie diszipliniert, und wenn dies alles versagt hat (schließlich zählt ja jedes Mitglied in diesem Spiel), so werden sie ausgestoßen - wenn auch in einer solchen Art und Weise, daß die Herde dadurch nicht alarmiert wird.

Um ihrem Verlangen nach Respektabilität Rechnung zu tragen, beschränken sich diese Organisationen auf 'sichere' Aktivitäten: also unbedrohliche Routine und dem Rufen einstudierter Slogans. Irgend etwas anderes zu machen, z.B. die Mitglieder zu ermutigen, in lokaler (dezentraler) Hinsicht Initiative zu ergreifen oder Direkte Aktionen zu veranstalten, würde die Interessen der Organisation bedrohen (meint: die Interessen der FührerInnen). Die Direkte Aktion impliziert eben auch, daß Entscheidungen von Leuten getroffen werden, die nicht dem Komitee angehören und bedroht so die Führungsstrukturen der Organisation: In der Tat benutzen diese Organisationen niemals Gewalt als Taktik, es sei denn, ihr eigenes Überleben ist gefährdet oder sie wird benutzt, Befehle durchzusetzen, um die schnelle Übertragung der staatlichen Macht in ihre eigenen Hände zu sichern.

Der/Die psychotische RevolutionärIn
Viele Menschen, die von ihrer revolutionären Organisation enttäuscht wurden, verstehen die Gründe nicht, warum die Organisation versagt hat und vermuten fälschlicherweise, daß die Fehler ausschließlich bei gerade dieser einzelnen Organisation, der sie angehör(t)en, zu suchen sei. Also treten die armen 'Wichte' einer anderen bei, die vielleicht auf gleiche zynische Weise behauptet, die einzig wahre Gruppe zu sein. Selbstredend ist es dann so, daß, je höher sie ihre Hoffnungen gesteckt haben, desto mehr werden sie enttäuscht. Deshalb ist es um so wichtiger, begreifbar zu machen, warum diese Organisation mit der größten Selbstverständlichkeit der Welt so beharrlich gegen Aufstand und sozialen Wechsel agieren. Teilweise liegt die Antwort in der Natur der angestrebten subversiven Projekte (was ja eine gewisse Geheimhaltung und Abgeschlossenheit fordert): dadurch beschränkt sich die hauptsächliche Arbeit auf blankes theoretisieren und so werden letztlich immer die reaktionären Argumente gewinnen - Schwimmen wird ja auch nicht dadurch erlernt, daß die nötigen Bewegungsabfolgen in einem Buch nachgelesen werden.

In theoretischer Hinsicht erscheint die ganze Sache zunächst sehr chaotisch, unausgegoren und sogar verrückt, egal ob es sich dabei um 'schwimmen' oder Aufstände handelt. Ein solch 'gefährliches Abenreuer' scheint irgendwie auch immer 'unwissenschaftlich' und irrational zu sein und wird somit zu einem unberechenbaren Unterfangen. Natürlich beinhalten Aufstände (bis sie die Ausmaße eines Staatsstreichs einnehmen) immer einer gewissen Dynamik und Autonomie, sie sind das genaue Gegenteil der Organisationsbürokratie. Sie entspringen bestimmten Erfahrungen, die von einer Vielzahl von Individuen geteilt werden, und sie ist nicht das Ergebnis abgedroschener Theorien, die sich bei genauerer Betrachtung als bürokratische Politik herausstellt. Beim (gemütlichen) Zusammentreffen in den Komiteeräumen wird dann der völlige 'Irrsinn' des subversiven Projekts gerade von denjenigen Personen aufgedeckt werden, die in die Bequemlichkeit ihrer eigenen Wichtigkeit als Agenten der Macht eingelullt sind. In diesen Räumen entsteht die Konterrevolution, weil die BürokratInnen, die eifersüchtig ihre Positionen bewachen, sich von den Menschen bedroht fühlen, die ohne ihren Segen Entscheidungen treffen. Dadurch kommen diese BürokratInnen nämlich zu dem Schluß, daß eben diese Menschen ruhiggestellt werden müssen, um 'die Revolution zu retten' - meint also: sich selbst zu retten.

Die Perfekte Organisation
Wie bereits festgestellt wurde, gibt es eine Menge Menschen, die von ihren Organisationen enttäuscht wurden und einer anderen beitreten, in der Hoffnung diese sei anders. Noch engagierter gehen aber jene vor, die glauben, daß es möglich sei, eine militante Organisation bar aller autoritärer Tendenzen zu gestalten. Ihrer Meinung nach ist es möglich, durch die Einsetzung von hunderten von 'libertären' Sicherheitskräften und der Kontrolle von zu ambitionierten und potentiell widerspenstigen Gruppen, eine perfekte Organisation zu schaffen. Aber trotz all dieser repressiven Maßnahmen begreifen die Leute nicht, daß sie es immer noch mit einem bürokratischen Apparat zu tun haben, und zwar mit einem, der lediglich noch länger braucht um...nichts zu tun. Heutzutage existieren diese demokratischen Meisterstücke, voll mit kleingeistigen, kleinlichen reaktionären Arschlöchern - mehr tröge und langweilige Menschen kannst du nicht einmal auf dem Parteitag der FDP treffen. Diese Menschen, die ihren Kopf lediglich zu Speichern und Wiedergeben von Informationen benutzen, glauben, daß die Welt verändert wird, wenn ein Verbesserungsvorschlag in dahingehend korrekte Worte gefaßt ist, daß er die (Stimmen)Mehrheit bei einer Konferenz sichert.

All dies ändert nichts und bewegt wirklich keinen Menschen. Was wirklich bewegt und inspiriert sind dreiste, verrückte Aktionen, couragierte, manchmal symbolische Attacken von autonomen Gruppen und Individuen. Das Durchbringen revolutionärer Anträge ist in etwa so nützlich und sinnvoll, wie das Austreiben des Teufels durch den Beelzebub: der Wunsch, daß etwas geschehen soll, bringt es nicht automatisch zum Geschehen - diese Einstellung grenzt an Religion. Praktische Maßnahmen werden gebraucht - im Sinne wirklicher Wissenschaft von Ursache und Wirkung - Aktionen werden nur aus Aktionen heraus geboren.

Die Alternative?
Sogar wenn die Strukturen einer Organisation als erklärender Faktor ausgemacht werden, so bleibt es doch eine typische Organisation mit all ihren Komitees, Statuten, Treffen usw. - das bürokratische und reaktionäre Verhalten wird weitergeführt. Denn wir sind trotz allem das Produkt unserer autoritären Sozialisation und Umwelt - dieses reaktionäre Erbe wird nicht dadurch abgebaut, daß wir die gleichen Bedingungen 'en miniature' verwirklichen. Es ist beileibe nicht genug, zu sagen, Organisationen hätten einfach so versagt, nur durch die Art und Weise wie sie organisiert sind. Sogar in autonomen Gruppen, die keinerlei formale Struktur besitzen, kann es (beginnende) autoritäre Tendenzen geben. Hauptsächlich deswegen, um ihre Macht zu sichern (natürlich alles immer im Namen einer größeren Effiziens). Aber warum ist das so? Es ist wohl wahr, daß organisierte Strukturen eine bürokratische Mentalität fördern, aber es gelingt ihnen teilweise eben auch, weil eine solche Mentalität - bedingt durch die Sozialisation - schon in jedem Menschen vorhanden ist. Wir dürfen also nie vergessen, daß sogar die autonomen Gruppen aus diesen Menschen bestehen, die auch nur das Produkt dieser autoritären Gesellschaft sind. Wir müssen nur fortwährend bewußt machen, daß sich in diesen Gruppierungen die Autorität immer dadurch legitimiert, daß sie sich als 'einzige Möglichkeit' präsentiert.

Leider bleibt es dann auch oft bei der 'einzigen Möglichkeit', da die Leute ihre Aktionen und Möglichkeiten nicht eng genug koordinieren, um eine zwingende Alternative zu schaffen. Wir müssen uns dieser grundlegenden, durch diese kranke Gesellschaft hervorgerufene Schwäche bewußtwerden. Nämlich der Schwäche, entweder andere Menschen zu unterjochen oder sich selber mit dem Los des Unterjocht-Seins abzufinden. Praktisch bedeutet dies, keine permantenten Strukturen in autonomen Gruppen und über Individuen zulassen, eine Struktur will nur aus einem gegebenen Anlaß eingerichtet werden und danach schnell wieder eingerissen werden. Um dieses herrschende System zu brechen, müssen wir sicherlich hochgradig organisiert sein, aber das letzte, was wir brauchen ist, daß jeder/jede sich einer Organisation anschließt.

Auf der einen Seite wurden die alten Konflikte von Links/Rechts und AnarchistInnen/MarxistInnen vom Kampf um Autonomie/Organisation abgelöst: auf der anderen Seite gilt, wenn wir der autoritären Tendenzen in den autonomen Gruppen nicht gewahr werden, so sollten wir uns nicht allzu überrascht zeigen, wenn unser neues Erscheinungsbild genauso ermüdend wirkt wie das alte.

(Anmerkungen des Übersetzers: diese recht freie Übersetzung - aus: Green Anarchist No. 45-46, S. 15/18 - und im englischen Original gegen 'CLASS WAR' gerichtet, trägt nicht zu unterschätzende polemisierende und generalisierende (und dadurch auch platte) Züge in sich. Teilweise wirkt sie antiquiert und es wäre vermessen und auch falsch, einige der (negativen) Charakteristika, auch heutigen Linken Organisationen zuschreiben zu wollen - zumal die Definition, von dem was 'links' sein soll, durchaus dürftig ausfällt.
Andererseits stellt die im Schluß genannte These, daß der Konflikt weniger zwischen AnarchistInnen und MarxistInnen besteht, sondern vielmehr zwischen Autonomen und Organisierten, einen interessanten Ansatzpunkt dar und diesem sollte eine Auseinandersetzung nicht verwehrt werden. Vor allem die selbstkritischen Töne sollten nicht ungehört verschallen - auch wir sind Produkte dieser autoritären Gesellschaft, auch wir tragen zum Teil unbewußt den Wunsch nach Macht und Herrschaftsausübung in uns und zeigen uns manchesmal wie verknöcherte alte Damen und Herren gegenüber (vermeintlich zerstörender) Kritik.
- thanx to sam.)