Die Erdbeeren, die wir essen ...
Rundbrief der Ökoli Köln # 4, Juli 02
Quelle: Schwarze Katze Rundbrief 16.07.02


Kurz vor dem EU-Gipfel in Spanien, am 10 Juni 2002, haben 500 ArbeiterInnen aus der Erdbeerernte in Huelva die Universität Pablo de Olavide in Sevilla besetzt. Sie wollen damit auf ihre Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen, nach der Legalisierung ihres Aufenthaltsstatus sowie auf das drohende spanische Ausländergesetz aufmerksam machen. Darin ist u. a. vorgesehen, den Familiennachzug zu unterbinden, die Aufenthaltsberechtigungen zu befristen und arbeitslose AusländerInnen aus Spanien abschieben zu können. Über die Verhältnisse auf den Erdbeerfeldern Südspaniens informiert der folgende Text.

Erdbeeren mit Zucker, Erdbeeren mit Orangensaft, Milchshakes mit "richtigen" Erdbeeren... Die meisten Erdbeeren, die in Europa konsumiert werden, kommen aus der spanischen Provinz Huelva in Andalusien. Manchmal werden sie in den Geschäften als "Früchte der Region" angepriesen, so daß leichtgläubige TouristInnen beim Besuch irgendeines schönen Ortes etwas "Ursprüngliches" kaufen können. Manchmal werden die Erdbeeren ganz unverfroren als Produkte von der Küste Barcelonas verkauft, auch wenn sie in Kisten mit dem Aufdruck "Palos de la Frontera (Huelva)" verpackt sind. (...)

Aber die Erdbeeren, die in Huelva wachsen, stammen gar nicht aus Huelva. Jedes Jahr zweigen die Agrarfirmen aus Huelva Millionen von Dollar Lizenzgebühren für kalifornische Industriebetriebe ab, die die Erdbeerpflanzen gezüchtet haben. Erdbeeren sind ein globales Produkt mit amerikanischem copyright. Sie werden in den regenarmen Kiefernwäldern Zentralspaniens genährt und aufgezogen, bevor sie aus dem Boden geholt und in die sandigen Böden Huelvas wieder eingepflanzt werden. Erdbeeren brauchen einen toten, mikrobenfreien Boden, damit sie von Krankheiten verschont bleiben. Deshalb werden sie in einen Teppich aus giftigem Pflanzenschutzmitteln gesetzt, der alle Arten von Ungeziefer vernichtet und nebenbei noch das Ozonloch vergrößert, das jedes Jahr Tausende von Hautkrebsfällen verursacht. Der Erdbeeranbau trägt also auch zu den Profiten der Gesundheitskonzerne bei...

Der Anbau von Erdbeeren verlangt Sorgfalt und ist teuer. Sie werden unter Plastikplanen gehalten und brauchen große Mengen an Düngemitteln, Pestiziden, Herbiziden und viele Arbeitsstunden zum Pflücken. Die Behörden helfen, indem sie kostenlos die Plastikabfälle einsammeln, und falls sie es doch nicht tun, sind die Farmen von Schluchten und Sümpfen voller Plastik umgeben. Wenn die Abfallhaufen dann doch zu groß werden, reicht ein Streichholz, um sie in giftigen Rauch zu verwandeln, was zur Erwärmung des Planeten beiträgt. Das ist eine gute Nachricht, denn steigende Temperaturen bedeuten, daß die Erdbeeren irgendwann einmal nicht mehr mit Plastik abgedeckt werden müssen (...). Die großen europäischen Vertriebszentren sowie die Verpackungs- und Transportunternehmen erhalten den größten Batzen aus den Profiten des Erdbeergeschäfts. Dann müssen die AgrarunternehmerInnen neben den Lizenzgebühren noch das Plastik, die Pflanzenschutz- und Düngemittel bezahlen. Bei starkem Wind und Regen werden die Pflanzen zerstört. Glücklicherweise erhört der Staat ab und zu die Forderungen der BäuerInnen und leistet Schadensersatz.

Wie kann das Agrokapital überhaupt Profit machen, wenn es so viel Fixkosten hat? Dadurch, daß es die PflückerInnen bis auf's Blut auspresst. In den letzten Jahren haben Tausende von andalusischen TagelöhnerInnen (darunter viele Frauen) zusammen mit ImmigrantInnen aus Portugal und Nordafrika die Erdbeeren auf den Feldern Huelvas gepflückt. Harte Arbeit, die auf den Rücken geht, stundenlang unter heißer Sonne schuften, für niedrigen Lohn und mit Unterkünfte zu TouristInnenpreisen - das müssen die Menschen aushalten, die die Erdbeeren pflücken, die wir essen. Die KapitalistInnen können sich nicht den Luxus leisten, daß ihre ArbeiterInnen Forderungen stellen. Sie haben zuerst die Gewerkschaften angegriffen, später haben sie ArbeiterInnen aus kämpferischen Dörfern keine Jobs mehr gegeben und sie durch EinwanderInnen ersetzt. Wenn sie illegal waren, um so besser, dann protestierten sie weniger...

Mit dem neuen Ausländergesetz und nach den Besetzungen und Protesten des letzten Jahres bekamen ungefähr 1.200 nordafrikanische ArbeiterInnen Papiere: Sie wurden "regularisiert", um ausschließlich bei der Ernte in der Provinz Huelva zu arbeiten. Weder die Agrokonzerne noch die großen Gewerkschaften (die mit den vorangegangen Kämpfen nichts zu tun hatten) wollten es zulassen, daß die ArbeiterInnen, die für ihre Papiere gekämpft hatten, auf diesen Farmen arbeiten konnten. Ende Herbst 2001 kamen Vertreter der Regierung, der Arbeitgeber und der großen Gewerkschaften überein, 7.000 Menschen in ihren Heimatländern anzuwerben. Dieses Abkommen wurde von der zentralen Einwanderungsbehörde gebilligt.

Also gingen die Arbeitgeber auf dem internationalen Arbeitsmarkt einkaufen und heuerten ungefähr 4.500 Menschen in Polen, 1.500 in Rumänien und die restlichen 1.000 in Marokko und Kolumbien an. Es waren vorzugsweise Frauen, um zu verhindern, daß die Arbeitskräfte in Huelva bleiben, denn überall auf der Welt haben die Frauen die Hauptverantwortung für die (zurückgelassene) Familie. Die Regierung schien sich nicht darum zu kümmern, daß die vorgesehene Anzahl für Anwerbungen von Arbeitskräften in ihren Heimatländern (zusätzlich zu den "Regularisierten" vor Ort) für 2002 nur bei 3.500 und nicht bei 7.000 lag. Ihnen war klar, daß durch diese Verdopplung die RebellInnen aus dem letzten Jahr ihre Jobs verlieren würden. Statt von AfrikanerInnen werden unsere Erdbeeren jetzt also von blonden, weißen Menschen gepflückt. Fügsam und gewillt, wieder nach Hause zurückzukehren.

Ungefähr 5.000 Nordafrikaner haben in den Orten der Erdbeerernte Hütten aus Plastik errichtet. Dort sind sie ohne Job und ohne jede Versorgung, sie hungern und müssen sogar um Wasser betteln, andere stehlen. Vor einigen Tagen sind einige Hundert von ihnen aus diesen Dörfern zur Provinzhauptstadt marschiert, organisiert von den kleinen Gewerkschaften, die sie unterstützen. Ein Großteil von den 1.200, die nur Papiere für die Arbeit auf den Feldern von Huelva haben und von den Nahrungsmittelfirmen jetzt verschmäht werden, machte bei diesem Marsch mit: Vielleicht kriegen sie bald, wenn die Pflanzen in voller Blüte stehen und jede Hand gebraucht wird, einen Job. Und sie werden die Lektion genau gelernt haben: Um Erdbeeren zu pflücken, muß man sich nach vorne beugen - in demütiger und unterwürfiger Körperhaltung.

Zwischenzeitlich haben die Bürgermeister und andere wichtige Kräfte in den Dörfern der Umgebung ein hartes Durchgreifen und Abschiebungen gefordert. Diese werden selektiv gehandhabt: Alle, in deren Gesicht das Wort "Protest" gesehen werden kann, werden abgeschoben. Obwohl die Behörden in Huelva von 2.500 illegalen ArbeiterInnen ausgehen, die sich in der Gegend aufhalten, lassen sie sich mit deren Abschiebung Zeit: Sie könnten ja noch als eine Art Sklavenarbeitskraft während der wenigen Tage nützlich sein, in denen die Erdbeerfelder ihre volle Pracht entfalten.

Wenn jemand immer noch Lust auf Erdbeeren aus Huelva hat, dann hat mensch mehr als die Geschmacksnerven verloren.