Es gibt kein richtiges Leben im falschen. Th. W. Adorno - Philosoph, Soziologe und Kritiker
WDR, 1989, gezeigt auf Hessen 3, 45 Minuten

Schwarze Katze Filmbesprechung

In der Dokumentation "Es gibt kein richtiges Leben im falschen" folgt die Soziologiestudentin Kirsten G. den Gedanken Theodor W. Adornos und der von ihm mitentworfenen Kritischen Theorie. In seinem Frühwerk "Minima Moralia", welches in der von der Studentin besuchten Vorlesung behandelt wird, lässt Adorno, der Zukünftiges nur mit Vorsicht auszumalen scheint, das Ziel der emanzipierten Gesellschaft andeutungsweise erkennen. Er spricht von "fessellosem Tun", darin sieht der Philosoph einen heimatlosen Zustand, eine Phantasie vor dem Hintergrund der bestehenden Gesellschaft, Produkt des dauernd mehr einfordernden Kapitalismus. Sein Hauptwerk und Beitrag zur Kritischen Theorie der Gesellschaft, "negative Dialektik", wird von der Idee des Glücks aller bestimmt. Die Aufhebung der im Bestehenden regierenden Konkurrenz und Leistung, die sich im Effizienzdenken der Menschen manifestierten, sei Bedingung zur Erreichung dieses Glücks.

1966 erklärt Adorno zur technologischen Einstellung der Menschen, dass für diese die Technik überwirklichen Charakter habe, als Kraft eigenen Wesens empfunden werde. Nicht mehr werde sie als verlängerter Arm der Menschen selbst erkannt, womit ihre Funktion geleugnet werde, Mittel zur Selbsterhaltung der Menschen zu sein. In einer Analyse der Nationalhymne der DDR kommt Adorno, der auch Musiktheoretiker ist, zu dem Schluss, dass sie in den Menschen feindselige Reaktionen hervorrufe und dass alle nationalen Symbole mit Affekten verbunden seien. Die gegen eine Fremdgruppe gerichteten Affekte stärkten dabei den Zusammenhalt der eigenen. Adorno führt in diesem Kontext den offenen Rassismus auf dem Sportfeld an, welcher die massenhaft Vereinzelten, deren Stimmung jederzeit in Aggression umzuschlagen vermöge, verbinde.

Nach Adorno beruht die Gesellschaft des Bestehenden seit Jahrtausenden auf dem Verfolgen der Eigeninteressen gegen die aller anderen, bis in ihr Innerstes seien die Menschen davon durchdrungen. Die Gruppenbildung interpretiert er als das "Zusammenrotten Erkalteter, die die eigene Kälte nicht ertragen, aber auch nicht ändern können." "Jeder Mensch ohne Ausnahme, jeder Mensch heute ist zu wenig geliebt, weil sie zu wenig lieben können." Ohne jene fehlende Identifikation mit den anderen wäre Auschwitz nicht möglich gewesen. Als methodischer Meilenstein gilt Adornos Faschismus-Skala, welche allgemeine Aussagen über autoritär-faschistisches Potential ermöglicht, ohne den Faschismus ausdrücklich anzusprechen.

1949 kehrt der Kritiker aus dem US-amerikanischen Exil nach Frankfurt zurück, um am Neuaufbau des Instituts für Sozialforschung mitzuwirken.

Adorno verknüpft philosophische Spekulation mit konkretem, stets auf den Gegenstand gerichtetem Denken, seine theoretische Grundlage bildet die Marx'sche Kritik der politischen Ökonomie. Für die studentische Widerstandsbewegung, die das Gedankengut der Kritischen Theorie aufgreift, wird Adorno zur Leitfigur.

Den Tausch, verflochten mit dem Zwang zur Selbsterhaltung, erkennt Adorno als das Organisationsprinzip des Bestehenden, es determiniere das Wesen der Menschen wie nichts anderes und reduziere sie selbst auf Objekte. Kälte sei der Grundzug der Menschen, welche unter diesen Bedingungen lebten, ebenso wie der Wunsch nach einer Wärme, die ihre derzeitige Charakterstrukur unerreichbar mache. Das Christentum, so Adorno, sei mit dem Versuch, die ersehnte Wärme herbeizuführen, gescheitert, weil es die gesellschaftliche Ordnung, durch die Kälte produziert und ständig erneuert werde, nicht angetastet habe. Hilfe könnten nur die Einsicht in die Bedingungen und der Versuch, im Individuellen dagegen anzugehen, bieten.

Marcuse sagt über den Soziologen, dass Adornos Erfolg sein Denken nicht kompromittiert oder an der Rücksichtslosigkeit der Kritischen Theorie etwas geändert habe. Ebenso sei das von KritikerInnen monierte angepasste Verhalten Adornos als Aufrechterhaltung eines Schutzmechanismus zu verstehen. Die Individualität enthalte für Adorno das Potential der Einzelnen für den Widerstand gegen die Gesellschaftsform, die ihnen den Anspruch auf eben diese echte Subjektivität abspreche. Ebenso glaube er, dass dem falschen Bestehenden etwas Richtiges beigemengt sei, ein möglicher Keim einer neuen, besseren Gesellschaft.

Zu der Kritik vieler StudentInnen, die Kritische Theorie verweigere sich der Praxis, äußert Marcuse, dass der fortschreitende Kapitalismus Formen der Repression hervorgebracht habe, mit denen die Arbeiterklasse mehr und mehr in das System integriert werde. Das mache die traditionelle Praxis der Veränderung nach Marx anscheinend unmöglich, da das geschichtliche Subjekt ausgelöscht sei. Adorno sei der Ansicht, dass es ohne diese Massenbasis keine Revolution geben werde, weshalb die Kritische Theorie in dieser Phase eine vorbereitende Aufgabe habe.

Am 6. August 1969 stirbt Adorno, sein von Tiefgründigkeit zeugendes Werk jedoch erwacht heute zu neuem Leben.