Statt einer roten Nelke: Wollt ihr uns verarschen oder was?

Einige kritische Worte zur LL-Demo (aus: Interim # 491, 13.1.2000)

Alle Jahre wieder ist es ein schönes Bild, wenn sich die HohepriesterInnen der Klassenlinie mit ihren herangekarrten Zwerggemeinden versammeln, um sich in einem golgathamäßigen Totenkult als die einzig legitimen Erben von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg darzustellen.

Die Unverfrorenheit, mit der sie diese Traditionslinie für sich beanspruchen, hat schon was, aber es gehört auch einiges an Schlafmützigkeit dazu, ihnen diese Anmaßung abzunehmen. Schauen wir doch mal hin, welche Lichtgestalten sich da so im frühmorgendlichen Berlin tummeln.

Nicht fehlen darf natürlich Stefan Engels MLPD, die den Rest der Welt mit "Arbeitsplätzen für Millionen" bedroht. Auch heuer wird sie wieder hart von der DKP bedrängt werden, die schon wieder (immer noch?) durch ihre Hirten verkündet, der Mensch werde erst in der Partei (der DKP? der DKP???!) zu einem solchen. Drollig auch, wenn sich gerade diejenigen mit Augenaufschlag zu Rosa Luxemburg bekennen, in deren Stall einst der 'Luxemburgismus' zu einem Schimpfwort gemacht wurde.

Natürlich sind auch die FANCLUBS des Herren Trotzki zugegen, offen oder unter Tarnkäppchen. Stets bemüht, als irgendwie gut zu erscheinen, zehren sie doch nur davon, dass ihr Meister gegen einen noch konsequenteren Schlächter den Kürzeren zog. Wir haben dich nicht vergessen, Trotzki, Metzger von Kronstadt!

Da, langerwartet, nähern sich Maoköppchen auf rotem Tuch, getragen von den REVOLUTIONÄREN KOMMUNISTEN (BRD). Schade, dass die ihre Kraft nicht auch darauf verwenden, sich von den Massakern ihrer Brüder und Schwestern vom LEUCHTENDEN PFAD an der peruanischen Zivilbevölkerung zu distanzieren.

Noch mehr drängen vorbei, Trüppchen, die keiner kennen mag. Auch JUSO-Fahnen wehen - Banner der Partei, die noch jede Selbstorganisation geifernd bekämpfte und deren Führung (war da was?) den Mord an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg angeordnet hat.

Gespenstisch das Defilee der Graulinge, die, mit und ohne PDS-Mitgliedskarte ihrem Staat nachgreinend, ein rotes Nelklein ablegen und sich triefend von Ressentiments bis zum nächsten Jahr wieder fein bedeckt halten, KlassenkämpferInnen, die sie sind. Genug der traurigen Litanei. Es drängt sich die Frage auf, ob die erstaunlich vielen TeilnehmerInnen trotz oder wegen der autoritär-verkirchten Marxismus-Leninismus - (ML-) Combos hier sind. Führen diese etwas "das Erbe" von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg fort?

Gehört ein drittes L für Lenin an die L(iebknecht)/L(uxemburg)-Gedenkdemo? Richten wir einen flüchtigen Blick auf die Geschichte. Sie zeigt, wie gering der Stellenwert der Selbstbestimmung des Menschen bei Lenins Bolschewiki war: So setzten sie sich zunächst mit populären Parolen an die Spitze der revolutionären Bewegung in Russland, um diese dann mit bürokratisierenden Gewerkschaften abzuwürgen. Anschließend wurden selbst diese harmlosen Truppen noch bis zur Unkenntlichkeit gestutzt, weil es keine gesellschaftliche Macht neben der Partei geben dürfe. Ein Schlüsselbegriff dieser Zeit war die sogenannte 'Arbeiterkontrolle' in den Betrieben: "Wenn wir von Arbeiterkontrolle sprechen, (...) machen wir damit auch klar, was für einen Staat wir planen. (...) Wenn es ein proletarischer Staat ist, dann kann Arbeiterkontrolle in der nationalen, ständigen, alles betreffenden, präzisen Überwachung der Produktion und Distribution von Waren bestehen." (Lenin, Werden die Bolschewiki die Staatsmacht behaupten?, 1.10.1917)

Die bolschwistische Gleichsetzung von Arbeiterkontrolle mit Überwachung ist aufschlussreich. Nirgends wird bei Lenin Arbeiterkontrolle durch wirkliche Entscheidungsfreiheit definiert. "Während der Übergangsperiode musste man die negativen Aspekte der Arbeiterkontrolle in Kauf nehmen, weil Arbeiterkontrolle eine Taktik des Kampfes von Kapital und Arbeit war. Aber nachdem die Macht in die Hände des Proletariats übergegangen ist (d.h. in die Hände der Partei), wurde die tägliche Praxis der Betriebsräte, die Betriebe quasi als Eigentum zu behandeln, antiproletarisch. (Pankratove. 'Russische Fabrikkomittees im Kampf für eine sozialistische Fabrik'. Moskau 1923)

Für große Teile der revolutionären Arbeiterschaft hingegen schien Arbeiterkontrolle die Antwort auf ihre Bedürfnisse, doch leider entging ihnen der feine Unterschied zwischen Kontrolle und Überwachung, auf dem die Bolschewiki immer bestanden. Autoritär wie der von Lenin viel gelobte "Deutsche Staatskapitalismus" sollte sein Land sein. "Industrie mit Maschinenparks (...) verlangt absolute, strenge und einheitliche Willensbildung. (...) Wie kann das geschehen? Indem Tausende ihren Willen einem einzigen unterordnen. Bedingungslose Unterordnung ist für den Erfolg von rationalisierten Produktionsprozessen unbedingt notwendig." (Lenin, Ausgew. Werke, Bd. 7, S. 332-333)

Trotzki führte diese Position 1920 auf dem 3. Gesamtrussischen Kongress der Gewerkschaften weiter. Er erklärte, dass "Militarisierung der Arbeit (...) die unvermeidliche Voraussetzung für die Organisation unserer Arbeitskraft ist. (...) Stimmt es denn, dass Zwangsarbeit immer unproduktiv ist? (...) Dies ist ein jämmerliches liberales Vorurteil: Auch die Sklaverei war produktiv." In der Frage der Ökonomie galt Lenins größte Sorge der 'Effizienz" und nicht etwa der Selbstbestimmung der ProduzentInnen. Dabei setzten Lenin und Trotzki nicht nur wie das Kapital Effizienz mit individueller Betriebsführung gleich, sondern saßen auch völlig unreflektiert einem kruden Produktivkraftfetisch auf: "Die Summe aller für den Sozialismus notwendigen Bedingungen ist: Kapitalistische Technik plus letzte Ergebnisse der Wissenschaft." (Lenin, Sochineniya, XXII, S. 516-517) Die Macht der ArbeiterInnen im Betrieb wird damit von Lenin nicht als notwendige Vorraussetzung für die Herstellung des Sozialismus genannt. Vielmehr war es Lenin zufolge Aufgabe der Bolschewiki, "den deutschen Staatskapitalismus zu studieren und keine Anstrengungen zu unterlassen, ihn nachzuahmen." (ebd.)

Solche Auffassungen haben wir bei Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht nicht gefunden. In Auseinandersetzung mit Lenins Idee der Kaderpartei und dem Bürokratismus der Sozialdemokratie entwickelte Rosa Luxemburg ihre Vorstellung einer basis- und rätedemokratischen Organisation. Hierarchische Strukturen waren ihrer Ansicht nach eine Ursache dafür, dass die ArbeiterInnen 1914 den Kriegskurs der SPD-Führung akzeptierten. Sie bezeichnete deswegen politische Autonomie von Basiseinheiten als eine Bedingung für einen Neuanfang. Spät - nämlich erst im November 1918 - "entdeckte" Luxemburg die Räte als Koordinationsorgane der Revolution und politische Struktur einer zukünftigen sozialistischen Gesellschaft. Nur die Selbsttätigkeit der Menschen könne zum Sozialismus führen, deswegen müssten sich die ArbeiterInnen von der Bevormundung durch ihre FührerInnen befreien.

Sie vertrat die "Diktatur des Proletariats" gegen die Bourgeoisie als Weg zum Sozialismus - allerdings als etwas Grundverschiedenes zu Lenin, nämlich als breite Selbstorganisation der revolutionär gesinnten Massen und nicht als Diktatur über sie. Der Sozialismus könne nur das Werk der ArbeiterInnen selbst sein, nicht einer Minderheit im Namen der ArbeiterInnen, da die Idee des Sozialismus die Herrschaft einer Minderheit ausschließe: "(...) einige Dutzend Parteiführer von unerschöpflicher Energie und grenzenlosem Idealismus dirigieren und regieren, unter ihnen leitet in Wirklichkeit ein Dutzend hervorragender Köpfe, und eine Elite der Arbeiterschaft wird von Zeit zu Zeit zu Versammlungen aufgeboten, um den Reden der Führer Beifall zu klatschen, vorgelegten Resolutionen einstimmig zuzustimmen, im Grunde also eine Cliquenwirtschaft - eine Diktatur allerdings, aber nicht die Diktatur des Proletariats, sondern die Diktatur einer Handvoll Politiker, d.h. Diktatur im bürgerlichen Sinne... (Rosa Luxemburg, Zur russischen Revolution, 1918)

"Der Grundfehler der Lenin-Trotzkischen Theorie ist eben der, dass sie die Diktatur genau wie Kautsky, der Demokratie entgegenstellen. 'Diktatur oder Demokratie' heißt die Fragestellung sowohl bei den Bolschewiki wie bei Kautsky. Dieser entscheidet sich natürlich für die Demokratie, und zwar für bürgerliche Demokratie. Lenin-Trotzki entscheiden sich umgekehrt für die Diktatur im Gegensatz zur Demokratie und damit für die Diktatur einer handvoll Personen, d.h. für bürgerliche Diktatur. Es sind zwei Gegenpole, beide gleich weit entfernt von der wirklichen sozialistischen Politik." (Rosa Luxemburg in "Zur Russischen Revolution")

Schwarze Katze Anmerkung: Keine Diktatur! Die Diktatur des Proletariats aller marxistischen Richtungen - auch der von Rosa Luxemburg - ist immer eine Diktatur über das Proletariat. Marxismus ist eine totalitäre Herrschaftsideologie, die der Unterdrückung dient. Daher: Nein zum Bolschewismus!