Die Mauer im Kopf: Westlinke und Realsozialismus
Thesen zur Veranstaltung am 13. Oktober um 19 Uhr im
Versammlungsraum des Mehringhofs
(aus: Interim # 485, 7. Oktober
1999)
1. Das Verhältnis der westdeutschen Linken zum Realsozialismus
ist geürägt von der Funktionalisierung der dortigen Verhältnisse für
eine Positionierung im eigenen Bezugsrahmen BRD und vom völligen
Fehlen kritischer Analyse. Vor allem die DDR wurde nicht
als Gesellschaftssystem untersucht, sondern hauptsächlich benutzt, um sich
in BRD-internen politischen Zusammenhängen zu positionieren.
Dem Antikommunismus der BRD wurde ein
Anti-Antikommunismus entgegengesetzt, was dazu führte, dass Linke, die
niemals in dir DDR umgezogen wären, die dortigen Verhältnisse verteidigten
(noch heute wird gern auf die "sozialen Errungenschaften" der DDR
hingewiesen, wie z.B. Kietaplätze und das DDR-Frauen viel
gleichberechtigter gewesen seien, ohne diese Einzelphänomene in einen
Gesamtkontext zu stellen). Dadurch ist zu erklären, wie es zur
allgemein vorherrschenden Ignoranz seitens der radikalen Westlinken
gegenüber den real existierenden Verhältnissen im real
existierenden Sozialismus kam und weshalb die Bemühungen anderer
Gruppierungen in der BRD mit DDR-Oppositionellen Kontakt aufzunehmen, nur
Hohn und Spott ernten konnten.
2. Die radikale Linke in
Westdeutschland war paralysiert, als Ende der achtziger Jahre der Umbruch in
Osteurope begann und 1989 zur Maueröffnung führte: Die eigenen Koordinaten,
die Verortung in der BRD, gerieten damit in Gefahr. Für viele bedeutete der
Zusammenbruch des Realsozialismus zwangsläufig eine gravierende Niederlage
der Linken oder gar die Konterrevolution. Ein Ergebnis dessen ist,
dass die radikale Westlinke das befreiende Moment, welches im Ende
des Realsozialismus und speziell der DDR enthalten war,
diskutieren mochte. Ohne dieses Moment zu beachten, ist aber jede politische
oder historische Bewertung beispielsweise der Maueröffnung wertlos.
Erst der Ausstieg aus der dualen Logik der Blockkonfrontation, die
noch immer das Denken vieler beherrscht, schafft Möglichkeiten
über radikale linke Alternativen nachzudenken.
3. Statt auf das
befreiende Moment des Zusammenbruchs Bezug zu nehmen, ging es der radikalen
Westlinken nach 89 fast ausschließlich um die Kapitalstategien des
BRD-Imperialismus in Osteuropa, den neuen deutschen Nationalismus, den
Rassismus und die faschistische Organisierung (nicht nur) in Ostdeutschland.
Themen, die zwar sicherlich wichtig und zentral sind, die aber in vielen
Punkten eine Fortführung der alten Wahrnehmungen mit neuen
thematschen Schwerpunkten ermöglichten. Dadurch gestaltete sich
die Zusammenarbeit mit der Vorwende-Ostlinken
schwierig.
4. Besonders unangenehm sind an rassistische
Argumentationen erinnernde Ressentiments gegen AussiedlerInnen und
Ostdeutsche, die seit 89 in der westdeutschen radikalen Linken Konjunktur
haben. Mit unerträglicher Überheblichkeit sehen vor allem Antideutsche
ihr neues/altes Feindbild im ostdeutschen "Spießbürger" verkörpert.
Wozu diese essentialistische, nationale Identitäten zum Maßstab
erhebende Politik führt, ist in ketzter Zeit in Bezug auf den Krieg
in Jugoslawien zu verfolgen: hier gehen Antideutsche nach dem Motto
"Der Feind meines Feindes ist mein Freund" vor, was zur
Unterstützung serbisch-nationalistischer Politik und zur Verklärung
serbischer Cetniks führt (Siehe dazu auch das Editorial der aktuellen
Arranca!)
5. Es war für Teile der Westlinken, und zwar nicht nur
für unverbesserliche alte DDR-NostalgikerInnen, sondern auch für
junge Antifas, kein unüberwindliches Problem Bündnisse mit ML-Gruppen
zu schließen und z.B. bei 1.-Mai-Demos hinter Transparenten mit
Lenin, Stalin, Mao und anderen angeblichen Genossen auf den
Transparenten durch Berlin zu ziehen. Solche Aktionen ignorieren das
Scheitern des zentralen historischen Gegenentwurfs zum Kapitalismus. Wer
linke Politik machen willm, muss sich dem aber stellen, und kann
durch Bündnisse auf LeninistInnen und StalinistInnen, die weiter
auf rückwärtsgewandte Mythologisierung setzen, der Neuentwicklung
linker Perspektiven nur schaden.
6. Auch ohne dass im ehemaligen
Ostblock soziale Bewegungen von liinks und unten zu erkennen sind, ist es für
die Weiterentwicklung linker Politik unerlässlich, genauer zu gucken, wo sich
Leute organisieren, um politische Projekte zu starten. Das kann z.B.
bei Anti-AKW-Aktionen sein, auf die sich die Westlinken noch
relativ leicht beziehen könnte. Die für viele osteuropäische Länder
so wichtige Arbeit am Aufbau wenigstens rudimentärer Strukturen
von selbstorganisation und "sich-wehren" im sozialen Feld ist für
unsere Verhältnisse dagegen unglaublich unspektakulär und vielleicht
nicht attraktiv genug.
7. In den Kooperationen mit Gruppen aus
osteuropäischen Ländern tritt immer wieder das Problem auf, wie denn mit
Unterschiedlichkeiten, die westlinke Essentials betreffen, umzugehen ist.
Markantestes Beispiel ist hier sicherlich die Zentralität antipatriarchaler
Politik bzw. die Frage, wie diese Politik umgesetzt werden soll.
Westlinke Maßstäbe von "Redeverhalten" und ein angenommener
antipatriarchaler Grundkonses werden oft mit geradezu imperialistisch
anmutenden überheblichen Gestus als gegeben vorausgesetzt. Die Zentralität
des Kampfes gegen sexuelle Gewalt und die ständige Beschäftigung
mit Sexualität wird von vielen radikalen Linken im Westen zum
Prüftsein für die Möglichkeit einer Zusammenarbeit, was bei linken Menschen
im Osten oft auf Unwillen und Ablehnung stößt.
8. Westdeutschen
autonomen Frauen/Lesben-Gruppen war die antiimperialistische Bezugnahme auf
Frauen im Trikont immer sehr wichtig. Zu Frauen im realsozialistischen
Ländern gab es vor 89 wenig Verbindung. Deren Kämpfe waren nicht die, der
meisten autonomen FrauenLesben-Gruppen und sind es auch heute nicht. Zum
größten Teil werden Frauenbewegungen in Osteuropa eher abschätzig beurteilt
und einer wirklichen Auseinandersetzung nicht für wert
empfunden.
9. In der internationalistischen Diskussion wurde die
Sowjetunion als "Schutzschild der Befreiungsbewegungen", die seit den 60er
Jahren weltweit entstanden waren, wahrgenommen. Während die
dort existierenden Widersprüchlichkeiten und die
hiesige Revolutionsromantik der Solibewegung in Bezug auf
die Befreiungsbewegung in Süd- und Mitteleuropa in zwischen
kritisch hinterfragt wird, gibt es nur wenig Auseinandersetzung mit dem
Sein und Vergehen des Realsozialismus. Die realen Kämpfe der
verarmten Massen im damaligen Ostblock wurden, und werden auch heute noch,
gern ignoriert (Solidarnosc, streikende Bergarbeiter in Rumänien
und FabrikarbeiterInnen in der Russichen Föderation etc.) Die Frage, warum
denn Menschen die soziale Absicherung auf niedrigem Niveau aufgaben, um im
Kapitalismus am Konsum (bei wenigen auch an Reichtum) teilzuhaben, selbst
wenn das für viele Verarmung oder Existenzsicherung mithilfe von
Subsistenzwirtschaft bedeutet, wird ignoriert.
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Dieser Thesenkatalog erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und ist als Anregung
und Denkanstoß für die Veranstaltung gedacht. Wir stellen uns vor, dass es
nur eine kurze Einführung geben soll, in der das Thema umrissen wird, um dann
sehr schnell in die Diskussion einzusteigen.