Schwarze Katze: Vom 1. bis zum 3. Februar 2002 fand in München die NATO-Tagung statt. Neben den Mächtigsten der Welt hatten auch zahlreiche Gruppen und Menschen ihren Protest angekündigt, darunter regierungsnahe und staatsfeindliche Gruppen, globalisierungskritische Initiativen, Antifas, Friedensbewegte und einige andere mehr.
Ziel ihrer Kritik: Militarisierung und Aufrüstung weltweit. Krieg, deutsches Grossmachtsstreben und Herrschaft. Inzwischen sind durch den Afghanistankrieg über 4.000 Menschen durch Bomben und Massaker ermordet wurden, Schulen, Wohnhäuser und zivile Einrichtungen zerstört. Angriffe auf weitere Staaten und ein Wettrüsten drohen, unter Beteiligung der Bundeswehr. Grund genug also, vielfältigen Protest auf die Strasse zu tragen.
Über Politikverbote, kinderfressende Monster und Widerstand berichten drei Menschen aus Basiszusammenhängen, die sich am Widerstand gegen die NATO-Tagung beteiligt haben.
Schon im Vorfeld der Sicherheitskonferenz zeichnet sich ab, dass Stadt und Staat jeglichen Protest verhindern wollen, mit allen Mitteln. Massive Repressionen und Einschüchterungsversuche gegenüber den NatogegnerInnen standen an der Tagesordnung.
Theresa aus München erinnert sich:
Also, es gab mehrere verschiedene Einschüchterungsversuche. Es wurde einmal
dem "Eine-Welt-Haus", das ist ein migrantisches Projekt, das von der Stadt
finanziert wird, gedroht, dass wenn sie Diskussion- und
Informationsveranstaltungen zu Antimilitarismus durchführen, sie dann ihren Mietvertrag fristlos gekündigt bekommen.
Es gab eine Drohung für ein subkulturelles Projekt, dass sich auf städtischem Grund befindet, wenn sie ein Soli Konzert durchführen, dass sie dann von diesem Grundstück runterfliegen. Es gab Drohungen gegen einen kommerziellen Club und Disko, der so ein bisschen alternativ ist, so Backstage, wo ihnen geraten wird, sie sollten davon Abstand nehmen, Sympathiebekundungen und Sympahtiekonzerte durchzuführen, was die allerdings wenig gejuckt hat.
Schwarze Katze: Zahlreichen auswärtigen DemonstrantInnen wird schon die Einreise nach München verunmöglicht. Twei Busse aus Berlin werden 15 km vor München abgefangen und an der Weiterfahrt gehindert. NatokritikerInnen aus Österreich wird mit fadenscheinigen Begründungen die Einreise verweigert. Kurz vor Beginn der Tagung wird das Klima in München noch einmal deutlich repressiver.
Theresa: Am Dienstag vorher, also drei Tage vorher, gab's dann noch diese Generalverbotsandrohung, die sich dann durch das Oberverwaltungsgericht am Freitag nicht nur bewahrheitet sondern auch noch komplett verstärkt hat, indem sie ein gesamtes Versammlungs-, Meinungsäusserungs-, Demonstrationsverbot innerhalb des Mittleren Rings, was so'n dreispuriger Strassenring ist, ausgesprochen hat, und der Mittlere Ring, das ist schon, wenn man München kennt, innerhalb des Mittleren Rings, das ist schon Stadt und das was ausserhalb ist, das sind so Vororte, und somit hatten wir irgendwie einen kompletten Maulkorb. Sie haben versucht halt, im vorhinein unsere Infrastruktur zu schwächen und kaputt zu machen, um uns eben so klein zu kriegen.
Schwarze Katze: Auf dieser Linie liegt auch die Hausdurchsuchung des Münchner Infoladens am Freitagmorgen, bei der u.a. Computer und Info-Material beschlagnahmt werden, sowie die Kriminalisierung des Anti-NATO Kommitees. Grundlegende Rechte, wie die Demonstrationsfreiheit werden ausgeschaltet. Jeglicher Protest untersagt. Ein Maulkorb für den Widerstand. Die Situation vor Ort ist geprägt von sogenannten Sicherheitsvorkehrungen.
Theresa:Es war halt ganz lustig. man konnte nicht durch die Stadt gehen, ohne mindestens zwei bis drei mal komplett durchsucht und kontrolliert zu werden. Jedes mal mit filmen und allem was da so zugehört.
Schwarze Katze: Die Produktion einer von Angst bestimmten öffentlichen Meinung und eines verzerrten Bildes der DemonstrantInnen durch Politik, Polizei und Presse sind unübersehbar.
Jörg: Also, die Geschichte ist zunächst einmal so, das es nicht so sehr die Repression war, die auffiel, also wir sind erst im unmittelbaren Vorfeld ständig in Kontrollen reingeraten, also alle sind ganz häufig in Kontrollen reingeraten, aber sind nie verhaftet wurden oder so etwas. Sondern das, was unglaublich war, war dieses herstellen einer öffentlichen Meinung, über so kinderfressende Monster, die jetzt aus so einer Galaxis über München herfallen. Was in der Presse war, was von der Polizei präsentiert wurde, das war unglaublich. Das waren wirklich so Schlagzeilen, irgend so ein Kind war dann zu sehen und die Zeile "Ich habe Angst um meinen Papa", das war dann natürlich so'n Polizeibeamter, das der jetzt von irgendwelchen Autonomen zu Brei gekloppt wird und eine andere Zeitung hatte die ganzen Tage immer oben drüber eine Zeile "Angst, Angst, Angst" - auf jeder Seite. Es war unglaublich was dort an Angstgefühlen geschürt wurde.
Letztendlich glaube ich, ist es so gewesen, dass die Polizisten diejenigen waren, die es am meisten geglaubt haben am Ende. Also, bei der Münchner Bevölkerung hatte ich gar nicht so diesen Eindruck. Mir sind immer Polizisten begegnet, die ziemlich brutal waren, immer sofort, die bei jeder Verhaftung gar nicht gross gefragt haben, ob man mitkommen will, sondern die immer sofort brutal rangegangen sind. Und denen anzusehen war, dass sie eine unglaubliche Angst hatten und irgendwo stand auch in einer Zeitung so ne Zeile "Ich hab immer Genua im Kopf", die haben ständig so Interviews mit Polizisten gemacht, unglaublich, unglaublich. Es war gar nicht die Repression, sondern es war ein Konstrukt einer öffentlichen Meinung die sowas dort gemacht hat, das etwas ungeheuerliches passiert. Wobei natürlich das Ergebnis jetzt total witzig ist, also, die Bullen haben Gewalt angewendet, ohne Ende und es hat ja gar keine einzige Sabotage, Zerstörung oder sonstiges in der Stadt gegeben.
Schwarze Katze: Die drohende staatliche Repression engt die Gegenaktivitäten ein. Protestformen wie ein "Carneval against NATO" der für Samstag geplant war, konnten daher nicht umgesetzt werden.
Theresa: Angefangen hatte ich mit "wir machen diesen Carneval", der entwickelte sich im Vorfeld als wahnsinnig gutes Projekt, wo sehr viel Interesse bestand, wo wahnsinnig viel kreatives Potential wäre freigesetzt wurden. Ich kann ja mal kurz erklären, was das sein hätte sollen, also es ging so mit Musik, mit Theater, mit Aktionskunst usw. Es sollte eine Art Strassenaktion sein, die zum einen zum Ziel hatte, einen Protest so zu veranstalten, das er viel mehr Leute anspricht, weil wir uns gedacht haben, warum gehen eigentlich so viele Kids auf die Love-Parade und demonstrieren da praktisch, in Anführungsstrichen, aber ohne jeglichen politischen Inhalt und wieso gehen auf so ne Latsch-Demo eigentlich so wenig Leute und wie können wir das verbinden. das war die eine Überlegung und die andere Überlegung war, wir würden gerne ein Gegenbild entwerfen, zum herrschenden Gesellschaftsmodell. Wir würden einfach gern ein Gegenbild von einer coolen, bunten, kreativen, hierarchielosen Gesellschaft einfach so auch in diese Aktion mit reinprojizieren. Dadurch, dass es verboten wurde, sind wir ziemlich auf die Nase gefallen, weil unsere ganze Infrastruktur war zusammen geschnorrt, eben weil wir auch versucht haben, das ganze ausserhalb von Verwertungsmechanismen aufzuziehen, wenn wir die Aktion trotzdem durchgeführt hätten, wär uns sehr viel Material konfisziert oder beschädigt wurden, von der Polizei, oder die Befürchtung bestand und die Wahrscheinlichkeit.
Schwarze Katze: Trotz aller Repressionen machen die OrganisatorInnen der Gegenveranstaltungen klar, dass sie sich nicht einschüchtern lassen wollen. Seit Mittwoch abend findet in München u.a. ein direct action training statt, das von BasisakteurInnen zur Vorbereitung von Aktionen genutzt wurde. Georg und Theresa beschreiben die Stimmung dort und die Atmosphäre insgesamt.
Theresa: Aber die Gruppen waren eigentlich so drauf, dass sie gesagt haben, nö, also jetzt erst recht, wir müssen halt ein bisschen umdisponieren, mal gucken was so geht, aber wir müssen jetzt halt auf jeden Fall handeln.
Georg: Eigentlich war die Stimmung, gerade in unserem Bereich, sehr gut. Zumal schon ziemlich klar von Anfang an deutlich wurde, dass auch der bürgerliche Widerstand sich doch recht engagiert sich gezeigt hat, gerade bei dieser Auftaktkundgebung, das war glaub ich Donnerstag Abend. Da ist soviel passiert, wir haben heute glaub ich Sonntag Abend, das waren so heftige Tage, die Auftaktkundgebung, quasi eine Demonstration gegen das Demonstrationsverbot war, und dort der Abschlussredner sagte, dass die Leute natürlich auch kommen werden, trotz Verbots und dann da sind und sich zeigen. Ich glaube, das waren ganz wichtige Worte und so ging es auch die nächsten Tage weiter. Dass trotz dieses absoluten totalen Politikverbots, wo ja wirklich jegliche "Zusammenrottung", in Anführungstrichen, von mehr als drei Personen als Demonstration angesehen werden konnte und damit auch verboten war, auch jegliche politische Äußerung verboten war - außer natürlich die NATO-Tagung - war es deutlich als Erfolg zu sehen, dass trotzdem an vielen kleinen Stellen in der Stadt sich Widerstand gezeigt hat, also auch von in Anführungsstrichen normalen Leuten, also Leute, die man auch irgendwo beim Bäcker treffen kann. Das war super schön zu beobachten. Das hat natürlich ne sehr gute Stimmung gemacht.
Theresa:Zumindest die Gruppen von Unten Zusammenhängen, die bei uns so waren, in dem, bei dem Direct-Action-Vorbereitungs-Trainings-Ding, das die sehr gut drauf waren und sich überhaupt nicht haben einschüchtern lassen. Also, sie kamen halt aus’m Knast, sind hier her gekommen, haben gleich eine neue Aktion gemacht und dann sind sie wieder eingefahren. So war das.
Schwarze Katze: In der Zeit vor und während der Tagung gibt es immer wieder kleinere, kreative Aktionen, die unter anderem auf Ideen der Kommunikationsguerilla zurückgreifen. In überregionalen Medien fanden diese jedoch kaum bis keine Erwähnung.
Theresa: Es fing damit an, dass eben Donnerstagabend war diese Demonstration gegen das Demoverbot und da hab ich die Abschlussrede gehalten und die erste Aktion war, wir mussten darauf reagieren, dass es eine Rede von Attac gab, wo es hiess "Wir brauchen mehr Staat" und ich hab dann eine Rede gehalten "Nein, wir wollen gar keinen Staat mehr, wir wollen gar keine Herrschaft mehr". Also, erstmal ging’s darum, Herrschaft komplett zu kritisieren und dann hatten wir so als kleine Aktion in die Rede mit eingebaut am Schluss eine Enttarnung von Zivilpolizisten die sich auf der Demo aufhielten, die wir so inszeniert hatten, mit das die Presse am richtigen Ort ist und dann ihre Kameras draufhält, weil das waren eben Zivilpolizisten, die sich als das verkleidet hatten, was sie denken, das irgendwie Autonome sind, so’n bisschen so Schwarz, mit Lederjacke und so – also im Prinzip ziemlich primitiv, aber es war zu erkennen, dass das die Leute waren, die dann so als Provokateure arbeiten und die haben wir dann enttarnt, das war sehr lustig.
Jörg:Eine über die ganzen Tage gehende wunderbares Kommunikationsguerilla war die Aktion des Bayrischen Hotel- und Gaststättenverbandes, den gibt’s tatsächlich, aber die Aktion die da lief hat er nicht gemacht, Leute die sich sehr schön angezogen haben, sind so mit Urkunden oder so ganz offiziellen Zetteln rumgegangen und haben die in allen Hotels, also wirklich ganz breit, in ganz München, Hotels, Pizzerien und überall reingeklebt "Eine Aktion des Hotel- und Gaststättenverbandes gegen die NATO", man sei ein internationaler Verband mit vielen internationalen Gästen und man spreche sich deshalb gegen eine NATO-Politik aus, die ganz klar auf Krieg und Ausgrenzung und Unterdrückung ziele, deswegen seien NATO-Angehörige definitiv in diesem Hause unerwünscht und das haben die auf Toiletten und auf Fluren oder so etwas massenhaft aufgehängt, die waren halt schön angezogen, kamen in jedes Hotel deshalb rein. Gleichzeitig gab es oder gibt es auch jetzt noch eine Internetseite, die auch da drauf stand auf der auch diese ganze Aktion mit dem ganz normalen Layout dieses Hotel- und Gaststättenverbandes nachempfunden da war, das war zum Beispiel eine Aktion die lief ewig lang.
Dann hab ich eine Aktion mitgekriegt, da ist ja grad Kommunalwahlkampf und die SPD mit ihrem Bürgermeister Ude, die ja auch sehr stark verantwortlich sind für diese ganzen Demonstrationsverbote, die hatten ein Plakat wo irgendwie der Ude mit’m Fahrrad vor so nem Fenster vorbei fährt, wo so ne deutsche 08/15-Durchschnitts-Familie, also zweigeschlechtiches Paar mit zwei Kindern, aus’m Fenster grinst und der reicht ihnen da sowas rein und dann steht da der Satz "Wir unterstützen Mieter" und das massenweise umgewandelt in "Wir unterstützen Mörder". Find ich auch ne sehr, sehr schöne, mit extrem geringen Aufwand gemachte sehr schöne symbolische Aktion.
Schwarze Katze: Freitag. Demoverbot, die Abriegelung der Innenstadt und Kontrollen durch polizeiliche Einsatzkräfte stellen eine deutliche Erschwernis für die Widerständigen dar. Spontanität ist gefragt.
Theresa: Und es musste halt alles umdisponiert werden. Also dieses direct-action-Training hatte ja vor allem die Ausrichtung gewaltfreies Verhaltenstraining mit einem Trainer, dass musste sich alles umdisponieren. Wir konnten nicht so richtig dieses Training durchziehen, weil wir viel mehr immer wieder reagieren und reagieren mussten, weil die Situation sich andauernd verändert hat.
Schwarze Katze: Unter den TeilnehmerInnen des direct-action-Trainings gibt es Diskussionsprozesse, mit dem Ergebnis, dass die Verbote dennoch subversiv unterlaufen werden konnten.
Georg:Wir haben am Anfang natürlich andere Aktionen vorbereitet, die deswegen nicht funktioniert haben, weil der gesamte Innenstadtbereich abgesperrt war. Man kam einfach nicht mehr rein. Uns haben sozusagen die Mittel gefehlt. Dann haben wir Spontanideen überlegt, die eben sozusagen aus dem Nichts zu machen sind, und – gegebenenfalls – auch vor Ort aus dem Nichts zu zaubern sind, ohne das man irgendwie noch gross Material schleppen muss. Und dann gab es eine Aktionsidee, die wir am Freitagvormittag dann umgesetzt haben, mit leerem, mit einem großem, leerem Transparent, also solch einem Bettlaken, und leeren, so Pappschildern, und leeren Flugblättern, also DIN A5 leere Blätter, in die Stadt zu ziehen. Die Personen, die das gemacht haben und dann diese leeren Blätter verteilten, hatten die Münder mit roten Klebebändern, verklebt und das Signal war natürlich offenkundig - jegliche politische Äußerung ist verboten. Man darf keine Demonstration machen, man darf nichts mehr sagen. Das war sehr spannend. Aber wir haben noch mit mehreren Personen, die begleitet haben, haben wir sozusagen eine Kommentierung gemacht und die Bevölkerung mit einbezogen. Also es liefen drei Personen um diese Demonstration herum, die laut in ihre Handys sprachen und Scheintelefongespräche führten und ganz laut kommentierten was da gerade abgeht und die Gesamtsituation besprachen und aber auch die Reaktion der Bevölkerung, die Situation der Demonstration und immer wieder Bezug genommen haben auf die Gesamtsituation in München an diesem Wochenende.
Und alle Reaktionen der Bevölkerung wurden in diese Gespräche mit aufgenommen, also sozusagen wenn irgend jemand Beifall bekundet hat, ihn mit einzubeziehen und zu fragen "Ja können Sie das bitte noch mal hier rein sprechen?", "Wie haben Sie das gemeint?" oder wenn Kritik kam, die Kritik aufzugreifen und eben dann auch immer laut zu machen und öffentlich zu machen. Und das war eine super, super schöne Form der Vermittlung, die auch sofort von der Presse aufgegriffen wurde, in einigen Zeitungen erschien und am nächsten Tag Folgewirkung zeigte, dass ganze viele normale Personen in der Münchner Innenstadt zu sehen waren, die sich alle die Münder zugeklebt hatten. Und das war, find ich, also ist so ein Beispiel für eine sehr gelungene Auftaktveranstaltung, die eine große Wirkung hat, weil sie eine absolut gute Vermittelbarkeit zeigt. Die Idee ist rüber gekommen, es wurde verstanden, es war so zu akzeptieren das die normale Bevölkerung das übernehmen konnte.
Jörg: Es war einfach wunderschön, wenn man sich überlegt, über einer Gruppe von 12 Leuten mit leeren Transparenten und leeren Flugblättern schwirren dann irgendwann zwei Polizeihubschrauber, überall stehen Wannen rum, alles ist blockiert. Es war also derart genial, die Leute hatten auch noch mit Klebestreifen den Mund sich zugeklebt. Das war einfach ´ne Aktion, das war die erste Aktion die gegen dieses Demonstrationsverbot agierte und trotz des Verbotes fast bis an den Marienplatz, also den zentralen Platz, vordrang.
Schwarze Katze: Trotz des kompletten Demonstrationsverbotes versammeln sich Freitag Abend nach einer Pressekonferenz etwa 2.000 Menschen auf dem Marienplatz.
Theresa: Dann war diese öffentliche Pressekonferenz auf’m Marienplatz, also das ist der zentrale Platz von München, und das führte dazu, dass da ungefähr 2.000 Leute waren, nicht nur die Presse, und dann auch so Konstantin Wecker, so als der Promi dort rum saß und es gab halt ne richtige kleine Pressekonferenz und ´ne richtige Kundgebung. Es war eine Versammlung da und die Polizei, es wurde dann geräumt. Die 2.000 Leute wurden dann da abgeräumt irgendwie, aber ziemlich viel später und es kam zu recht üblen Szenen, also eine Friedensaktivistin liegt mit Gehirnblutungen im Krankenhaus. Die ist von Bullen umgerannt wurden und einem Mädchen wurde das Bein gebrochen.
Etwa 200 Menschen werden von der Polizei in Gewahrsam genommen. Es gibt ca. 20 Festnahmen. Daneben finden jedoch noch weitere Aktionen statt, die aus unterschiedlichen Gründen scheitern.
Jörg: Dann kam danach diese Pressegeschichte und es gab dann eine Aktion, und da bin ich ein bisschen enttäuscht, das war soweit ich weiß, die einzige, nur eine einzige Aktion, die einen Blockadeversuch der Eröffnung darstellte, das war ein Theaterstück von verschiedensten Basisgruppen zusammen entwickelt. Das war halt die Blockade eines Bereiches des Stachus, also einer großen Kreuzung an diesem Innenstadtring, an dem auch die Sperrzone lag und auch in der Nähe der Sperrzone, sich Leute mit rot eingesifften weißen Anzügen, also als Leichen, so auf die Erde legten und verschiedene, gebastelte Leichenteile, Arme und Beine, mit dazwischen lagen und ein Panzer da, das hat leider nicht ganz so gut geklappt, der ist ein bisschen auseinander gefallen, halt auf die Strasse legten und den Verkehr so ziemlich komplett absperrten. Das war alles sehr, sehr schnell geräumt, ich war auch dabei, das war meine erste Nacht bei den Bullen.
Ich fand es ein bisschen schade, das keine anderen Aktionen dieser Art, die symbolisiert hatte "Wir wollen diese NATO-Tagung nicht, wir sind nicht nur ne Folklore am anderen Zipfel der Stadt die ´ne andere Meinung hat, sondern wir haben ein politisches Ziel und das heißt, die Leute sollen hier nicht weitere Kriege planen". Das fand ich doch ein bisschen schade, das da nicht ne deutliche Symbolik ausgegangen ist, ich glaube, die Kräfteverhältnisse sind nicht so, dass man diese Geschichte gewinnen kann, aber es ist schon mal ne Geschichte symbolisch zu zeigen, dass wir es wollen, dass die NATO-Tagung beendet wird. Dazu gehört auch eine Aktion die vorbereitet wurde, die leider schief gegangen ist, es gab den Plan, durch das Querstellen von Autos in vielen kleinen Straßen, man kann ja mit 10 Leuten kleine Autos locker aus ner Parkbucht herausheben, quer auf die Straße stellen, um den Verkehr dort komplett irgendwie zum Erliegen zu bringen, das war dann aber leider nicht möglich, weil die Planung der Konferenzen so war, dass überall Parkverbot war und es gab keine parkenden Autos.
Schwarze Katze: Der Widerstand ist damit nicht erschöpft. Auch am Samstag gehen mehrere tausend Menschen in München auf die Strasse, um die geplante Demonstration trotz Verbotes durchzusetzen. Berichte dazu und alles weitere folgen dann im zweiten Teil unseres Beitrages zur Sicherheitskonferenz in München.
Vom 1. bis zum 3. Februar fand in München die NATO-Tagung statt. Im ersten Teil unseres Beitrages berichteten wir über die Repressionen im Vorfeld, die Situation vor Ort und die widerständigen Aktivitäten bis Freitagabend. Nachdem es am Freitag eine Demo der Sprachlosen und weitere Aktionen gab, stand für viele Menschen fest, dass es auch am Samstag weitergehen würde. Drei Basis-AkteurInnen erzählen uns jetzt von der offenen Presseplattform, ihren Kontakten mit Münchner BürgerInnen und den Aktionen am Samstag. Am Ende steht dann noch der Versuch die Ereignisse rund um die NATO-Tagung auszuwerten und mögliche Perspektiven aufzuzeigen.
Samstagmorgen werden 30 AktivistInnen von der Polizei in jeweils zwei 2,5-mal 3 Meter große Ingewahrsamnahmekäfige gesperrt, die bereits bei Protesten gegen Expo und Castor eingesetzt wurden. Die Betroffenen aus Berlin-Brandenburg sehen darin eine klare Menschenrechtsverletzung.
Am Nachmittag finden in Chemnitz und in Hannover Solidaritätsdemonstrationen statt, die sich gegen die Einschränkung von Demonstrationsfreiheit und die NATO-Politik richten.
Auch in München sind einige Tausend Menschen auf der Straße um die verbotene Demonstration doch noch durchzusetzen.
Theresa: Es haben sich dann laut Polizeiangaben 7.000 Menschen auf dem Marinenplatz versammelt. Das heißt, ich geh davon aus, dass es mehr waren, weil die ganze Innenstadt war voller Demonstranten die in irgendeiner Weise sich irgendwie kenntlich gemacht hatten. Meistens mit Mund verklebt, oder irgendwie Schilder in der Hand, so halt immer einzelne. Und die setzten dann diese Demonstration erstmal durch. Das ging halt.
Es hat sich spontan eine Demonstration geformt als die Polizei den Platz räumen wollte, und dann gab's halt die Aktionen von den Nackt-Leuten, die vermitteln wollten "Wer nichts zu verbergen hat, der hat nichts zu befürchten". Die hatten das dann so, indem sie sich nackt ausgezogen hatten und sozusagen eben: Wir haben zwar nichts zu verbergen, weil wir ziehen uns nackt aus, aber genau deswegen werden wir geknastet, wir haben also doch was zu befürchten. Um so diese: es kann dich willkürlich irgendwie treffen, so ein bisschen zu vermitteln. Das haben sie ganz gut hingekriegt.
Jörg: Es war dann so sich diese Demo ja formierte, trotz Verbot zu dem Zeitpunkt. Und ich fand sie zunächst sehr langweilig, also typische aufgefahrene Leute, so ein paar tausend Leute und die riefen dann immer so: "Hoch die internationale Solidarität", das fand ich schon eher nicht so berauschend von der Kreativität und Selbstorganisierung. Zu dem Zeitpunkt war, war auch sehr interessant die gesamte Innenstadt war komplett gesperrt, also es gab jetzt nicht nur Demo- und Politikverbot, sondern jetzt gab es Betretungsverbot, nicht nur für uns, sondern für alle Menschen überhaupt. Das heißt die Münchener Innenstadt bestand nur noch aus so ner, wie in Genua mit so nem fetten Zaun, aber jetzt so aus mobilen Elementen, komplett umrundet, abgeriegelt und da standen jetzt so ein Haufen Bullen rum und keiner durfte mehr die Innenstadt betreten. Das war alles sehr bizarr.
Schwarze Katze: Die Polizei setzt Schlagstöcke und Pfefferspray gegen die DemonstrantInnen ein. Es gibt zahlreiche Verletzte. BeobachterInnen sprechen von einem unverhältnismäßig brutalen Vorgehen gegen die DemonstrantInnen. Augenzeugenberichte bestätigen diesen Eindruck.
Theresa: Dann setzte sich, also diese völlig unorganisierte Demonstration so in Gang. Und wurde mehrmals von der Polizei gekesselt. Es kam auch wieder zu ziemlich unschönen Szenen. Also es gab Leute, die haben richtig Pfefferspray so direkt ins Gesicht gesprüht bekommen. Was nicht so nett ist, sondern es führt zu extremen Nasenblutungen.
Jörg: Wir trafen dann da drauf, irgendwo in der Mitte zwischen diesen beiden Kesseln da gab's viele Scharmützel von total durchgeknallten Bullen, die einzelne Leute jagten, immer so durch dieses Gewirr dadurch, die dann ziemlich brutal zusammenschlugen und irgendwie durch die Gegend schleiften. Das ließ sich für uns gar nicht so schnell ausmachen was da eigentlich der genaue Sinn hinter war. Wir hatten den deutlichen Eindruck, dass die Polizei überhaupt gar keine Klarheit mehr hatte über das was lief und ganz viele Bullenbanden auf eigene Faust agierten. Ich selber war dann dabei, bei einem dieser Züge, der der am weitesten ging. Ich hatte die Hoffnung, dass jetzt noch mal eine klare Attacke auf die Rote Zone gemacht würde, die Demo stand auch 50 Meter davor irgendwann mal, aber mein Eindruck war jetzt, dadurch, dass die ja alle im Prinzip planlos waren, diese Demorecht durchsetzten, was ich gut finde aber am sonsten planlos, da wusste überhaupt niemand, dass da in 50 Meter die Zone war. Und die Bullen dann halt durch ne einfache Reihe, das war alles sehr locker, da hätte man durchgekonnt, diese Demo in eine andere Straße reinlenkten. Und dann ging es doch relativ zügig so, dass die Demo irgendwo herumirrte und dann irgendwann eingekesselt wurde. Und da stand ich dann auch in diesem Kessel und das ging dann endlos lange ab, im Kessel. Viele Scharmützel, sehr viel Kreativität. Fand ich total gut, also nicht irgendwie so ein Standardspruch, sondern es wurden Lieder gesungen. Das ist z.B. auch eine Geschichte, es gab vier Anti-NATO-Lieder, die wurden dort sehr viel gesungen. Es gab sehr sehr schöne Sprechchöre, fand ich. Sehr viel Eingehen so auf diese Situation, die sich da so schilderte, so. Diesen Unterschied auch zu den Bullen in ihrer Herrschaftsstruktur und dem Kessel oder eine Thematisierung: Wir müssen jetzt eine Nacht bei den Bullen verbringen, ihr werdet euer ganzes Leben mit den Bullen verbringen müssen.
Theresa: Letzten Endes sind die dann alle eingefahren in den Kessel und es waren dann am Schluss 850 Ingewahrsamnahmen. Aber wir haben uns schon sehr gefreut, dass das Ganze spontan und dann doch immer wieder mit kreativen Elementen sich einfach durchgesetzt hat. Und dass es auch dazu geführt hat, dass sehr viele Leute, die sonst nicht demonstrieren gehen, auch sehr viel ältere Menschen sich für ihr Demonstrations- und Meinungsrecht, so auf die Straße gestellt haben. Und durchaus schon mit sehr viel Wut.
Schwarze Katze: Um einer einseitigen Berichterstattung entgegen zu treten, ist eigene unabhängige Öffentlichkeitsarbeit von unten unabdingbar. Die übliche Variante, abgestellte Pressegruppen- und SprecherInnen weist jedoch einige Probleme auf. In der Regel sind Pressegruppen nicht einmal demokratisch legitimiert. Häufig agieren diese nach Stellvertreterlogik, sprechen für andere, ohne Rückkopplungen mit den Handelnden. Basisgruppen und AkteurInnen vor Ort, wissen oft nicht einmal um wen es sich dabei handelt. Die aus dieser Kritik heraus entstandene Idee einer offenen Presseplattform wurde in München erstmalig umgesetzt.
Jörg: Diese Presseplattform das Prinzip, dass wir JournalistInnen anbieten sich auf eine Liste zu setzen von Interessierten, die an Informationen und Kontakten für Interviews für Berichte interessiert sind, und auf der anderen Seite eine Liste führten von Aktionsgruppen die bereit sind mit JournalistInnen Interviews zu geben usw. und diese Listen gegeneinander ausgetauscht haben, d.h. die Journis wussten von den Aktionsgruppen, die Aktionsgruppen wussten von den JournalistInnen. Das war die Vorebene, und dann wärend des ganzen Prozesses in München haben wir immer wieder im Einzelfall das auch vermittelt. D.h. eine Gruppe kam, hatte das und das vor, bat uns um Unterstützung. Wir haben dann halt gesagt, ja es gibt die und die Leute. Also ein wunderschönes Ergebnis dieser ganzen Arbeit war z.B. der Kessel. Samstagabend in diesem Kessel standen die ganzen JournalistInnen, die mit der offenen Presseplattform zusammengearbeitet hatten drin, weil die hatten den direkten Draht zu den Aktionsgruppen, die jetzt auch in diesem Kessel drin waren. Binnen Minuten waren die informiert und fort und im Kessel drin, bevor die Polizei dicht gemacht hat. Alle anderen Journalisten, die mit den NGOs und so zusammengearbeitet haben, die ganzen Offiziellen mussten draußen warten. Eine völlig eindeutige Situation, dass man es hinkriegen kann eine sehr enge Verknüpfung zu machen. Diese Journalisten hatten das auch verstanden, die fragten nicht nach irgendwelchen Pressesprechern, die hatten keinerlei Interesse daran. Die haben mit sehr vielen Leuten immer wieder Gespräche geführt. Wir haben immer wieder versucht auch klar zu vermitteln, wie das läuft mit dem Filmen, dass Menschen, die nicht gefilmt werden möchten, auch nicht zu filmen sind, dass muss sichergestellt sein, gar keine Frage. Aber umgekehrt auch, dass alle, die ein Interview machen wollen, auch die Möglichkeit haben mit den Journalisten zusammenzutreffen. Das war wirklich wunderschön, auch wie es im Kessel abging, wie immer wieder die Presse mit den AkteurInnen kooperiert hat und nicht nach irgendwelchen Sprechern oder so gesucht hat.
Theresa: Trotz aller Bemühungen irgendwie zusammenzuarbeiten und inhaltlich zu vermitteln, kann man natürlich nicht verhindern, dass JournalistInnen in der bürgerlichen Presse eben da von Auflagezahlen abhängig sind und dann reißerisch oder verkürzt oder zum Teil auch verlogen berichten, damit es besser klingt und sich besser verkauft, weil sie halt von diesem System abhängig sind. Und das ist auch passiert und hat uns auch ziemlichen Ärger eingebracht, weil wiederum von der anderen Seite, dass das in der Presse steht für bare Münze genommen wird. Ein Münchener Projekt ist ziemlich bedroht durch die falsche Berichterstattung eines Journalisten bei der Süddeutschen. Und wir sind gerade dabei, das wieder geradezubiegen, aber ich finde, dass es auf jeden Fall zeigt, dass es sinnvoll ist trotz allem, wie man mit der Presse arbeitet zu trainieren. Eben auch zu wissen, welche Sätze sage ich, welche Sätze sind verfänglich, die sage ich dann nicht. Immer auch im Hinterkopf zu haben: die können das zusammenschneiden, so dass mein Satz total aus dem Zusammenhang heraus vielleicht sogar das Gegenteil bedeutet von dem was ich meine. Und das zu trainieren und auch diese totale Pressefeindlichkeit in vielen Gruppen zu überwinden, weil es auf jeden Fall immer besser ist, wenigstens den Versuch zu starten was zu vermitteln, als es ganz und gar der Gegenseite, also der Polizei oder irgendwie dem Staat zu überlassen, der Presse zu erklären, wer wie eigentlich sind und was wir eigentlich machen.
Schwarze Katze: Nicht nur der Umgang mit der Presse gehört zur Öffentlichkeitsarbeit, auch die direkte Vermittlung gegenüber BürgerInnen. Trotz der medialen Panikmache im Vorfeld war es den KritkerInnen der NATO-Tagung gut möglich mit der Münchener Bevölkerung ins Gespräch zu kommen. Immer wieder wurde auch bewusst der unmittelbare Kontakt gesucht.
Jörg: Ich hab verschiedene Aktionen gemacht, von denen ich erzählt habe, war ich auch bei etlichen beteiligt. Die waren mehr oder weniger stark ausgerichtet. Es waren ja welche dabei, die haben zwar was an BürgerInnen vermittelt, lagen aber auf der Ebene leichter Sabotage, d.h. du konntest da nicht stehen bleiben und reden, sondern welche Wirkung das dann machte, muss man sehen. Aber ich war auch Aktionen dabei, die sehr direkt mit den BürgerInnen vermittelten, vor allen Dingen diese Aktion, diese Demo der Sprachlosen. Ich gehörte zu den Leuten die halt so taten als wenn sie ständig Handy-Gespräche führten und ganz laut reden mussten und immer erzählten worum's hier eigentlich geht und so. Und das war total schön, weil die BürgerInnen doch viel stehen blieben. Auch bei dieser Situation mit den leeren Plakaten, die haben ja dann wirklich diese leeren Transparente beschlagnahmt. Es war durchgeknallt ohne Ende. Ich stand immer relativ weit weg von diesem Fleck, so 20-50 Meter, brüllte da in mein Handy, weil ich wollte ja, das war ja alles schon in der Fußgängerzone. Ich wollte ja, dass die Menschen das jetzt mitkriegen um was es da geht, also nicht nur darum, dass da ´ne Demo angegriffen wird. Sondern es ging natürlich auch immer um die Vermittlung der Kritik an der NATO und an der Kritik an der Herrschaftsstruktur, die sich durch dieses Demo-Verbot ausdrückt.
Und man schreit natürlich nicht so durchgängig da rein, sondern macht das mal so 2 Minuten und dann guckt man wieder was die Lage ist oder wechselt seinen Standort und da gab es sehr sehr viele Gespräche mit den BürgerInnen. Ich habe sehr viele geführt und es gab sehr wenige, fast nur ältere Herren, die sofort so, mit: "Alle vergasen", und so was auf uns zukamen, die sich aber auch nie auf ne Debatte eingelassen haben, das gibt's immer. Das ist auch chancenlos. Ansonsten war die Reaktion aber eher, völlig verständnislos über dieses Chaos was die Polizei da machte angesichts einer Situation, die so offensichtlich deutlich machte, dass hier nicht gerade irgendwie 3.000 kinderfressende Monster unterwegs waren, sondern die Situation war völlig öffentlich und sie vermittelte sich gut und die BürgerInnen haben alle daneben gestanden und nur gesagt, also jetzt unabhängig wie wir zur NATO stehen, aber die Bullen hier die ticken alle nicht ganz richtig.
Georg: Und diese Bilder von den zugemauerten, zugeschraubten Schaufenster die in der Presse erschienen, war ja auch ein Szenario, denn es waren nur sehr wenige Schaufenster wirklich mit Holzverschlägen zugeschraubt, ganz wenige. Aber es erschien einfach so. Und wir haben z.B. das immer aufgegriffen, also alles daran aufgegriffen und in irgendeiner Form satirisch verarbeitet und nach außen gebracht, z.B. bei irgendwelchen Bewegungen durch die Stadt gleich Passanten anzusprechen: "Haben Sie den eigentlich schon die gewaltbereiten Demonstranten gesehen?" oder zu sagen: "Ach übrigens, wir sind die Dreitausend", oder so was. Und haben eben immer wieder erlebt, wie die Normalbevölkerung darauf reagiert, dass die erst überrascht ist, aber dann eben auch merkt, da stimmt was nicht, das kann es nicht sein. Also von Anfang an zu spüren, dass der Presse, oder die offiziellen Verlautbarungen so nicht geglaubt wird. Das war sehr spannend.
Jörg: Also wir immer als Gruppe haben es auch darauf angelegt, egal wo wir waren immer ins Gespräch zu kommen, wenn wir U-Bahn gefahren sind uns immer ein bisschen so zu verhalten, dass wir die ganzen Blicke, dass war ja schon so, also Du gingst durch die Gegend, hattest irgendwie Klamotten an, die passten auf diese in München kreiertes Klischee der "kinderfressenden Monster" und die guckten dir auch so hinterher, dass war denen auch klar und du konntest die auch drauf ansprechen, mal subversiv, dass Du sagtest: "Hä soll ich Sie fressen?", oder halt mit irgend ner inhaltliche Debatte, und wenn die Debatten liefen, dass war immer total gut.
Leider, natürlich ist es so, dass es nicht zu einem üblichen linken Politik-Stil zurzeit gehört, so eine offene Ebene zu schaffen, also mir wär es viel lieber gewesen, wenn´s eben 100 oder 500 Gruppen gegeben hätte, die Aktionen gemacht hätten, wobei ein großer Teil sie so macht, dass man direkt mit den Menschen in einen Kontakt kommt und sich nicht nur immer unter sich selbst aufhält.
Schwarze Katze: Die Nato Tagung ist vorbei, doch nicht ohne Folgen. Zumindest die kinderfressenden Monster sind eine Fiktion in den Köpfen von Stadt und Staat geblieben. Unmittelbar nach der Konferenz mehren sich jedoch Stimmen welche die bayrische Linie "Politikverbot" und das Vorgehen der Polizei kritisieren, nicht nur von Seiten der DemonstrantInnen.
Theresa: Es gibt jetzt ´nen großen Streit in München, ob das alles gerechtfertigt war. Und es ist auf jeden Fall so, dass es jetzt so ziemlichen Zoff gibt, von wegen die Leute sollen sich entschuldigen, schließlich seien die Demonstranten ja gar nicht so schlimm gewesen und diese Panikmache und so weiter. Ich fands immer sehr lustig, weil es waren 3000 Polizisten im Einsatz und die waren so dermaßen gewalttätig und chaotisch, dass ich mir halt denk, ja es waren 3000 gewalttätige Chaoten da, nur die hatten alle ne grüne Uniform an. So, ich glaub, dass das auch bei vielen Leuten so rüber gekommen ist.
Schwarze Katze: Auf Seiten der TagungsgegnerInnen gibt es unterschiedliche Einschätzungen zum Widerstand gegen die Münchener Sicherheitskonferenz. In der politischen Szene Münchens wird der Protest als Erfolg gewertet. Auch die Zukunft ist bereits im Blick.
Theresa: Es ist schon so ein bisschen so ´ne Siegesstimmung, auf jeden Fall und auch so ein: Jetzt geht's erst richtig los und jetzt geht's richtig weiter. Es wurden gestern schon die Gegenaktivitäten für nächstes Jahr geplant, weil diese Sicherheitskonferenz findet ja jedes Jahr in München statt. Die wurden schon angemeldet. Und es ist so ein Gefühl von jetzt machen wir weiter und nächstes Jahr wird's noch besser.
Schwarze Katze: Eine wichtige Erkenntnis für BasisakteurInnen: Widerstand ist möglich. Die Politik der extremen Repression und das totale Politikverbot haben nicht gegriffen. Zentralistische Aktionsformen, wie z.B. Großdemos können verboten werden, nicht aber Kreativität, Selbstorganisation und zentrale Aktionen. Gekoppelt mit Entschlossenheit können so auch heftige Sicherheitsvorkehrungen umgangen werden. Mal konfrontativ, mal subversiv.
Jörg: Für mich war München, nach etlicher Zeit wieder mal eine Aktion die nicht supertoll war, die aber andeutete, dass Selbstorganisation, Zentralismus überlegen ist. Sie ist einmal die bessere Geschichte, weil sie unseren Idealen entspricht, wir wollen eine selbstorganisierte Welt, nicht eine zentralistische. Deshalb möchte ich auch eine selbstorganisierte Bewegung und nicht eine zentralistische. Aber sie war an verschiedenen Punkten sogar deutlich überlegen, als in den zentralistischen Strukturen noch überlegt wurde, wie gehen wir mit dem Demoverbot um, waren wir bereits mit der Demo der Sprachlosen in der Innenstadt zugange.
Schwarze Katze: Das könnte hoffnungsvoll stimmen, von einer breiten Basis selbstorganisierten Protestes kann zurzeit aber keine Rede sein. Nur wenige Gruppen haben sich intensiv auf die Situation in München vorbereitet, eigene Ideen entwickelt und umgesetzt. Auch wenn Georg ein positives Fazit zieht, dass eher Ziel als Wirklichkeit beschreibt.
Georg: Der ganz klare Ausdruck war, wir können es anders, wir wollen es anders, wir akzeptieren es so nicht. Und das war, find ich für diese eigentlich fast nicht mehr zu bewältigende Situation, dieses Totalverbot eine unglaublich positive Lösung. Und ich glaube das gibt auch sehr schöne Ausblicke auf zukünftige Aktionen. Denn jetzt haben sich sehr viele Leute kennen gelernt, viele Leute haben auch viele neue Ideen mitbekommen, habe festgestellt und das war auch so einer meiner Hauptgedanken: Alle Menschen können an der Stelle, an der sie stehen immer, zu jedem Zeitpunkt absolut effektiv, sehr gute Politik machen. Für die Menschlichkeit und für alle lebenswerten Werte, die sich ein Mensch so vorstellen mag.
Schwarze Katze: Die Außerkraftsetzung von elementaren Grundrechten in München, hat verdeutlicht: Recht und Gesetz sind so, wie die Herrschenden es haben wollen. Verständlich wäre daher, wenn mehr Menschen die Hoffnung in den guten Rechtsstaat verlieren und sagen: "Ihr macht was ihr wollt, wir auch!". Es ist aber zu kurz gegriffen staatliche Organe für ihr Verhalten anzugreifen und sich als hilflose Opfer von politischer Repressionen zu inszenieren. Insgesamt war wieder einmal unübersehbar, dass sich radikale Gruppen selbst im Weg stehen. München hat gezeigt wie fatal Abhängigkeit von Staatsgeldern für oppositionelle Einrichtungen sein kann. Die Kritik an Bewegungszusammenhängungen reicht aber noch weiter.
Jörg: Aber es zeigte sich insgesamt, dass die Tradition sich nicht selbstorganisiert aufzubauen eine verheerende ist und dass die definitiv durchbrochen werden muss und das gilt aber für viele andere Bereiche der Öffentlichkeitsarbeit auch. Also es gab keine Massenzeitung, es gab keine eigene Vermittlung. Ich hab auch keine Radiosender mitgekriegt, die jetzt explizit Dauerprogramm zu diesen Aktionen machten. Möglicherweise habe ich da einzelne Sachen übersehen. Aber ich war schon ziemlich erschrocken, wie niedrig so prinzipiell der Selbstorganisationsgrad ist, und dazu gehört auch noch als letztes natürlich auch, die Unfähigkeit die herrscht. Selbstorganisation heißt ja nicht nur Aneignung von materiellen Grundlagen, sondern auch Aneignung von Know How. Auch das hatten ganz viele Leute definitiv nicht drauf.
Es ist ja eigentlich unglaublich, jeder total Beknackte, der nur mal eben Urlaub in München macht, kauft sich einen Stadtplan. Also eine superungefährliche Geschichte, wo es noch nicht mal schlimm wäre wenn man sich mal verirrt. Aber irgendwie wollte hier eine politische Geschichte haben, die in einer völlig chaotischen Situation Demoverbot oder so was in München bewegen haben keinen Stadtplan dabei und das ist natürlich nur ein besonders auffälliges Beispiel. In der prinzipiellen Unfähigkeit überhaupt irgendetwas zu machen, ein Edding dabei zu haben um schnell irgendwo Parolen aufzukleben, Spuckis dabeizuhaben. Also diese niedrigste Ebene von inhaltlicher Vermittlung, ein Flugblatt dabei zu haben. Das haben die alle nicht, das ist unglaublich, ich habe noch nie sowenig Transparente gesehen. Ich weiß gar nicht, außer den offiziell vorbereiteten gab's glaub ich überhaupt keins. Ich habe da keine Gruppe, zu irgendwas gesehen. Das ist mir völlig unverständlich, also da kann man kaum noch abfallen. Und an diesem Punkt, denk ich, muss sehr, sehr massiv gearbeitet werden. Wir müssen uns von den Strukturen, von den materiellen Grundlagen her, wie auch von der Aneignung von Fähigkeiten ganz anders entwickeln, als das die letzten Jahrzehnte so gelaufen ist. Also Freiräume überall, direct-action-Trainings überall, Aneignung von Aktionsformen, von Inhalten, inhaltlicher Debatten, was wir eigentlich wollen, visionäre Debatten. Wenn wir das nicht hinkriegen, dann werden immer der Entwicklung hinterher hinken.
Schwarze Katze: Ich sprach mit Theresa, Georg und Jörg, die sich an den Protesten gegen die Sicherheitskonferenz beteiligt haben. Weitere Informationen zur NATO-Tagung und den Gegenaktivitäten finden sich auch im Internet unter:
de.indymedia.org und www.no-nato.de
Bleibt am Ende also festzuhalten, Widerstand ist möglich, aber ein anderer Widerstand ist nötig. Nötig wäre unter anderem: Fantasie und die Bereitschaft mit bewährten Politik-Mustern zu brechen, neue Formen der Organisierung, Aktionsideen können entwickelt werden. Die nächste NATO-Tagung kommt bestimmt, wo bleibt der emanzipatorische Widerstand und was war eigentlich mit den kinderfressenden Monstern?
Theresa: Mal gucken ob sie uns nächstes Jahr wieder die 3.000 gewaltbereiten Chaoten unterjubeln.
Schwarze Katze Radiobeiträge zur NATO-Tagung
Drei BasisakteurInnen aus der Debatte um "Organisierung von unten" berichten über Politikverbote, kinderfressende Monster und kreativen Protest gegen die Münchener Sicherheitskonferenz.
Schwerpunkt der Beiträge sind u.a. die kleineren, direkten Aktionen, über die leider wenig berichtet worden ist (Demo der Sprachlosen, Kommunikationsguerilla, Massaker usw.) Daneben wird die Idee und Praxis der offenen Presseplattform vorgestellt, die in München erstmalig umgesetzt wurde. Am Ende stehen dann noch persönliche Auswertungen und Überlegungen zum "Wie weiter?"
Zwei Radiobeiträge (10 bzw. 11 MB) a 20 min. sind ab sofort im Netz zu finden - an alle Interessierten und RadiomacherInnen: schnappt sie euch...
Teil 1 - Repression, Situation vor Ort und Aktionen bis Freitag:
http://schwarze.katze.dk/download/mp3/nato01.mp3
Teil 2 - Aktionen am Samstag, Presseplattform und Auswertung:
http://schwarze.katze.dk/download/mp3/nato02.mp3