Die Geschichte von Hanns Martin Schleyer
Alhambra Sondernummer "20 Jahre deutscher Herbst", Oktober 97, Seite 7

20 Jahre nach dem Deutschen Herbst sind für die hiesige Presse ausschließlich ,,die Opfer der RAF" geblieben, allen voran Hanns Martin Schleyer, über dessen Vergangenheit auch heute noch am liebsten geschwiegen wird.

Ist ja auch klar, Hanns Martin Schleyer, dessen braune Vergangenheit in der Titel Story des Spiegels gerade mal mit 15 Zeilen erwähnt werden, wäre bei genauerer Betrachtung nämlich nicht mehr nur ,Opfer', sondern auch einer der Täter, der mit verantwortlich für die Massenmorde im Faschismus war und dessen Vergangenheit von der Bundesregierung nach Ende des Krieges wieder reingewaschen wurde.

Schleyer, Jahrgang 1915, trat bereits als 16-jähriger Schüler der HJ (Hitlerjugend) bei und war, als er 1933 die Universität Heidelberg bezog, nicht ,,nur" im Besitz der braunen Uniform der SA, sondern auch Träger der schwarzen Uniform der SS mit dem goldenen Ehrenzeichen.

Ausser der schwarzen Uniform trug Schleyer auch bald das Kostüm des blutigen Corps Suevia im Kösener SC. ,,Blutig" nannten sich damals die Mitglieder solcher Vereinigungen selbst, weil sie ihren Ehrenhöhepunkt im wechselseitigen Zerhacken ihrer Gesichter fanden und immer noch finden.

Nach Schleyers Tod erklärte der Vorort im Kösener SC Verband: ,,Alle Kösener Corpsstudenten in Deutschland und Osterreich trauern um Hanns Martin Schleyer... Er hatte Freunde überall dort, wo er wirkte; seine wenigen Gegner achteten ihn stets. Todfeinde hatte er nur unter den Terroristen, die unser aller Todfeinde sind." Der Vorort unterstrich: ,,Hanns Martin Schleyers Verdienste um sein Corps Suevia in Heidelberg sind Verdienste um das Corpsstudententum in schwieriger Zeit gewesen. Wo er seine Spuren hinterlassen hat, werden sie unauslöschlich bleiben." So hatte Schleyer seine akademische So Sozialisation seinem ehemaligen Fuchsmajor Fritz Ries zu verdanken. Ries war Nachkriegsgründer der Pegulan-Werke und politischer Ziehvater Helmut Kohls (!). Die blutigen Selischaften von damals hatten den Krieg überstanden - auch wenn sie keine gemeinsame NSDAP- Mitgliedschaft mehr verband, Schleyer blieb seinem Fuchsmajor treu und zog als verlässlicher Vizechef in den Aufsichtsrat der Pegulan AG ein.

Er gehörte als einer der ersten zu den Grössen aus Politik und Wirtschaft, die in der Frankenthaler Ries-Villa ihre Feldzugpläne gegen die sozialliberale Koalition Willy Brandts schmiedeten.

1941 übernahm der damals 26jährige SS Hauptsturmführer Schleyer im Auftrag des SD-Chefs Reinhard Heydrich, die Leitung des Präsidialbüros des ,,Zentralverbandes der Industrie für Böhmen und Mähren in Prag.

Der verstorbene Schriftsteller Bernt Engelmann hat frühzeitig und in zahlreichen Veröffentlichungen dazu beigetragen, die dunklen Punkte in der Karriere des Hanns Martin Schleyer aufzuklären. Sein erstmals 1974 veröffentlichter Dokumentarroman ,,Großes Bundesverdienstkreuz" über den Kreis um Ries, Strauß, Kohl und Schleyer erregte Aufsehen, einige der dort Porträtierten klagten, mit wenig Erfolg.

Schleyer unternahm nichts. Dem ,,Stern" erklärte er zu Engelmanns Vorwürfen:

,Warum sollte ich klagen? Es stimmt ja alles."

1987 bezeugte Engelmann in der erweiterten Neuauflage ,,Großes Bundesverdienstkreuz mit Stern", daß Schleyer in einem Gespräch mit ihm geäußert habe, er sei tatsächlich ,,ein SS-Haudegen, ein toller Hecht, auch der letzte Kampfkommandant von Prag gewesen." Dieser Kampfkommandant hatte, nach Recherchen von Engelmann Prag als mutmaßlicher Massenmörder an Frauen und Kindern verlassen. Am 5.Mai 1945, zwei Tage vor der deutschen Kapitulation, umzingelten tschechische Aufständische ein Schulgebäude, in dem sich eine SS-Abteilung verschanzt hatte, die 20 Geiseln in ihrer Gewalt hatte Ein Parlamentär handelte freien Abzug fü die Geiseln aus, gegen Garantien für die SS-Leute. Der SS-Kampfkommandant verlangte, daß man seine Frau und sein Kin aus der Wohnung herbeibringe. Sie wurden gegen die Geiseln ausgetauscht, und die tschechischen Aufständischen zogen sich vereinbarungsgemäß zurück. Am nächsten Morgen richtete die SS in unmittelbarer Nähe des Schulgebäudes ein Massaker an:

41 Menschen, unbewaffnete ältere Männer, Kinder unter drei Jahren und Frauen darunter zwei Hochschwangere, waren die Opfer.

Am 7.Mai 45, wärend in Reims die bedingungslose Kapitulation der deutscher Wehrmacht unterschrieben wurde, hatten sich die Mörder mit neuen Geiseln abermals im Schulgebäude verschanzt - es gab neue Verhandlungen mit ihrem Kommandanten. Engelmann:

,,Bei diesem - wahrscheinlich letzten - SS. Kommandanten, einem nach tschechischen Angaben etwa dreißigjährigen Manr mit Mensurnarben, soll es sich um den für das Massaker Verantwortlichen, der daran auch persönlich teilgenommen hatte gehandelt haben.'

Hanns Martin Schleyer war nach Engelmanns Ermittlungen der einzige SS-Führer auf den die Beschreibungen paßten: Er war dreißig Jahre alt, durch Schmisse gekennzeichnet, verheiratet, sein Sohn zählte sieben Monate...


Hanns Martin Schleyer stand also im Herbst 77 für folgende Funktionen:

- organisierter Faschist seit 1931
- Vorstandsmitglied von Daimler-Benz (1963)
- Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (1973)
- Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (1977)