Schwarze Katze Rundbrief 19.05.09
Die Bolschewiki haben demonstriert, wie man die Revolution nicht machen sollte.
Peter Kropotkin
1.) 19. Friedensfest in Iserlohn
umsonst und draussen
Vom 26.-28. Juni 2009 findet am Platz an der Bauernkirche das 19. Iserlohner Friedensfest statt. Diesmal steht es unter dem Motto "Kapitalisten aller Länder enteignet euch!". Infos über Bandprogramm, Kinderland, Gedenkveranstaltung und Wegbeschreibung gibt es auf der Schwarze Katze Terminseite Friedensfest 09.
2.) Schluss mit Lustig!!!
Solidarität von Unten, www.solivonunten.org
Für uns hat die Finanzkrise nicht erst im zweiten Halbjahr 2008 begonnen. Das finanzielle Desaster ist für viele Menschen bereits seit mehreren Jahrzehnten alltägliche Realität. Der einzige Unterschied heute, ist die Tatsache, dass diesmal auch die Oberschicht um ihren Wohlstand fürchten muss. Allein um ihren Wohlstand und den Erhalt des Staates zu sichern, wurde das ach so großzügige Kunjunkturpaket 2 aus dem Ärmel gezogen und zeitgleich mehr als 100 Mrd. Euro für angeschlagene Banken und Konzerne bereitgestellt.
Dabei sind es gerade jene Banken, die auf Grund von Geldgier und Missmanagement die aktuelle Finanzkrise auslösten. Selbst, wenn die Maßnahmen greifen sollten, dienen sie allein zur ökonomischen Gesundung von Staat und Großunternehmen.
Später müssen die entstandenen Schulden wieder getilgt werden. Wie immer werden wir, die bereits zu wenig zum Leben und zu viel zum Sterben haben, die Zeche zahlen müssen. Es ist leider nicht das erste Mal, dass wir ihren Karren aus dem Dreck ziehen sollen. Der Dank dafür ist Kurzarbeit, Niedriglöhne, Rentenkürzung, Hartz 4 und weitere Schweinereien, die den Politikern und Chefs zukünftig noch einfallen werden. Mit anderen Worten: Sobald deren Krise beendet ist, fängt unsere erst richtig an! Damit ist jetzt Schluss! Es ist an der Zeit diesen Unfug zu beenden. Lasst sie doch ihren Scheiß selber fressen.
Wir müssen selber sehen wo wir bleiben, also lasst uns organisieren, für ein selbstbestimmtes Leben und eine Welt ohne Klassenunterschiede, Geschlechtertrennung, Rassismus und Zerstörung der Natur. Damit meinen wir jedoch nicht den Gang zur Wahlurne, wo wir den nächsten Ausbeuter wählen, der das blaue vom Himmel verspricht. Oder den Gewerkschaftsbossen glauben zu schenken, die nur ihre Eigenen und die Interessen der Herschenden vertreten. Lasst uns statt dessen soziale Generalstreiks organisieren und die Konzerne und Fabriken besetzen. Produzieren wir nach unseren Bedürfnissen und unter unseren selbstgewählten Arbeitsbedingungen für die Interessen der Allgemeinheit, denn wir wissen selber am besten, was gut für uns ist!
Nie wieder Lohnsklaverei und Klassensysteme!
Nie wieder Gewaltherrschaft des Staates!
Für eine solidarische und freie Gesellschaft!
Dies
ist nur ein kurzer Flyer, um euch in die Ideen, die
wir, die AG Solidarität von Unten,
haben, einzuführen und über unsere Ziele aufzuklären.
Wir wollen eine bessere Welt ohne den ganzen Stress
und der Frustrationen, denen wir im Kampf um so einfache
Dinge wie einem Platz zum Leben ausgesetzt sind.
Eine bessere Welt ist möglich! Eine Weltordnung in der die Gier durch den Respekt der Menschenwürde ersetzt wird. In der wir unserer Erde gemeinsam verantwortungsvoll nutzen, statt sie auszubeuten und zu verkaufen. Im
Kampf, |
3.) 60 Jahre DDR: Kein Grund zum Feiern
Schwarze Katze, Friedensfestzeitung 2009
2009 ist Jubiläumsjahr. 20 Jahre Mauerfall und 60 Jahre Gründung der DDR. Zeit für einen Rückblick. Schauen wir uns den selbsternannten "Arbeiter- und Bauernstaat" mal genauer an: Einschränkung der Meinungsfreiheit und das Abknallen von Flüchtlingen an der Mauer waren an der Tagesordnung. Die Psychiatrie wurde im Stalinistenparadies mißbraucht, um Oppositionelle für verrückt zu erklären und unter Psychopharmaka zu setzen. Das gut ausgebaute Stasi-Spitzelsystem zeugte von einem tiefen Misstrauen der Herrschenden gegen die eigene Bevölkerung.
Auf den Müllhaufen der Geschichte
SED Bonzen konnten sich im Gegensatz zur schlangestehenden Untertanenschaft begehrte
West-Produkte leisten und genossen viele Privilegien. Sportliche Erfolge wurden oft durch
Doping und Krankheit der Sportler erkauft. DDR bedeutete Mangelwirtschaft, Bespitzelung,
Herrschaft einer kleinen Parteiclique, Bereicherung der Nomenklatura auf Kosten der Arbeiter und
Bauern, Unterstützung der RAF und anderer dubioser Nationalbolschewisten, Armut,
heruntergekommene Häuser, Gummiparagraphen wie "staatsfeindliche Hetze" und "Boykotthetze"
gegen Systemkritiker, Unterdrückung der Opposition durch Zersetzungsmassnahmen wie
Psychoterror und Todesstrafe gegen Dissidenten. Da ist doch klar, dass die DDR-Bürger, wenn mit
Bananen und Begrüßungsgeld gewinkt wird, den ungeliebten Staat auf den wohlverdienten
Müllhaufen der Geschichte werfen. Und nicht merken, dass der Westen auch seine Schattenseiten
hat. Kein Wunder, da den SED-Kadern einfach nichts mehr geglaubt wurde.
Rotlichtbestrahlung? Nein danke!
Im Kindergarten bekamen schon die Kleinen Rotlichtbestrahlung ab und in der Schule wurden sie
zu Mitläufern oder roten Tätern erzogen. Das Regime quälte in Jugendwerkhöfen den
systemkritischen Nachwuchs. Punks und andere Unangepasste wurden ebenfalls drangsaliert.
Militaristische und autoritäre Kindererziehung zerstörten das Leben vieler Menschen. Wenn die
greisen stalinistischen Betonköpfe sangen "Wir sind die junge Garde des Proletariats" dann war das
eine Lachnummer. Nichts zum Lachen hatten dagegen diejenigen, die eine eigene Meinung abseits
von staatlich verordneten Parolenschablonen vertraten.
Keine Meinungsfreiheit
Zensur, Berufsverbote und Angst, seine eigene Meinung sagen zu dürfen, prägten das Leben der
Untertanen im DDR-Unrechtsstaat. Die gleichgeschaltete Presse, vollgestopft mit Lügen und
Hetzartikeln, redete die erbärmliche Situation schön. Aber irgendwann ist Schluss. Die Wut gegen
das totalitäre Regime brach wenige Jahre nach der DDR-Gründung auf. Der Arbeiteraufstand am
17. Juni 1953 wurde durch sowjetische Panzer plattgewalzt. Mutige Bürgerrechtler forderten
erfolgreich ein Ende der Unterdrückung ein. Da half auch kein Schießbefehl und keine lügenhafte
Propaganda mehr. Das Gute an der DDR war, das sie Geschichte ist. Es gibt auch mehr positives:
Bürgerrechtler, die sich vom Stasi-Schnüffelstaat nicht schrecken liessen, Fluchthelfer, die von
Ermordung durch die roten Schergen bedroht waren und trotzdem Menschen aus dem Knast DDR
befreiten, Umweltgruppen, Sabotageaktionen und kleinere und grössere Oppositionsaktivitäten.
Buntes Leben statt graue Plattenbauten
Die immer geringer werdende Anzahl DDR-Bürger mussten in ihren grauen Plattenbauten hausen
und die russischen Besatzungssoldaten mit durchfüttern. Das gescheiterte System der marxistischen
Weltverschlechterer hielt sich durch Selbstschußanlagen, Mauermörder und Stasi am Leben. 1989
enthüllten Bürgerrechtler, dass die SED hinter der Wahlfälschung der Kommunalwahlen steckte.
Dafür wurde Hans Modrow nach der Wiedervereinigung als Wahlfälscher verurteilt. Stalinistischer
Personenkult kam ebenso wie jahrelanges Warten auf einen Trabi nicht gut rüber. Da war eher
"rübermachen" in den Westen angesagt. Ein passendes Zitat des Schauspielers Manfred Krug: "In
der DDR hat man von mir eine Weltanschauung verlangt, ohne dass ich die Welt anschauen durfte."
4.) Berliner Mauer
Schwarze Katze Fotos, 16.08.07
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Im Hintergrund: Berliner Abgeordnetenhaus |
Walter Ulbricht über die Mauer: "Das ist doch ein schönes Bauwerk." |
|
|
5.) Aufstand in Ost und West - Westberliner Autonome und die DDR
Interim # 487, 04.11.99
Untenstehender Text wurde zuerst für die Ostberliner Zeitschrift "telegraph" (Ausgabe 1/1999) zum Themenheft "10 Jahre 'friedliche Revolution'" geschrieben und dort veröffentlicht. Daher wendet sich der Text primär an ein ostberliner und in die damaligen Ereignisse verwickeltes Publikum. Trotzdem setzt er dem derzeit herrschenden Medienrummel rund um den "Mauerfall" einen anderen Blick entgegen. Die hier abgedruckte Version wurde leicht überarbeitet, insbesondere wird an einigen Stellen mehr erklärt. Der "telegraph" versteht sich als Nachfolgeorgan der in der DDR im Untergrund erscheinenden "Umweltblätter". Ihre Kritik am autoritären "Sozialismus" verstanden sie nie als Bejahung des westlichen Kapitalismus.
Am Abend des 13.12.1981 klirrten am Kurfürstendamm in Westberlin mal wieder die Scheiben. Gezielt wurden aus einer Spontandemo von etwa 200 Menschen heraus die Schaufenster der sowjetischen Fluggesellschaft Aeroflot, der polnischen LOT, der britischen BEA und der us-amerikanischen Pan Am eingeworfen - "Aufstand in Ost und West, gegen Warschauer Pakt und Nato-Pest". Beschlössen und organisiert hatte diese Demo am selben Nachmittag der westberliner Besetzerrat als Antwort auf den Militärputsch in Polen. Verwirrt schrieb die "Bild"-Zeitung am nächsten Tag von "wütenden jungen Leuten" statt der üblichen "Chaoten".
Soviel zum in Ostberliner Seitenstraßen gerne kolportierten Gerücht, "die" Westautonomen bzw. Westlinken hätten sich nie um den Osten gekümmert. Zwar wundert es mich noch heute, wie widerspruchslos diese Demo von fast allen Anwesenden auf dem Besetzerrat getragen wurde. Natürlich kann diese Aktion gegen den Militärputsch in Polen nicht wegmachen, daß es einen antiimperialistischen Flügel der Hausbesetzerlnnenbewegung und einen DKP-gesteuerten Flügel der Friedensbewegung gab. Aber uns gab es auch. Und wir 1 fühlten uns mit allen Aufständischen weltweit solidarisch. Sicher hatten wir mit den realen Menschen in Polen wenig zu tun (genausowenig wie mit den Menschen in Mittelamerika), aber wir hatten ein sicheres Gespür, wo sich Aufständische und Rebellinnen gegen Macht und Herrschaft bewegten. Und dieses Gefühl war für uns unteilbar.
Und es war nicht nur Gefühl: die anarchistische und sozialrevolutionäre Kritik an der SU war uns geläufig, die DKP und SEW uns verhaßt, und der Kampf der eritreischen Befreiungsbewegung gegen das von der SU gestützte Folterregime in Äthiopien ein Begriff. Aus dem alles lähmenden Dualismus BRD/DDR wollten wir raus. Die RAF interessierte uns als politisches Projekt wenig, auch wenn wir noch nicht wußten, daß sie zur gleichen Zeit bei der StaSi unterm Kirschbaum saß und an ihrem Frontpapier schrieb. Vielleicht gefühlsmässig ahnten. Im wohl wichtigsten Organ der Bewegung 80/81, der "radikal", wurde immer wieder positiv auf "Solidarnosc" und die Streiks in Polen Bezug genommen.
Doch nun zur DDR. Dort gab es 1980/81 eben keine Aufstände, und mit unserem reduzierten Raster suchten wir nach Mollies und Steinen. Wer keine Verwandten in der DDR hatte, kannte höchstens die Transitautobahnen und die beliebten Mitropa-Gaststätten. Die wenigen Menschen, die in diesen Jahren aus der DDR nach Westberlin kamen, liessen sich in unserer Szene wenig blicken oder verliessen diese meist nach wenigen Tagen kopfschüttelnd.
Erst zwei Jahre später, im Oktober 1983 erscheinen in der "radikal" zwei Artikel über die DDR, die beide als wesentliches Gefühl bei einem Besuch der DDR die Fremdheit beschreiben, obwohl die politischen Gemeinsamkeiten wie der Kampf gegen Militärdienst und Hochrüstung auf der Hand zu liegen scheinen. "Mauerspringer" erzählt vom Besuch einer Bluesmesse in der Erlöserkirche, "keine 500 Meter von Kreuzberg entfernt". Weil er nach ein paar Stunden wieder rüber kann, fühlt er eine Fremdheit in sich, die zur Distanz wird und verhindert, daß er sich jemanden anzusprechen getraut. Enttäuscht stellt er am Abend fest: "... ich fahr" wieder zurück, hab' die Fremdheit nicht knacken können, Spielfilmwechsel, jetzt läuft wieder Westprogramm."
Ansonsten wird beschrieben, wie Tausende diese Bluesmesse besuchen, und im Rahmen von Gottesdiensten darum gebetet wird, daß "der Herr uns die Kraft geben möge, allen Militärdiktaturen zu widerstehen, in Chile, in Guatemala und anderswo". Jeder weiss, daß mit "anderswo" Polen gemeint ist, aber dieses kleine Wort explizit in der Öffentlichkeit auszusprechen ist die Grenze, wo 1983 in der DDR die reale Bedrohung mit Knast anfängt. "Mauerspringer" ist wahrscheinlich gewohnt, bei "Anarchie als Minimalforderung" mit diskutieren anzufangen. In einem Vorspann versucht die "radikal"-Redaktion eine Parallelität in der Benutzung von Pseudonymen herzustellen: "Beide Artikel unter Pseudonym - Angst vor Moabit. In der DDR müssten sie auch ein Pseudonym benutzen - Angst vor Pankow." 2
Diese Fremdheiten beginnen sich erst ab Mitte der 80er Jahre ansatzweise aufzulösen, als immer mehr Exilanten aus Sachsen und Thüringen in Westberlin stranden, die alltagskulturell an die inzwischen entstandene autonome Szene andocken können. In manchen Klassen der SFE im Mehringhof (Schule für Erwachsenenbildung - zweiter Bildungsweg) stammt fast die Hälfte der Schülerinnen aus der DDR. Erst dadurch entstehen mehr persönliche Beziehungen. Da sie meist nicht mehr in die DDR einreisen dürfen, fahren wir für sie zu ihren Eltern und Geschwistern, Weihnachtsgeschenke und Briefe, die besser nicht mit der Post gehen sollen, abgeben, und Treffs mit ihren Freundinnen in der CSSR klarmachen.
Doch für die Allermeisten bleibt die Fremdheit. Kopfschüttelnd kommen drei Freudinnen von einer Fahrt nach Jena, Weimar und Leipzig zurück. Als zu fremd, zu eingesperrt, empfinden sie die alltägliche Lebensathmosphäre. Wir, die wir die Enge der süddeutschen Kleinstädte nicht ertragen, wie sollen wir es in Jena oder Weimar aushalten? Auch konkret politisch fällt der autonomen Linken bis Mitte der 80er Jahre nicht allzuviel zur DDR ein. Klar sind wir abstrakt gegen die Diktatur der SED, gegen Militär, militärische Disziplin und Wehrpflicht, gegen die Mauer und das Reiseverbot, doch wir finden - und meiner Meinung nach gibt es auch keinen - Ansatz zum aktiven Handeln. Da liegt Nicaragua einfach näher. Gleichzeitig genießen wir in unseren Nischen in Westberlin die kleinen Vorteile der Ost-West-Konfrontation: keine Wehrpflicht und jede Menge staatliche Subventionskohle, um das Schaufenster des Kapitalismus am Leuchten zu halten. Und welche Bedeutung die Systemkonkurrenz für die Ausgestaltung des Sozialstaats in Westdeutschland hat, erleben wir seit dem Ende der DDR.
Doch im Laufe des Jahres 1987 beginnt sich einiges zu ändern. Langsam entsteht ein neues Interesse an den Veränderungen im Ostblock, nicht zuletzt ausgelöst durch Gorbatschow. Mit seinen ambivalenten politischen Botschaften - einerseits endlich bürgerliche Freiheitsrechte auch im Sozialismus zuzulassen, andererseits den Ostblock für den kapitalistischen Weltmarkt fitmachen und das jahrzehntelange Patt zwischen Arbeiterinnenklasse und Kommunistischen Parteien aufbrechen - erweckt er auch bei uns eine irritierte Neugierde. Soll auf die zentralstaatlich gelenkte nachholende Modernisierung doch die Fabrik mit von der Belegschaft gewählten Fabrikdirektoren folgen? Sollen die Kolchosen wirklich in selbstverwaltete Genossenschaften als freie Assoziation der Bäuerinnen übergehen? Oder bereitet er nur den Ausverkauf an den westlichen Kapitalismus vor? Klar wissen wir heute, was Illusionen waren und was sich real durchgesetzt hat. Aber um die politische Ambivalenz zu verstehen, mit der wir damals den politischen Veränderungen im Ostblock gegenüberstanden, ist es wichtig, uns dies nochmal zu vergegenwärtigen. Und diese Ambivalenz durchzog und lähmte auch die Opposition in der DDR, als es darauf ankam. Revolutionen macht mensch auf jeden Fall nicht mit Ambivalenzen, sondern mit klaren Forderungen und Zielen.
Für die DDR hießen damals die realpolitischen Alternativen: Sturz der SED-Herrschaft um jeden Preis, was de fakto eine Übernahme durch den Westen bedeutete, oder ein Bündnis mit den moderaten Teilen der DDR-Eliten in Partei, StaSi, Staat und Kirche, um eine grundrenovierte DDR zu erreichen. Realpolitik ist - zum Glück - nicht unsere Stärke. Nur sollten wir uns auch dies nochmal klarmachen, wenn wir über diö Wende reden. Und nicht anderen die Schuld geben, wenn wir über unsere eigenen Füße gestolpert sind.
Beispielhaft für diese Ambivalenz auch innerhalb der DDR-Opposition ist ein Streitgespräch zwischen zwei meiner Freundinnen, S. und A., im Sommer '88 in einem Cafe am Müggelsee. Beide sind stark in der "Kirche von Unten" engagiert. S. vertritt die "vollautonome" Position des "Hau weg den Scheiß" und lebt sie auch so weit es geht. Angst hat er vor dem "Aso-Paragrafen"; vor der StaSi hat er keine Angst mehr. "Die wissen doch eh' alles" und so bewahrt er offen 50 Exemplare einer Untergrundzeitschrift in seiner Wohnung auf. A. dagegen, Studentin der Ökonomie und zumindest potentielle angehende Managerin in einem der großen weltmarktfähigen DDR-Kombinate, hofft und setzt auf eine Veränderung im Sozialismus.
Konkret haben sich, auch seit 1987 die Ausbildungsinhalte an ihrer Uni schon soweit verändert, daß in den Seminaren Klartext geredet wird; z.B. daß eine Mark der DDR auf dem Weltmarkt nur etwa 24 Pfennig der BRD wert ist. Daher agiert sie sehr viel vorsichtiger und immer am Erhalt der DDR als solcher interessiert.
Auf jeden Fall gibt es seit 1987 wieder mehr politische Kontakte in die DDR. Viele meiner westberliner Freundinnen nehmen den "Kirchentag von Unten" 1987,. mit der Androhung einer Kirchenbesetzung durch die; DDR-Opposition, wahr. Die im Vorfeld der IWF-' Kampagne 1988 neu gegründete Wochenzeitschrift "Interim" der westberliner Autonomen druckt viele Flugblätter und Zeitschriftenarztikel aus den Ostberliner Untergrundzeitschriften "Umweltblätter", "Grenzfall" und "Friedrichsfelder Feuermelder" nach.
Und in autonomen Kreisen wird manche Reise einer Geha-Druckerpatrone für die Abziehgeräte und Doppelcassettendecks 3 in den Osten organisiert; bezahlt aus den finanziellen Überschüssen autonomer Projekte und Alternativbetriebe. Nur bindet man es den "Schwatzbasen im Osten" nicht auf die Nase, sondern faselt was von Alternativer Liste (AL), etc. als Quelle. Spätestes seit Mitte 1988 war die "Interim", die "radikal" und das "Antifa-Infoblatt" in der Ostberliner Umweltbibliothek erhältlich.4 Gleichzeitig entsteht "Radio Glasnost" im Rahmen von "Radio 100" und auch bei der "taz" gibt es ab und zu eine Seite der Ostberliner Opposition.
Obiges hört sich jetzt alles sehr bauchpinselnd euphorisch an. Was ich damit sagen will, ist, daß ein gemeinsames bzw. paralleles Vorgehen gegen die Herrschenden in Ost und West nicht an technischen Problemen und Voraussetzungen gescheitert ist, sondern an kulturellen Fremdheiten im Alltag und inhaltlichen politischen Ambivalenzen auf beiden Seiten. Wie aus dem Osten uns zu recht vorgeworfen werden kann, daß die realen Unterdrücker in der DDR allzuoft verharmlost wurden, gilt dies umgekehrt aber genauso: wer schrieb denn 1988 einen Bettelbrief an IBM und andere Westfirmen, um um alte Kopiergeräte für die DDR-Opposition zu bitten? Im Buch "20 Jahre radikal" 5 schreibt dazu "Billy the kid": "Es gab Solidarität mit den kämpfenden Bewegungen im Ostblock. Aber diese Solidarität braucht erstens ein Subjekt und zweitens die Voraussetzung, daß die Kämpfenden dort sich nicht den Herrschenden hier in die Arme werfen." Diesen Satz können sich nun West- wie Ostlinke gegenseitig um die Ohren knallen.
Und dann das Problem des fehlenden Subjekts in der DDR, auf das man sich hätte beziehen können. Sicher setzte die StaSi alles daran, genau das Entstehen eines antagonistischen Subjekts (wie Solidarnosc in Polen) zu verhindern. Sie war jahrelang erfolgreich mit ihrer Strategie, den Widerstand durch mehr oder weniger freiwillige Ausreisen in den Westen ständig ausbluten zu lassen. Und als es im Januar 1988 endlich so weit hätte sein können, knickten zu viele der Akteure nach wenigen Tagen in StaSi-Haft ein und willigten in ihre Ausreise ein. Persönlich sicher nachvollziehbar, aber politisch eine Katastrophe.6
In diesen beiden Jahren vor der Wende wird der sich immer wieder neu formierende Widerstand in der DDR von "den" Westautonomen aufmerksam verfolgt. Am 25.11.88 nennt sich die "Interim" "VEB Interim" und berichtet auf zwölf Seiten über die Aktionen in Ostberlin gegen die IWF/Weltbank-Tagung, wiitschaftpolitische Diskussionen in Berlin-Friedrichsfelde und die Repression gegen Punks in Dresden. Das einleitende Vorwort endet mit dem Hinweis, daß die von 25 DDR-Basisgruppen geforderte Wählbarkeit von Direktoren und Lehrern "auch hier mal auf die Tagesordnung gesetzt werden könnte".
Ich glaube behaupten zu können, daß 1988 und 1989 sich in keiner westdeutschen Zeitschrift soviele Orginaltexte aus der DDR finden lassen wie in der "Interim". Immer ihrer Zeit voraus, spüren einige westberliner Autonome sehr wohl, daß sich im Osten eine "vorrevolutionäre Situation" zusammenbraut, wie die "Interim" am 26.10.89 schreibt. "Nur sei leider noch völlig offen, ob es in Richtung einer bürgerlichen Demokratie oder eines libertären Sozialismus kippt." Den ganzen Sommer und Herbst 1989 finden sich in der "Interim" Artikel, Beiträge und öffentliche Briefe aus der DDR und vereinzelt anderen Ostblockstaaten. Die grundsätzliche Zurückhaltung der Redaktionen der "Interim" mit eigenen Kommentierungen - in der Interim sollen die Autorinnen der Texte selbst sprechen - gilt auch für die Texte aus der DDR. Das Politikum ist, daß sie an so hervorgehobener Stelle im Heft abgedruckt werden.
Es kann also nicht behauptet werden, daß sich "die" Westautonomen nicht für die Situation im Ostblock interessierten. Wenn´s überblättert wurde, war dies ein individuelles Problem; machten aber meiner Erinnerung nach viele, weil die DDR ihnen einfach - wie oben beschrieben - zu fremd war. Eine reale Auseinandersetzung mit den Verhältnissen in der DDR hätte zuviel Anstrengung bedeutet und als Projektionsfläche für revolutionäre Träume taugte sie nun ja überhaupt nicht. Da war Nicaragua einfach exotischer.
In der Ausgabe vom 12. Oktober 1989 taucht eine Stellungnahme einer "Interim"-Redaktionsgruppe auf, die klar benennt, welche Gruppen in der DDR sie unterstützen möchte: "Keine Wiedervereinigung und Beibehaltung des gesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln (unabhängig von den konkreten Organisationsformen) sind jedenfalls für uns Grundvoraussetzungen für einen Widerstand gegen die Parteibonzen in der DDR, der nicht Gefahr läuft, direkt in die Hände der Bonner Mafia zu arbeiten." Desweiteren wird sich in diesem Vorwort explizit gegen die Einmischung durch Westmedien in die inneren Angelegenheiten der DDR ausgesprochen. Dies geschieht durch die Veröffentlichung eines "taz"-Konzepts zum 7.Oktober, die die Herausgabe eines Extrablattes planen, falls es an diesem Tag zu großen Ereignissen in Ostberlin kommt.
Von der Flüchtlingswelle des Sommers '89 werden wir genauso überrollt wie alle anderen in Westdeutschland. Was sollst du gegen Menschen sagen, die einfach auch mal nach Italien und ein Auto fahren wollen, das aus mehr als Pappe besteht. Und "richtiges Geld" verdienen. Du hast es selbst nicht in Süddeutschland ausgehalten, warum sollen sie es aus "revolutionärer Pflichterfüllung" in der DDR aushärten. Gleiche Rechte für Alle!
Den Abend des Falls der Mauer am 9. November würde ich auch heute noch als einen der glücklichsten Momente in meinem Leben und im Leben dieser Stadt bezeichnen. Ungeachtet all der politischen Implikationen, die die Maueröffnung nach sich zieht, sondern auf der rein menschlichen Ebene. Jetzt können wir uns mit den Freundinnen aus Ostberlin und der DDR auch in Westberlin treffen. Und etliche meiner aus der DDR ausgebürgerten Bekannten können seit diesem Tag Freundinnen, Geschwister und Eltern wiedersehen. Man sollte diese Ebene nicht zu gering schätzen, den daraus speist sich zu einem Teil die Dynamik der kommenden Monate.
Gleichzeitig laufen wir an den Tagen der Maueröffnung nochmal mit unserem autonomen Aktionismus zur Höchstform auf. Es gelingt uns, zusammen mit vielen anderen, Kohl und seine Bande beim Absingen des Deutschlandslieds vor dem Rathaus Schöneberg abstürzen zu lassen. Wir organisieren eine Demonstration auf dem Ku'damm am 12.11.89 mit ca 3.000 Leuten. "Die Freiheit die sie meinen, ist die der Deutschen Bank" schreien wir den hunderttausenden an den Straßenrändern stehenden DDR-Bürgerinnen entgegen. Doch die schauen uns nur völlig entgeistert wie Marsmenschen an. Real sind wir zu schwach und haben weder im Osten noch im Westen eine ausreichend im Alltag der Menschen verankerte Programmatik, um der Entwicklung etwas entgegenzusetzen.
Die "reale" Arbeiterinnenklasse der DDR entscheidet sich ganz klar für die Westmark. Warum sollen sie für 800 Mark der DDR weiter in ihren heruntergewirtschafteten Betrieben schuften, wenn es bei einer Vereinigung für die gleiche Arbeit auch 2.500 DM geben wird. "Kommt die DM, bleiben wir!" lautet die geschickte Erpressung des westdeutschen Etablishrnents, das sich aufgrund dieses Drucks für die - rein wirtschaftlich betrachtet widersinnige - sofortige Einverleibung der DDR entscheiden muß. Die ersten Pläne der Bundesregierung im Herbst/Winter 89/90 gingen noch von einem zehnjährigen Anpassungsprozeß aus. Daß sie dies einem großen Teil der Arbeiterinnen der DDR bitter heimzahlen, steht auf einem anderen Blatt.
Im Gegensatz zur Arbeiterinnenklasse der DDR spricht sich die Westünke zwar abstrakt und auf der ideologischen Ebene für den Erhalt der DDR aus. Konkret hat auch von ihnen niemand Lust für 800 Mark der DDR im Monat nach Leipzig zu ziehen und dort als Chemiewerkerin oder Verkäuferin zu arbeiten. An den grossen Entwurf des Kommunismus zu glauben, aber sich selbst nicht auf der konkreten Baustelle im Schlamm zu denken. An dieser zentralen materiellen Frage, woher sollen die Brötchen kommen, und wieviele für welche Anstrengung, scheitern wir im seit Jahrzehnten im Westen und genauso die libertären Linken im Osten. Hier zeigt sich die große Schwäche fast aller Linken: ideologiekritisch "überbelichtet", aber gesellschaftskritisch völlig "unterbelichtet". Beispielsweise geht es bei der Frage des "Rassismus" auch nicht an die eigenen Pfründe. Die aus dem Osten und Süden kommenden Menschen sind keine Konkurrenz auf dem Arbeitsmarktsegment, in dem eine "wohlgeformte" deutsche Sprache benötigt wird. Aber auf der Baustelle. Das rechtfertigt in keinster Weise, wie sich viele Menschen in der Ex-DDR gegenüber Ausländern verhalten. Aber wir sollten auch mal ab und zu unsere eigene "Klassenlage" analysieren.
Als sich die Staubwolken der Wendewirren lichten, stellen sich die Trägerinnen der Wende als genauso gesellschaftlich isolierte, persönlich meist aus dem Mittelbau der DDR-Eliten kommende, Szene heraus wie die Autonomen im Westen.
Zehn Jahre später ist es müßig, darüber zu spekulieren, was wäre gewesen, wenn ...! Würde ein Hans Modrow als Ministerpräsident der DDR 1999 anders handeln können als die ex-kommunistischen Präsidenten von Polen oder Ungarn? Mit der gleichen Ambivalenz, mit der wir uns Ende der 80er Jahre nicht für oder gegen die DDR als solches entscheiden konnten, weinen wir ihr nun eine freudige Träne nach. Einerseits sind wir endlich raus aus dem alles lähmenden Systemdualismus, und andererseits erleben wir jetzt, wie damals die Systemkonkurrenz unsere Verhandlungsposition als Menschen, die vom Verkauf ihrer Arbeitskraft leben, gegenüber den Kapitalisten gestärkt hat.
Die anstehenden Fragen einer sozialrevolutionären Bewegung in Europa hat meiner Meinung nach wenig bis nichts mit der historischen Frage nach der DDR und dem Widerstand in diesem Land zu tun. Zu verwickelt ist die Geschichte der DDR mit den stalinistischen Verbrechen und den Fehlern der kommunistischen Bewegungen, als da etwas als Vorbild zu retten wäre. Die paar positiven Mentalitätsunterschiede der Bewohnerinnen der Ex-DDR im Verhältnis zu den Ex-BRDlerlnnen wiegen sich mit den negativen auf. Die Grenze verläuft weiterhin nicht zwischen der Ex-BRD und der Ex-DDR, sondern zwischen Oben und Unten.
Benjamin
Anmerkungen:4 Dazu noch eine Bemerkung zur scheinbaren Allmacht der StaSi. Der damals benutzte Kanal nach Ostberlin wurde von der StaSi bis zur Wende nicht aufgedeckt.
5 "20 Jahre Radikal - Geschichte und Perspektiven autonomer Medien", Gemeinschaftsausgabe der Verlage Schwarze Risse, Unrast, Libertäre Assoziation und DD, Berlin 1996, Seite 37.
6 Im Übrigen erschien ein diese Ereignisse sehr kritisch aufarbeitende Artikel von Reinhard S. "Gewogen und für zu leicht befunden" in voller Länge in der Ausgabe Nummer 2 der "Interim" im Mai'88.
6.) Weg mit den Chefs!
Für den Aufbau einer freien, revolutionären Alternative der Arbeiter/innen
Internationale-Arbeiter/innen-Assoziation (IAA) zum 1. Mai 2009
Übersetzung: Anarchosyndikat Köln/Bonn, http://anarchosyndikalismus.org
Arbeiter/innen auf der ganzen Welt feiern dieses Jahr den Ersten Mai, während über ihren Köpfen eine neue Gefahr schwebt: die globale Finanzkrise. Nun, jede kapitalistische Krise ist eine Krise für die Chefs und Politiker/innen, aber eine Chance für Arbeiter/innen! Die Interessen der weltweit arbeitenden Massen stehen immer im klaren Gegensatz zu den Interessen der Herrscher/innen. Wir müssen uns dieser einfachen und grundlegenden Tatsache stets bewusst sein und sie nutzen, um unsere Befreiung voranzubringen.
Fast ein Jahrzehnt lang wurden die Grundstückspreise in den USA künstlich aufgeblasen, was schließlich zu der Immobilienkrise führte, die sich schnell auf andere Teile der Industrieländer ausgebreitet hat. Das führte im Spätsommer 2008 zu der weltweit schlimmsten Finanzmarktkrise seit der Großen Depression der 1930er Jahre. Diese Krise betrifft nun alle Regionen der Erde, ob "entwickelt" oder nicht.
Die meisten Politiker/innen und die "verantwortlichen" Kapitalist/innen versuchen nun dieses perverse System der Herrschaft des Menschen über den Menschen noch ideologisch zu retten. Sie bombardieren uns mit metaphysischen Theorien darüber, wie so etwas in ihrem hochpolierten System des Freihandels bloß passieren konnte. Sie behaupten, dass der wahre Grund für diese Krise nicht das Wesen des Kapitalismus selbst sei, sondern die Gier einiger mieser Bänker an der [New Yorker Börse] "Wall Street". Einige behaupten, dass es nicht genügend staatliche Regelungen für den "freien Markt" gäbe. Das habe dazu geführt, dass gierige Einzelpersonen das Happy End des kapitalistischen Märchens zwar leichtfertig aufs Spiel gesetzt, aber noch nicht komplett ruiniert hätten.
Andere wiederum glauben, es gäbe zu viel staatliche Einmischung: Die Bänker an der Wall Street seien gute und ehrliche Leute, aber die Politiker/innen hätten sie - in dem Versuch die Massen zu umwerben - dazu gebracht sich "unethisch" zu verhalten.
Aber wir wissen, dass alle diese Theorien Quatsch sind. Wir wissen, dass die Natur des Kapitalismus ihrem Wesen nach eine dauernde Krise ist. Ein System von Widersprüchen, das immer und immer wieder Armut und Elend hervorbringt, um eine kleine parasitäre, herrschende Klasse zu erhalten. Allein im 20. Jahrhundert gab es nicht weniger als elf große Finanzkrisen und Aktiencrashs. Wir wissen, dass der einzige Weg dieses System zu "verbessern" bedeutet, es gemeinsam abzuschaffen. Dazu müssen sowohl der Kapitalismus als auch der Staat, sowie alle auf autoritären und hierarchischen Gesellschaftsbeziehungen, die diese hervorbringen, zerstört werden. Die Arbeiter/innen auf der ganzen Erde müssen sich bewusst werden, dass nur sie allein das können und tun müssen. Denn sie sind die einzigen, die allen Reichtum der Welt produzieren - nicht die Chefs und Politiker/innen, die nur Elend hervorbringen.
Die globalen Folgen der aktuellen Krise werden für die arbeitenden Menschen schwerwiegend sein. Von 2007 bis 2008 haben weltweit 10 Millionen Leute ihren Job verloren. Für 2009 wird vorhergesagt, dass weitere 40 Millionen entlassen werden. Die weltweite Zahl der Arbeitslosen wird somit auf 230 Millionen steigen, weitere 100 Millionen werden unter der Armutsgrenze leben müssen.
Und versucht das System diesen Menschen irgendwie zu helfen? Nein, das oberste Ziel besteht darin Bürgschaften für jene Banken zu übernehmen, die uns eigentlich in diese Krise gelenkt haben. Viele Milliarden Dollar von jenem Reichtum, den wir Arbeiter/innen geschaffen haben, werden in den gefräßigen Schlund wohlhabender Bankmanager/innen und gescheiterter kapitalistischer Dinosaurier geworfen. Wie so oft zuvor, werden wir in Armut gezwungen, damit unsere Bosse in dem von uns produzierten Wohlstand leben können.
Es ist wichtig die große Gefahr zu erkennen, die daraus entstehen kann: Der Wiederaufstieg des Staatskapitalismus. Wir haben das Szenario in Vergangenheit viel zu oft beobachten können. Dies ist der Mechanismus mit dem die Chefs in Zeiten der Krise ihre Herrschaft erhalten wollen, wenn Arbeiteraufstände sie zu bedrohen beginnen. Das geschieht weltweit in Form von Verstaatlichung großer, gescheiterter Finanzinstitutionen. Die Propaganda des Kapitalismus versucht uns das als eine Art Vergesellschaftung des Kapitalismus zu verkaufen, eine Einführung des Staatssozialismus über die Hintertür. Denn sie sagen, die gescheiterten Finanzfirmen seien zu groß, um sie untergehen zu lassen, weshalb wir alle für sie bezahlen müssen. Wir stimmen zu, dass es sich dabei um Sozialismus handelt, aber um einen Sozialismus für die Bosse, während den Arbeiter/innen der gleiche alte Kapitalismus bleibt.
Zu den Problemen der Arbeiter/innen in dieser Situation gehören die autoritären sozialistischen und sozialdemokratischen Regierungen in aller Welt, die sich durch die Krise bestätigt sehen wollen. Sie sagen eigentlich alle, dass der Kapitalismus ein rücksichtsloses System sei, zu dem sie die "realistische" und "menschliche" Alternative bieten würden. Tatsächlich ist die Krise genau das, wovon [Venezuelas Staatspräsident] Chavez & Co. nur träumen konnten. Doch die Geschichte hat brutal gezeigt, dass die Diktaturen dieser Staats-"Sozialist/innen" kein Weg zur Freiheit sind.
Zu allem Übel müssen sich Arbeiter/innen in aller Welt dann auch noch mit den üblichen letzten Verfechter/innen des Kapitalismus herumärgern - den faschistischen Bewegungen, die Tag für Tag stärker werden. Faschistische Banden auf den Straßen, in den Parlamenten und Regierungen setzen bereits ihre unterdrückerische und rassistische Politik in die Tat um. Je mehr sich die Krise vertieft, umso eher können wir erwarten, dass große Teile der Kapitalist/innen sich zu einer offenen Unterstützung faschistischer Bewegungen hinwenden. In diesem Sinn wird der antifaschistische Kampf auf Grundlage basisdemokratischer Grundsätze mit direkten Aktionen als Kampfform eine immer größere Bedeutung in Zukunft bekommen.
Uns muss klar sein, dass die einzig wahre Befreiung nur aus dem antiautoritären, revolutionären Arbeitskampf entstehen kann, durch den Aufbau einer wahrhaft freien Gesellschaft, des freiheitlichen Sozialismus: der Anarchie.
Hand in Hand mit dem Kapitalismus und seiner dauernden Krise kommt der Imperialismus. Seit Mai 2008 gab es die imperialistischen Zusammenstöße in Georgien und die Massaker in Gaza. Und auch Konflikte, die unterhalb der Ebene eines Krieges geführt wurden, aber trotzdem Opfer forderten. So zum Beispiel der Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine, der dazu geführt hatte, dass im Winter 2008/2009 in achtzehn europäische Länder kein Gas geliefert wurde. Es gab ausserdem einige Strategien der herrschenden Klassen, die gescheitert sind, wie der [Europäische] Vertrag von Lissabon. Aber andererseits konnte sich die NATO, die kürzlich das 60. Jahre ihrer kriminellen Existenz erreichte, neue Staaten in ihre Militärmaschinerie einverleiben.
Ein Beispiel für unsere Möglichkeiten in diesen Zeiten waren die massiven Proteste und Aufstände in Griechenland im Dezember 2008. Nach dem grausamen Mord an dem 15jährigen Jungen Alexandros Grigoropoulos durch einen Polizisten, der Mitglied der faschistischen Organisation "Goldene Dämmerung" ist, brachen in ganz Griechenland gewaltsame Proteste von Arbeiter/innen und Student/innen aus, die fast einen Monat dauerten. Die revolutionäre Botschaft dieser Proteste war klar: Banken, kapitalistische Firmen und Staatsgebäude wurden angegriffen und niedergebrannt. Gewerkschaftszentralen, Universitäten, Schulen und andere Einrichtungen wurden von freiheitshungrigen Menschen besetzt. Aber die Proteste beruhigten sich und nun sehen wir, wie der griechische Staat sie als Vorwand benutzt, um durch die gesetzliche Verschärfung der Polizeigewalt die Gesellschaft fester im Griff zu haben.
Wir sollten daraus eine wichtige Lehre ziehen: Während die Leute in Griechenland verstanden haben, dass es für eine Revolution wichtig ist, die Kontrolle der gesamten gesellschaftlichen Einrichtungen zu übernehmen, war deutlich zu erkennen, dass es ihnen an einer klaren, organisierten, revolutionären, radikalen Perspektive als Arbeiter/innen gemangelt hat. Es ist grundlegend wichtig, eine starke revolutionäre Organisation der Arbeiter/innen zu haben, frei von jeder Autorität und Hierarchie, mit dem klaren Ziel der Zerstörung von Staat und Kapitalismus. Wenn wir diese Organisation nicht haben, werden die von vereinzeltem Widerstand geschaffen kleinen Freiräume, leicht von Faschist/innen oder autoritären Sozialist/innen überrannt und übernommen werden.
Das autoritäre System, in dem wir leben, fällt auseinander. Die herrschenden Klassen befinden sich momentan im Zustand totaler Verwirrung, während sie die Kontrolle über die Situation zu haben scheinen. Die liberale, kapitalistische, post-moderne und ideologiefreie Wirtschaft war seit dem Zerfall des [staatskapitalistischen] Ostblocks das bisherige Ziel ihrer Propaganda. Sie fordert nun ihren Tribut von ihnen. Die Herrschenden haben versucht uns glauben zu lassen, dass Ideologie und Politik der Vergangenheit angehören würden. Und die ideenlose, "freie" Marktwirtschaft sei das praktischste und bestmögliche System, was das "Ende der Geschichte" aufzeige. Viele von ihnen hatten begonnen ihre eigenen Lügen zu glauben. Ohne eine schlüssige Idee was zu ist, sind sie nun in Panik geraten und versuchen sich selbst zu retten, indem sie uns Arbeiter/innen noch ärmer und elender als bisher machen. Sie verstehen nicht, dass sie sich damit ihr eigenes Grab schaufeln.
Ihre Lügen sind einfach zu durchschauen, leichter als zuvor. Und wir müssen diese ungeheuere Gelegenheit nutzen, um eine freie Alternative zu ihrem System der Ausbeutung aufzubauen. Eine Alternative ohne Vorgesetzte und Machtgefälle, ein System in dem jede/r Einzelne und jede Gruppe wahrhaft frei sein wird, um die Möglichkeiten des Lebens in höchstem Maß auszudrücken. Ein System voller Kreativität und Ideenreichtum, voll Respekt und ungehemmter Lebensfreude, welches über Passivität, Langeweile, Stillstand, Rezession und alle "Managerkrankheiten" siegen wird.
Um diese schwere Aufgabe der Befreiung zu bewältigen, müssen wir daran arbeiten unsere Organisationen zu stärken. Wir müssen uns am Arbeitsplatz organisieren, in unseren Gemeinschaften, in allen Bereichen des Lebens, wenn wir endlich jene Freiheit erleben wollen, die die Menschheit in ihrer Geschichte gesucht hat. Die Zeit, in der wir leben, bietet die ungeheuere Chance, eine freiheitliche, revolutionäre, anarchosyndikalistische Bewegung aufzubauen, die in der Lage sein wird, die Tyrannei und Unterdrückung auf ihren Platz zu verweisen: den "Müllhaufen der Geschichte". Wir dürfen diese Gelegenheit nicht verpassen. Wir schulden es allen, die vor uns kamen. Die selbstlos für die Ideale der wahren Freiheit kämpften und starben, wie die tapferen [1887 hingerichteten] Arbeiter von Chicago, in deren Gedenken wir den Ersten Mai feiern. Und wir schulden es all denen, nach uns kommen werden.
IAA-Sekretariat,
Belgrad, 30. April 2009
Internationale-Arbeiter/innen-Assoziation (IAA) www.iwa-ait.org