A-Camp 2001 - Camp Zeitung: Debatte um Anarchie & Organisierung

Wie organisieren wir Anarchie herrschaftsfrei?

Am Dienstag nach dem Morgenplenum entspann sich eine Diskussion über die Aspekte Anarchie, Organisation und Eigenverantwortlichkeit. Anlass war ein „Pamphlet gegen eine “anarchistische“ Enthaltsamkeit“, das am Kritik-Brett aushing und auf dem Morgenplenum vorgelesen wurde:

Pamphlet gegen eine "anarchistische" Enthaltsamkeit

Vorweg: Dies ist der Versuch, mein Unbehagen ueber die hier versammelte deutsche, anarchistische Szene Ausdruck zu verleihen.
Manche können vielleicht meinen Unmut nachvollziehen, werden sich jedoch von der Art und Weise distanzieren, wie diese Kritik formuliert ist; andere hingegen werden sich von diesem Papier angegriffen fuehlen und es ein Pamphlet nennen. Das ist euer gutes Recht. Seid zurecht angepisst, denn eure Utopie ist nicht meine. Vielleicht koennten sie nebeneinander existieren, aber nicht gemeinsam erkaempft werden.Eure Anarchie ist nicht meine - euer Weg ist nicht mein Weg.

"Aber alle koennen doch fuer sich bestimmen, was Anarchie sein soll?" (Vielleicht schon mal auf dem Camp gehoert...)

Dass die anarchistische Bewegung nie eine voellig homogene (einheitliche) war und sein wird, ist schon im Konzept des Anarchismus angelegt. Dieser Umstand darf jedoch nicht dazu fuehren, Diskussionen mit dem oben genannten Spruch abzublocken, da Begriffe, die alle mit allem fuellen koennen, keinen Wert haben. Sie taugen nichts, wenn sie alles bedeuten koennen und damit gar nichts. Wenn uns daran gelegenn ist, Anarchie als politischen Kampfbegriff zu verwenden, der einer solidarischen Utopie, jenseits des verstaubten Partei- und Staatssozialismus einen Namen gibt, muessen wir diesen Begriff mit Inhalt fuellen. Meine Ausfuehrung stimmt jedoch nicht ganz. Es scheint so etwas wie eine unausgesprochene Einigkeit darueber zu bestehen, was das mit der Anarchie auf sich hat. Auf diesem Camp scheint sich eine Fraktion versammelt zu haben, fuer die die Anarchie sowas wie ein Weg zur Natuerlichkeit und einen Zustand der Natuerlichkeit bedeutet. Diese Natuerlichkeit kommt in einem quasi religioes anmutenden Gewand daher, aber ebenso verklaert, dass dies nur zwischen den Zeilen mitschwingt.

"Vielleicht klappt das ja auch so." (vielleicht schonmal auf dem Camp gehoert...)

Es scheint z.B. so etwas, wie eine natuerliche Ordnung zu geben. Alles, was der Mensch bewusst organisiert, stoert diese Ordnung und verursacht Hierarchien. Oder wie kann es sonst erklaert werden, dass hier so wenig wie moeglich verbindlich verbindlich geregelt wird? wir haben doch den Anspruch, in diesen Tagen, zumindest wurde dieser von der Vorbereitungsgruppe so formuliert, ein wenig zu experimentieren, ein bisschen unsere Utopie erfahrbar zu machen. Aber das Experiment geht in eine Richtung: Es wirtd so wenig wie moeglich organisiert, da sich nur so die natuerliche, hierarchiefreie Ordnung einstellen kann. Hier wird alles, was geht, dem Zufall (= der natuerlichen Ordnung?) ueberlassen. Besonders deutlich wird das beim Plenum. Wenn alle den Eindruck haben, dass nun alle versammelt sind, kehrt eine seltsame Stille ein. Nach einiger Zeit, wenn es naemlich dieser Person zu blöd geworden ist, kommt die Frage, ob wir nicht anfangen sollen. Kurzes Gekicher, und es geht genauso traege los. Wieso bestimmen wir nicht, wie auch immer, dafuer eine verantwortliche Person, oder waere das dann nicht anarchistisch? Ist anarchistisch, wenn es auch so irgendwie klappt?

"Wir tragen alle Schuld an dieser Welt." (vielleicht schonmal auf dem Camp gehoert..)

Von Schuld zu sprechen macht keinen Sinn, wenn keine Konsequenz folgt. Das Christentum spricht in diesem Falle gerne von Schuld und Suehne. Doch wo wird das Elend dieser Welt verortet? Natuerlich im Luxus und in den boesen Menschen, die sich nicht in Enthaltsamkeit ueben wollen. Auch hier tritt die Natuerlichkeit wieder auf. Alles, was der Mensch hervorgebrcht hat, wie zum Beispiel, Strassen, Fabriken, so alles, was wir Fortschritt nennen, ist schlecht, da es die Natur zerstoert und damit die natuerliche Ordnung. Es kommt immer wieder auf das selbe raus.
  Es gilt die Formel : Natur = gut; Mensch = Zerstoerer = schlecht. Diesen Menschen geht es aber nicht darum, Fortschrittswahn als etwas zu verurteilen, was dem Menschen selbst die Existenzgrundlage entzieht, und aus den gegenwaertigen Produktionsverhaeltnissen resultiert, sondern die Ursache wird in der Befriedigung von achso unnatuerlichen Beduerfnissen gesucht.
  Das Ganze erinnert sehr stark an die alte Leier von dem Unterdrueckungsverhaeltnis Mensch und Erde. Nur, dass es der Erde egal ist, ob sie irgendwann als verstrahlter Betonklotz ihre Runden um die Sonne dreht. Nur uns darf dies nicht egal sein.

"Luxus und Wohlstand fuer alle organisieren! Hoch die Anarchie"


Die darauf folgende Diskussion bewegte sich auf mehreren Ebenen. Es ging sowohl darum, wie wir uns das Camp gestalten, als auch darum, wie wir ganze Städte und Regionen organisieren können.

Wir diskutierten in diesem Zusammenhang aber auch den wichtigen Aspekt der Eigenverantwortlichkeit. Einige waren der Meinung, dass manche diesen Begriff oftmals nur zur Verschleierung einer mehr oder weniger kultivierten Unverbindlichkeit heraus benutzen. Andere wiederum sagten, dass, wenn wir uns nicht mal auf dem A-Camp den Raum für eigenverantwortliches Handeln nehmen, würden wirunsere eigenen Ansprüche an herrschaftsfreiem Handeln aufgeben.
  Es wurden mehrere Beispiele diskutiert, an denen diese beiden Positionen deutlich werden: Wer vermittelt z.B. den Neuangereisten die notwendigen Basisinfos wie, dass keine Zigarettenkippen weggeschmissen werden sollen, weil die Hühner dadurch draufgehen können? Sollen wir das verbindlich organisieren oder sind wir eigenverantwortlich und offen genug, dass dies von alleine klappt?
  Wie können wir auf eigenverantwortliches Handeln vertrauen, da wir in dieser Gesellschaft aufgewachsen und von ihr geprägt worden sind? Sind wir in diesem Punkt wirklich besser, oder haben wir nur den Anspruch besser zu sein?
  Letztendlich wird sich dieses Problem nicht wirklich aus der Welt diskutieren lassen und so ist als Ergebnis wohl festzuhalten, dass die konstruktiven und solidarischen Auseinandersetzungen darüber der notwendige Umgang damit ist.

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