Dannenberg, Mittwoch, 26. Februar 1997, morgens gegen 4.30 Uhr. Wir erreichen das Blockadecamp in Sichtweite der Landstraße, die als Castorroute vorgesehen ist.
Viele Lagerfeuer erhellen die kalte Nacht, Tausende von Menschen drängen sich auf dem von den Bauern freigegebenen Feld zwischen Camp und Straße, auf der 30 cm hoch Stroh liegt. Zum Schutz gegen die Kälte in das Stroh vergraben, lagern dort dicht an dicht Menschen; einige schlafen noch, andere diskutieren leise. Es herrscht eine gespannte und konzentrierte Atmosphäre. An unzähligen Stellen auf den Feldern verteilen Bauern frisches Brot und Tee. Menschen jeden Alters stehen in kleinen Gruppen zusammen; wir gesellen uns dazu, erst einmal ein heißer Tee und Kontakt knüpfen.
Plötzlich flammt weit vorne ein Licht auf, Scheinwerfer und Wasserwerfer der Bereitschaftspolizei - es geht los. Wir gehen auf die Straße und setzen uns dazu. Was wird passieren?
Die Lautsprecher beginnen die Diskussion. "Hier spricht die Polizei, bitte räumen sie jetzt die Straße!" "Hier spricht X-TAUSEND MAL QUER, wir bitten die Polizei, ihre Wasserwerfer abzuziehen. Sie müssen diesen Job nicht machen. Hier spricht X-TAUSEND MAL QUER, an alle DemonstrantInnen, bitte bewahrt Ruhe und Besonnenheit, bleibt friedlich." "Hier spricht die Polizei, wenn sie die Strasse jetzt nicht räumen werden die Wasserwerfer und einfache körperliche Gewalt gegen sie eingesetzt".
Im Scheinwerferlicht werden die Wasserwerfer sichtbar, wir rücken noch näher zusammen. Die Menschen auf der Straße scheinen gut vorbereitet. Sie hatten sich Tage vorher im Blockadecamp auf den psychologischen Druck vorbereitet.
Als die ersten tropfnassen Leute zähneklappernd von vorne zurückkehren, werden sie gleich gefragt: wie schlimm ist es? Offensichtlich keine blutenden Verletzungen, nicht einmal blaue Augen. "Bleibt einfach ruhig, bleibt einfach sitzen, ist nicht so schlimm". Aufatmen, aber auch betretene Stille bei den Blockierenden, hoffentlich dauert es noch lang bis sie hier sind, vielleicht kehren sie ja doch um oder verschieben die Fahrt.
Die durchnäßten Menschen klettern auf die Anhänger der wartenden Traktoren und werden von den Bauern ins Camp gefahren, dort warten trockene Kleider, heisse Suppe und wärmende Feuer. So vergehen die nächsten 5 Stunden. Plötzlich rücken von der anderen Seite ebenfalls Wasserwerfer an und beginnen auch von dort die Bürger zu besprühen.
Als sich die beiden Polizeitruppen treffen ist es 12 Uhr. Der Castor hat für einen guten Kilometer Strecke 5 1/2 Stunden gebraucht. Drei in den Bäumen festgekettete Menschen halten ihn weitere zwei Stunden auf, nachdem sie mit Wasserwerfern nicht "heruntergeschossen" werden konnten. Um 14 Uhr passiert der Castor schließlich die Blockadestelle Dannenberg.
Wir haben den Castor diesmal nicht verhindern können, aber allen Beteiligten ging dieses Erlebniss unter die Haut. Auch wenn der Großteil der Medien mit der gewaltanheizenden Berichterstattung über Schlagerchaoten auf beiden Seiten bewußt oder unbewußt den Atomlobbyisten in die Hände spielte, so haben wir doch einen guten Erfolg erzielt. Wenn wir diesesmal nur 10.000 Menschen waren, die sich aktiv wehrten, so werden wir nächstes Mal 20.000 oder 30.000 sein.
Unser Leben, dieses Land und die Zukunft unserer Kinder ist uns wichtig. Tschernobyl ist nicht vergessen und wir wissen alle, daß es Alternativen gibt.
Zukünftig müssen wir auch den Widerstand rund um das Zwischenlager in Ahaus unterstützen und verstärken. Die politisch Verantwortlichen glauben, dort sei die Einlagerung einfacher und ein Protest wie in Gorleben nicht zu erwarten. Sie wollen daher das Zwischenlager in großem Stil ausbauen. Zur Zeit lagert in Ahaus vor allem verseuchtes Material aus den abgeschalteten Reaktoren Hamm-Uentrop und Würgassen. Zukünftig sollen auch Castorbehälter aus Frankreich und England und selbst hochangereicherte, betriebsfertige Brennelemente dort eingelagert werden. Anscheinend ist auch der Bau einer Konditionierungsanlage vorgesehen - oberirdisch wie die ganze Anlage und daher mit hohem Strahlungsrisiko.
Wir fordern:
- keine weiteren
Atomtransporte über oder durch unser Land
- Belassen verbrauchter
Brennelemente und kontaminierten Materials auf dem Gelände der
Kraftwerke,
- Ausstieg aus der Atomenergie auf allen Ebenen und
schnellstmögliche Abschaltung aller der Stromproduktion dienenden
Kernreaktoren
Erst wenn die Reaktoren abgeschaltet sind, lohnt es an eine Endlagerung zu denken (nur ein abgeschalteter Reaktor ist ein sicherer Reaktor, bisher gibt es kein sicheres Endlager).
Ungehorsam, phantasievoll und gewaltfrei gegen die atomare Verseuchung! X-TAUSEND MAL QUER für ein strahlenfreies Gorleben und ein strahlenfreies Ahaus.
Bernhard