Dannenberg, den 12. November 2003
Das Komitee für Grundrechte und Demokratie hat wiederum den Transport von hochradioaktivem Müll in das Zwischenlager in Gorleben zum Schutz der Grundrechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit mit Demonstrationsbeobachtungen begleitet. Die vielfältigen Beobachtungen werden in den nächsten Tagen zusammengetragen und ausführlicher geschildert. Ein erstes Resumee ziehen wir kurz nach Ende des Transportes:
- Ein breiter und vielfältiger friedlicher Protest ist in diesen Tagen im Wendland sichtbar geworden. Immer wieder nahmen die Bürger und Bürgerinnen trotz Demonstrationsverbot per Allgemeinverfügung und trotz polizeilicher Belagerung ihr Recht auf Versammlungsfreiheit wahr. Und sie taten dies ausnahmslos gewaltfrei. Auffallend viele junge Leute waren diesmal dabei und nahmen sich dieses Recht selbstbewusst und unerschrocken, trotz angedrohter polizeilicher Gewalt und winterlicher Kälte.
- Der polizeiliche Umgang mit den vielfältigen Versammlungen machte die Lügen der Allgemeinverfügung offensichtlich. Selbst die Polizei sprach von einem sympathischen und friedlichen Protest. Entgegen den Ankündigungen in der Allgemeinverfügung, die mit den drohenden massenhaften Gewalttaten begründet wurde, machte das tatsächliche polizeiliche Verhalten deutlich, dass Versammlungen entlang der Transportstrecke möglich und polizeilich zu bewältigen sind. Zu befürchten ist nur, dass diese friedlichen Sitzblockaden in der nächsten Allgemeinverfügung wieder zu Gewalttaten umdefiniert werden.
- Die Auflösungen von Sitzblockaden verliefen in manchen Fällen - vor allem in Rohstorf - mit unverhältnismäßiger Gewaltanwendung und vielen Verletzungen, in anderen Situationen ruhig und besonnen.
- Die Unverhältnismäßigkeit des gesamten Einsatzes verbirgt sich aber hinter dieser geschönten Oberfläche und lässt die Aushöhlung der Demokratie erst beim genauen Blick kenntlich werden. Es fängt an bei der unverhältnismäßig hohen Zahl von Polizeibeamten, die einen ganzen Landstrich in ein belagertes Land verwandeln. Und es hört längst nicht auf bei dem Einsatz von verdeckten Ermittlern, bei mutmaßlichen Telefonüberwachungen und Bespitzelungen. Zur "freiwilligen" Beendigung einer Sitzblockade wurde - vergeblich - mit massivster polizeilicher Gewalt gedroht. Traktoren, die seit Samstag außerhalb der Verbotszone zu einer Kunstaktion genutzt und zu einem X gestellt worden waren, wurden kurzerhand beschlagnahmt. Und da dies nicht ausreichte, wurde das Gelände ebenfalls beschlagnahmt und von der Polizei für ihre Zwecke genutzt. Einige derjenigen, die in Gewahrsam genommen worden waren, wurden entgegen kürzlichen Urteilen über die Notwendigkeit der sofortigen richterlichen Vorführung, über 19 Stunden im Knast behalten ohne einen Richter zu sehen.
Diese für den ersten Blick verborgenen Aspekte des Atomstaats gilt es in den nächsten Wochen genauer aufzuarbeiten, um Robert Jungks "Atomstaat" nicht Wirklichkeit werden zu lassen.
Für die Beobachter und Beobachterinnen
gez. Elke Steven