Anarchistischer Block beim Tschernobyl Jahrestag am 26.04.07 in Minsk
Autonome Aktion Minsk, 08.05.07, Übersetzung: Schwarze Katze

Als die Tschernobyl Demonstration um 18 Uhr in Minsk auf dem Yakub-Kolsa-Platz starten wollte, wurde sie von der Polizei blockiert.

Die Behörden waren so vom Protest ihrer Untergebenen erschreckt, dass diese sich nicht auf dem größten Platz der Stadt zusammenfinden durften. Die U-Bahn Stadion "Yakuba Kolossa Platz" war ebenso geschlossen, wie die Busse ihre Haltestellen umfahren mussten – dies war natürlich ein Ärgernis für alle Anwohner. Um 18.30 Uhr begann eine Kundgebung in der naturwissenschaftlichen Akademie, welche an diesem Ort von den Behörden erlaubt wurde.

Liberale Oppositionsgruppen (MF, "Bunt", BNF, OGP) waren mit ihren üblichen Flaggen und Parolen anwesend. Die Anarchisten hatten wie üblich ihren abgesonderten Block in der Nähe der Straße am Platz und ihre schwarz-roten Fahnen wehten.

Während der Kundgebung terrorisierte die Polizei die anwesenden Personen durch einen Lautsprecherwagen. Sie verbreiteten die Fehlinformation, das Treffen sei "illegal" und es solle aufgelöst werden. Falls sich die Personen nicht an diese Anweisung hielten, würde "körperliche Gewalt und spezielle Waffen benutzt". Jedoch haben die Leute längst gelernt mit diesem psychischen Druck umzugehen, denn es war nicht das erste Mal, dass die weißrussischen Behörden ihn benutzten, und niemand wurde eingeschüchtert.

Um 19 Uhr bewegte sich die Demonstration in Richtung Bangalore-Platz. Ungefähr 80 Leute hielten sich im anarchistischen Block auf, doch bedauerlicherweise schien der anarchistische Block zu aufgelockert und unorganisiert. Alle Anarchisten trugen Binden mit dem Zeichen der radioaktiven Strahlung. Dies ließ sie organisierter auftreten und diente dazu, die Demonstranten nicht unterscheiden zu können.

Auf der Demonstration wurden folgende Parolen von Seiten der Anarchisten gerufen:

"Es gibt keine friedliche Atomkraft, das weiß doch jedes Kind", "Kein zweites Tschernobyl", "Keine Reaktoren!" "Keine Reaktoren, keine Strahlung!".
Außerdem traditionelle anarchistische Parolen:
"Gummigeschosse und Tränengas, ein Geschenk vom Präsident für die Arbeiterklasse"
"Hebt die schwarze Fahne höher, der Staat ist der Hauptfeind!"
"Brennt die Mächtigen nieder!"
Die Parolen wurden von Trommelschlägen begleitet.

In der Surgeon Straße provozierte OMON einen kleinen Kampf. Am Rande der Demonstration befahl die Polizei mit ihren Lautsprecherwagen den Menschen, sie dürften den Bürgersteig nicht verlassen um auf die Straße zu gehen. Da sich jedoch 5.000-6.000 Demonstranten einfanden, war die Einhaltung dieser Aufforderung nicht möglich. An manchen Stellen griffen die Behörden gemäß ihres Versprechens zu "körperlicher Gewalt", außerdem verschossen sie eine kleine Menge Tränengas. Auf den Bannern der Anarchisten waren folgende Sprüche zu lesen:

"Hände weg von den Unterstützungsleistungen für Tschernobyl Opfer"
"Nicht gefährlich? Baut den Scheiß unter euren Häusern!"
"Atomkraft kann nicht friedlich sein"
"Nicht noch ein Tschernobyl"
"Nur Tote haben keine Angst vor Strahlung" und "Für alternative Energie".


Die Anarchisten hinterließen außerdem eine kleine Nachricht auf einer Polizeikarre.

Am Ort des offiziellen Treffens nach der Demo standen wir mehr als 10 Minuten. Wir verteilten Flugblätter.
Der KGB kesselte uns ein, aber als wir uns gut organisiert fortbewegten, gelang es ihnen nicht einen einzigen von uns zu ergreifen.

Die Stärke der Anarchisten bestand im lebhaften Verhalten und Auftreten, welche ihnen half sich auf positive Weise vom Rest der Demo zu unterscheiden. Unsere Slogans waren auch aktueller und Themenbezogener als das "Lang lebe Weißrussland" der liberalen demokratischen Opposition. Ich hatte den Eindruck, dass sie nichts anderes schrieen. Viele junge Leute begaben sich von der Hauptdemonstration zum anarchistischen Block, weil dieser viel lebhafter war.

Unser Fehler war, dass wir zu zerstreut waren und uns gutes öko-anarchistisches Informationsmaterial fehlte.

Im Allgemeinen war unsere Rolle freilich wichtig und wir taten unser Bestes. Die Hauptsache ist, nicht auf dem aktuellen Stand der Organisierung stehenzubleiben, sondern uns vorwärts zu bewegen und soziale und ökologische Probleme in Verbindung mit Tschernobyl anzusprechen.

Wir sollten es den bürokratischen Parteien nicht überlassen, die Tschernobyl Demonstration in einen langweiligen Marsch zu verwandeln. Dieser Tag bedeutet für uns eine Erinnerung an die Verantwortung gegenüber der Natur und zu zeigen, dass ein Leben in Harmonie mit der Umwelt mit den Bedingungen des Kapitalismus, in dem der Profit mehr zählt, als das menschliche Leben und die Natur, nicht möglich ist.


Belarus: Anarchist_innen und Tschernobyl-Tag
Die Menschen in Belarus haben am meisten an der Tschernobyl-Katastrophe gelitten. Zum Gedenktag am 26. April 2007 rufen belarussische Anarchist_innen zur Teilnahme an einer Massendemo auf - insbesondere gegen den Bau eines neuen Atomkraftwerkes und gegen die Kürzungen der Unterstützung für die Opfer. Unter den Bedingungen in Belarus ist die Teilnahme an Massendemos fast die einzige Möglichkeit, ohne Verhaftung eine politische Aktion zu machen. Diesmal hoffen die Aktivistis in Belarus auf ganz viele internationale Teilnehmer_innen, die die (noch) kleine und schwache Anti-Atom-Bewegung dort unterstützen.

Anarchistischer Aufruf zu den Protesten am Tschernobyl Tag
Minsk, Belarus, 26.4.2007

Vor 21 Jahren, am 26. April 1986, ist der Reaktor im Atomkraftwerk von Tschernobyl in der Ukraine geschmolzen. Die Bewohner_innen Weißrusslands waren es, die am meisten an diesem größten Atomunfall in der Geschichte der Menschheit gelitten haben.

Seit den 80ern organisiert die "national-liberale" Opposition zum Regime von A. Lukaschenko eine jährliche Demonstration - "der Tschernobyl Weg". Das Ziel dieser Demo ist es, die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Folgen der Katastrophe zu lenken. Die Regierung soll dafür kritisiert werden, seit Jahren die Verringerung und Auflösung dieser negativen Folgen zu vernachlässigen.

Seit 1986 haben Anarchist_innen an dieser Demo teilgenommen – aber immer in einem separaten Block und mit eigenen Slogans. Ziel der anarchistischen Teilnahme ist es, die Aufmerksamkeit auf die Probleme zu lenken, die die Führer der Opposition am wenigsten interessieren. Zum Beispiel auf das Problem des "Tschernobyl-Revisionismus" - der bewussten Ignoranz oder Herunterspielung der Folgen der Katastrophe. Daran ist nicht nur das Lukaschenkoregime beteiligt, sondern auch die internationalen Organisationen, die Weißrussland "helfen" (UNO-Vertreung in Belarus, Weltbank, IAEA). Die Hauptthemen der anarchistischen Mobilisierung sind in diesem Jahr der Protest gegen die Regierungspläne, ein neues Atomkraftwerk zu bauen, und gegen die Abschaffung der Zuschüsse und Beihilfen für die Opfer der Tschernobyl-Katastrophe.
Es ist auch eine Gelegenheit, Infos über alternative und dezentrale Formen der Energieversorgung zu verbreiten.

Vor einem Jahr, zum 20. Jahrestag der Katastrophe, bildeten etwa hundert Anarchist_innen mit radikalen Sprüchen und Plakaten einen großen Gegensatz gegenüber dem langweiligen und abstrakten Protest der "traditionellen" Opposition. In diesem Jahr planen wir wieder mindestens hundert Menschen zur Teilnahme am anarchistischen Block zu mobilisieren.

Wir laden alle Menschen aus Ost-, Mittel- und Westeuropa ein, sich an unserer Aktion zu beteiligen!

Warum ist es wichtig?

AM 1. Dezember 2006 hat Alexander Lukaschenko den Bau eines neuen Atomkraftwerkes in Belarus angekündigt. Zur Zeit finden Ortserkundungen für das Akw statt sowie Verhandlungen mit russischen und französischen Versorgungsfirmen für die notwendige Technik. Der Bau des Kraftwerks soll 2008 beginnen. Gerade jetzt ist die beste mögliche Gelegenheit, diesen Prozess aufzuhalten, und das ist es, was die weißrussischen Anarchist_innen und eine Anzahl weiterer Gruppen vorhaben.

In all den Jahren der Regierung Lukaschenko wurden die Rechte der Tschernobylopfer immer wieder missachtet. Das Umsiedlungsprogramm für die Bewohner_innen der radioaktiv verseuchten Gegenden wurde gestoppt. Die Gesundheitsversorgung der Opfer wird immer schlechter. Die Zuschüsse und Beihilfen für die Opfer und für diejenigen, die an der Beseitigung der Folgen beteiligt waren – Unterstützungen die gesetzlich festgeschrieben waren – werden verringert oder abgeschafft. Mehr und mehr hören wir offizielle pseudo-wissenschaftliche Behauptungen, dass alle Krankheiten der Opfer auf mentale Aspekte zurückzuführen seien und nicht auf den konstanten Einfluss der Strahlung.

Wir lehnen den "Tschernobyl-Revisionismus" und die Kürzung der sozialen Garantien für die Opfer entschlossen ab.

Als letztes möchten wir gern über Alternativen zur zentralisierten Atomenergie sprechen und die Idee dezentraler Alternativen bekannter machen, die in der Lage sind, die gegenseitige Stromabhängigkeit der verschiedenen Regionen zu beenden. Wir wollen Initiativen bilden, die alternative (kleine, ökologische und industriell effektive) Energiequellen nutzen.

Warum nehmen wir an den Aktionen der "National-Liberalen" teil?

Wir sind keine Verbündeten von Nationalisten und Liberalen, wir teilen nicht ihre Visionen für die Zukunft Weißrusslands, nicht ihre strategischen Ziele und nicht ihre Methoden politischer Aktivität. Aber wir fühlen uns solidarisch mit allen Opfern der Repression aus politischen Gründen, unabhängig von ihren Meinungen, und wir unterstützen Forderungen oppositioneller Menschenrechtsorganisationen wie Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Organisationsfreiheit.

Das politische Klima ist jeglicher sozialen und zivilgesellschaftlichen Aktivität gegenüber feindlich, insbesondere wenn es um Straßen- und Direkte Aktionen geht. Unter den Bedingungen in Belarus ist es nicht effizient kleine Aktionen zu organisieren, die nicht länger als fünf Minuten dauern würden. Kleine längere Aktionen auf Plätzen voller Menschen werden fast immer brutal auseinandergetrieben, die meisten Beteiligten verhaftet. Nur Massendemonstrationen ermöglichen es uns, die generelle Festnahme aller Aktivist_innen zu vermeiden. Deshalb nehmen Anarchist_innen an Aktionen der "national-liberalen" Opposition teil.

Wir nehmen auch an solchen Aktionen teil weil zumindest die Menschen auf der Demo selbst unsere Message sehen werden (und das sind gewöhnlich mehrere tausend, wenn nicht zehntausende Menschen); Passant_innen und vorbeifahrende Autos werden ebenfalls unsere Transparente sehen. Es wäre schändlich sich eine solche Gelegenheit zur Verbreitung unserer Ideen entgehen zu lassen.

Warum ist euer Kommen wichtig für uns?

Die Anti-Atom-Bewegung in Belarus und erst recht die sozialen Bewegungen der unmittelbarsten Opfer von Tschernobyl sind sehr schwach und isoliert. Die reelle Erfahrung internationaler Solidarität (und nicht nur humanitärer Hilfe) kann uns wirklich helfen. Die Teilnahme von ausländischen Aktivist_innen würde den belarussischen Anarchist_innen ein Gefühl freundschaftlicher Unterstützung geben, sehr wichtig in den gegenwärtigen harten Zeiten. Außerdem kann internationale Unterstützung unserer Aktion das Interesse örtlicher und ausländischer Medien an unserer Aktion vergrößern und uns helfen, auf diese Weise anarchistische Ideen zu transportieren.

Passt auf eure Sicherheit auf!

Wir werden unser Bestes versuchen, um die Hände von "Gesetz und Ordnung" von unseren Gästen fernzuhalten, aber hier kommen ein paar Ratschläge die ihr beherzigen solltet.

Versucht keine besondere Aufmerksamkeit auf euch zu ziehen wenn ihr über die Grenze kommt (das ist nicht so wichtig wenn ihr von der russischen Seite kommt, da es dort praktisch keine Grenzkontrollen zwischen Russland und Belarus gibt). Denkt euch einen "harmlosen" Grund für eure Reise aus, den ihr bei der Kontrolle angeben könnt, wenn ihr gefragt werdet. Tragt keine Zeitschriften oder andere Sachen mit euch die mit Anarchist_innen oder anderen oppositionellen politischen Aktivitäten in Verbindung gebracht werden können, bevor die Aktion beginnt. Tragt keine auffällige Kleidung in der ganzen Zeit die ihr in Belarus verbringt.

Es ist möglich, dass die Polizei versuchen wird, Ausländer_innen zur Verhaftung abzusondern. Wir werden alles versuchen, euch davor zu bewahren, aber ihr solltet darauf vorbereitet sein ein paar Tage unter Arrest zu verbringen wenn etwas schief geht.

Wir werden den repressiven Staatsapparat in den Müll befördern! Atomkraftwerke werden nie wieder in Belarus gebaut! Zusammen werden wir gewinnen!

Alle unsere internationalen Gäste werden kostenlose Übernachtungsmöglichkeiten in Minsk bekommen. Bringt Schlafsäcke und Isomatten mit. Ihr werdet eine Rechtshilfe-Telefonnummer bekommen wenn ihr uns per Mail kontaktiert.

Wenn ihr Freund_innen in Belarus habt, bitte schreibt ihnen um unsere Arbeit zu verringern.

Der anarchistische Block auf der Demo zum Tschernobyl-Tag wird organisiert von Autonome Aktion, Föderation der Anarchist_innen in Belarus und anderen Anarchist_innen.