Es ist schwierig, Pornos als Endprodukt einer Industrie wie jeder anderen zu sehen und anzugreifen. Zu tief sitzt das Gefühl, dass es womöglich doch um Sexualität geht, obwohl es uns abstößt. Zu pervers ist die Vorstellung, selber dort zu sitzen und sich anzubieten. Zu eklig die Vorstellung, sich angaffen, angrabschen zu lassen. Ärger steigt auf - wir müssen uns täglich wehren, und die Frauen bieten sich an. Wir werden von den selben Augen abgetastet, von den selben Händen angegrabscht. Aber so einfach ist es nicht ! Ein neuer Gesetzentwurf liegt auf dem Tisch. Diesmal nicht von Regierenden zur Senkung der Sozialabgaben, zur Verwendung der Arbeitslosenversicherung zur Senkung des Haushaltsdefizits, oder zur steuerlichen Begünstigung der finanziell Begünstigten. Nein, diesmal kommt er von "Emma" und soll Pornographie verbieten bzw. einschränken. Der Gesetzentwurf wurde allen Abgeordneten des Bundestages zugestellt. Die weiblichen Abgeordneten wurden zudem aufgefordert, sich "Über alle Parteigrenzen hinweg" für das Anti-Pornographie-Gesetz einzusetzen.
Die Gründe für einen Vorstoß gegen Pornographie liegen vor unseren Augen: Die zunehmende Darstellung-, von Gewalt, Unterdrückung, Erniedrigung, Misshandlung gegen Frauen in Pornos. Ein System, das praktisch: alles bis hin zu unserer Phantasie; zur Ware macht, hat dies längst auch mit der Sexualität gemacht. Im harten Konkurrenzkampf um Marktanteile besteht auch in der Pornographie der Zwang, ständig neues, ausgefeilteres, absurderes zu produzieren. Selbstverständlich basiert das Marketing der Porno-ProduzentInnen sowohl auf der Schaffung neuer Bedürfnisse, als auch auf der Ausnutzung bereits vorhandener. Und auch die von der Porno-Industrie vorgefundenen, profitabel zu nutzenden Bedürfnisse haben ihren Ursprung nicht in Männern/Menschen an sich, nicht in ihrer "Natur", sondern sind Ergebnis Jahrtausende alter, patriarchaler Kultur.
Pornographie ist insofern kapitalistischer Ausdruck des Patriarchats. In ihr wird Verfügbarkeit und Benutzbarkeit der Frau bis hin zur offenen Vergewaltigung und Zerstörung als Lustgewinn an Männer und manchmal auch an Frauen verkauft. Im historischen Kontext ist dies die Fortsetzung eines Unterdrückungsverhältnisses, das sich durch die uns bekannte Geschichte von den Kulturen des Altertums über die Hexenverbrennungen des Mittelalters bis zur Reduktion der Frau als Mutter und Seelenheilerin in der Auffassung unserer Eltern wie ein roter Faden zieht. Diese Geschichte der Frauenunterdrückung verläuft parallel zur Entwicklung und permanenten Rekonstruktion der Herrschaft, der Macht, der unterdrückerischen Arbeitsteilung, der Staatlichkeit.
Unter diesem Gesichtspunkt wird die Entwicklung der Frauenunterdrückung in der jüngeren Geschichte in ihren äußerlich unterschiedlichen, teilweise scheinbar gegensätzlichen Formen als Kontinuität sichtbar: Von der Ausbeutung der Frau als unbezahlte, abhängige Reproduktionsarbeiterin (Hausarbeit, Seelenmasseurin des Mannes), über die Benutzung der Frau als billigste Produktionskraft (bis heute primär in Niedriglohngruppen beschäftigt), über den NS-Mütterkult, der sie auf ihre Funktion als Nachwuchsproduzentin für die Kriegsmaschinerie reduzierte, bis zur Darstellung unterworfener, gequälter, zerstückelter Frauen in der Pornographie als Ventil für Herrschafts- und Unterdrückungsphantasien fremdbestimmter Männer.
Die Vielschichtigkeit des Problems, das mit dem Fordern nach einem Anti- Porno-Gesetz verbunden ist, wird deutlich, wenn man sich die unterschiedlichen Funktionen der Pornographie vor Augen führt: - Scheinausbruch aus dem monotonen Alltag. Durch Pornos wird versucht, den öden, langweiligen Arbeitsalltag aufzulockern. Das führt dazu, dass - Sexualität zum reinen Abreagieren, zur Triebbefriedigung als Puzzleteil in unserer Fabrikgesellschaft degradiert wird. Als Institution mit patriarchalem Charakter, die der optimalen Reproduktion der menschlichen Arbeitskraft gilt. Sexualität wird genauso bestimmt, wie unser Alltag. Individuelle Erotik, Zärtlichkeit, Bedürfnisse und Unterschiedlichkeit haben in dem Rahmen der genormten Sexualität keinen Platz. - Damit werden Pornos gleichzeitig zum Scheinausbruch aus der staatlich diktierte Kleinfamilie/Ehe. Sie bieten für eine Weile scheinbare Abwechslung vom gewohnten Ehealltag, den visuellen Seitensprung z.T. im gemeinsamen Einvernehmen. Gleichzeitig sind die Menschen in den Darstellungen austauschbar, bekommen Warencharakter (sie dienen ja nur der Abwechslung), und auch das setzt sich fest. - Die Austauschbarkeit, der Warencharakter gliedert sich in die gesellschaftliche Wegwerfmentalität ein. Darauf wird in den Filmen bewusst hingesteuert, denn nur so können sie überhaupt einen Unterhaltungswert besitzen. In dieser Kombination wird psychologisch vermittelt, dass Unterhaltung, Abwechslung nur dann entstehen kann, wenn möglichst viele, beliebig austauschbare Personen zur Verfügung stehen. Das Bild der ewig willigen Frau und das des ewig potenten Mannes frisst sich ein, wird zum gesellschaftlichen Maßstab. Das Bild der unterworfenen Frau kann zum Teil im Porno durch das der dominierenden Herrscherin zurechtgerückt werden. Der Frust über eigene Impotenz zum Teil in Vergewaltigungsszenen.
Die Pornoindustrie als ein Zweig des Kapitalismus schafft einen nicht endenden Kreislauf. Bedürfnisse werden den Verwertungsbedingungen entsprechend geschaffen und in die verwertbarste Richtung gelenkt. Daran entsteht dann eine Doppelmoral: Z.B. mit Wohngemeinschaften wird automatisch Gruppensex assoziiert und verteufelt, im Schlafzimmer läuft stattdessen Rudelbumsen als Porno.
In ihrem Kommentar zu dem Gesetzentwurf schlägt sich Alice Schwarzer mit den Widersprüchen, den Ungereimtheiten unter Frauen herum: "...die Erotik der Frauen selbst ist ja nicht frei von all dem, sie ist ganz einfach auch Produkt der herrschenden Verhältnisse -und damit keineswegs immer auf der Höhe feministischer Erleuchtung. Das gilt für Nicht-Feministinnen wie für Feministinnen. Mit diesem Widerspruch müssen (manche) Frauen leben: Sie kämpfen gegen eine Verachtung und Erniedrigung, die so manches Mal sogar unter ihrer eigenen Haut sitzt, zur Selbstverachtung und Selbsterniedrigung umschlägt. Auch und gerade erotisch...".
A. Schwarzer spricht Frauen quasi die Kompetenz ab, sich mit Pornographie auseinander zusetzen, da sie inzwischen so fremdbestimmt sind, dass sie alleine nicht mehr auseinanderhalten können, was an ihrer Lust erotisch (selbstbestimmt) und was Produkt des Patriarchats (fremdbestimmt) ist. Frau kann entweder vor lauter Widersprüchen keinen Fuß mehr vor die Tür setzen, oder aber sie fängt an, sich mit ihnen auseinander zusetzen. Das emotional schwierige an Pornos ist für mich, dass ich nicht sagen kann: lehn' ich ab, find ich völlig beknackt. Ich hab Pornos gesehen, die mich angetörnt haben, und andere, die mich völlig angewidert haben, weil es in letzteren in erster Linie um Macht und Unterdrückung als "Lustgewinn" ging. Alice Schwarzer tröstet: "Diese passiven, sich den Mächtigen anpassenden und unterwerfenden Phantasien von Frauen sind keine Realität. Die sexualisierten Machtphantasien von Männern hingegen, die sind Realität. Die meinen es ernst...". Aber unsere Phantasien sind Realität, weil sie da sind. Sie sind aber weder passiv, noch haben sie etwas mit den Anpassungen an die Mächtigen und unserer Unterwerfung zu tun. Passivität (als fatalistische Unterordnung), Anpassung und Unterwerfung sind Phänomene unserer Angst, nicht unserer erotischen Phantasie. Die erotischen Phantasien zeichnet ja gerade die Abwesenheit der Angst aus, das Fehlen der Fremdbestimmung, der Unterwerfung unter uns widerwärtige Bedingungen. Wir schaffen uns in unserer Phantasie Bedingungen, die unseren Bedürfnissen entsprechen! Kein Grund also, jetzt voller schlechtem Gewissen mit der Unterdrückung unserer Phantasien zu beginnen. Aller Grund aber, statt irgendwelcher Sexualpraktiken und jetzt sogar irgendwelche eigenen Phantasien, endlich das Herrschaftsverhältnis selbst in den Vordergrund zu rücken! Sonst werden wir uns immer wieder als "Produkte", "Objekte", Opfer (!) begreifen, ohne dagegen eine Vorstellung von Befreiung und Selbstbestimmung entwickeln zu können.
Unsere Bedürfnisse und Phantasien aufzuspalten in solche, die "Produkt der herrschenden Verhältnisse", und solche, die feministisch legitimiert sind, ist eine Methode, die mittels schlechten Gewissens unsere Identität angreift, um neue "Normen eines reinen Feminismus" zu installieren. Diese Normen stehen der Entwicklung einer authentischen, offen vertretbaren und vor allem selbstbestimmten Erotik der Frauen entgegen. Und unsere Selbstbestimmung bleibt die entscheidende Alternative, und die entscheidende Waffe gegen die ständige Reproduktion von Herrschaft außerhalb und in uns. Wir müssen dabei immer wieder von Neuem herausfinden, welche Form von Erotik und Sexualität uns gerecht wird, an der wir Lust ohne Angst und ohne Unterwerfung finden. Erlaubt ist alles, was allen Beteiligten Spaß macht! Wir brauchen dafür keine neuen (feministischen) Normen, sondern die Fähigkeit, in jedem konkreten Fall zwischen eigenen und fremden Bedürfnissen zu unterscheiden, und uns selbst zu bestimmen. Selbstverständlich gehen wir in diesen Prozess nicht als "freie Menschen", sondern als von den herrschenden Verhältnissen Geprägte. Ein Befreiungsprozess muss aber unsere konkreten Bedürfnisse und Phantasien jetzt als Ausgangspunkt haben. Er kann nur von unten, aus unseren Bedürfnissen heraus, und keinesfalls von oben, als normierte Vorgabe, sich entwickeln. Dass wir in einem solchen Prozess viele alte Bedürfnisse über Bord schmeißen werden, steht außer Frage.
Pornographie tötet Phantasien, normiert den Frauenkörper, zerschlägt die Seele der Sexualität. Pornographie ist Fremdbestimmung, ein unmittelbarer Angriff auf unsere psychische Selbstbestimmung. In ihr treten zwei Charakteristika dieser Gesellschaft offen zutage: Der Wille, Menschen/Frauen zu Objekten zu machen, sie der "gesellschaftlichen Fabrik" zu unterwerfen; zum andern, alles zu Waren zu machen, mit denen wir überschüttet und erdrückt werden. Die Darstellungen in der Pornographie sind Darstellungen entpersonifizierter Menschen als Ware. Vollkommen deutlich wird das, wenn wir hinter die Kulissen schauen, in die Produktionsbedingungen der Pornoindustrie. Der Herstellung von Pornographie ist nichts fremder als Lust. Die Entfremdung zwischen Produktion und Produkt kann kaum größer sein. Pornographie ist Visualisierte Prostitution. Selbstverständlich haben die Ausgebeuteten in der Pornoindustrie recht, wenn sie sagen, sie verkauften sich prinzipiell nicht anders als jede andere Arbeitskraft hier. Das Ausmaß ihrer Ausbeutung wird allerdings nur noch durch die direkte Prostitution übertroffen. Sie werden bis in ihre intimsten Bereiche vermarktet. Vollkommen widersinnig, in diesem Zusammenhang noch von "gerechter Entlohnung" zu faseln.
Insofern ist Pornographie ein verschärfter Bestandteil des kapitalistischen Produktions- und Herrschaftsverhältnisses, in dem patriarchale Strukturen reproduziert werden. Und da kommt zuletzt die Kritik an dem Gesetzentwurf als solchem: Welche Funktion soll der Gesetzgeber/Staat, der immanent die Aufgabe hat, die kapitalistische Herrschaft zu sichern, durch ein solches Gesetz erfüllen? Der Staat, der der quantifizierte Ausdruck patriarchaler Herrschaft ist, soll ernsthaft zum Instrument gegen Pornographie gemacht werden? Nein, das wäre ja die Quadratur des Kreises! Sicherlich geht es selbst "Emma", die sich über "die Aktionen der Roten Zora...keine Gedanken macht", weil sie "illegal" sind, nur darum, mit ihrer Gesetzesvorlage "Öffentlichkeit" zu erreichen! Die öffentlichen Medien? War nicht gerade durch Grossisten der Verkauf der "Emma" Nr.11/87 verhindert worden, zunächst in Bayern, dann in der gesamten BRD? Als unverdrossen staatstreue "Feministin" weist "Emma" zwar unverzüglich darauf hin, dass es keine richterliche Anordnung dazu gab, muss dann aber gestehen, dass sie mit einer "einstweiligen Verfügung" dagegen nicht durchkam! Vielleicht sollte sie sich doch noch mal Gedanken über die Aktionen der "Roten Zora" machen!