direkte aktion # 74, März/April 89   direkte aktion ist die anarchosyndikalistische Zeitung.
entnommen aus: Black Flag 188. 23.1.89, London

Walesas Auftrag enthüllt

Die folgende Erklärung stammt von einem Arbeiter, Stefan, aus der Lenin-Werft in Danzig und wurde von einer örtlichen anarchistischen Gruppe weitergeleitet. Seitdem ist sie in der Umanita Nova (Italien), Le Monde Libertaire (Frankreicb), Black Flag (GB) veröffentlicht worden.


Ich nahm teil an den Streiks im Mai (und August (1988). Der Streik im Mai war spontan, der im August eine sehr viel besser organisierte Angelegenheit. Angeblich soll Walesa diesen Streik initiiert haben - das ist eine Lüge.

Nach der Arbeitsniederlegung Mai hatten wir eine DYM-Gruppe gebildet. Es muß betont werden, daß nach dem Mai die Solidarnosc nicht etwa tot war. Man sprach über sie in Bussen, Straßenbahnen, Zügen und in der Presse. Als der Bergarbeiter-Streik in Schlesien begann, unternahmen die Gewerkschaftsbosse nichts, und die DYM-Gruppe schlug eine Zusammenkunft auf dem Werftgelände zugunsten der streikenden Bergarbeiter vor. Dazu hatten wir ein Flugblatt gedruckt und verteilt. Während eines Treffens des Arbeiterrats am 18. August wurde unser Vorschlag sehr kühl aufgenommen. Die Genossen sprachen von einer Provokation und fragten: "Was gibt Euch das Recht zu tun, was ihr wollt?" Man sprach viel über unser Flugblatt, und schließlich fand am Freitag während der Mittagspause ein erneutes Treffen statt, an dem auch Walesa teilnahm. Er schaute mich von der Seite an und sagte: "Du weißt, wie man Krach schlägt, aber sonst ..." Er beendete seinen Satz nicht, aber ich konnte mir leicht vorstellen, was er sagen wollte. Walesa sagte den vor der Halle K 1 versammelten Arbeitern, der Streik würde am Montag beginnen, falls sich die Situation nicht ändern würde. Wir glaubten ihm. Danach entdeckten wir eine zweite, ganz andere Erklärung Walesas, nach welcher der Streik eine Woche später beginnen sollte. Wir schenkten dem keinerlei Beachtung, und während eines Treffens der Arbeitskommissionen wurde erneut der Streikbeginn auf Montag, den 22. August als festgelegt.

Am Montag erreichte ich die Werft um 6.30 Uhr morgens und machte mich für den Dienstfertig. Die Arbeiter fingen an, sich in den Umkleideräumen zu versammeln. Ich erkannte sehr schnell, daß wir dort nicht lange würden bleiben können, denn der Vorarbeiter war eingetroffen mit der offenkundigen Absicht, die Männer an die Arbeit zu jagen. In dem Moment kam der Direktor und fragte mich: "Wer hat Sie autorisiert?" Ich antwortete, im Namen des Streikkomitees zu handeln und daß von nun an das Streikkomitee für die Werft verantwortlich sei und er die Umkleideräume zu verlassen hätte. Wir nahmen unsere Fahnen und Transparente und gingen nach draußen. Zur gleichen Zeit verließen andere Arbeiter die Halle C 5 und versammelten sich im Hof. Wir stießen zu ihnen, waren aber nicht sehr zahlreich.

Wir bewegten uns Richtung Brücke (die Werft liegt auf einer Insel). Die Menschen sahen uns an, als ob wir verrückt seien. Eine Gruppe, ich weiß nicht ob von C 4 oder C 3, schloß sich uns an, aber wir stellten schnell fest, daß erneut die Organisierung notwendig war. In der Halle K 1 arbeiteten alle normal weiter. Ich erinnere mich, einem Arbeiter gesagt zu haben: "Stelle Deine Maschine ab und komme mit uns, wir streiken." Er weigerte sich. Dann sagte ein Genösse, wir würden die Maschine abstellen, wenn wir nur wüßten, wie. Er zeigte es uns, und nachdem wir die Maschine abgestellt hatten, kam er mit uns. Auf diese Weise stieß Halle K 1 zum Streik.

Der Streik ...

Auf dem Rückweg zur Brücke trafen wir auf eine andere Gruppe von Arbeitern mit Alojz Szablewski, dem Sprecher des Streikkomitees vom Mai. Von dort aus begaben wir uns direkt an die Eingangstore der Werft, um die Kontrolle zu übernehmen. Wir sahen die Notwendigkeit, organisierter vorzugehen. Daher gaben wir Presseveröffentlichungen heraus, was zunächst nicht einfach war, da wir nur eine Druckwalze hatten. Nicht einmal eine Schreibmaschine stand uns zur Verfügung. Nur mit den Lebensmitteln klappte alles, die Lieferungen von außen kamen problemlos auf das Gelände.

Dann traf eine Abordnung der KPN (Vereinigung für ein unabhängiges Polen) ein. Eine junge Frau sicherte uns deren Unterstützung zu. Die Arbeiter *) KPN ist eine rechtsextremistische Gruppierung ;Anm. d. Red. waren begeistert, der Gewerkschaftsführer jedoch kritisch eingestellt. Für mich als Mitglied des Streikkomitees gab es verschiedene Sachen, die mir nicht gefielen. Kaum hatte man Verantwortung übernommen, begann derZank untereinander. Umgekehrt war die Stimmung an den Toren fantastisch: Die Menschen waren überzeugt, für eine gute Sache zu kämpfen.

Leider mußten sie während der nächsten 10 Tage erkennen, daß sie wieder einmal getäuscht worden waren. Als sich Walesa auf die Reise nach Warschau zum Innenminister Kiszcak machte, hatten wir ihm den Auftrag gegeben, an einem Prinzip festzuhalten: Die Anerkennung der Existenz von Solidarnosc durch den Staat und die Entkriminalisierung unserer Gewerkschaft. Walesa hatte keinen anderen Auftrag und durfte keine andere Entscheidung treffen. Dennoch beschloß er, zurück in Warschau, persönlich den Streik zu beenden. Von dort schickte er ein Telex mit dem Befehl, der Streik sei zu beenden. Als ich das erfuhr, war ich verbittert. Ich hatte eine hohe Meinung von ihm wegen seiner Verdienste in der Vergangenheit gehabt. Nun war es furchtbar zu sehen, wie er sich verändert hatte. Die Entscheidung über das Streikende wurde in der MKS (betriebliches Streikkomitee) erörtert, ohne Befragung der Streikenden und ohne Abstimmung. Erst viel später wurde abgestimmt. Im MKS stimmten 15 für Fortführung des Streiks, 12 für eine Beendigung und 10 enthielten sich. Schließlich wurde die Entscheidung herbeigeführt, indem man die Stimmenthaltungen mit denen addierte, die für eine Beendigung waren. Ich machte deutlich, daß ich nicht bereit war, diese Entscheidung der Basis mitzuteilen, was Walesa zu einer verärgerten Bemerkung veranlaßte. Er schrie mich an: "Dir reiß' ich den Arsch auf!"

Ich kehrte zurück zu den Arbeitern im Hof. Sie sprachen von einem Ausverkauf, zu welchem Preis auch immer, durch Leute, die sich für wichtiger hielten als sie sind. Ich selbst kann das Geschehen nicht akzeptieren und nicht vergeben. Nach meiner Überzeugung haben diejenigen Recht, die riefen: "Walesa hat uns betrogen!" Es ist schwierig, aber ich weiß: Ich will keine Gewerkschaft, die sich nur mit Tagesforderungen abgibt. Solche Gewerkschaft wird niemals für mich und niemals für den einfachen Arbeiter kämpfen.