Ökologie und Anarchismus Aber dafür sind ja schließlich die Grünen da. Im Folgenden einige textauszüge aus dem Buch "Der ökologische Anarchismus Murray Bookchins" von Cornelia Wicht (Verlag Freie Gesellschaft): "Der Biologe Ernst Häckel prägte vor über hundert Jahren den Begriff der Ökologie, um die Erforschung sämtlicher Beziehungen des Tieres zu seiner anorganischen und organischen Umwelt zu bezeichnen. Eng gefasst, als eine der biologischen Wissenschaften, wird die Ökologie auf Daten reduziert. Bookchin fasst den Begriff der Ökologie weiter. Für ihn beschäftigt sich die Ökologie mit dem Gleichgewicht der Natur, und insofern die Natur auch den Menschen einbezieht, mit der Harmonisierung von Mensch und Natur. (...) In letzte Konsequenz ist es für ihn unmöglich, eine Harmonisierung von Mensch und Natur zu erzielen, ohen eine menschliche Gemeinschaft zu schaffen, die in einem dauerhaften Gleichgewicht mit ihrer natürlichen Umgebung ist." Eine These Bookchins lautet: die Vorstellung, dass der Mensch die Natur beHERRschen müsse, ist zugleich mit der HERRschaft des Menschen über den Menschen entstanden. Als Tendenz ist diese HERRschaft seit Beginn der patriarchalischen Familie vorhanden; aber erst, als sich die organischen Beziehungen zwischen den Gemeinden in Marktbeziehungen auflösten, wurde der Planet zu einer Rohstoffquelle reduziert, die mensch ausbeutete. Diese jahrhundertelang währende Entwicklung setzt sich im Kapitalismus in gesteigertem Maße fort. Entsprechend der ihr innewohnenden Wettbewerbsnatur stellt die bürgerliche Gesellschaft nicht nur die Menschen einander feindlich gegenüber, sie stellt auch die Menschheit feindlich der Natur gegenüber. So, wie Menschen in Waren verwandelt werden, so wird auch jeder Teil der Natur zur Ware, eine Rohstoffquelle, die nach Belieben bearbeitet und verkauft werden kann. Die liberale Beschönigung, die mensch für diesen Prozess verwendet, ist "Wachstum". Der Ausdruck "Verbrauchergesellschaft" vervollständigt die Beschreibung der gegenwärtigen Ordnung als eine "Industriegesellschaft". Bookchins These lautet, dass vom Standpunkt der Ökologie aus, der Mensch in gefährlicher Weise seine Umgebung vereinfacht. Die moderne Stadt bedeutet einen der natürlichen Entwicklung entgegengesetzten Angriff auf den Aufbau der Natur, einen Angriff des Anorganischen (Zement, Glas, Metall) auf das Organische. Der Prozess dieser "Vereinfachung" der menschlichen Umwelt hat sowohl eine kulturelle als auch eine physische Dimension. Durch die Notwendigkeit, die ungeheuren Massen der städtischen Bevölkerung zu manipulieren - Millionen dicht nebeneinander LebendeR zu transportieren, zu ernähren, zu beschäftigen und auch zu unterhalten - entsteht ein Massenkonzept von menschlichen Beziehungen, totalitär, zentralistisch und auf auf dasselbe Ziel ausgerichtet. Menschliche Haltungen werden durch bürokratische Techniken des gesellschaftlichen Managements ersetzt. Spontaneität, Kreativität und Individualität erfahren eine Einengung durch Standardisierung, Gleichschaltung und Vermassung. Der Lebensbereich des Individuums wird ständig weiter beschnitten. Anstatt den größten Wert auf individuelle und qualitative Eigenschaften, die ureigenste Persönlichkeit zu legen, auf freien Ausdruck und kultivierte Vielfalt, wird der Mensch wie ein Rädchen im Getriebe behandelt. "Um den kritischen Gehalt zusammenzufassen: Um die Verschiedenheit in der natürlichen Umgebung zu verringern, verderben wir ihre Einheit und Ganzheit; wir zerstören jene Kräfte, die die natürliche Harmonie und ein dauerhaftes Gleichgewicht garantieren; und was noch wichtiger ist, wir leiten einen absoluten Rückschritt in der Entwicklung der Natur ein, der möglicherweise dazu führt, dass die Erde nicht mehr für höhere Lebensformen geeignet ist." Um die rekonstruktive Botschaft der Ökologie zusammenzufassen: Wenn wir die Einheit und Stabilität der natürlichen Umwelt fördern wollen, müsen wir die Vielfalt der Natur bewahren und weiterentwickeln. Übertragung auf die Gesellschaft Bookchin überträgt nun diese Vorstellungen aud die Gesellschaftstheorie. Nicht nur der/die ÖkologIn, sondern auch der/die AnarchistIn sieht Vielfältigkeit als maßstab des Fortschritts an. Für beide wird eine dauernd zunehemende Einheit durch wachsende Vielfalt erreicht: Wie der/die ÖkologIn danach strebt, die Grenzen eines Ökosystems auszuweiten und eine freie gegenseitige Beeinflussung der Arten zu erreichen, strebt der/die AnarchistIn danach, die Skala gesellschaftlicher Erfahrungen zu erweitern und alles zu beseitigen, was diese Entwicklung behindert. Nach Bookchin bedeutet Anarchismus nicht nur eine staatenlose Gesellschaft, die den Menschen sowohl die Anregungen des Lebens auf dem Lande als auch in der Stadt ermöglicht: körperliche und geistige Aktivität, nicht-repressive Sinnlichkeit und selbstgeleitete Spritualität, Solidarität in der Gemeinschaft und individuelle Entwicklung, regionale Einzigartigkeit und weltweite "Bruderschaft", Spontaneität und Selbstdisziplin, Abschaffung der Plackerei und Förderung des handwerklichen Könnens. In unserer schizoiden Gesellschaft werden diese Ziele als einander ausschließend betrachtet, als scharfe Gegensätze. Sie erscheinen als Gegensatzpaare aufgrund der Logistik der gegenwärtigen Gesellschaft - trennung von Stadt und Land, Spezialisierung der Arbeit, Zerissenheit des Menschen. Diese Gegensätze können nicht aufgelöst werden, ohne eine allgemeine Vorstellung von der "physikalischen" Struktur einer anarchistischen Gesellschaft zu haben. In der modernen Technologie sind Tendenzen enthalten, die die gesellschaftliche Organisation in Form von kommunalen, relativ autonomen produktions- und Verwaltungseinheiten materiell ermöglichen: Die moderne Technologie kann in immer kompakteren einheiten zur Verfügung gestellt werden. Dadurch ist eine optimale Effizienz nicht erst bei Massenproduktion zu erreichen, sondern eventuell bei einem Produktions-umfang, der auf lokale Lebensgemeinschafen zugeschnitten ist. Kleinere Produktionseinheiten könen sinnvoll auf lokale Rohstoffquellen zurückgreifen, wodurch konzentrierte Lagerstätten geschont werden. Wird noch die Senkung der Transportkosten berücksichtigt, so können sich dezentrale produktionsstätten auf die Dauer sogar als effizienter erweisen. Die neue Technologie hat nicht nur elektronische Bauteile in Miniaturgröße und kleinere Produktionsanlagen entwickelt, sondern auch sehr vielseitige Werkzeugmaschinen. Sie ermöglichen es, verschiedene Produkte in einem einzigen Betr! ieb herzustellen. Eine kleine oder mitttelgroße Gemeinschaft, die vielzweckmaschinen benutzt, könnte viele ihrer ohnehin beschränkten industriellen Bedürfnisse befriedigen, ohne mit Überkapazitäten belastet zu sein. Die Abhängigkeit des Menschen von der Natur muss wieder zu einem sichtbaren und lebendigen Bestandteil seiner/ihrer Kultur werden. Die Entwicklung der Technologie und das Wachstum der Städte hat die Entfremdung des Menschen von der Natur bis zum bruch vorangetrieben. Der westliche Mensch findet sich auf eine weitgehend synthetische Welt beschränkt, er ist physisch weit vom Land entfernt, und sein Verhältnis zur Natur muss wiederhergestellt werden, da die Lebensfähigkeit der Menschheit in Gefahr geraten ist. Die Einbeziehung der Natur in den Erfahrungsbereich der Menschen bedeutet für Bookchin auch einen Beitrag zu seiner/ihrer Vervollkommnung. Bookchin möchte die Maschine an das künstlerische Handwerk anpassen. Die Maschine soll die mühevolle Arbeit aus dem Produktionsprozess entfernen und die künstlerische Vollendung des Produktes dem Menschen überlassen. In der Kombination industrieller Maschinen mit dem Werkzeug des/der HandwerkerIn sieht Bookchin einen qualitativen Fortschritt in der Technik hin zu einer lebenstechnologie. Jene sollte, neben der Wiederbelebung des Handwerks, auf eine Konzeption materieller Bedürfnisse eingestellt werden. Sie sollte außerdem die Gemeinschaften untereinander verbinden und die Hauptstütze der Konföderation sein. Die Aufgabe, die Bookchin der Technologie in einer zukünftigen Revolution zuweist, besteht darin, ein Übermaß an Gütern mit einem Minimum an Arbeit bereitzustellen. Unmittelbarer Zweck davon ist, die "soziale Arena" ständig dem revolutionären Volk zu öffnen, die Revolution permanent zu halten. Die bürgerliche Stadt Die bürgerliche Stadt trennt die verschiedenen Aspekte des menschlichen Lebens - Arbeit und Spiel, Verstand und Gefühl, das Geistliche und das Sinnliche, das Private und das Geselschaftliche - und liefert sie eine nach der anderen den Institutionen aus. Das hat negative Auswirkungen auf die Integrität des einzelnen Egos, weil dadurch Lebensinhalte verloren geht. Das Ganze verliert seine Fassungskraft für den/die EinzelneN, nicht nur als Resultat einer bis ins Kleinste gehenden Arbeitteilung, sondern auch wegen des Ausmaßes der ökonomischen und industriellen Operationen. Das Spiel wird organisiert, und die imaginären möglichkeiten des Individuums werden von vornherein entleert durch die Massenmedien, die die Tagträume des Egos definieren. Das Individuum wird zu einem/einer stellvertretenden ZuschauerIn seiner/ihrer eigenen Späße und Freuden reduziert. Aufklärung und Intellekt werden unter die technische HERRschaft der AkademikerInnen und SpezialistInnen gebracht. Politisches Leben wird von einer immensen Bürokratie übernommen, die die Menschen als "Massen" zu manipulieren versucht, um einen öffentlichen Konsens herbeizuführen. Die privaten Rückzugsgebiete des Individuums, das Heim, Kindererziehung, Sexualität und die ruhigen Momente, die für persönliche Reflektion und Meditation reserviert sind, werden zu Instrumenten der massenkultur, die Erziehungsnormen diktiert, wie Elternliebe, physische Schönheit, persönliche kleidung, Möbel und die intimsten Seiten zwischenmenschlicher Beziehungen. Die Basis für eine städtische Einheit besteht historisch aber nicht primär aus Designelementen, sondern aus kleinsten Beziehungen zwischen den Menschen, die diese Elemente hervorgebracht haben. (...) Solange die Stadtplanung sich nicht an das Bedürfnis einer radikalen Kritik der HERRschenden Gesellschaft richtet und ihre Entwurfselemente von einer revolutionären Veränderung der bestehenden Gesellschaftsbeziehungen ableitet, wird sie eine reine Ideologie bleiben - der Diener der Gesellschaft, die die städtische Krise unserer Zeit produziert. Er anerkennt und erforscht eine neue Lebensform auf der elementarsten Ebene der zwischenmenschlichen Beziehungen. Diese neue Lebensform ist soweit wie möglich kommunal und ökonomisch von Warenverhältnissen getrennt. (...)Der Plan berücksichtigt, dass mit der "Frauenbefreiung und neuer Kommunardischer moral die Kleinfamilie sich geschichtlich überholt". Deswegen werden Flurpläne entworfen, die multifunktionale Räume zulassen, die mehr Ineraktionen begünstigen - wie gemeinsame Speiseräume, Treffpunkte und Arbeitsplätze. Methoden werden diskutiert, wie die Dächer und Außenwände in kommunikative Verbindungsglieder mit den Nachbarhäusern und ebenso zwischen Räumen und oberen Stockwerken verwandelt werden können. Blueprint schlägt vor, Hinter- und Nebenhöfe zu entfrieden und das Land für Parks und Gärten zu öffnen, Brücken zwischen den Häusern werden vorgschlagen, um die Trennung zwischen Innen und Außen aufzuheben. Die Lösung der Probleme der Satdt sieht Bookchin folgendermaßen: d! ie Stadt muss aufgelöst und durch dezentralisierte Ökogemeinschaften ersetzt werden. Dadurch wird ein Gleichgewicht zwischen Stadt und Land hergestellt - nicht als ein sich ausbreitender Vorort, der einen Rasen oder einen Flecken strategisch angebauter Bäume mit Natur verwechselt, sondern als eine interaktive funktionale Ökogemeinde, die Industrie und Landwirtschaft, geistige Arbeit und körperliche Arbeit, Individualität und Gemeinsamkeit verbindet. Die Natur wird dort nicht zu einem einfachen Symbol des Natürlichen, des schön anzusehenden Objekts reduziert, sondern ein integraler Bestandteil aller Aspekte der menschlichen Erfahrung werden. (Cornelia Wicht)
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