Herrschaft und ökologische Krise
Der Beitrag des Anarchismus zur ökologischen Debatte


Inhaltsverzeichnis


1. Einleitung

Treibhauseffekt, Ozonloch, Klimakatastrophen, ganze Landstriche vernichtende Hurrikans, Pestizide in Lebensmitteln, Tierseuchen, saurer Regen, Abholzung des Regenwaldes: Ereignisse und Phänomene, deren Bekämpfung seit den letzten Jahrzehnten auf der gesellschaftlichen Agenda stehen. Und nicht erst seit Becks "Risikogesellschaft" ist offensichtlich, dass wir mit einer ökologischen Krise von globalem Ausmaß konfrontiert sind, die existenzbedrohend ist und deren Lösung für das (Über-)Leben der Menschheit zwingend geboten ist. Trotz dieses Zeitdruckes, der enormen Relevanz und der Notwendigkeit radikale Veränderungen einzuleiten tut sich nur wenig. In Toronto 1988 wurde proklamiert " Es ist dringend geboten unverzüglich zu handeln", die Zerstörung der Biosphäre aber schreitet voran, trotz UN- Klimagipfeln und dem Kyoto Protokoll. Der Wein aus alten Schläuchen wird in noch ältere gefüllt und wird (seltsamerweise) nicht bekömmlicher. Die herkömmlichen Analyse- und Lösungsstrategien scheinen die ökologische Krise nicht in den Griff zu bekommen. So kann es erfrischend sein die ökologische Problematik aus ganz anderen nicht so festgefahrenen Blickwinkeln zu betrachten. Deshalb werde ich mich der Verbindung von Anarchie und Ökologie widmen und anhand von Murray Bookchins Vorstellungen beschreiben, worin der Anarchismus die Ursachen der ökologischen Krise sieht und welche Lösungsvorschläge er zu bieten hat. Ich werde also soziologisch analysieren welche Perspektiven der Anarchismus für die Problematik der Ökologie bietet. Da im Alltagsverständnis Anarchie meist mit Anomie gleichgesetzt wird und sich diese Begriffsdefinition grundlegend von Anarchie als politischer Ideologie unterscheidet, scheint es mir notwendig zuallererst die anarchistische Ideologie kurz zu beschreiben, den Begriff Anarchie zu definieren.

Im Anschluss daran werde ich das Konzept der Mutualität von Pjotr Kropotkin und das darauf aufbauende Konzept der Sozialität bzw. der sozialen Ökologie von Murray Bookchin darstellen, da sich anhand dieser zwei bedeutendsten Konzepte das anarchistische Verständnis von der Natur und ihrer Beziehung zu dem Menschen/ der Gesellschaft am Besten herausarbeiten lässt. Dieses Verständnis ist elementar, da der Ökoanarchist Murray Bookchin hieraus die Ursachen und Lösungen für die ökologische Krise ableitet, die ich im Folgenden darstellen werde. Ein wichtiger Motor für die Lösung der ökologischen Probleme ist die Umweltbewegung. Aufbauend auf der Kritik an einer Umweltbewegung, die "Umweltschutz von oben" betreibt, werde ich die Vorstellungen und die Möglichkeiten einer herrschaftskritischen Umweltbewegung, die "Umweltschutz von unten" propagiert, vorstellen und untersuchen. Als Fazit werde ich dann besprechen, ob der Anarchismus bzw. die Vorschläge Bookchins Perspektiven und Antworten liefern können um die ökologische Krise zu bewältigen.


2.1 Die Idee der Anarchie

Eine stimmige Definition von Anarchie zu geben, die anarchistische Theorie knapp darzustellen, stößt auf verschiedene Schwierigkeiten. Der Anarchismus ist zwar alles andere als theorielos, doch "fehlt" ein theoretischer Gesamtentwurf, wie wir es z.B. von den Systemphilosophien Hegels oder Marx` kennen, was aus der Ablehnung und Skepsis der AnarchistInnen gegen jedes Dogma rührt. So ist auch nicht verwunderlich, dass der Anarchismus von einer großen Heterogenität gezeichnet ist: Von IndividualanarchistInnen ( Tucker/ Stirner) und AnarchokapitalistInnen (Rothbard/ Friedman) über kollektivistische AnarchistInnen ( Bakunin) und AnarchosyndikalistInnen ( Rocker/ Souchy) bis zu AnarchokommunistInnen (Kropotkin) und ÖkoanarchistInnen (Bookchin). Sie alle eint das Ideal der Herrschaftslosigkeit und die Ablehnung des Staates, denn Anarchie heißt übersetzt: ohne Herrschaft. Doch ihre organisatorischen Vorstellungen von einer freien Gesellschaft mit freien Individuen sind zum Teil absolut konträr. Während die AnarchokapitalistInnen dieses Ideal, vom Individualanarchismus beeinflusst, in einem radikalen Laissez- faire Kapitalismus ohne jede Staatsintervention verwirklicht sehen mit Eigentum und individueller Souveränität als zentralen Ideen, sehen die anderen Strömungen nicht nur den Staat, sondern vor allem auch den Kapitalismus und das Eigentumsprinzip als unterdrückend an und wollen ihn in einem revolutionären Umsturz, mit der Arbeiterklasse als Triebkraft, beseitigen. Die Produktionsmittel sollen durch die Gewerkschaften übernommen und von den ArbeiterInnen selbst verwaltet werden (Anarchosyndikalismus/ Anarchokommunismus), die Gesellschaft soll "von unten nach oben" in einer föderativen Ordnung organisiert werden. ( vgl. Bakunin) In meiner Arbeit werde ich mich hauptsächlich mit den anarcho-kommunistischen bzw. ökoanarchistischen Konzepten und ihren zwei "Vertretern" Pjotr Kropotkin und Murray Bookchin beschäftigen, weil sie mir am schlüssigsten erscheinen und die Ökologie eine zentrale Rolle in ihren Theorien einnimmt.

In dem Gesellschaftsideal Kropotkins sollen ökonomische, staatliche und zwischenmenschliche (soziale) Herrschaft(sstrukturen) beseitigt werden. Kapitalistische oder staatssozialistische Ausbeutung und Fremdbestimmung soll abgeschafft werden und einer dezentralen Produktion, z.B. in Genossenschaften Platz machen. ( Politische) Selbstverwaltung soll an die Stelle von (zentralen) staatlichen Institutionen treten und freie Kooperation statt Zwang(svereinigung) soll eine Gesellschaft ermöglichen, die auf "Vielfalt, Spontaneität, solidarischer Gegenseitigkeit und individueller Freiheit beruht." (Cantzen 1984: 56) Zentrale Forderungen der anarchistischen bzw. anarcho-kommunistischen Bewegung sind also: Dezentralisation, Selbstverwaltung und organisatorische Vielfalt. ( vgl. Cantzen 1984: 8)


2.2 Anarchismus und die Beziehung zwischen Gesellschaft und Natur

Wie bei fast allen politischen Richtungen wird auch bei AnarchistInnen die Ideologie häufig u.a. dadurch rechtfertigt, dass sie "natürlich" ist. ( vgl. Pepper 1993: 163) Dies ist ein Grund, warum der Betrachtung des anarchistischen Naturverständnisses große Bedeutung zukommt, denn anhand ihres Naturbildes ergeben sich weitreichende Folgerungen und Ableitungen für ihre Gesellschaftsbetrachtung und anarchistischen Vorstellungen. Anhand des Naturverständnisses und der Rolle des Menschen in der Natur lassen sich die Unterschiede zwischen marxistischem und anarchistischem Gedankengut darstellen. Während in der marxistischen Vorstellung die Natur passives Material, "abstrakter Stoff" ist, den es gilt sich durch Arbeit anzueignen, diese "Natur zu humanisieren", sie durch Unterwerfung zu beherrschen, ja "Befriedung" und Befreiung erst möglich zu sein scheint durch Herrschaft über das (dem Subjekt Mensch entgegengesetzte) Objekt Natur ( vgl. Marcuse 1967: 247), wird im Anarchismus eine ganz andere Mensch- Natur Relation deutlich.

Um die Beziehung zwischen Gesellschaft und Natur aus anarchistischer Perspektive fundiert darzustellen, werde ich zuerst das Konzept der Mutualität von dem bekanntesten anarchistischen Theoretiker Pjotr Kropotkin vorstellen, das nach Holland- Cunz das Fundament für weitere soziale naturtheoretische Bestimmungen darstellt. ( vgl Holland- Cunz: 138) Im zweiten Schritt gehe ich auf das daraus hervorgehende Konzept der Sozialität bzw. der sozialen Ökologie von dem wohl aktuell profiliertesten (Öko-) Anarchisten Murray Bookchin ein.


2.2.1 Kropotkins Naturbild: Das Konzept der Mutualität

Kropotkins Ansatz stellt eine erhebliche Modifikation von Darwins Selektionstheorie dar, die von einer durchgängig grausamen und "bösen" Natur ausgeht, in der der "Kampf ums Daseins" der Individuen stattfindet. Der russische Naturforscher und revolutionäre Philosoph bricht mit diesem Naturbild ohne gleichzeitig die Natur durchgängig harmonisch zu idealisieren. Sein Blick auf die Natur ist von der Ambivalenz eines (naiven) Fortschritts-, Technik- und Wissenschaftsglaubens und einer "empathischen Naturvorstellung" und "naturgeprägten Ethik" gezeichnet. ( vgl. Holland- Cunz 1994: 139) Auf der einen Seite sieht er den Menschen der "feindlichen Natur" und den "feindlichen Umständen" entgegengesetzt an ( Kropotkin 1920: 296,291) und betont einige Male die " Macht des Menschen über die Naturkräfte." ( Kropotkin 1976: 84) Er fordert eine möglichst intensive Nutzung des Bodens, der Natur soll also möglichst viel abgerungen werden, damit der Mensch überleben kann. Auf der anderen Seite kritisiert er in seinem Werk "Landwirtschaft, Industrie und Handwerk" aber auch den herrschaftlichen Naturbezug, der sich auf dem Land in Monokulturen, Riesenfarmen und hemmungsloser Ausbeutung des Bodens manifestiert, nimmt also einen scheinbar konträren Standpunkt ein. Kropotkin geht es jedoch weder allein um ein Lebensrecht des Menschen noch um eins der Natur, sondern um eine Balance und Schonung von beiden. ( vgl. Holland- Cunz 1994: 147)

So analysiert Holland- Cunz:"menschliches Elend provoziert eine anthropozentrische Perspektive, die Notwendigkeit gesellschaftlicher Befreiung fördert eine naturzentristische Perspektive." ( Holland- Cunz 1994: 148) Die Natur ist also einerseits Gegner, andererseits ist sie nach Kropotkin aber auch "(...) der erste Lehrer der Ethik und des sittlichen Prinzips, in Bezug auf den Menschen (...)". ( Kropotkin 1923: 40)

Als Naturwissenschaftler versuchte deshalb Kropotkin, am wissenschaftlichen Rationalismus orientiert, durch Beobachtung der "Tier- und Menschenwelt" das entscheidende Prinzip der Evolution auszumachen, das Grundprinzip also, das das Überleben sichert: Er sieht es in der gegenseitigen Hilfe. Er verknüpft die Bekämpfung des (menschlichen) Elends mit dem Naturprinzip der gegenseitigen Hilfe, denn nach ihm ist die sinnvollste Überlebensstrategie des Menschen dem Beispiel der Natur zu folgen, also kooperativ zu handeln. ( vgl. Harrison 1999: 37) Die Tendenz in der Natur sei nämlich: "Streitet nicht! Streit und Konkurrenz ist der Art immer schädlich, und ihr habt reichlich die Mittel sie zu vermeiden!"( Kropotkin 1920: 67)

Das Tier dient ihm als Symbol für die außermenschliche Natur. Es wird charakterisiert durch Eigenschaften, die normalerweise Menschen zugeschrieben werden wie " enge Freundschaft", "Mitgefühl" , "Mitleid" ( Kropotkin 1920: 65). Die Tiere sind also nicht mehr nur zusammengesetzte Materie, sondern Kropotkin schreibt ihnen "sozialen Geist" und eine ähnliche Vernunft wie den Menschen zu (vgl. Kropotkin 1923: 32)

Hier wird also eine ganz andere Bewertung der außermenschlichen Natur deutlich, die dem Menschen nicht mehr absolut fremd oder entgegengesetzt ist. So ist nach Kropotkin der Mensch auch ein Naturwesen, "dessen Sozialität und Kooperationsbereitschaft ihm im Laufe der Evolution zur Verhaltenskonstante geworden ist. "( Cantzen, 1997: 191) Kropotkins Verständnis von der natürlichen Sozialität des Menschen lässt es nicht mehr zu Natur und Sozialität als antagonistisch zu betrachten. Dies hat zwei aus soziologischer Sicht wichtige Folgen: Zum einen wird damit einem repressiv- autoritärem Staatsverständnis, das von einem aggressiven, asozialen menschlichen Naturell ausgeht- Hobbes ist hier wohl allen voran zu nennen- die Legitimitätsgrundlage entzogen. Zum anderen wird der Mensch als ein Wesen betrachtet, das verbunden ist mit seiner sozialen und natürlichen Umwelt, als ein " bewusster Teil des Großen Ganzen" und nicht wie z.B. bei Hobbes, Freud oder im Protestantismus seiner Natürlichkeit und der natürlichen Umwelt entgegengesetzt. Diese Verbundenheit mit der Natur schließt wohl auch eine "Herrschermentalität" aus, die die Natur nur als ein Objekt sieht, das es zu kontrollieren gilt, und so auf ein Mittel zur Bedürfnisbefriedigung reduziert. (vgl. Cantzen 1997:191ff)


2.2.2 Bookchins Naturbild: Das Konzept der Sozialität

Auch für Bookchin ist die Evolution nicht hauptsächlich geprägt von ständigem Wettbewerb zwischen den verschiedenen Arten, sondern von "ökologischer Komplementarität und symbiotischem ‚Mutualismus’" (Bookchin 1985:13), die "Vielfalt" und "Komplexität" haben entstehen lassen. Bookchin erweitert aber Kropotkins Gedanken, dass die außermenschliche Natur "sozialen Geist" habe. Nach Bookchin besitzt die Natur eine eigene ( latente) Subjektivität, ja sogar Vernunft.

Diese organische Subjektivität kennzeichnen Begriffe wie Selbstorganisation, Selbstkreation und Kreativität (Bookchin 1985: 262), und er fragt, ob sich nicht durch diese Eigenschaften der Natur eine Mentalität zeigt, "(...)die im Prinzip mit der sich dem Gehirn verdankenden Subjektivität des Menschen vergleichbar ist." (Bookchin 1985: 213)
Er gesteht also der Natur eine Eigenlogik zu, ihre "formale Organisation" habe eine "eigene Botschaft" ( vgl. Bookchin 1985: 270) und so braucht er auch nicht, wie Kropotkin es macht, der außermenschlichen Natur menschliche (soziale) Eigenschaften zuzuschreiben, sondern er bezeichnet sie nur als "fruchtbar und kreativ", denn er verweist darauf, dass die Natur selber keine Ethik besitze. (Bookchin 1985: 266) Aufgrund dieser Eigenlogik der Natur verwirft Bookchin anthropomorphisierende Beurteilungen von natürlichen Phänomenen, die Gewalt und Grausamkeit, vor allem aber auch Hierarchien und Herrschaft in der Tierwelt ausfindig machen. Diese Naturinterpretationen, wie z.B. den Löwen als König der Tiere darzustellen, oder "räuberisches Verhalten", welches das Tier ja ausüben muss um zu überleben, als Grausamkeit zu beschreiben, sind für Bookchin so "von selbstsüchtigen sozialen Interessen bestimmt" (Bookchin 1985: 43). Sie stellen den Versuch dar, menschliche Herrschaft im genetischen Code als biologisch unveränderbar festzuschreiben.(vgl. Bookchin 1985: 42)

Vielmehr scheint für Bookchin die Nahrungskette die Ordnung in der Natur bzw. in einem Ökosystem zu verdeutlichen. Sie stellt ein geschlossenes System dar mit gegenseitiger Abhängigkeit und Wechselseitigkeit zwischen den Arten ohne Hierarchien, weil jede Spezies sowohl Jäger als auch Beute ist.


2.2.2.1 Das Konzept der sozialen Ökologie

Mit dem Konzept der sozialen Ökologie versucht Bookchin die Rolle des Menschen in der Natur zu klären. Er kritisiert sowohl den Biozentrismus, der den Menschen ganz in der Natur verortet und dort aufgehen lässt, als auch den viktorianischen Dualismus, der eine scharfe Trennung zieht zwischen Natur und Mensch. Vielmehr sei die Gesellschaft, die menschliche Intellektualität und ihre Subjektivität aus der Natur herausgewachsen. Er versucht durch eine Naturgeschichte der Subjektivität aufzuzeigen, dass "die menschliche Vernunft (...) sich darüber hinaus als die Geschichte der Subjektivität in der Natur definieren [lässt], nicht bloß als ihr Produkt." (Bookchin 1985: 212) In der sozialen Ökologie wird die "(...)Natur als kreativ gestaltend und von latenter Subjektivität gesehen, als Reich der Möglichkeit für eine freie, sich ihrer selbst bewussten Gesellschaft". (Bookchin 1985: 19) So sollen sie die wechselseitigen Abhängigkeiten von lebenden und nichtlebenden Dingen, von Sozialem und Natürlichem untersucht und in ihren Entwicklungsstufen verfolgt werden ohne ihre ihnen eigene Identitäten zu verleugnen. In holistischer Vorgehensweise soll die Ganzheit betrachtet werden ( vgl. Gutkind 1954: 9), die "Einheit in der Vielfalt" (Bookchin 1985: 37), die "reich entfaltete Struktur mit innerer Logik." (Bookchin 1985: 35)

Das Ergebnis dieser Betrachtung ist, dass "beide, Gesellschaft und Natur, eine gemeinsame ökologische Entwicklung teilen, die dem evolutionären Prozess einen letztlich intellektuellen und ethischen Sinn verleiht" (Bookchin 1985: 15). Sie bedingen sich nicht nur höchst aktiv, sie sind auch in der Logik ihrer Differenzierung miteinander verbunden. Das bedeutet, dass die Vollständigkeit der Ökosysteme bzw. der menschlichen Gemeinschaften der Garant für dynamische Stabilität des Ganzen ist. (vgl. Bookchin 1985: 49f) Deshalb strebt die Natur nach Vielfalt, was natürlich auch zu einem hohen Grad an Komplexität führt. Diese Komplexität sei aber für den Menschen und seine Wissenschaft kaum zu durchschauen, weshalb eine Beherrschung bzw. (geplante) Manipulierung der Biosphäre bzw. der Gesellschaft nicht möglich sei ohne die Stabilität zu gefährden. Deshalb hält Bookchin es für absolut notwendig, der natürlichen Spontaneität und den (ökologischen) Kräften genug Raum zu geben. (Bookchin 1985: 39)

Dieses Konzept stellt also eine Alternative zu Herrschaft und Hierarchien dar, weil sie " keine Argumente für die Existenz von Hierarchie in Natur und Gesellschaft liefert, sondern vielmehr die Funktion von Hierarchie als stabilisierendes oder ordnendes Prinzip in beiden Bereichen grundsätzlich in Frage stellt." (Bookchin 1985: 57) Das Konzept der sozialen Ökologie führt Natur als "Quelle einer objektiv begründeten Ethik" ein. ( Bookchin 1985: 260) Sie begründet eine " (...)neue Ethik des Mutualismus und der Komplementarität". (Bookchin 1985: 20)

Da die Natur dezentral, vielfältig, komplementär und nicht- hierarchisch strukturiert ist, müsse und solle eine Gesellschaft dies auch sein. Aus einer deskriptiven Beschreibung wird also etwas normatives gefolgert, aus dem Sein wird ein Sollen.

Kropotkin führte die Beispiele aus der Natur an um anarchistische Vorstellungen zu erläutern und aufzuzeigen, dass auch komplexe Strukturen durchaus dezentral und ohne Hierarchien funktionieren. Er stellte zwar fest, dass Abläufe in der Natur mit dem anarchistischen Gesellschaftsideal häufig kongruent sind, ging aber nicht soweit die sozialen Ideen aus der Natur abzuleiten.(vgl. Kropotkin 1983: 59f) Diesen naturalistischen Schluss von Natur auf Gesellschaft zieht aber Bookchin. Er scheint nicht nur etwas naiv, sondern kann durchaus folgenschwer sein, wie mensch bei den SozialdarwinistInnen gesehen hat. Er birgt außerdem eine Reihe von Problemen und Schwierigkeiten, die von zentraler Bedeutung für die Kritik an Bookchins Ideen sind und die ich deshalb im späteren noch gesondert besprechen werde.


2.3 Ursachen der ökologischen Krise

Für Bookchin besteht die Ursache der ökologischen Krise in der Herrschaft des Menschen über die Natur, die eng verbunden ist mit der Herrschaft des Menschen über den Menschen. Diese durch die Herrschaftsstruktur erzeugte Naturzerstörung ist im Kapitalismus am weitereichensten und intensivsten, da in der bürgerlichen Gesellschaft die Menschen durch die ihr immanente Wettbewerbsstruktur nicht nur einander, sondern vor allem auch die meisten Menschen der Natur feindlich gegenübergestellt werden. (vgl. Bookchin politische Ökologie) Es sind es also die politischen, ökologischen und sozialen Institutionen der hierarchischen "Marktgesellschaft" die zur Ausbeutung und Zerstörung der Natur führen.

"Nach Bookchin konvergiert die Krise der staatlichen Gesellschaftssysteme mit der der Biosysteme. Beide hätten gemeinsame Ursachen: Herrschaft, Zentralisation, Vereinheitlichung." (Cantzen 1984: 56) Da ökologische Probleme also aus tiefliegenden sozialen Problemen entstehen kann eine Ursachenforschung ohne eine dezidierte Gesellschaftsbetrachtung nicht erfolgen. Die soziale Ökologie versucht diesen Anspruch durch die holistische Vorgehensweise gerecht zu werden und zu erklären wie das System der kapitalistischen Marktwirtschaft naturzerstörend wirkt. In einer Marktwirtschaft wird nicht nur der Mensch selbst zur Ware gemacht, sondern auch die Natur wird Ware und Rohstoffquelle, die ausgenutzt werden kann, wie es beliebt. Die Logiken eines kapitalistischen Wirtschaftssystems, wie Konkurrenz, Gewinnmaximierung, Akkumulation, Effektivitätssteigerung etc. führen zu einer erbarmungslosen Ausbeutung der Natur, wie es z.B. in der Landwirtschaft gesehen werden kann. Dies hat zur Folge, dass Vielfalt, Komplexität und regionale Verschiedenheiten aufgrund von Verwertungslogiken von vereinheitlichenden Monokulturen verdrängt werden. Dies bedeutet zum einen, dass der evolutionäre Prozess, der die Komplexität und Komplementarität und somit ökologische Stabilität hervorgebracht hat, umgekehrt wird, zum anderen hat es zur Folge, dass chemische Wirkstoffe wie Dünger und Pestizide eingesetzt werden müssen, was erhebliche negative Folgen für die Tier- und Pflanzenwelt und auch für den Menschen hat.

Diese Zentrierung der Landwirtschaft und der Großindustrien, die "Spezialisierung" bzw. eher Simplifizierung einzelner Gebiete auf bestimmte Stationen des Produktionsapparates, mache außerdem ressourcenverschwendende und umweltverschmutzende Logistik ( Transport etc.) erforderlich. Die Zentralisation durch Verstädterung habe weitreichende kulturelle und soziale Folgen: spontane, kreative und individualistische Tendenzen, die (kulturelle)Vielfalt würde in dieser "Pseudo-demokratischen" Gesellschaft "gleichgeschaltet", die Bedürfnisse von den zentrierten Massenmedien (systemkonform) gelenkt.( vgl. Bookchin 1964: ) Nach Bookchin entspricht "der Plünderung des menschlichen Verstandes durch den Markt (...) die Ausbeutung der Erde durch das Kapital." (Bookchin politische Ökologie) Dem Kapitalismus eigen ist nach Bookchin eine "grow or die" Logik, die zu Wachstum und Konkurrenzabwehr zwinge und gar kein moralisches oder ökologisches Verhalten zulasse, da dies immer zum Wettbewerbsnachteil und so zur Niederlage auf dem Markt führe. So sieht Bookchin den Kapitalismus als strukturell unmoralisch und von seiner "Natur her anti-ökologisch" an. (Bookchin 1993: S.7f) Er schlussfolgert : " Die Zerstörung der Naturwelt- alles andere als nur die Folge hybrider Schnitzer des Systems- ist die unerbitterliche Konsequenz aus der Logik der kapitalistischen Produktionsweise." ( Bookchin 1977: 16 )

Diese Logiken sind nach ihm also die Ursache für die ökologische Krise und nicht der Mensch an sich, der häufig genug aus wirtschaftlicher Not gezwungen ist sich unökologisch oder unmoralisch zu verhalten. Ein Holzfäller, der von seinem Chef beauftragt wird einen schönen Wald zu roden, tut das sicherlich nicht, weil er Spaß daran hat, sondern weil seine wirtschaftliche Lage ihn dazu zwingt. Deshalb wehrt sich Bookchin ganz vehement gegen eine "Zoologisierung" des Menschen, dagegen, die Menschheit insgesamt als "Krebsgeschwür der Erde" anzusehen, wie es die Anhängerinnen der "deep ecology" z.B. earth first! tun. So würden Arme mit Reichen, Schwarze mit Weißen, Unterdrücker mit Unterdrückten gleichgesetzt und jeglicher (Klassen-, Geschlechter-) Unterschied übergangen. Damit wird die Verantwortung für die ökologische Krise, die eigentlich bei den Machthabenden in Staat und Wirtschaft und den von ihnen verteidigten Strukturen liegt, auf die "biologische Art Mensch" übertragen. ( vgl. Bookchin 1992: 7) Für Bookchin ist auch die Technik an sich nicht unweigerlich umweltschädlich, sondern wirke nur durch die hinter ihr stehenden ( kapitalistischen) Logiken in dieser Gesellschaft wie (egoistisches) Profitstreben, Zentralisation und industrielle Expansion destruktiv. (vgl. Bookchin 1993: 1)


2.4 Wege zu einer ökologischen Gesellschaft

Da die gesellschaftliche Krise mit der ökologischen Krise konvergiert, wie ich im vorangegangenen angedeutet habe, müssen Lösungen für die ökologische Krise und Wege zu einer sich mit der Natur im Gleichgewicht befindenden Gesellschaft in der Ökologie gesucht werden.(Bookchin 1977: 25) Die Funktionsstrukturen der Ökologie wie Dezentralität, Spontaneität und Vielfalt gelte es auf die Gesellschaft zu übertragen, denn nur so würde eine ökologische Gesellschaft entstehen können. Da das anarchistische Gesellschaftsideal den ökologischen Strukturen gleiche, sei eine anarchistische Gesellschaft nicht nur wünschenswert, oder eine Option, wie es Landauer ausgedrückt hat, sondern "wissenschaftlich bewiesen", notwendig. Reformen und Veränderungsvorschläge, die im bürgerlich- kapitalistischen, deshalb strukturell anti-ökologischen Rahmen bleiben, können nach Bookchin nur scheitern. (Bookchin 1977: 26) "Entweder wird die Revolution eine ökologische Gesellschaft mit neuen Ökotechnologien und Ökogemeinden hervorbringen, oder die Menschheit und die Welt der Natur, so wie wir sie heute kennen, sind dem Untergang geweiht."

Das "revolutionäre Subjekt" stellt dabei nicht wie bei Marx " das Proletariat" dar, da es nach Meinung Bookchins schon längst verbürgerlicht und "Vertragspartner der Bourgeoisie sei" (Harrison, 1999: 39), sondern ähnlich wie bei Kropotkin können alle Menschen, gleich ihrer kulturellen und ökonomischen Herkunft, BündnispartnerInnen im Kampf für eine ökologische Gesellschaft sein. Eine Gesellschaft kann nur ökologisch werden, wenn die anti-ökologischen Strukturen, die in der Gegenwart herrschen, abgeschafft werden. Dem anarchistischen Gesellschaftsideal entsprechend bedeutet dies die Herrschaft des Menschen über den Menschen und somit auch die Herrschaft des Menschen über die Natur abzuschaffen.

Damit lehnt Bookchin aber nicht jegliche Eingriffe des Menschen in die Natur ab, doch sollen sie eher einer" Verwaltung" gleichen, was "Einsicht und Verständnis" in die ökologischen Abläufe voraussetzt. (vgl. Bookchin 1977: 39) Für diese notwendige " ökologische Sensibilität” sei eine Nähe zur Natur unumgänglich, die den Menschen zu einem organischen Teil des Ökosystems mache. Dies ist in einer in einer anonymen Massengesellschaft in der der Mensch der Natur entfremdet wird nicht möglich.
Deshalb müsse der Mensch aus den großen Städten in möglichst autarke und überschaubare Ökogemeinschaften auf dem Land ziehen und in seinen Lebensbereichen die ökologischen Funktionsstrukturen Dezentralität, Vielfalt, Komplementarität und Spontaneität verwirklichen.
Die Landwirtschaft muss also dezentralisiert werden, so dass die Spontaneität, Diversität der Natur geachtet und die Bewirtschaftung regionalen Gegebenheiten angepasst werden kann. (vgl. Bookchin 1964: 2)

Auch die Energiegewinnung soll regionalen Möglichkeiten und Erfordernissen entsprechen. Ein komplementäres, vielfältiges Mix aus möglichst regenerativen Energien wie Solar-, Wind- oder Wasserkraft kann den Energiebedarf der Gemeinschaften decken, da sie dezentral und klein sind und nicht auf engem Raum zentriert wie die heutigen Großstädte. Auch gewährleistet die Größe der eingesetzten Energieträger eine bessere Kontrolle und " Beherrschbarkeit", sie lassen sich selbst verwalten und ermöglichen so wieder eine direkte Verfügungsgewalt über sein Lebensumfeld ohne auf Experten oder Wissenschaftler angewiesen zu sein. Außerdem " (...)spricht viel dafür, dass selbstbestimmt lebende Menschen, deren Umwelt gleichzeitig ihre Lebensgrundlage darstellt, mit dieser anders umgehen wie Menschen z.B. in Parlamenten, die Entscheidungen treffen, aber von den Konsequenzen in der Regel nie berührt werden." (Bergstedt, Umweltschutz von unten: 2) Ökologisch gefährliche oder destruktive Großprojekte wie Atomkraft gehörten dann der Vergangenheit an.
Eine so dezentralisierte, fast autarke Gesellschaft kann auch den Transport auf ein Minimum senken oder aufgrund der geringen Entfernungen mit (aus Sonnenenergie gespeisten) Elektroautos tätigen.

Bookchin geht außerdem, ohne dies näher zu begründen, davon aus, dass die Ökogemeinschaften dem "Ertragsgesetz" der Natur folgen würden, das bedeutet also eine größtmögliche Wiederverwertung von Materialien in der Landwirtschaft- organische Abfälle können als mineralstoffhaltiger Boden genutzt werden- oder auch in Handwerk und Industrie. (vgl. Bookchin 1984: 371f) Die durch kapitalistische Logiken erzeugte Wegwerf- würde also einer "Wiederverwertgesellschaft" Platz machen, die in ökologische Kreisläufe eingebunden ist.

Die ökologische Gesellschaft, die sich Bookchin als eine " Commune of communes" vorstellt, ist aber nicht nur aus ökologischen Gründen erstrebenswert, sondern sie soll dem Menschen auch große Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeit bieten, so dass er ein "vollendeter Mensch" werden kann, wie es das Ziel der athenischen Polis war, auf die sich Bookchin häufig bezieht. (Bookchin 1964: 5) Denn nach Bookchin ist vor allem die " Befreiung des Alltagslebens Ziel der Revolution." (Bookchin 1977: 41) Diese Befreiung sieht er in der Kommune verwirklicht in der Eigentum gemeinsam besessen wird, Arbeit und öffentliche Verantwortlichkeiten rotieren, jede Person, durch die überschaubare Größe, direktdemokratisch und gleichberechtigt mitentscheiden kann, weil ihr individuelle Kompetenz zugesprochen wird. (vgl. Bookchin 1984: 366) Durch die Anwendungen der anarchistischen und ökologischen Prinzipien wäre so der Antagonismus von Mensch und Natur, der zur ökologischen Krise geführt hat, aufgehoben und " social life would yield a sensitive development of human and natural diversity, falling together into a well-balanced, harmonious unity." (Bookchin 1964: 5)


2.5 Umweltbewegung

Nach Alain Touraine sind die neuen sozialen Bewegungen, also auch die Umweltbewegung, die Schlüsselphänomene in der heutigen Gesellschaft. (vgl. Diekmann, Preisendörfer, 2001: 148) Auf dem Weg zu einer ökologischen Gesellschaft kommt ihnen also besondere Bedeutung zu. Aus einer Kritik an der jetzigen Politik/ Strategie der NGOs und Umweltorganisationen werde ich aus anarchistischer Sicht versuchen ein Bild von einer emanzipatorischen Umweltbewegung zu zeichnen, die wirklich Motor sein kann für eine freie und ökologische Gesellschaft.


2.5.1 Kritik am "Umweltschutz von oben"

In großen Teilen der Umweltbewegung wird der Staat und die PolitikerInnen als PartnerInnen wahrgenommen. Die NGOs und Umweltverbände versuchen am "runden Tisch" die PolitikerInnen von ihren Ideen zu überzeugen, damit sie ihre Vorstellungen durch Gesetze, Verordnungen, Strafen und Polizei-, oder Behördeneinsätze durchsetzen. Die Umweltbewegung wird so zu einem Verfechter eines starken Staates, die BürgerInnen werden zum Objekt, das es zu erziehen gilt, oder das durch staatliche Gewalt gezwungen werden muss sich "umweltgerecht" zu verhalten. So bevormundet und fremdbestimmt verwundert es dann auch nicht, dass in der Praxis häufig wenig Akzeptanz an Umweltvorhaben herrscht, seien dies nun Naturschutzgebiete, oder " die Verspargelung der Landschaft durch Windkraft". Macht und Herrschaftspositionen werden also nicht kritisch betrachtet, sondern die Systematiken und Logiken, die ja gerade verantwortlich sind für die Umweltzerstörung, werden so eher gestärkt und sollen sogar zur Lösung der ökologischen Krise beitragen, wie dies z.B. durch das Konzept der Ökosteuer deutlich wird. Die Strategie dieser Umweltbewegung ist vor allem Einfluss auf die Mächtigen, also Regierungen und Konzerne, zu nehmen und weniger, vor Ort direkt das Lebensumfeld zu gestalten. Diese Strategie der indirekten Politik hat auch weitreichende Folgen für die Struktur der NGOs und Umweltorganisationen selber. Da sich ihre Strategien auf die Regierungen und Chefetagen der Konzerne beziehen, werden sie von ihnen (strategisch) abhängig, denn sie geben die Anlässe und Beteiligungsmöglichkeiten vor. (vgl. Bergstedt, NGO: 2 ) Lobby- und Gremienarbeit (durch ExpertInnen und Hauptamtliche) ersetzt Basisarbeit, die Organisationsstruktur wird hierarchischer, wie z.B. bei Greenpeace gesehen werden kann. Angestrebt wird so aufgrund dieser Strategie vor allem mehr Einfluss und bessere Positionen an der Sphäre der Macht. So entstehen persönliche und finanzielle Verfilzungen mit Parteien und den staatlichen Organen, die die Unabhängigkeit und die Möglichkeit der radikalen Kritik sehr beschränken. Systemkritik wird so fast unmöglich, da viele NGOs ja selber (finanziell) abhängige und profitierende Teile des Systems und ihrer Elite sind. So bewertet Jörg Bergstedt die NGOs als " das Gegenteil von selbstorganisiert, spontan, kreativ oder autonom." (Bergstedt NGO: 1)

Die (Haupt-)Verantwortlichkeit für die ökologische Krise wird nicht selten von den wirtschaftlichen Logiken, der staatlichen Politik und der Herrschaftssystematik auf die BürgerInnen, geschoben. Antworten sollen technische Megaprojekte bieten, die "das Produkt der althergebrachten Industriellen Revolution [sind], nicht das einer neuen ökologischen Revolution, wie ausgeklügelt ihre Entwürfe auch immer sein mögen." (Bookchin 1977: 68) So wird eine Ideologie des " Umweltschutzes" deutlich, die die Natur weiter als passives Gegenüber sieht, das beherrscht und ausgeplündert werden kann, nur dass diese Ausplünderung mit einem Minimum an Zerstörung und Verschmutzung geschehen soll. Dieser Ansatz ist damit weit entfernt von einem ökologischen, vertreten z.B. durch Bookchin, für den "das ‚Gleichgewicht’ und die ‚Unversehrtheit’ der Biosphäre ein ‚in sich sinnvolles Ziel’ [ist]". (Cantzen 1984: 258) Bookchin stellt fest:" Wenn die Ökologiebewegung nicht das Problem der Herrschaft mit all ihren Aspekten aufgreift, wird sie nichts dazu beitragen, um die grundlegenden Ursachen der ökologischen Krise zu beseitigen." (Bookchin in: Cantzen 1997: 211)

Davon ausgehend scheint das Konzept der " Umweltbewegung von unten", im Gegensatz zur "Umweltbewegung von oben", das ich gerade beschrieben habe, eher in der Lage zu sein emanzipative Strategien für eine Umweltbewegung zu bieten, die ein wichtiger Motor für eine Entwicklung hin zu einer freien und ökologischen Gesellschaft ist.


2.5.2 Umweltschutz von unten

Dieses Konzept wurde von verschiedenen Basisgruppen entwickelt, die der voranschreitenden Systemintegration der Umweltbewegung, die spätestens nach dem Deutschen Umwelttag 1992, der als Show großer Konzerne wahrgenommen wurde, offensichtlich wurde, kritisch gegenüberstanden. Diesem "Umweltschutz von oben" sollte ein "Umweltschutz von unten" entgegengestellt werden, der Ökologie und die Selbstbestimmung der Menschen zusammenbringt. Die Umweltbewegung wird als Teil einer emanzipativen gesamtgesellschaftlichen Bewegung gesehen, da es " die gleichen Mechanismen und Strukturen [sind], welche die Natur ( Tiere, Pflanzen und unbelebte Teile der Umwelt) ausbeuten und welche Menschen unterdrücken, ausbeuten, ausgrenzen oder für die Sache des Kapitals ( als verbreitetste Machtform) bzw. anderer Mächtiger zu instrumentalisieren versuchen." (Bergstedt Umweltschutz von unten: 1)

Das Ziel des "Umweltschutzes von unten" ist also der Abbau von Herrschafts- und Ausbeutungsstrukturen. Der Staat und das kapitalistische System werden nicht als Partner/ Möglichkeit für die Lösung der ökologischen Krise, sondern als Verursacher, also Gegner gesehen. An die Stelle von indirekter Politik wie bei dem "Umweltschutz von oben" tritt die direkte Politik. Der Mensch wird nicht als Objekt, sondern als AkteurIn wahrgenommen, der/die selbstbestimmt entscheidet und handelt. Die Menschen sollen die Verfügungsgewalt über ihr Lebensumfeld haben und bestimmen, wie die Umweltgüter genutzt werden sollen und nicht Regierungen, Firmen oder das Marktgesetz.

Entscheidungen sollen auf der untersten Ebene getroffen werden, bei den Menschen selber. Freiwillige Verträge der beteiligten Menschen sollen Verordnungen von oben ersetzen. So kann eine höhere Akzeptanz ökologischer Veränderungen und ein höheres Maß an Mobilisierung zu ökologischen Themen erreicht werden. (vgl. Bergstedt Umweltschutz von unten: 1)

Dieses Konzept kann also einen Erklärungsansatz bieten, warum trotz eines recht hohen Umweltbewusstseins das Umweltverhalten sich nicht dementsprechend ausdrückt. Fremdbestimmung, (zentrale) Entscheidungen "von oben" und das Gefühl, dass sein eigenes Handeln keine Wirkung/ Folgen hat, führen eher zu Passivität, Vertrauen auf ein Handeln von " oben" a la "Greenpeace rettet uns schon", aber eben nicht zu BürgerInnen, die ihr Lebensumfeld aktiv und ökologisch gestalten, weil sie die Verantwortlichen dafür sind und sie mit den Folgen ihres Handelns leben müssen.

Dieses Konzept erkennt die Menschen und ihre Lebenssituation auch als einzigartig an und vermeidet damit Ansätze, die den Menschen naiv gleichschalten, wie es der Ansatz der "deep ecology" tut, und mit zentralen Entscheidungen ihre Verschiedenartigkeit übergehen. Dezentrale Entscheidungsbefugnisse, die die Betroffenen zu (selbstbestimmenden) AkteurInnen machen, können aus soziologischer Sicht einer komplexen Gesellschaft und ökologischen Notwendigkeiten viel eher gerecht werden.

Eine Umweltbewegung mit den Zielen Dezentralität, Vielfalt und Herrschaftslosigkeit, also mit anarchistischen Gesellschaftsforderungen, kann so auch anschlussfähig an andere emanzipative Bewegungen sein (feministische, Eine- Welt, Friedens- Bewegung) und umfasst so einen gesamtgesellschaftlichen Fokus, der dem Zusammenhang von Ausbeutungsstrukturen in der Gesellschaft und in der Natur gerecht wird.


3. Fazit/ Kritik

In den Mittelpunkt meiner Kritik will ich Bookchins " naturalistischen Fehlschluss" stellen. Aus den ( deskriptiven) Beschreibungen der Abläufe in der Natur folgert er normativ, dass sich die gesellschaftlichen Abläufe ähnlich gestalten sollen. Anarchie wird also aus der Natur abgeleitet und als einzige, "ökologische" Gesellschaftsform anerkannt. Welche aus soziologischer Sicht kritischen Elemente dieser "naturalistische Fehlschluss" beinhaltet will ich im folgenden beschreiben und kritisch hinterfragen, ob die Analogie von Anarchie und Ökologie, die Bookchin aufstellt, zu halten ist.

Bookchin glaubt die " Natur an sich" zu erkennen und lässt dabei völlig außer Acht, dass "(...) die Natur im Erkenntnisprozess selbst eine gesellschaftlich konstituierte ist." (Cantzen 1997: 180) Diese unkritische Haltung lässt ihn auch ein "telos" aus der Naturgeschichte "einfach ablesen", das für Natur und Mensch gilt und zu verwirklichen sei: Anarchie bzw. eine "ökologische Gesellschaft." Damit wird Anarchie nicht mehr wie bei Landauer "ein Bestreben, mit Hilfe eines Ideals eine neue Wirklichkeit zu schaffen", sondern ist alternativlos und absolut notwendig, stellt das Endziel dar. Dies degradiert den Menschen aber zum "gehorsamen Befehlsempfänger" der Natur und lässt sich nur schwer mit dem anarchistischen Bild von selbstbestimmten, mit freiem Willen ausgestatteten Menschen überein bringen, die nach selbstgesetzten Idealen handeln. So wirkt dieser kompromisslose naturalistische Schluss eher anti-emanzipativ als befreiend. Das Endziel, die Anarchie, beschreibt er als vollkommene Harmonie, also ohne Interessensgegensätze. Diese Idealisierung scheint mir naiv und unrealistisch. Natürlich wird es auch in einer anarchistischen Gesellschaft Konflikte und Spannungen geben, sowie es diese in allen Gesellschaften mit lebenden Individuen geben wird und wie es von Anarchisten wie Kropotkin und Proudhon auch nicht bestritten wird. Entscheidend ist bei ihren Überlegungen weniger das "Endziel" der Interessensharmonie, sondern vielmehr, wie die Konflikte auf der Basis von Solidarität, Herrschaftslosigkeit und im Rahmen " freier Vereinbarung" aus dem Weg geräumt werden können, also die spezifische Form der Austragung von Interessenskonflikten. (vgl. Cantzen 1997: 178)

Die Gleichsetzung von einer herrschaftslosen Gesellschaft mit einer ökologischen Gesellschaft weist aber noch weitere Schwächen auf. Bookchin macht keinen Unterschied zwischen Herrschaft des Menschen über den Menschen und Herrschaft des Menschen über die Natur. Er lehnt beides grundlegend ab, Herrschaft ist nach ihm in allen Relationen zu verneinen. Der Mensch lebt aber in einem komplexen System von Wechselwirkungen, das System Mensch " (...) kann wie eine Flamme nur so lange überleben, als es auf die Systeme seiner Umgebung auf bestimmte Weise einzuwirken vermag ( ...)" (Passmore 1986: 223), also auch auf die Natur. Herrschaftsfrei wäre dieses Einwirken nur dann, wenn der Mensch nicht gegen den Willen der Natur eingreift. Da aber eine Kommunikation nicht möglich ist, auch keine noch so große "ökologische Sensibilität" eine herrschaftsfreie Vereinbarung möglich macht, übt der Mensch durch sein (notwendiges) Einwirken auf die Natur zwangsläufig Herrschaft aus. Eine herrschaftsfreie Mensch- Natur Relation ist also nicht möglich. Indem Bookchin dem Menschen das Recht zuspricht planvoll in die Natur einzugreifen, wird deutlich, dass der Unterschied zwischen Ökologie und Umweltschutz, den Bookchin festmacht, auch nur noch ein gradueller sein kann, da Herrschaft ausgeübt werden muss, das Kriterium der Herrschaftsfreiheit also nicht mehr gilt. Damit zeigt sich, dass die Gleichsetzung von einer herrschaftsfreien Gesellschaft mit einer ökologischen Gesellschaft so nicht möglich ist, da eine anarchistische Gesellschaft nicht per se eine ökologische sein muss, da auch sie lenkend in die Natur eingreift und somit Herrschaft über die Natur ausübt. Da Herrschaftsfreiheit nun also nicht mehr das Kriterium sein kann, was eine ökologische Gesellschaft ausmacht, muss also eher gefragt werden, "(...) welche gesellschaftliche Organisationsform die effektivste Naturbeherrschung, u.a. auch im Sinne der Erhaltung und des Schutzes von Natur gegen lebensbedrohende Zerstörung, gewährleistet." (Cantzen 1984: 61f)

Es scheint, dass dezentrale Organisationsformen, wie sie der Anarchismus fordert, diese "effektive Naturbeherrschung" am ehesten leisten können. Dezentrale Strukturen lassen es am ehesten zu sich der Natur anzupassen, die Vielfalt zu erhalten und so möglichst wenig zu zerstören bzw. möglichst schonend und geringfügig einzugreifen.
Über diesen Weg lässt sich die Sinnigkeit von Bookchins Lösungsansätzen, die ich im vorigen beschrieben habe, dennoch aufweisen.

Leider stellt Bookchin seine Ansätze nicht als Diskussionsvorschläge dar, wie es aus gutem Grund meist bei anarchistischer Literatur geschieht, sondern eher als das einzige, was anarchistisch und ökologisch ist. So ist für ihn z.B. einzig das Leben in kleinen, autarken, kommunistischen Ökogemeinschaften anarchistisch und ökologisch. Die so viel propagierte Vielfalt verkürzt sich damit auf eine Vielfalt innerhalb dieser Form. Andere Lebensformen, anderes herrschaftsfreies Produzieren wird abgelehnt. Damit wird sein Denken dogmatisch, einseitig und unkritisch. In der Idealisierung dieser Ökogemeinschaften wird vollkommen übersehen, dass sich diese totalen Gemeinschaften häufig repressiv gegenüber den Individuen verhalten, da durch die hohe Transparenz meist ein starker Normbefolgungsdruck und eine verstärkte Möglichkeit zu (sozialen) Sanktionen besteht.

Die Anonymität in der Stadt, die Bookchin angreift, kann aber häufig gerade die Selbstentfaltung ermöglichen, die in den Ökogemeinschaften so nicht möglich ist. So darf auch nicht vergessen werden, dass aus historischer Sicht gerade die Städte die Emanzipation von "gesellschaftlichen Randgruppen", z.B. Homosexuellen, gefördert haben. Toleranz, Vielfalt und Selbstverwirklichung scheinen hier viel eher gegeben zu sein als "auf dem Land".

Aus soziologischer Perspektive wirkt dieser Lösungsvorschlag also recht naiv und ist in seiner Ausschließlichkeit abzulehnen.

Auch scheint mir der Aspekt der überregionalen Kooperation zu wenig beachtet zu sein. Ganz autarke Gemeinschaften scheinen mir weder realistisch noch wirklich wünschenswert, denn kompliziertere (dezentrale) Fertigungstechnologie, Bookchin hält einen hohen technischen Standard ja durchaus für sinnvoll, lässt sich von einer Ökogemeinschaft sicherlich nicht alleine herstellen und unterhalten. Das Dezentralisierungs- muss also mit einem Föderalismuskonzept verbunden werden um wirklich Sinn zu machen, was von den meisten AnarchistInnen auch getan wird. Abschließend ist zu sagen, dass Bookchins Verknüpfung von anarchistischem Gesellschaftsideal und ökologischer Notwendigkeit durchaus Sinn macht, wie ich versucht habe darzulegen. Notwendig ist aber dazu die vollständige Konvergenz von Biosphäre und Gesellschaftsideal, die er in seinem " holistischen Ansatz" vertritt, zu hinterfragen und Anarchie nicht durch den " naturalistischen (Fehl-)schluss" als eine ökologische Gesellschaftsform zu beweisen, sondern durch die ihr immanenten Strukturen, die eine "effektive Naturbeherrschung" fördern und zulassen.(vgl. Cantzen 1984: 69)

Die anarchistische Perspektive scheint mir die Ursachen der ökologischen Krise sinnig zu begründen und Vorschläge zur Lösung der ökologischen Krise bieten zu können. Eine weitere Leistung scheint mir zu sein, dass die strukturelle (Kapitalismus- und Staats-) Kritik immer wieder Erklärungen geben kann, warum trotz des hohen Umweltbewusstseins (in der Bevölkerung) die Wirtschaft und die Gesellschaft nur wenig ökologischer werden. Die anarchistischen Ideen sind so auch als strategische Perspektive für die Umweltbewegung von großem Wert und haben es verdient in der Umweltsoziologie mehr Beachtung geschenkt zu bekommen. Denn wenn die wirklichen Ursachen nicht angegriffen werden, können auch keine Lösungen gefunden werden, die die ökologische Krise bewältigen könnten. Soll der Wein erfrischend sein, so scheint es mir unumgänglich die alten Schläuche durch neue zu ersetzen. Auch die neuen Schläuche könnten den Wein bitter schmecken lassen, die alten Schläuche machen ihn aber ganz sicher ungenießbar.


4. Literatur

Bergstedt, Jörg, 2005: Allein machen sie dich ein! Plädoyer für den Aufbau einer emanzipatorischen Bewegung in: http://www.thur.de/philo/uvu/uvu.html [ Stand 18. 3.2006]

Bergstedt, Jörg, 2005: NGO in: http://www.thur.de/philo/uvu/uvu.html [ Stand 18. 3.2006]

Bergstedt, Jörg, 2005: Umweltschutz von unten! Emanzipatorische Entwürfe gegen das Kungeln mit der Macht in: http://www.thur.de/philo/uvu/uvu.html [ Stand 18. 3.2006]

Bookchin, Murray, 1964: Ecology and revolutionary thought, The reconstructive Nature of Ecology gefunden in: http://dwardmac.pitzer.edu/Anarchist_Archives/bookchin/Bookchinarchive.html, Stand [ 18.3.2006]

Bookchin, Murray, 1977: Die Formen der Freiheit, Aufsätze über Ökologie und Anarchismus, Asslar- Werdorf: Die Büchse der Pandora

Bookchin, Murray, 1985: Die Ökologie der Freiheit, wir brauchen keine Hierarchien, Weinheim; Basel: Beltz

Bookchin, Murray, 1992: Die Neugestaltung der Gesellschaft. Pfade in eine ökologische Zukunft. Grafenau: Trotzdem Verlag.

Bookchin, Murray,1993: What is social ecology? in: http://dwardmac.pitzer.edu/Anarchist_Archives/bookchin/Bookchinarchive.html, Stand [ 18.3.2006]

Bookchin, Murray, politische Ökologie, in: http://www.sterneck.net/cybertribe/oekologie/index.php, Stand [ 18.3.2006]

Cantzen, Rolf, 1984: Freiheit unter saurem Regen: Überlegungen zu einem libertär- ökologischen Gesellschaftskonzept, Berlin: Edition Ahrens im Verlag Zerling

Cantzen, Rolf, 1997: Weniger Staat- Mehr Gesellschaft, Freiheit- Ökologie- Anarchismus, Grafenau: Trotzdem Verlag

Diekmann, Andreas; Preisendörfer, Peter, 2001: Umweltsoziologie, Eine Einführung, Hamburg: Rowolth

Gutkind, Erwin Anton, 1954: Community and Environment New York: Philosophical library

Harrison, Frank, 1999: Bookchin und Kropotkin, gemeinsame Organisationsvorstellungen, in: Schwarzer Faden Nr. 68, S. 35- 43

Holland- Cunz, Barbara, 1994: Soziales Subjekt Natur, Natur- und Geschlechterverhältnis in emanzipatorischen politischen Theorien, Frankfurt/New York: Campus Verlag

Marcuse, Herbert, 1967: Der eindimensionale Mensch, Studien zur Ideologie in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft, München: dtv Neuauflage 1994

Passmore, John, 1986: Den Unrat beseitigen. Überlegungen zur ökologischen Mode, in: Birnbacher, Dieter (Hg.): Ökologie und Ethik, Stuttgart: Reclam Verlag, S.207-246

Pepper, David, 1993: Eco-Socialism, From deep ecology to social justice, London: Routledge

Kropotkin Peter, 1920: Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt, Leipzig: Thomas

Kropotkin Peter, 1923: Ethik, 1.Bd: Ursprung und Entwicklung der Sittlichkeit, Berlin: Syndikalist

Kropotkin Peter,1976: Landwirtschaft, Industrie und Handwerk, Berlin: Kramer

Schwarze Katze Anmerkung zur Hausarbeit, Mai 2006
Lieber Ökoanarchismus von Murray Bookchin als ein bürgerliches Soziologiestudium. Die Hausarbeit wurde im März 2006 für eine deutschsprachigen Universität abgegeben und mit 1,3 bewertet.