ÖkoKapital versus ÖkoAnarchie
Terminator April 2002
Libertäres Infoblatt für Bärlin und Umgebung

Im Jahr 1874 schrieb der französische Schriftsteller Jules Verne den Zukunftsroman: Die geheimnisvolle Insel. Darin antwortet der Ingenieur Chyrus Smith auf die Frage: Was denn geschähe, wenn der Rohstoff Kohle ausginge? Wasser. Wasser wird durch (Gleich-)Strom mittels Elektrolyse gespalten. Erzeugt werden Wasserstoff(-Gas) und Sauerstoff(-Gas). Diese Energiequelle sei unerschöpflich. Im damaligen England, dem Industrieland schlechthin (industrielle Revolution), befand sich der Begründer des Anarcho-Kommunismus, Peter Kropotkin im Exil. Mehrere seiner Artikel, ab 1890 geschrieben, erschienen zusammengefügt zu dem Buch: Landwirtschaft, Industrie und Handwerk. Im Gegensatz zur industriellen Fortschrittseuphorie der marxistischen Bewegung bevorzugte Kropotkin dezentrale Anwendungen. Aus sozialpsychologischer Erkenntnis sollten die Menschen bis auf wenige Großprojekte wie Schiffsbau, Erzabbau und Metallwerke direkt vor Ort und überschaubar die Anforderungen und Probleme der Produktion und Konsumtion lösen. (Hier sei kritisch bemerkt: gegen Kunstdünger hatte er nix.) Diesen Erkenntnisstand erreichte er durch Feldstudien in verschiedenen Ländern, so etwa in Dänemark. Schade, daß Kropotkin den Physiker La Cour nicht kennen lernte. Der war als Wissenschaftler für die dänische Regierung tätig. Sein Auftrag war die dezentrale Energie-Erzeugung zu erforschen. Er entwickelte die Windräder weiter zu sog. Schnellläufern, dem heutigen Dreiflügler. Durch die schnelle Drehzahl eignen sie sich zur Stromgewinnung. Anbei nutzte er den Strom zur Wasserstoff-Gewinnung. In plumpen Gasbehältern wurde Wasserstoff gespeichert und zur (Gas-)Beleuchtung einer Schule genutzt.

Apropos: zur damaligen Zeit wurden viele städtische Gaswerke bzw. Speicher mit bis zu 60% Wasserstoff-Anteil befüllt. Ebenfalls zur gleichen Zeit hatte der franz. Solarpionier Mouchot mit Hilfe eines Solarparabolspiegels heißen Dampf erzeugt. Die bekannte Kette: Strom - Wasserstoff folgte. Allerdings die fehlende Werkstofftechnik und das Erdöl bremste die regenerative (erneuerbare) Energiegewinnung aus!

Ökonazis

Auch bei den Nazis gab es ökologisch-zweckrationale Vorstellungen. Der Ingenieur Lawazcek wollte die Verstädterung und Großindustrie reduzieren. Seine Ideenwelt war agrarromantisch verbrämt. Zahlreiche Kleinwasser-Kraftwerke sollten Wasserstoff erzeugen. Allerdings der gigantische, explosiv entstandene Militärapparat brauchte für die Kriegs-Rüstung massiv Energie, das heißt, große Kohle-Kraftwerke. Der größte Flop für die Braunen war das öffenlichkeitswirksame Abflammen des Parade-Luftschiffs Hindenburg, das mit Wasserstoff befüllt war. Heutige Zeppeline fliegen mit unbrennbarem Helium. Auch in Windenergie wurde damals schon gemacht: GroWiAn, die Großwindanlage wurde gebaut aber dann die Forschung eingestellt.

Ökomilitärs

Im Zuge des Rüstungswettlaufs zündeten die USA Anfang der 50er-Jahre die Wasserstoffbombe (H-Bombe). Ende der 50er wurden erste US-Versuche mit wasserstoffbetriebenen Bombern unternommen. Heute baut die Killer Howaldswerft innovative U-Boote mit Wasserstoffantrieb via Brennstoffzelle, die u.a. ausgerechnet Indonesien schon bestellt hat. Die Boote fahren im "Schleichgang" und tauchen doppelt solange. "Robyfly" ist die neuste Kreation der US-Waffenschmieden: brennstoffzellenbetriebene Robotaufklärer stehen kurz vor der Serienreife.

Das öko-profitable Solar-Wasserstoff-Zeitalter.

Ökoindustriell und neoliberal geht das Fossile-Rohstoffe-Zeitalter zuende. Angst vor der finalen Umweltzerstörung schafft Akzeptanz für Ökoenergie. Das Goldene Kalb scheißt jetzt Ökogülle aus der Biogas wird. Windkraftweltmeister Germony produziert in Schleswig-Holstein schon 25% der Energie mit Wind. Riesige Offshorewindkraftwerke (vor der Küste) und dezentrale Blockheizkraftwerke sollen gebaut werden. Abgerechnet wird zentral von den Konzernen ("das virtuelle Kraftwerk"). Zukunftsperspektiven wie fliegende Windkraftwerke an Fesselballons oder Drachen, Aufwindkraftwerke und Solarfarmen sind keine Utopie mehr. Island will bis 2030 mit seiner natürlichen thermischen Energie Wasserstoffpilotland und -exporteur werden. Dabei: DaimlerChrysler, Shell, Mitsubishi u.a. alte Bekannte. Schon entstehen neue Ökoschandflecken wie Aluminiumwerke, Stromfresser 1. Klasse. Über die Brennstoffzelle ("Brezel") wollen sich die Ölmultis den weiteren fossilen Markt sichern: der Wasserstoff u.a. im Auto wird via Reformer (chem. Minireaktor) weiter aus Benzin, Gas und Öl erzeugt. Und auf Brachflächen wie dem ehem. Braunkohleabbau entstehen "Energiegärten", wie schön! Siemens & Co. sind mit von der Partie und planen weiter AKWs - die CDU wird's richten. Am Ende haben wir noch die "Solar-Perlen-Kette": von Spanien bis Usbekistan gekoppelte Kraftwerke die dem Lauf der Sonne folgen. Goldene Zeiten fürs Ökokapital.

Die ökolibertäre Vision.

An dieser Stelle ist aus Platzgründen eine umfassende Darstellung der liberträren Diskussion nicht möglich. Im Zentrum einer ökolibertären Zukunft stünde die Dezentralität und die Eigenverantworlichkeit. Dies steht einem profitorientierten Ökokapitalismus diametral entgegen. Libertäre Energieversorgung hieße, eine unkomplizierte, verläßlich-robuste Technik einzusetzen, die die nach Einsparpotentialen noch notwendige Energie möglichst in Eigenregie vor Ort erzeugt. Schon gibt es Gemeinden, die über 100% ihrer Energie selbst erzeugen, Energierebellen zunächst, jetzt schon Mitprofiteure der Ökotechnologisierung. Aber die Richtung stimmt. Wer eigenes Biogas erzeugt, sein Wasser mit Solarkollektoren oder Tiefenwärme aufheizt, wer mittels Wind- und Wasserkraft vor Ort mit überschaubarer Technologie Strom erzeugt, ist unabhängig und weder er- noch auspressbar. Problematisch ist Photovoltaik: Solarzellen, die eine hochtechnisierte Herstellung bedingen. Nicht zufällig sind die Ölkonzerne die größten Hersteller. Einfache Energieanlagen eigenen sich hingegen für den Selbstbau, wie z.B. die Bastelbroschüren vom libertären Packpapierverlag praktisch zeigen.

Der energiegeladene Autor P.M. plädiert für Lebensprojekte (bolos) mit bis zu 700 Leuten. Durch Car-Sharing können dann z.B. statt 2 Personen gleich 30 ein Auto nutzen. Das würde die umweltschädliche Produktion und Beseitigung der Kfzs um das 15fache reduzieren und den Ressourcenverbrauch gewaltig senken. Aber ohne ein bißchen Revolution gegen das neoliberal-patrialrchale Kapital wird das nur in Nischen machbar sein.

Uneinigkeit herrscht (?) auch unter den Libertären selber: die einen plädieren für eine sinnvolle und dezentral angewandte ökologische Technik die das Leben angenehmer macht, während andere zurück in die Steinzeit wollen und jegliche Technik als potentielle Quelle von Herrschaft ablehnen. In der letzten "Anarchy" Herbst-Winter 2001/02 (US-Magazin, im A-Laden lesbar) geht es um "Pro & Con. Primitivism". Ob die von den PrimitivistInnen gewünschte Absenkung der Menschen auf der Erde auf einen vorgeschichtlichen Stand der Weisheit letzter Schluß ist darf bezweifelt werden. Aber auch hier gibt es Argumente die zumindesten interessant sind und die zeigen welches Spektrum die libertäre Diskussion umfaßt.

In diesem Sinne:

Viva Anarchia!

Zu diesem Thema Mo. 22.04.02 um 18:00 Uhr Veranstaltung im A-Laden.