Interview mit Menschen aus der Vorbereitung des
Öko-Anarchistischen Barrios auf dem Klima-Camp

Öko-Anarcho, 16.08.08

Was hältst Du von den Bemühungen der Bundesregierung, den Ausstoß der Klimagase bis 2020 um 40% gegenüber 1990 zu reduzieren?

Es handelt sich hierbei um ein Paradebeispiel dafür, dass die herrschende Politik sich ein einzelnes Symptom eines viel komplexeren Problem herausgreift und nur DIESES bekämpft. Dadurch wird nicht berücksichtigt, dass die Zerstörung der "Natur" - und damit der Lebensgrundlage vieler Menschen und anderer Wesen auf der Welt - vielfältigere Folgen hat, als nur einen vermehrten CO2-Ausstoß bzw. das, was dann "Klimawandel" genannt wird (obwohl es wohl eher "Klimazerstörung" heissen sollte).

Die einseitige Fokussierung auf die Reduktion von Treibhausgasen ist außerdem geprägt von einem Politikverständnis, das sowohl das Wissen, wie auch die Möglichkeiten an Veränderung mitzuwirken, fast ausschließlich Experte_innen zugesteht. Hierbei wird mit Zahlen jongliert, die es scheinbar berechenbar machen, wie der "Klimawandel" zu stoppen wäre. So wird das Problem normalerweise als gelöst definiert, sobald wir weltweit unter zwei Grad Temperaturveränderung bleiben. Expert_innen erklären uns dann auch gleich, wie das CO2-Problem zu lösen wäre: Zum Beispiel mit Emissionsrechtehandel (der vor allem Profite verspricht).

Verschleiert wird vor allem der industrielle Normalzustand, der den Umweltzerstörungen zu Grunde liegt: Ausbeuterische, herrschaftsförmige Produktionsverhältnisse in der Rohstoffbeschaffung; unmenschliche, enfremdende Arbeitsbedingungen in der industriellen Verarbeitung. Das alles oft im globalen Süden. Daran gekoppelt ist die Wachstumsökonomie der Staat und Wirtschaft unterworfen sind.

Wenn die Bundesregierung ihre eigene Frage zumindest ernstnehmen würde, müsste Sie das Ziel 80 - 90% Emissionseinsparung gegenüber 1990 setzen! Dies würde dem pro-Kopf Verbrauch der Länder des industriellen Nordens gegenüber denen des Südens gerecht werden, da die Hälfte des Klimagasausstoßes aus den Industrieländern stammt, in denen aber nur ein Fünftel der Weltbevölkerung lebt. Dies könnte die Bundesregierung sich kaum zum Ziel setzen, ohne das kapitalistische Herrschaftssystem, für das sie selbst steht, abzusägen.

Veränderungsimpulse von diesen Akteuren bleiben also aus, oder sind autoritäre Eingriffe von oben, die abzulehnen sind. Die Dekonstruktion der Industriegesellschaft und die Schaffung konkreter und tiefgreifender Alltagsalternativen mit einem um 90% reduzierten Ressourcenverbrauch sind am ehesten von einfachen, miteinander kooperierenden Menschen zu erwarten.

Worin siehst Du dann die hauptsächliche Herausforderung des Klimawandels?

Es geht darum, die Zerstörung des Klimas zusammen mit anderen Herrschaftsverhältnissen zu denken. Folglich ist der sogenannte "Klimawandel" nicht das Problem an sich sondern ein Symptom solcher Herrschaft. Die von Experten benannten Lösungen zementieren diese oft, wenn nicht immer. Umwelt-Technologieexport verfestigt den kolonialen Entwicklungsmythos und Fortschrittsglauben, die Privatisierung der Luft durch den Emissionshandel vertieft kapitalistische Eigentumslogiken und high-tech Öko-Strom verlangt die Aufrechterhaltung des oben beschriebenen staatstragenden Industriekapitalismus. Die Herausforderung besteht also darin, die Problematik der Herrschaft und ihre Bedeutung für unsere Lebensbedingungen anzuerkennen und entsprechend fortzuschreiten in ganz andere Gesellschaftsformen: Ich meine, das geht am besten mit kollektiven Ausstiegen aus dem industriellen Alptraum. Mit Menschen, die in allen Milieus und an allen Orten Bezugsgruppen bilden. Diese können Alternativen erproben und aufbauen - z.B. regional, im Betrieb oder in der Ausbildung.

Die Revolution braucht Zeit. Und genau deshalb sollte man sich vor eiligem und herrschaftsstabilisierenden Aktionismus hüten.

Gibt es denn keine Widersprüche zu anderen politischen Fragen - etwa zwischen den Forderungen nach Wohlstand für alle und ökologischen Notwendigkeiten?

Meine Gegenfrage wäre, worin dieser "Wohlstand für alle" denn besteht? Der materielle Wohlstand der industriekapitalistischen Länder ist nämlich nicht verallgemeinerbar und genauso wenig aufrechtzuerhalten. Es ist schlichweg Wohlstand auf Kosten anderer.

Die Forderung kommt ja auch aus bestimmten herrschenden Kreisen in Politik und Wirtschaft. Diese haben konkrete Interessen daran, den westlichen Wohlstandsbegriff dem Rest der Welt aufzudrücken, während sie selbst Opfer dieses Materialismus sind. Es handelt sich also bei diesem definieren von "Wohlstand" genauso wie bei "Fortschritt", "Wachstum" und "Entwicklung" um ein kulturelles und psychologisches Herrschaftsverhältnis, das andere Verständnisse und Weltsichten unterdrückt. Aber gerade das brauchen wir: Eine Neudefinition vom "guten Leben". Graswurzel-Bewegungen im globalen Süden, können da eine Inspiration sein.

Aber auch linksradikale Parolen wie "Alles für Alle" oder "Luxus für Alle" bleiben solange leere Phrasen bis das "Alle" oder der "Luxus" mit Inhalten gefüllt werden. In der Konsequenz führt uns unsere Kritik zu einem Leben in freien Assoziationen und Gemeinschaften welche sich sozial und ökologisch so verhalten, dass alle in der Gemeinschaft die sozialen und technischen Prozesse verstehen und kontrollieren können sowie, dass andere Gemeinschaften nicht eingeschränkt werden. Dies verstehen wir als einfaches Leben: die sozialen und ökologischen Vorgänge haben überschaubare Risiken und sind für alle verständlich. Einfachheit ist etwas was für alle Menschen möglich ist. Gerade deshalb geht Einfachheit Hand in Hand mit einer anarchistischen und emanzipatorischen Perspektive. Hier sind die Bewegungen in den USA, Frankreich oder England schon weiter.

Welche Forderungen lassen sich daraus für eine Klimabewegung ableiten?

Herrschaft wird nicht durch Forderungen an die Herrschenden abgebaut. Eine herrschafts- und hierarchiekritische Gesellschaft kann so nicht aufgebaut werden. Eine hoffentlich wachsende "Bewegung" muss ihre Forderungen ernsthaft artikulieren: diskutieren, blockieren und sabotieren und gleichzeitig vielfältige Visionen entwickeln, wie eine lebenswerte Zukunft aussieht. Sich die praktischen Fähigkeiten anzueignen, die es für diese Zukunft brauchen wird - zusammen leben und Sachzwänge ausser Kraft setzen, handwerken, gärtnern, bauen, kochen, lieben und streiten, ... ist ein anspruchsvoller Prozess aus einem Leben in Konsum und Konkurrenz. Der Stecker wird nicht von irgendwelchen Autoritäten, sondern von uns gezogen werden; die Alternativen nur von uns sichtbar gemacht. Frei nach dem Do-It-Yourself Prinzip. Auch auf Camps, besonders aber im Alltag. Gelebte Utopien im Hier und Jetzt. Und genau das wird auch im öko-anarchistischen Barrio auf dem Klima-Camp ausprobiert.