Thesen zur Bundestagswahl 2002
von Dieter Asselhoven
Rundbrief der Ökoli Köln # 4, Juli 02
1. Eigentlich ist die Sache klar: Wer den Kampf um die Emanzipation des
Menschen und für einen wirklichen Humanismus führen will, der/dem kann das
Ergebnis dieser Bundestagswahl vollauf gleichgültig sein. Die Linke tut gut daran,
zu Wahlen nur ein taktisches Verhältnis einzunehmen und sich nicht von
Märchen wie dem von der Existenz eines "kleineren Übels" einlullen zu lassen und
die alten Fehler immer wieder zu wiederholen: Es gibt kein "kleineres Übel" und
die etablierten Parteien unterscheiden sich nur noch darin, wie sie die
Vorgaben des Kapitals ihren WählerInnen vermitteln. Sie haben selbst die
Vertretung von sozial-reformerischen Interessen ihrer AnhängerInnen aufgegeben.
Wer heute in dem bis zum Erbrechen mit imperialistischen Ambitionen
angefüllten Deutschland regieren will, muß zuallererst dreierlei tun: Bereit sein,
Krieg zu führen; die deutsche Nation lieben zu lernen und einen eisernen
Arbeits- und Verwertungszwang durchsetzen zu helfen.
2. So periodisch wie die Bundestagswahlen kehren aber auch die Diskussionen
darüber wieder, ob sich die Wahl zwischen Pest und Cholera nicht vielleicht
doch irgendwie lohnen könnte. So hieß es 1998 "Kohl muß weg!", verbunden mit
allerlei Illusionen über einen angeblichen "Politikwechsel" durch eine
rosagrüne Bundesregierung. Der DGB, manche reformistische Linke und FunktionärInnen
von staatstragenden sozialen Bewegungen beteiligten sich an der
Dramatisierung der mikroskopisch kleinen taktischen Unterschiede zwischen der CDU/CSU/FDP
und SPD/Grünen und faselten von einem gesellschaftlichen Linksruck.
Bekanntlich erfüllte sich der Wunsch nach einem "Politikwechsel"; Kohl und Kanther
gingen, Schröder/Fischer und der "rosarote Kanther" Otto Schily kamen.
3. Bilanz von Rosagrün:
Und mit ihnen kam Fischers Relativierung von Auschwitz, um den Angriffskrieg gegen
Jugoslawien zu rechtfertigen und die Überwindung der Folgen der militärischen
Niederlage des deutschen NS-Faschismus im II. Weltkrieg durch Grüne und SPD: Deutsche
SoldatInnen dürfen wieder weltweit mitmorden.
der Einsatz der Bundeswehr als Besatzungsmacht in Bosnien, im Kosovo, in
Mazedonien, im imperialistischen Krieg in Kabul und in Kuwait, Dschibuti,
Kenia, Georgien, vor der Küste Somalias, der Einsatz von Krisenreaktionskommandos
(KSK) als Killertruppe und der Aufbau einer EU-(Atom-)Streitkraft. Bei
Regierungsantritt von SPD/Grünen im Oktober 1998 befanden sich 2.000 deutsche
SoldatInnen außerhalb des NATO-Gebiets im Einsatz. Am Ende ihrer ersten
Regierungsperiode hat sich diese Zahl versechsfacht.
eine Welle von rassistischen Morden und ein Anstieg antisemitischer
Anschläge um 250% (siehe Allgemeine Jüdische Wochenzeitung vom 15. März 2001), eine
Bestandsgarantie für Abschiebeknäste - am Frankfurter Flughafen, in Büren,
Neuss, Berlin und anderswo.
die Modernisierung der rassistischen Vernutzung von Flüchtlingen und
ImmigrantInnen durch das "Zuwanderungsgesetz" von Schily, durchgesetzt im Frühjahr
2002 mit Hilfe der PDS-mitregierten Bundesländer. Nur noch "nützliche", also
als Arbeitskraft verwert-bare Menschen sollen in die BRD kommen dürfen. Die
anderen, "nutzlosen", vor allem die unerwünschten Flüchtlinge aus vom
(Öko-)Imperialismus zerstörten Regionen, sollen weiterhin einer mörderischen Asyl-
und Abschiebepraxis und der Internierung in Sammellagern ausgesetzt werden.
die Beschleunigung des Kohl'schen Sozialabbaus zum bisher umfangreichsten
Verarmungs- und Verelendungsprogramm der BRD-Geschichte: Mit dem sogenannten
Sparpaket wurden 2001 Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe abgesenkt, das
Rentenniveau vermindert und Mietzuschüsse für SozialhilfebezieherInnen
verringert. KapitalbesitzerInnen und hohe Einkommen wurden von SPD/Grünen steuerlich
entlastet. Neue Niedriglohnmodelle, ein stärkerer Arbeitszwang für
SozialhilfeempfängerInnen und Studiengebühren wurden durchgesetzt
Nach der kommenden Bundestagswahl 2002 sollen die Zusammenlegung von
Sozialhilfe und Arbeitslosenversicherung zugunsten einer "Grundsicherung" auf
niedrigstem Niveau und ein Generalangriff auf die Gesundheitsversorgung
durchgezogen werden. Schröders "Expertenkommission" hat erste Einzelheiten
angekündigt: Die Senkung der Arbeitslosenunterstützung von 40 auf 13 Milliarden €, die
Zwangsvermittlung an Leih-Sklaven-Arbeitsfirmen und die Absenkung der
Ruhestandsbezüge (siehe Frankfurter Rundschau vom 24. Juni 2002).
eine Garantie für das Atomkapital über den ungestörten Weiterbetrieb der
mörderischen Atomenergie. SPD/Grüne stehen für den Ausbau von Atomanlagen wie
der UAA (Urananreicherungsanlage) in Gronau, des Atombombenreaktors FRM II
und für die weitere Forschung an neuen Reaktortypen. Nach der Wahl wollen sie
ein Dutzend CASTORen nach Gorleben durchprügeln; Siemens, RWE und VEBA ist es
gleich, ob der Transport von Stoiber oder Trittin angeordnet werden wird.
die Freisetzung genmanipulierter Pflanzen und die ungestörte Vergiftung
von Nahrungsmitteln durch die Chemie- Pharma- und Agrokonzerne.
mehr Videoüberwachung und Speicherung biometrischer Daten, willkürliche
Demonstrationsverbote und Todesschüsse auf Anti-Gipfel-AktivistInnen und eine
Entwicklung zum Polizei- und Überwachungsstaat, zu einer Diktatur auf Abruf.
Nach dem 11. September wurde ein jederzeit abrufbarer Ausnahmezustand verhängt
mit u. a. einer Regelanfrage beim Verfassungsschutz für alle einreisenden
Nichtdeutschen, die Verweigerung von Asyl bei "Terrorismus"-Verdacht, die
Erfassung sämtlicher privater Daten Hunderttausender im Rahmen der Rasterfahndung,
die Speicherung aller Telekommunikations-Verbindungsdaten und der
Bewegungsprofile von Handy-NutzerInnen usw. als Teil eines totalitären
Überwachungsnetzes.
4. Die SPD bemüht sich in diesem Sinne gerade um eine Neudefinition des von
ihr so genannten "Gerechtigkeitsempfindens". Das klingt dann so: "Verordnete
Gleichheit (...) ist der Tod von Gerechtigkeit und Freiheit. (...) Eine Form
von begrenzter Ungleichheit im Ergebnis kann sehr wohl auch ein Katalysator
sein für individuelle als auch für gesellschaftliche
Entfaltungsmöglichkeiten". Die klassische Aufgabe der Sozialdemokratie - das Abfedern und Dämpfen der
Folgen von Ausbeutung, Ungleichheit und Armut - wird ersetzt durch das
Bekenntnis zu Selektion statt Förderung und für mehr Eliten. Das gilt auch für den
Zugang zu Bildung und Qualifikationen: "Ohne konsequente Förderung der
Spitzenbegabungen kann die Gesellschaft insgesamt in der weltweiten Konkurrenz
nicht bestehen" (Redebeitrag von NRW-Ministerpräsident Clement beim "Forum
Grundwert Gerechtigkeit" der SPD am 26. April 2001).
Fast Wortgleiches findet mensch bei FDP/CDU/CSU. Das gemeinsame Motto der
"Vordenker" in den bürgerlichen Parteien ist: den Brotkorb höher hängen,
Strafen verschärfen, Arbeitspflicht einführen und am Ende stehen Zwangsarbeit und
ein Knastsystem á la USA.
5. Wer glaubt, mit den GRÜNEN wenigstens ein kleineres Übel zu wählen, irrt
nicht nur, sondern gehört bereits zu den "allerdümmsten Kälbern", die ihre
Schlächter selber wählen: Die Grünen sind prokapitalistisch und agieren als
Interessenvertretung für die immer besser Verdienenden, rechts von der SPD. Die
Grünen sind die ideale Partei für Pfaffen, reiche Säcke und den neuen
Mittelstand, sind die herrschafts- und kapitalkonforme Kriegspartei des enthemmten
Bürgertums.
Um "Investitionen in Arbeit zu erleichtern", solle die "systematische
Senkung der hohen Lohnnebenkosten" geschafft werden - sprich weiterer Renten- und
Sozialabbau. Für die, die dann aus den gerupften sozialen Netzen
herausfallen, empfehlen sie in ihrem neuen Grundsatzprogramm Grün 2020, kleine
"Gemeinschaften, in denen wechselseitige Hilfe praktiziert wird" (S. 10).
Die Grünen umwerben finanzkräftige MittelständlerInnen und "aufgeklärte und
innovative Unternehmerpersönlichkeiten": Sie wollen die "Startchancen" beim
"Zugang zur Existenzgründung" verbessern, wollen "die Kultur der
Selbständigkeit nicht beschränkt sehen auf wenige Besitzende" und stellen fest: "eine
moderne Ökonomie braucht innovative Unternehmer" und "Marktwirtschaft ... setzt
die schöpferischen Kräfte der Menschen frei".
6. Die Grünen haben knapp 18 Jahre gebraucht, bis sie antreten durften zum
Kriegführen für Deutschland und für die staatliche Verwaltung der
Kapitalinteressen. Die Volkspartei PDS legt ein höheres Tempo vor: "Unternehmertum und
betriebswirtschaftliches Gewinninteresse (sind) wichtige Bedingungen von
Innovation und Effizienz", schreibt sie in ihrem neuen Programmentwurf. Da, wo sie
in Kommunen und Ländern mitregiert, handelt sie bereits längst nach diesen
kapitalistischen Maximen.
Die S-PD-S-Koalition in Berlin mit ihrem
Wirtschaftssenator Gysi ist heute die brutalstmögliche Sozialabbauregierung der BRD:
Unter anderem werden 80.000 städtische Wohnungen im Wert von 1 Milliarde €
privatisiert, Hochschulen, Kliniken und Schwimmbäder geschlossen, -zigtausende
sollen aus dem öffentlichen Dienst entlassen werden. Die Hälfte der Berliner
Kindertagesstätten soll pri-vatisiert werden, Mieten und Wassergebühren sollen
erhöht und die 40-Stunden-Woche im öffentlichen Dienst wieder eingeführt
werden.
Die PDS bekannte sich im Berliner Koalitionsvertrag zur NATO und zu einer
"westlicher Wertegemeinschaft". Die Führungsspitze der PDS befürwortete den
imperialistischen Krieg gegen Afghanistan: "Sollten sich die Länder jedoch
weigern, die für die Anschläge Verantwortlichen auszuliefern, dann hielte ich in
der Tat begrenzte militärische Aktionen für statthaft" (Gysi am 17. September
2001 gegenüber der Berliner Zeitung).
Die für manche orientierungslose Linke
als angebliche "Friedenspartei" attraktive PDS ist eine Vorreiterin für
Kriegspropaganda in Regionen, an die sich die anderen etablierten Parteien erst
vorsichtig herantasten: Während Stoiber für die CDU/CSU erklärte, daß es "vor
dem Hintergrund unserer Geschichte ... im Nahostkonflikt einen Einsatz
deutscher Soldaten - selbst unter UNO-Mandat - mit unserer Zustimmung nicht geben"
werde (siehe: Jüdische Allgemeine Wochenzeitung vom 23. Mai 2002), forderte
die PDS bereits auf ihrem letzten Parteitag am 15. bis 17. März 2002 in Rostock
eine internationale Einsatztruppe in Palästina. Wer die Absicht hat, aus
pazifistischen oder antimilitaristischen Gründen PDS zu wählen, der/die hilft
mit, die Heimatfront des nächsten Kriegs zu stabilisieren. Nach dem Bekenntnis
des Ex-DDR-Staatschef Modrow zum "Einig Deutschen Vaterland" Anfang der
neunziger Jahre und nach dem offenen Bekenntnis zur deutschen Nation samt "sozial
gebändigtem Markt" durch den Cottbusser Parteitag 2001 müsste allen klar
sein, daß die PDS auch bereit ist, die Interessen des deutschen Kapitals mit
Waffengewalt durchzusetzen.
7. Viele Linke haben sich benebeln oder integrieren lassen. So löste sich
die bundesweite Organisation der Antifa u. a. wegen ihrer Kritikunfähigkeit
gegenüber dem rotgrünen Rassismus und seinem Spießer-"Aufstand der Anständigen"
2001 auf und bescheinigte Schröder und Fischer, daß der "so genannte
Antifa-Sommer ... zumindest deutlich gemacht (hat), daß sich die rot-grüne Koalition
im Gegensatz zur vorherigen konservativen Bundesregierung um eine
'Normalisierung' der deutschen Innen- und Außenpolitik, sprich Angleichung an
westeuropäische Standards bemüht" (in: Analyse und Kritik Nr. 450/Mai 2001).
Teile der sogenannten Antiglobalisierungsbewegung, wie NGOs und attac
kumpeln inzwischen auf den internationalen Konferenzen mit den herrschenden Eliten
herum, anstatt sie zu bekämpfen.
8. In diesem Jahr ist der letzte Rettungsanker für eine gesellschaftliche
Mobilisierung für rosa-rot-grün (SPD/Grüne/PDS) die Dämonisierung des
CDU/CSU-Kanzlerkandidaten Stoiber. Dabei sind die sozialdemokratisch gefärbten
Weltuntergangsszenarien auf den ersten Blick als taktisches Spiel zu erkennen:
"Ausländische Straftäter sind grundsätzlich unverzüglich und konsequent
abzuschieben", sagt der Herausforderer. "Bei Ausländern, die ihr Gastrecht
missbrauchen, gibt es nur eins: raus, aber schnell", kam ihm der Titelverteidiger bereits
1998 zuvor.
Ob Arbeitszwang für SozialhilfeempfängerInnen,
Steuererleichterungen für Reiche, Auslandseinsätze der Bundeswehr, Regulierung der
Einwanderung nach ökonomischen Nützlichkeitskriterien, Ausbau des Polizeistaates,
Subventionen für Kapitalprofite in strategischen Sektoren (Medien, Gentechnik,
Fahrzeugbau, Luft- und Raumfahrt): Zwischen Stoiber und Schröder als Vollstrecker
der gleichen Logik passt in diesen Fragen kein Feigenblatt. Wer exklusiv
Stoiber "stoppen" will, leistet Schützenhilfe für Schröder, Fischer oder Zimmer
und unterläßt die notwendige Bekämpfung der miesen gesellschaftlichen
Verhältnisse. Es wird bei der Bundestagswahl nur einen Gewinner geben: Das Kapital.
9. Am 22. September 2002 wird ein neuer Bundestag gewählt. Für die meisten
Menschen wird sich dadurch an ihrer beschissenen Lage nichts ändern, egal was
sie wählen, ob sie wählen oder ob sie überhaupt wählen dürfen:
Welche Wahl
haben zum Beispiel diejenigen, die für immer weniger Lohn immer länger und
immer "flexibler" arbeiten sollen?
Oder die Erwerbsarbeitslosen, die zwischen
Vermittlung in Niedriglohnjobs und der Kürzung bzw. dem Entzug der Sozialhilfe á
la Schröder/Gysi und Stoiber/Westerwelle aussuchen dürfen?
Oder die
Wohnungslosen, die in Frankfurt, Köln oder Berlin aus ihren Unterkünften
herausgesetzt wurden, weil sie nach dem Verkauf der Sozialwohnungen durch FDP/CDU/Grüne
bzw. SPD/PDS ihre Miete nicht mehr zahlen können?
Was nutzt die Wahl zwischen
den verschiedenen Erscheinungsformen der "Deutsche Volksgemeinschaft e. V."
den Menschen, die im Abschiebeknast am Frankfurter Flughafen sitzen müssen
oder den Flüchtlingen, die von GrenzschützerInnen und Nazis gejagt werden?
Was
haben die bolivianischen Kleinbäuerinnen davon, wer gerade als Geschäftsführer
des deutschen Kapitals den Staat verwalten darf, wenn sie aufgrund der
neuesten IWF-Strukturanpassungsmaßnahme die überteuerten Brot- und
Brennstoffpreise nicht mehr bezahlen können?
Oder die Arbeiterinnen, die ihr Überleben nur
durch einen 16-Stundentag in einer philippinischen Textil-Weltmarktfabrik
sichern können?
Oder die Frauen hier in der BRD, die nach wie vor Zweidrittel der
Arbeit in unterbezahlten und ungesicherten Jobs leistet müssen und von
patriarchaler Gewalt bedroht werden?
Stoppt Schröder - Stoiber - Fischer - Zimmer!
weitere Wahlkritik-Texte gibts auf der Schwarze Katze Sonderseite:
Wahlkritik