Bosnien nach Dayton - und wie geht es weiter?
Friedensfestzeitung 96

Nach dem Übereinkommen von Dayton und der darauffolgenden Stationierung der IFOR-Truppen in Bosnien und Kroatien scheint die "heiße" Phase des perversen Krieges vorbei zu sein. Nun geht es darum, das zerteilte Bosnien wieder in ein Land mit Friedens- und Zukunftsperspektive zu verwandeln. Ein Wideraufflammen der Kämpfe soll durch die unter NATO-Leitung stehende "Implementation Force", die die im Krieg entstandenen Territorien absichert, verhindert werden. Die Anwesenheit u.a. von britischen, französischen und US-Truppen markiert aber auch einen anderen Wendepunkt: Bosnien steht faktisch unter ausländischer Verwaltung.

So hat der Jugoslawien-Beauftragte der EU, Carl Bildt, Entscheidungsgewalt in allen zivilen Fragen, er kann sich über sämtliche Maßnahmen, sowohl der moslemisch-kroatischen Förderation, als auch der bosnischen Serben, hinwegsetzen. Er handelt in enger Absprache mit dem Oberkommandanten der IFOR-Truppen und auch mit kreditgebenden Organisationen. Eine zivile Polizeitruppe, bestehend aus 1700 Polizisten aus 15 Ländern, wird von einem Exil-Jugoslawen geleitet, die echten Spitzenjobs gehen aber an andere: Laut Art. 7 des Daytoner Verfassungsentwurfes, darf der erste Gouverneur der bosnischen Zentralbank kein Staatsbürger Bosniens oder eines Nachbarstaates sein. Die Bank darf zwar Scheine drucken und im Umlauf bringen, aber in den ersten sechs Jahren wurden ihr Einschränkingen in der Kreditvergabe auferlegt, überdies wird sie durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) überwacht.

Immerhin haben sich die EU und Weltbank verpflichtet, bis zum Jahr 2000 fünf Mrd. Dollar bereitzustellen, doch EU und Amerikaner deuten jetzt schon an, nur etwa ein Drittekl dieser Summe zu zahlen. Dabei geht die bosnische Regierung von einem Betrag von 47 Mrd. Dollar aus, der zum Wiederaufbau benötigt wird. In dieser Situation ist das Land auf Kredite von IWF und Weltbank angewiesen und den dazugehörigen Auflagen i.d.R. Lohnkürzungen, Schließung unrentabler Betriebe, Einschränkung öffentlicher Dienste, Abbau von Subventionen etc. "ausgeliefert". Viele "3.Welt"-Staaten kennen diesen "Horrorkatalog". Kroation und Makedonien haben 1993 ähnlichen Bedingungen zustimmen müssen, teilweise nur um Altschulden zu tilgen.

Die Auflagen können im Falle Bosniens sogar direkt ausgeführt werden, da die Kommision, die den öffentlichen Sektor umstruktuieren soll, der europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung untersteht. Diese Kommision leitet die Privatisierung von Betrieben, die bisher gesellschaftliches oder Staatseigentum sind (so ´ne Art bosnische Treuhand).

Man könnte sich jetzt fragen, was den die Menschen, die in Bosnien-Herzegovina leben oder dort wieder leben wollen, dazu zu sagen haben - allerdings sind diese weniger damit beschäftigt, sich irgendwelche Machtpositionen zu sichern, sondern sie suchen noch nach ihren Familienangehörigen, versuchen die Löcher in ihren Häusern zu stopfen, soweit die Häuser nicht im "Feindesland" liegen, manche kehren nach Jahren das erste Mal zurück und stellen fest, daß ihre alte Bleibe von innerbosnischen Flüchtlingen belegt ist (von den drei Millionen Bosniern, die vertrieben wurden, hält sich etwa die Hälfte in Bosnien selbst auf). Mitten in dieser unmittelbaren Nachkriegszeit soll nun die "Rückführung" der 320.000 Bosnienflüchtlinge, die z.Z. in Deutschland "geduldet" sind, beginnen (ab 01.07.96). Mit der im Friedensentwurf von Dayton festgelegten freiwilligen Rückkehr hat dies allerdings nicht zu tun. Viele Bosnier wollen gerne zurück und ihr Land wieder aufbauen, sie konnten aber bisher noch nicht mal eine Orientierungsreise in ihre Heimat unternehmen, ohne sofort ihren deutschen Aufenthaltstitel zu verlieren.

Bosnische Politiker halten eine verfrühte Rückkehr der Menschen, die sich Deutschland aufhalten (8% der bosnischen Gesamtbevölkerung) für gefährlich: Allein die Frage der Unterbringung birgt einen sozialen Sprengstoff, der den geamten Friedenprozeß zum Scheitern bringen könnte. Noch im April/Mai ´96 sind einige Moslems beim Versuch, in ihre jetzt serbisch besetzten Heimatorte zurückzukehren, zu Tode gekommen. Diese Tatsachen und die massive Kritik von Hilfsorganisationen, UNHCR und auch westlicher Regierungen an den deutschen Abschiebungsplänen führte auf der Innenministerkonferrenz vom 03. Mai zu der Überlegung, die Abschiebungen bis zum Frühjahr ´97 auszusetzen. Eine Entscheidung ist aber noch nicht gefallen, da der ursprüngliche Stichtag Bestand behält und die letztendliche Weisung an die Ausländerbehörden dem Bundesinnenminister (Herr Kanther) vorbehalten bleibt. Die deutsche Politik neigt nicht nur dazu, die Verhältnisse in Bosnien, sondern auch den von ihr selbst initiierten Dayton-Vertarg zu ignorieren.

Ganz nebenbei versuchen Kanther und Co., noch eine andere Flüchtlingsgruppe loszuwerden: Gegen diplomatische Anerkennung und vor allem "Eingliederungsgeld" ließen sich etwa 135.000 Menschen nach Rest-Jugoslawien abschieben. Diese Personen, vor allem Kosovo-Albaner, hätten dann allerdings nicht das Privileg, von IFOR-Soldaten beschützt zu werden - ihre "Beschützer" wären dann wieder die serbischen Besatzungstruppen im Kososvo, vor denen sie geflohen sind. Die Politiker in Bund und Ländern wären sicher besser beraten, an der Entspannung der Situation mitzuwirken (rasche Unterstützung dse Wiederaufbaus, Ausbildung gerade der jungen Menschen, die hier als Flüchtlinge leben, im Falle Kosovo´s die Einforderung von grundlegenden Menschenrechten vor etwaiger Anerkennung und Geldzahlungen an Serbien). Frieden braucht Geduld.