Hoch die Internationale, Kinderschokolade!
Beitrag zur Debatte um Nationale Befreiung

espi von der Schwarzen Katze

Ich habe mich einige Zeit mit den Zapatistas, den Aufständigen in Mexiko beschäftigt. Im Zuge dessen traf ich auch auf das bis heute beliebte Spielchen der "Linken" - was immer diese auch sein soll - ,sich mit nationalen Befreiungsbewegungen zu identifizieren ( an denen es ja nicht mangelt). Das ist sehr problematisch - zu den Gründen komme ich gleich. Mir geht es vor allem um die Frage, warum sich linke AntiimperialistInnen und InternationalistInnen mit diesen Bewegungen solidarisieren.

Angesichts der kontroversen Beiträge der Autonomen Antifa Lüdenscheid und der Schwarzen Katze finde ich es angemessen, die Erkenntnisse meiner Arbeit zu Befreiungsnationalismus für andere zugängig zu machen. Ich hoffe, dies ist im Sinne einer produktiven Debatte! Im folgenden möchte ich nun

a) darauf eingehen, warum nationale Befreiungsbewegungen so populär sind,
b) die Problematik des Nationalismus beschreiben und
c) Verbindendes von nationalen Befreiungsbewegungen hervorheben. Unter
d) gibt es dann noch einen kleinen Ansatz eines Gegenmodells, das ohne nationalistisches Zeug auskommt.

a) die Leute...

Platt, aber nicht ganz falsch, gesagt: Wenn mensch selber in der eigenen Wirklichkeit nichts auf die Reihe bekommt, die Kräfteverhältnisse in der BRD nix anderes zulassen, sucht mensch sich halt eine Befreiungsbewegung...

In Südamerika und Afrika gab es derer in der Vergangenheit viele. Weit weg von der eigenen Wirklichkeit, fällt es leicht, diese Bewegungen so zurecht zu biegen, dass sie der eigenen politischen Ansicht zu entsprechen scheinen. Schnell wird eine Bewegung in der "Dritten Welt" hochgejubelt, da Informationen nur selektiv ausgesucht werden und schwer zu überprüfen sind. Oft dienen solche Bewegungen als Projektionsfläche für die eigenen revolutionären Träume. Hinterfragt werden diese Bewegungen kaum, Widersprüche werden verdrängt. Alles, was sich scheinbar gegen den personifizierten Imperialismus richtet ist toll - ein kritischer Umgang ist das sicher nicht:

Ausgeblendet wird (vor lauter blinder Solidarität), dass diese Bewegungen selber oft nationalistisch und sexistisch sind und ihr politisches Ziel im besten Fall darin besteht, die machthabende Elite durch die eigenen Leute austauschen wollen. Viel zu oft hat sich gezeigt, dass nationale Befreier nach der Machtergreifung noch unterdrückerischer als ihre Vorgänger waren. Und wenn das Versagen dieser Bewegungen nicht mehr zu verdrängen ist, ist mensch entäuscht und hält Auschau nach dem nächsten Objekt der Solidarität. Statt sich zu überlegen, warum mensch selbst erst so spät auf den Trichter gekommen ist, dass die Befreiungsbewegung eben keine ist, wird eine "neue" gesucht.

So dient die Solidarität mit nationalen Befreiungsbewegungen als Ersatz für eigenes veränderndes Handeln. Und dass ist doof. Gerade die ZapatistInnen haben den "Linken" aus den Metroploen deutlich gezeigt, dass sie ihre vorbehaltlose ihr-seid-ja-so-toll Solidarität nicht wollen. Solidarität, die alles unhinterfragt anhimmelt, was Bewegungen in anderen Ländern anstellen, ist keine. Statt dessen fordern sie Kritik und konstruktives Einbringen.

b) ...Nationale Befreiungsbewegungen...

Verbindend für fast alle Nationalen Befreiungsbewegungen ist der Marxismus-Leninismus, der offen mit nationalistischen Versatzstücken verknüpft ist. Häufig sind es StudentInnen mit elitärem Selbstbewusstsein, die den Menschen die objektive Wahrheit des Marxismus-Leninismus aufdrücken und selbstverständlich die Führung der Bewegung inne haben wollen. Ihr Nationaismus ist vor allem ein Mittel, die Wogen zu glätten und eine scheinbare (Volks-)Front herzustellen.

Selbst in Mexiko waren es Mitte der 80er StudentInnen, die zu den Indigenas kamen und deren Avantgarde sein wollten. Nur hatten die Indigenas auf deren altbackenes, autoritäres Revolutionskonzept keinen Bock. In Jahren der Auseinandersetzung kam es bei den einstigen ML-Kadern erstaunlicherweise zu einem grundlegenden Umdenken, eher hin zu den basisdemokratischen, durch die mexikanischen Revolutionenen beeinflusste Traditionen der zapatistischen Gemeinden. Dies ist aber die große Ausnahme.

c) ...und der Nationalismus (nicht nur in der nationalen Befreiungsbewegungen)

Die Nation ist der Bezugspunkt für nationale Befreiungsbewegungen - das ist ein großes Problem. Die Nation ist ein Konstrukt. Nationalstaaten gibt es erst seit der französischen Revolution - und nicht schon immer, wie es NationalistInnen gern hätten. Nur durch Geschichtsverfälschungen, Umdeutungen und blutige Kämpfe konnte der Nationalstaat eingeführt werden. (Unter anderem in der anarchistischen Vierteljahreszeitschrift "Schwarzer Faden" gibt es da einen interessanten Artikel zu...)

Aufgrund ihrer Geburt innnerhalb der Grenzen eines Landes sollen Menschen Teil der Nation sein - egal, ob sie sich dieser zugehörig fühlen oder nicht. Es handelt sich also um eine Zwangsgemeinschaft, bei der so getan wird, als würden Menschen von Natur aus zu ihr gehören. Letzten Endes läuft es immer auf eine Blut-und-Boden Ideologie hinaus: wer auf deutschem Boden geboren wird, hat deutsches Blut in den Adern. Die Nation wird als eine einheitliche Gruppe gedacht, der bestimmte Charakteristika zugeschrieben werden, z.B. die Italiener sind impulsiv, die Deutschen sind ordentlich etc. Den Menschen wird eingeredet, dass es einen Volkswillen, ein höheres Allgemeininteresse gäbe, dem sich Einzelne unterordnen sollen.

Widersprüche, Konflikte und Klassengegensätze sollen durch das Konstrukt Nation verschleiert werden. Vor allem bei Menschen aus den unteren (Arbeiter-)Schichten soll das sich zur Nation zugehörig fühlen dafür sorgen, dass sie sich weiter für andere abschuften. So von wegen: "Ich bin Teil dieser Nation, also immer noch besser als der Türke da drüben am Förderband."

Sich positiv auf die Nation beziehen bedeutet, eine Zwangsgemeinschaft zu unterstützen, welche den einzelnen Menschen in die amorphe Masse einreiht. Häufig sind nationale Befreiungsbewegungen separatistisch, d.h. sie wollen einen eigenen Staat haben. Die Herrschaftsfrage wird ausgeblendet: wichtig ist nicht mehr, dass unterdrückt wird, sondern dass es möglichst die eigenen Leute sind.

Nationalismus ist ein Auschlußmechanismus: wer nicht hier geboren wurde, gehört nicht zum Volkskörper. Nationalismus schlägt immer auch in Gewalt nach Innen um, die sich gegen die richtet, welche sich nicht an nationale Traditionen halten, die kein Deutscher, Kurde oder Indigena sein wollen. Es gibt nicht die Deutschen, es gibt nicht die Kurden - kein Mensch ist von Natur aus Teil einer Nation. Es sind Konstrukte, mit denen Menschen unterdrückt werden. Mit ihrer Hilfe sollen gesellschaftliche Zwangsgemeinschaften wie die Nation zur Natur erklärt werden, zum Nichtveränderbaren.

Nationalismus bedeutet stets Unterdrückung von Menschen und kannn daher nicht positiv gewendet werden. Aufgebrochen werden sollte er und alle anderen Konstrukte, der wir in der herrschenden Wirklichkeit ausgesetzt sind.

d) Ansatz eines Gegenmodells (garantiert frei von nationalistischen Inhaltsstoffen...)

Sicher bin ich mir dessen, dass Unterdrückung nur von einer Gemeinschaft von Menschen mit festem Zusammenhalt durchbrochen werden kann. Doch diese Gemeinschaft muss eine freie Vereinigung sein, zu der sich die Einzelnen aus eigener freier Entscheidung bekennen: "Ich gehöre zu euch, weil ich mich zugehörig fühle und nicht weil ich in diese Nation hereingeboren wurde." Nationalismus duldet diese freie Entscheidung nicht, weil er immer nur bestimmte Menschen einschliesst und andere ausschliesst.

Zusammenhalt ist wichtig, gerade in Situationen, wo Menschen staatlicher Verfolgung ausgesetzt sind. Doch eine Einheit der Kämpfenden, wie sie durch Nationalismus oder starre politische Weltanschauungen wie Marxismus-Leninismus, Stalinismus oder Trotzkismus erreicht werden kann, droht immer in Gewalt und Gleichschaltung nach Innen, gegen den oder die Andere umzuschlagen. An Stelle der Einheit sollte die Vielzahl von Kämpfen treten: trotz des Verbindenden muß immer die Möglichkeit zur inneren Revolution, zur Auseinandersetzung offen bleiben. Trotz der Gemeinsamkeiten muß Raum für Unterschiede, Widersprüche vorhanden sein. Ansonsten ist der Rückfall in die Muster vorprogrammiert, auf welchen diese Gesellschaft und der Staat sich gründet.

Für weitere spannende Ansätze, wie Organisation aussehen kann, lohnt es sich, einen Blick auf die zapatistische Bewegung zu werfen. Wobei hier gesagt sein soll, das diese Ideen von AnarchistInnen schon länger vertreten werden und wurden.

Espi

Schwarze Katze, Postfach 41 20, 58664 Hemer, http://schwarze.katze.dk/