1. Bericht über den Kanzlerbesuch und Gegenaktivitäten
Das im Vorfeld angekündigte Sicherheitsaufgebot war kein Bluff, wenn auch wesentlich harmloser als von uns erwartet: um und in der Halle Polizei (inklusive Staatschutz), Security, Stadtwacht und beobachtenderweise Verfassungsschutz. Um in die Halle zu gelangen, musste mensch die Garderobe abgeben und sich im Eingangsbereich mit Metalldetektoren abscannen lassen - was viele BürgerInnen als überzogen empfanden. Für uns (einige in Anzug, andere ganz "normal") gab es dabei keine Probleme - bis auf ein punkig aussehender Mensch, welcher seine Schuhe ausziehen musste (sic!). Wir sammelten uns sehr weit vorne, am rechten Rand der Halle, etwa 15m von Podium und Rednerpult (ebenfalls auf der rechten Seite stehend) entfernt. Leider waren wir zu spät, um uns strategisch coolere Plätze in der Mitte zu schnappen.
Die Halle ist sehr voll, etwa 1500 Menschen (nach Angaben der Zeitung). Oberpeinlich: Gewerkschaftsleute (mit mehreren Transpis), die um Lohnarbeit (Ausbeutung!) flehen - Aufschriften wie "Herr Schröder, sichern sie unsere Arbeitsplätze" und "So haben das die Väter unserer sozialen Marktwirtschaft nicht geplant"; Standortlogik und Forderungen nach staatlicher Regulation (Kartellbehörden sollen "böse" Riesenkonzerne verhindern usw.). Betteln gegenüber den VertreterInnen des Parlamentarismus statt Druck von unten - als ob der Bundeskanzler sich über die Zwänge der Profitlogik hinwegsetzen könnte. Das Publikum klatscht trotzdem. Im Gespräch mit einem Funktionär später - keine Chance, da ich als dummer Jugendlicher wahrgenommen werde. Schon vor dem Eintreffen Schröders klatschen wir uns ein - cop wird auf uns aufmerksam: Die PolizistInnen rechts neben dem Podium beobachten uns, ein Security in grünlichem Jackett postiert sich kurz neben uns, geht nach kurzer Zeit nach vorne, erstattet Bericht. Leider sind wir nur ca. 20 Leute, zu wenig, um wie geplant, 15 Minuten durchzuklatschen, um gleich den Beginn der Rede zu verhindern. Wir einigen uns darauf, so viel Tumult wie möglich zu verursachen.
Während der Rede legen wir immer wieder los, klatschen in Überlänge und rufen Chöre (z.B. "Arbeit, Arbeit.."); außerdem pöbeln wir uns gegenseitig an bzw. rufen in die Menge ("Ruhe bitte", "geht das nicht leiser?") - einige BürgerInnen sind bereits genervt. In einer Situation wird der umschlagende Effekt der Überidentifizierung deutlich: bei "Lang lebe der Kanzler" sieht es so aus, als wolle Schröder dieses positiv aufnehmen, er merkt jedoch, dass er verarscht wird. Als Schrödi auf den 11. September eingeht, gibt es den Zwischenruf "Nieder mit Afghanistan!", der ein empörtes Raunen in der Menge erzeugt. Schrödi beginnt "Die Aufgaben des neuen Jahres..." - ZwischenruferInnen antworten mit "Krieg". Eine SPD-Funktionärin kommt auf uns zu, bittet uns freundlich, doch ruhiger zu werden, einige verteidigen sich, andere steigen voll drauf ein (gut geschauspielert…). Wir machen weiter wie vorher.
Von vorne und hinten schieben sich Cops (in voller Montur) rechts neben uns. Bemerkbar war, dass die Gruppe schon ein wenig eingeschüchtert wurde (ich zumindest, andere meinten nachher Ähnliches); wir reagieren dennoch recht amüsiert ("Ist das ein Kessel?", "Ach, jetzt fühle ich mich schon viel sicherer", "Es gibt kein Recht auf Klatschen!", "Ist mir warm, in so einem Anzug muss mensch ja tödlich schwitzen!"). Ein Mann in schwarzen Jackett, den ich nicht zuordnen kann, rät uns, ruhig zu sein, mit dem Kanzler diskutieren könne man doch später (na klaro…ähm) - wir verteidigen uns, dass mensch in diesen schweren Zeiten doch hinter dem Kanzler stehen müsse usw. Teile des Publikums sind abgelenkt, beobachten das Geschehen. Die PolizistInnen versuchen uns abzuschirmen, stehen starr da - wir thematisieren die Situation, sind (relativ) frech, labern scheiße, teilweise mit Wirkung: einzelne Beamte fangen an, aggressiv gegen uns zu sticheln, ihr Einsatzleiter (mit Headset) ermahnt zur Ruhe. Es gibt Drohungen, dass wir achtkant aus der Halle fliegen würden, eine Störerin argwöhnt, sie könne sich nicht vorstellen, aus einer demokratischen Veranstaltung zu fliegen. Daraufhin meint ein Cop demonstrativ zu einem anderen, dass wir ja nicht wissen würden, dass das weh tut. Während eine Störerin ansetzt, die Ordnungshüter zu fotographieren, deutet ein Typ von uns auf einen der Cops ("bitte den, den finde ich echt süß".) Nachdem die Rede beendet ist, verlassen wir den Saal - die PolizistInnen schieben ein wenig, ansonsten keine Probleme.
Festzuhalten ist: Wir haben mit unserer Aktion die gesetzten Ziele (1. Verhindern der Rede, 2. inhaltliche Vermittlung von Gegenpositionen) nicht erreicht. Schröders Besuche in Iserlohn und Menden waren so erfolgreiche, von den Medien abgefeierte Propagandashows und gute Beispiele für moderne, demokratische Herrschaftsabsicherung (durch sog. Bürgernähe, Populismus usw.) Im folgenden werde ich versuchen, unsere Aktion auf Fehler sowie positive Ansätze hin zu analysieren - im dritten Teil folgen dann Vorschläge, wie eine bessere Aktion aussehen könnte.
Vorbereitung:
Im Vorfeld gab es kaum eine aktionsstrategische Debatte, d.h. eine Zielbestimmung der Aktion ("Was wollen wir erreichen?") und dementsprechende Wahl der Mittel; wie öffnen wir einen Erregungskorridor? usw. Auch hat z.B. keineR die Parkhalle vorher mal inspiziert. Die Vorbereitung lief insgesamt eher schleppend, blieb an einzelnen hängen; vieles wurde nicht erledigt (Pressearbeit, MitstreiterInnen ansprechen), obwohl genügend Vorlaufzeit da war. Das wirkte sich natürlich auf die Durchführung aus!
Verhinderung der Rede:
Wir waren einfach zu wenig Leute, um erfolgreich durchzuklatschen, mit 30 - 50 Leuten (plus Plätzen in der Mitte) hätte es geklappt. Fehler: schlechte Mobilisierung im Vorfeld; viel mehr Gruppen und Einzelpersonen hätten angesprochen werden können. Einige vertraten die Ansicht, es wäre besser gewesen, erst während Schröders Rede loszulegen, damit alles nicht schon vorher klar ist. Erstaunlich ist dennoch, dass auch 20 Leute relativ viel Lärm machen und eine Störquelle darstellen können; die anwesende Gruppe fand ich teilweise sehr engagiert, druckvoll; Spaß hat es trotz allem gemacht.
Inhaltliche Vermittlung:
Hat komplett gefehlt, was ich sehr fatal finde - ein großes Defizit: Selbst bei erfolgter Verhinderung wäre für das Publikum nicht klar gewesen, was unsere Motivationen sind. Dabei wäre es kein Problem gewesen, mit Flugis, Transpis und inhaltlichen T-Shirts rein zu kommen. Auch das Fehlen einer Pressearbeit vorher und nachher (Presserklärungen, Interviews, gefakte Leserbriefe) ist scheiße. Die Slogans hätten genauer vorher durchdacht werden können; Unser Verhalten war nicht authentisch ("doch bloss blöde Linke") genug, um die Überidentifizierung durchgängig zu vermitteln - das könnte in Rollenspielen geübt werden.
Sicherheitsvorkehrungen:
Waren insgesamt eher harmlos. Es wäre problemlos möglich gewesen, alle nicht-metallischen Gegenstände (Transpis, Flugis, Eier, Tomaten, Farbbeutel) in die Halle mitzunehmen. Auch war die Entfernung zum Podium sehr gering (10 - 15m), was auch ungeübten WerferInnen alle Chancen gegeben hätte. Die Sichrheitsvorhehrungen waren kein Hindernis für direkte Aktionen, d.h. wir waren schlecht - das hat mich gefrustet.
Repression und Umgang mit der Staatsmacht:
Wichtig bei der Vorbereitung war, dass wir (für Festnahmen usw.) die Telefonnummer des/der RechtsanwältIn ausgetauscht haben. Die Taktik der Polizei (hallo Einsatzleitung!) empfanden wir als hohl: durch ihre Präsenz wurde Aufmerksamkeit auf uns gelenkt, die vorher so nicht da war. Den Umgang mit den Cops fand ich erstaunlich gelungen. In der Situation waren wir klar überlegen: Die PolizistInnen waren angreifbar, weil sie uns abschirmen mussten, nicht einfach gehen konnten (wir schon!). Das ständige Zutexten, Witze reißen und Ärgern hat uns geholfen - und die Ordnungshüter genervt. Das ist ausbaufähig; sinnvoll, wenn wir im Vorfeld bereits Ideen und Strategien gegen die Staatsmacht sammeln.
Es kann ein echter Vorteil sein, unvorhergesehen zu agieren, auf Aggressionen u. Provokationen von Cops anders zu reagieren als in der gängigen Posermanier (Pöbeln, Hass-Parolen, Mackern) auf Demos usw., weil dies:
Wer mit Witz, Ironie und Schauspiel agiert, ist selbst weniger gefährdet, sich in Aggressionen zu verfangen und unüberlegt zu handeln. Weitere Strategien:
Zu bedenken ist: unvorhergesehenes Verhalten kann Angst machen und auch die Aggressionen einzelner Cops steigern - mit polizeilicher Gewalt ist ohnehin immer zu rechnen. Auch bei kreativem Vorgehen darf eine Auseinandersetzung mit staatlicher Repression nicht wegfallen!
3. Verbesserungsvorschläge und Ideen
Während des Kanzlerbesuchs wäre viel mehr möglich gewesen, als wir vorher überlegt haben. Hier ein paar Anregungen:
Wir können euch nicht mehr hören -
stört Wahlver@nstaltungen immer & überall...