Geschichte quer - Zeitschrift der bayerischen Geschichtswerkstätten
Schwarze Katze Rezension, veröffentlicht im Schwarze Katze Rundbrief 29.02.08

Seit 1992 erscheint in unregelmäßigen Abständen die Zeitschrift "Geschichte quer" und kann über www.geschichte-quer.de bestellt werden. Seit 1998 erscheint die Zeitschrift im Alibri Verlag aus Aschaffenburg. Herausgegeben wird sie von den bayerischen Geschichtswerkstätten, die wiederum in der Tradition der "neuen Geschichtsbewegung" stehen. Letztere begann sich Anfang der 1980er Jahre zu formieren. In zahlreichen Städten und Gemeinden der BRD schlossen sich damals historisch interessierte Menschen mit und ohne wissenschaftliche Vorbildung, die über die Auseinandersetzung mit lokal- bzw. regionalgeschichtlichen Themen emanzipatorische Formen politischen Engagements zu entwickeln beabsichtigten, zu basisdemokratisch organisierten Initiativen zusammen. War der Forschungsblickwinkel professioneller HistorikerInnen bis dahin weitgehend auf die Ebene der staatlichen und wirtschaftlichen EntscheidungsträgerInnen beschränkt geblieben, führte die "neue Geschichtsbewegung" den Ansatz einer "Geschichte von unten" ein. So gilt denn auch das Hauptaugenmerk von Geschichtswerkstätten nicht der Herrschafts-, sondern der Alltagsgeschichte.

Entsprechende Initiativen bemühen sich darum, Geschichte erleidende Individuen und Personenkreise, die in der Regel nur die Wahl besaßen, sich mit ihnen aufgezwungenen Machtverhältnissen zu arrangieren oder letztlich zum Scheitern verurteilten Widerstand zu leisten, der historischen Anonymität zu entreißen. Seitens der historischen Zunft allzu lange sträflich vernachlässigt, werden hierbei etwa vergangene Lebenswelten von ArbeiterInnen oder Angehörigen sozialer Randgruppen nachgezeichnet. Nicht selten liefern diesbezügliche Untersuchungsprojekte wertvolle Informationen und Erkenntnisse für politische Kämpfe der Gegenwart, beispielsweise durch das Aufdecken unaufgearbeiteter Verstrickungen noch existierender Konzerne in das nationalsozialistische Zwangsarbeitersystem.

In methodischer Hinsicht gehen von der Geschichtswerkstättenarbeit ebenfalls immer wieder belebende Impulse für das allgemeine Geschichtsverständnis aus. So konzentrieren sich VertreterInnen entsprechender Initiativen bei ihren Recherchen nicht auf das Studium von Akten und Fachliteratur, sondern erschließen sozusagen Quellen aus erster Hand für die historische Forschung, stöbern etwa Feldpostbriefe sowie private Fotoalben auf und bergen Erinnerungsschätze im Zuge der Durchführung biographischer Interviews mit ZeitzeugInnen. Auch bei der Präsentation von Untersuchungsergebnissen erweisen sich Geschichtswerkstätten häufig als sehr einfallsreich und innovativ, wenn beispielsweise, wie in Berlin geschehen, ein ausrangierter ÖPNV-Doppeldeckerbus zu einem mobilen Museum umfunktioniert wird.

"Geschichte quer" dokumentiert auf überaus interessante Weise die Entwicklung der Geschichtswerkstättenarbeit in Bayern seit Anfang der 1990er Jahre. Jede der zwischen 60 und 70 Seiten umfassenden Ausgaben ist einem besonderen Themenfeld gewidmet, etwa der Umwelthistorie (Heft 3/1994) oder der Frauengeschichte (Heft 6/1998). Die meisten Beiträge beleuchten lokal- oder regionalgeschichtliche Zusammenhänge, die Bezüge zum jeweiligen inhaltlichen Schwerpunkt aufweisen. Das den Titel "Kavaliersdelikt und Kapitalverbrechen. Von kleinen Gaunern, großen Verbrechern und >>ehrenwerten Herren<<" tragende Heft Nr. 10 aus dem Jahr 2002 etwa enthält u. a. Texte über die Rolle süddeutscher Räuberfrauen im 18. und frühen 19. Jahrhundert, die Stellung sogenannter Berufsverbrecher im nationalsozialistischen KZ Dachau sowie die Lebensgeschichte des Münchener Studentenpolitikers, linksradikalen Aktivisten und Justizopfers Rolf Pohle.

Komplettiert werden die Ausgaben von "Geschichte quer" durch Projektberichte und Buchrezensionen. Etliche Fotos, Zeichnungen und Abdrucke historischer Dokumente veranschaulichen die Inhalte der Zeitschrift. Hervorzuheben gilt es zudem, dass die Artikel gewöhnlich in einer relativ leicht verständlichen Sprache gehalten sind und kaum geschichtliches Vorwissen der LeserInnen voraussetzen. Jede Ausgabe der Zeitschrift "Geschichte quer" bietet ein faszinierendes Kaleidoskop historischer Einblicke und Erkenntnisse, die oft genug Herrschaftsverhältnisse der Gegenwart durchschauen helfen. Daher dürfte der Preis von 6 Euro pro Heft gerade für geschichtsinteressierte Menschen mit dem Anspruch, sich aktiv in Prozesse gesellschaftlicher Veränderung einzuschalten, eine lohnende Investition darstellen.