Schwarze Katze Rundbrief 11.10.02 - www.free.de/schwarze-katze/

1.) Polizist verurteilt
2.) Erfolgreiche Aktion gegen Schill und NPD in Iserlohn
3.) Trillerpfeifen gegen CDU-Pfeifen
4.) zur Aussageverweigerung
5.) Schleich di Saupreiss boarischa!
6.) "Ich träume noch immer von der Revolution"
7.) Schüler zerstören Lehrerzimmer: Unterricht fällt aus
8.) Voran und hoch die schwarze Fahne
9.) Politiklobby - wem gehört der neue Bundestag?
10.) »... daß Politik auch Spaß machen muß ...«


1.) Polizist verurteilt
Radio MK 04.09.2002

Am Iserlohner Amtsgericht ist ein ehemaliger Verwaltungsangestellter der Kreispolizeibehörde in Lüdenscheid zu neun Monaten Haft verurteilt worden, weil er Gelder veruntreut hat. Damit folgte der Richter der Forderung der Staatsanwaltschaft. Zusätzlich muss der Angeklagte noch 300 Sozialstunden ableisten, da er den Ruf der gesamten Polizeiverwaltung geschädigt habe, so der Richter. Der 38–jährige Iserlohner hatte zugegeben, dass er im vergangenen Jahr im Auftrag des Kreises sichergestellte Fahrzeuge verkauft und den Gewinn für sich behalten hatte. Die Summe von 3.500 Euro brauchte er, um Schulden zu begleichen.


2.) Erfolgreiche Aktion gegen Schill und NPD in Iserlohn
Schwarze Katze, September 02

Für den 07.09.02 hatte sich um 18.30 Uhr in Iserlohn "Richter Gnadenlos" Jonas Barnabas Schill angekündigt. Er wollte auf dem Alten Rathausplatz in Iserlohn eine Rede halten. Viel davon hören konnte mensch allerdings nicht, da ein lautes Trillerpfeifenkonzert und "Geh nach Haus"-Rufe viel schöner anzuhören waren als die rechten Law-& Order Sprüche von Schill.

Am selben Tag fand in Wuppertal eine Nazi-Demo statt, wo Timo Pradel von der NPD Märkischer Kreis und der NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt sprachen. Timo Pradel forderte in Wuppertal die Braunen auf nach Iserlohn zu kommen. 7 kamen mit und guckten sich Iserlohn an, da sie dort exakt eine Woche später eine nationalistische Demo durchführen wollten. Anschliessend gingen sie auch zum Alten Rathausplatz um die Schill-Kundgebung für ihre propagandistischen Ziele zu missbrauchen. Dabei hatten sie jeweils eine Fahne von NPD und JN. Ihnen wurden die dazu gehörigen Transparentstangen von der Polizei weggenommen, was bei der bekannten Gewalttätigkeit von Nationalisten durchaus seinen Sinn hat. So wurden von NPD-Kadern in Wuppertal-Kemna anlässlich einer antifaschistischen Gedenkveranstaltung alte Überlebende des Nazi-Regimes und Kinder angegriffen. Die Iserlohner Bevölkerung buhte und pfiff die NPD-Kader sogleich aus und es gab einen spontanen Sprechchor "Nazis raus". Durch die grosse Polizeipräsenz war es nicht möglich mehr gegen die NPD zu machen... Bei ihrem Abzug brüllten die NPD´ler sauer über ihren Misserfolg die Nazi-Parole "Antifa ha ha ha".

Interessant waren ihre "Heuchler, Heuchler"-Rufe als Schill sich scheinheilig von rechten Gewalttätern distanzierte. In der Wahlzeit sehen sich die traditionell zerstrittenen rechten Parteien als auszuschaltende Konkurrenz an.

Auffällig bei der Veranstaltung war der grosse Anteil von Repressionsorganen wie Staatsschutz Hagen, viel Polizei, ein halbes Dutzend Polizeibusse mit Inhalt, Schill-Security, Videofilmern vom Verfassungsschutz die aus dem hochgelegenen Fenster über der Apotheke alles abfilmten. Die Schill-Fanatiker, die bei jeder dummen Äusserung ihres Führers klatschten, ärgerten sich sehr über die Lärmaktion. Eine Schill-Anhängerin behauptete gegenüber der Polizei, dass sie gehört hätte wie einige schwarzgekleidete "Chaoten" über einen kurz bevorstehenden Angriff auf Schill geredet hätten. Was natürlich völlig aus der Luft gegriffen war. Die Polizei griff gleich ein und nahm die Personalien der schwarzgekleideten Jugendlichen auf. Ein Punk, der eine Autogrammkarte von Jonas B. Schill haben wollte, wurde von der Polizei daran gehindert. Der Punk liess sich das nicht gefallen und fing eine Diskussion mit einem Polizisten an, wo er darauf bestand, dass es nicht in Ordnung ist, Menschen nur wegen Äusserlichkeiten wie bunter Haare zu diskriminieren. Die umstehende Iserlohner Bevölkerung war eher auf Seiten des Punks. Während der Kundgebung selber hat sich die Polizei bis auf diesen Einzelfall nicht danebenbenommen.

Die lokalen Law & Order-Ideologen der Partei Rechtsstaatlicher Offensive beleidigten als erstes die Iserlohner Bevölkerung, indem sie vom LKW per Mikro und Verstärkeranlage von oben herab Publikumsbeschimpfung übten: "Wenn ihr Pfeifen aufhört zu pfeifen, können wir anfangen". Obwohl nicht aufgehört wurde zu pfeifen, fing Schill trotzdem mit seiner rechts-populistischen Rede an. Aber sowas sind wir von Politikern ja gewohnt - Versprechungen nicht einzuhalten ist wohl eine Politikerberufskrankheit. Die Rede war schwer zu verstehen, weil es die ganze Zeit so laut war. Aber folgendes war heftig:

Schill fantasierte etwas von einem "Schwarzen" der "gerne in die Schill-Partei eintreten wolle" und Schill aufforderte "etwas gegen die schwarzen Drogendealer" in seinen Reden zu sagen. Dann erzählte der angereiste "Richter Gnadenlos" noch etwas von Kurden, denen in Kurdistan angeblich Videos über die paradiesischen Zustände in deutschen Knästen gezeigt werden, damit sie wissen, dass sie als "kurdische Drogendealer" es selbst im Knast besser haben als zuhause. Üble rassistische Hetze, die von den Schill-Parteianhängern begeistert beklatscht wurde.

Diesmal gabs lustige Plakate wie "Ausländer sind besser im Bett" oder "Chillen statt Schill". Ein anderes Plakat welches schon fertig war, wurde leider nicht gezeigt: "Hitler hätte die A46 bis Stalingrad gebaut". Insgesamt eine gelungene Aktion gegen Schill und NPD.


3.) Trillerpfeifen gegen CDU-Pfeifen
Rehzi

Am 03.09.02 um 19 Uhr war der alte Spendensack Helmut Kohl in Köln auf dem Alten Markt. Ausser Hetze gegen die "Sozialisten" und Schönrederei über "rechte Politik" war seinerseits nicht viel interessantes zu vermerken. Lustig dagegen waren seine AnhängerInnen.

ZWISCHENFÄLLE UND FASCHOS: DER ANFANG

Ab 19 Uhr gab es hauptsächlich "zünftige" Musik, die waschechten Kohlfans waren schon hinter ihrem Absperrgitter - allein das "Füttern verboten" Schild fehlte. Jede Menge Bullen, die aber nicht weiter nervten. Dann ein kleiner Zwischenfall. Vor unseren Augen rempelt ein angeheiterter Proll einen Fahrradfahrer an, der daraufhin das Rücklicht seines Fahrrads verliert. Eine Aktivbürgerin oder Zivibullin (war nicht klar auszumachen) machte ein riesiges Aufhebens, Bullen rückten an... wegen eines Rücklichts. Ich: Wann haben Sie denn das letzte Mal bei einem sexistischen oder rassistischen Übergriff eingegriffen? Da halten Sie doch auch immer's Maul und schauen weg. Haben Sie nichts besseres zu tun?" und so weiter. Das hat die nicht weiter beeindruckt. Der Proll gratulierte mir zu dieser Stellungnahme. Dann einigten sich Geschädigter und "Täter", das Rücklicht wurde mit Hilfe (polizeilicher) Kabelbinder repariert. Das war erst der Anfang und gab einen kleinen Vorgschmack auf die Aktivitäten der Aktivbürgies an diesem Abend.

Dann kamen Schill-Fans und verteilten Flugis: "Wer Stoiber will, muss auch Schill wählen" ...blablabla ihre Zweitstimme für Schill, Kontaktadresse etc. Erst dachte ich, das ist eine Kommunikationsguerilla. Als ich merkte, dass das ernst gemeint ist, waren die Typen schon weg. Wir dachten uns.. auch gut, wenn die Spiesser mal merken, aus welchem rechten Loch die Stoiberfans kommen und mit wem sie da koalieren. Aber dann: Merken die da was? Einer geht zum CDU Stand und fragt, ob sie sich davon nicht distanzieren möchten. Die CDU: Nee, das sei ja ein demokratisch gewählter Vertreter, das fänden sie gut. - Aha.

PFEIFKONZERTE
Dann kam die Birne endlich. Wir packen unsere Pfeifen aus, andere ihrer Transpis & Plakate. Nicht nur Asseln protestieren: auch Studis, Attac, Jusos, ein paar Zivilgesellschaftsleute. "Hau ab" und "Wir wolln die Namen hörn, wir wolln die Namen hörn, wir wolln, wir wolln, wir wolln die Namen hören" wird gerufen und gesungen. Einige wedeln mit kopierten Geldscheinen. Ich: am Pfeifen was die Lunge hergibt.

BLACK BLOC ACTION
Dann kommt der "schwarze Block" in Aktion. Ein vorbeigehender CDU Fan schlägt mir die Pfeife aus dem Gesicht. Die Bullen gucken zu. Ich hau ihm zurück in die Fresse erst mal. Da greifen die Bullen ein, halten den Kerl fest, ob ich Anzeige erstatten will. Nee, die bürgerliche Justiz lehne ich ab, der Kerl entschuldigt sich, ich sag ihm, er soll künftig sein Gehirn einpacken und den Scheiss lassen. Zwei Minuten später reisst mir der nächste militante schwarze Bürgi die Pfeife aus dem Mund. Andere halten ihn fest, die Bullen gehn dazwischen. Ich: "Wenn wir sowas machen, dann kommen wir für 4 Stunden in Gewahrsam und kriegen ne Anzeige. Ich will, dass Sie den mitnehmen." Der Bulle: das kann er nicht, liegt kein Grund vor. - Ach so.

Wenige Minuten später zerrt eine reichlich überschminkte, falschen Schmuck tragende alte Frau an mir herum und schlägt mich auf den Rücken, Jemand versucht, sie abzuwehren, es kommt zum Gerangel. Nach dem vierten Mal auf die Fresse kriegen rücken die Bullen an: Sie könnten das nicht länger mit ansehen, wir haben einen Platzverweis. Na klar, der rabiate schwarze BürgerInnenblock bleibt unbehelligt, versprüht noch Pfefferspray, und wir werden "bestraft". Wir hätten das "provoziert". Ja, die Frau, die nen Minirock trägt, hat ja auch den Vergewaltiger "provoziert".

Ich halte mich zurück, pfeife nicht mehr, alle anderen schon, das stört die Bullen nicht. Ohne was tun zu können (umringt von Bullen) mag ich auch nicht bleiben, und mir den Schwachsinn von der fetten Birne anhören. Also gehe ich.

REFLEKTION
Es stellt sich mir die Frage, was für einen Sinn solche Aktionen eigentlich machen. Ich meine, klaro wollen wir den Typen und sein reaktionäres Geschwätz nicht sehen oder hören. Klaro ist es angesagt, dass dem korrupten Kerl gezeigt wird, dass er unerwünscht ist. Aber dann machen gezielte Aktionen, die die Veranstaltung verhindern (Sabotage o.ä.) mehr Sinn. Mit einer zu kleinen Anzahl von Leuten zu stören, bestätigt die rechten Bürgis doch nur in ihrem Weltbild, dass wir eben "Abschaum" sind , wie uns jemand betitelte, oder dumme Deppen, die nur stören können. Kann mensch solche Leute überzeugen? Vermutlich ist mensch bei ihnen erst mal an der falschen Adresse. Kann mensch da wen erreichen? Vermutlich nein. Kann mensch etwas erreichen, ausser dass mensch es gut vorbereitet schafft, die Veranstaltung platzen zu lassen und somit rechtem Gedankengut keine Auftrittsmöglichkeit zu geben? Ich glaube nicht. Ich vermute, dass dies nicht bei allen Parteien so ist. Bei den Grünen oder der SPD gibt es ja auch - merkwürdigerweise - immer noch innerparteilichen linken Widerstand und Protest. Da wird mit sowas auch ein bisschen anders umgegangen, es ist auch möglich, dass mensch auf Publikum trifft, dass für "unsere" Ideen oder für ausserparlamentarischen linken Widerstand offen ist. Aber bei der CDU?

Interessant fand ich auch, dass Kohl offen über den Begriff "rechte Politik" redete. Es sei ja inzwischen ein Totschlagargument der Sozis, zu sagen, Stoiber "komme von rechts". Hierauf besetzte er den Begriff "rechts" positiv, rechts sein hiesse, wertkonservativ sein, und das sei doch wichtig, gegen den Verfall der Werte zu sein etc. Merke: "Jawoll, wir sind die Rechten, und das ist gut so!" Muss da nicht ein breiter gesellschaftlicher Konsens dahinter stehen, muss "rechte Politik" nicht inzwischen so salonfähig sein, dass es möglich ist, sich hinzustellen und zu sagen: Wir sind rechts und stolz darauf"? Ich vermute, dass wäre noch vor einigen Jahren so nicht möglich gewesen. Mensch kann das als Zeichen für den rechten Konsens, den Rechtsruck in der Gesellschaft werten, dass es Kohl möglich ist, mit der Kategorie "rechts" um Stimmen zu werben.


4.) zur Aussageverweigerung
Ana Lyse

Für ZeugInnen kann die generelle Aussageverweigerung anders als für Beschuldigte in der letzten Konsequenz neben Ordnungsgeld bis zu 6 Monate Beugehaft (innerhalb des selben Tatkomplexes) bedeuten. Dieses staatliche Druckmittel zur Durchsetzung der Denunziationspflicht zeigt allerorts (nicht nur in der linken Szene) seine Wirkung.
Beugehaft wird nicht nur angedroht, wie zB. im Memminger Abtreibungsprozeß (hier wurde 70 aussageunwilligen Zeuginnen Beugehaft angedroht, mit dem gewünschten Ergebnis, daß letztlich alle Aussagen machten), sondern auch verhängt. Jüngstes Beispiel hierfür innerhalb der linken Szene ist Ulf aus Bremen, der im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen die radikal als Zeuge geladen wurde, die Aussage verweigerte und dafür 5 Monate Beugehaft aufgebrummt bekommen hat, und jetzt in Heimsheim im Knast sitzt.

Insofern hat die Forderung nach Aussageverweigerung was ZeugInnen angeht nicht nur eine politische sondern in ihren Konsequenzen für die Betroffenen auch eine sehr persönliche Ebene.

Letztere unter den Tisch fallen lassen zu wollen, um die durch die klare Forderung "Keine Aussagen - Keine Kooperation mit dem Staatsschutz" erkämpfte politische Stärke nicht zu gefährden, verhindert letztlich genau diese Stärke.

In der Realität sieht es doch zur Zeit so aus, daß die "Anna und Arthur haltens Maul Kampagne" seit den Schüssen an der Startbahn zwar große Kreise erreicht hat, von vielen für richtig befunden und unterstützt wird, in der konkreten Situation einer ZeugInnenladung und eines Verhörs dann aber die meisten Betroffenen doch 'ne Menge erzählen.

Die weitverbreitete Aussagebereitschaft der linken Szene alleine mit dem ständigen Wiederholen der richtingen Forderung bekämpfen zu wollen, heißt, die Kampagne für richtig und die Menschen für falsch zu erklären. Damit kommen wir nicht weiter...

Das folgende ist aus der sehr lesenswerten Broschüre aus Bochum 'Wenn die Sache irre wird - werden die Irren zu Profis. Infos und Texte zur Aussageverweigerung und Beugehaft' abgeschrieben.

Am 18.12.87 waren mit Schwerpunkt Ruhrgebiet 33 Wohnungen und Arbeitsplätze wg. RZ und Rote Zora durchsucht worden. Ein dreiviertel Jahr später folgten massenweise ZeugInnenvorladungen. Die meisten von ihnen standen im Zusammenhang mit der Verfolgung damals Abgetauchter. Zwei der Zeuginnen verweigerten die Aussage bis zum Schluß und wurdcn deswegen in Beugehaft genommen. U.a. durch den massiven juristischen und politischen Druck gegen dieses Vorgehen der BAW mußten die beiden nach mehrwöchiger haft wieder entlassen werden.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, daß wegen dem bei einer Hausdurchsuchung im Herbst 88 (zum gleichen Komplex wg. eines Gesuchten beschlagnahmten Materials zu Aussageverweigerung gegen alle vier Bewohnerinnen ein 129a-Ver- fahren eingeleitet wurde. Begründung der Staatsschutzbehörden:

Die Bereitschaft zur Aussageverweigerung zu wecken oder zu bestärken, sei geeignet, das Vertrauen der RZ's in eine "breite solidarische Verschwiegenheit der Szene" zu stärken und sie auf diesem Wege zu zu einer Fortsetzung ihres "strafbaren Tuns" zu motivieren.

"Es gibt keine entlastenden Aussagen"

Es gibt keine entlastenden Aussagen. Das Interesse der Bundesanwaltschaft besteht gerade darin, nur Belastendes zu finden.

Anscheinend entlastende Aussagen können schnell in ihr Gegenteil verkehrt werden. Zumal es kaum absehbar ist, welche Informationen von der BAW zu Indizien gemacht werden können in Verfahren, in denen es häufig noch nicht einmal einen konkreten Tatvorwurf gibt. Die BAW ist sehr phantasievoll in dieser Hinsicht!

Es gibt keine harmlosen Aussagen

Schon aus der Begründung laufender Ermittlungsverfahren wird ersichtlich, daß es kaum Unverdächtiges in den Augen der Staatsschützer gibt. So müssen zB. als Indizien herhalten:

In der Begründung einiger Beugehaftanträge hieß es, daß "Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich" beweiserheblich seien, daß "durch persönliche, berufliche oder gesellschaftliche Interessen erklärbares Verhalten der Beschuldigten ermittelt werden muß, um es von Verhaltensweisen zu unterscheiden, die ihre Erklärung in dem Engagement der Beschuldigten für die terroristische Vereinigung RZ/Rote Zora finden". Welches Verhalten wozu diente wird natürlich von Ermittlungsbeamten entschieden.

Auch Im privaten Bereich, zB. dem Zusammenwohnen in einer WG wird es schwierig mit harmlosen Antworten. Auf Fragen nach FreundInnen, Bekannten, Aufstehgewohnheiten, Krankheiten, Lese- und Telefoniergewohnheiten der beschuldigten Person zu antworten, das diese Dinge nicht bekannt seien, legt für das BKA den Sch1uß nahe, daß diese Person konspirativ gehandelt haben muß.

Beispiel: Telefongespräche

Eine Zeugin wird gefragt, ob ihre Mitbewohnerin X mit Y bekannt ist. Im Bemühen möglichst schwammig zu antworten, sagt die Zeugin: "Ich weiß nicht". Nun hat aber das BKA die Person X schon länger bespitzelt und ein Telefongespräch zwischen X und Y abgehört. Auf diesem Hintergrund, der der Zeugin nicht bekannt ist, wird die Aussage "ich weiß nicht" zur relevanten Information. Verheimlicht die Zeugin die Beziehung, weil sie ihr heikel erscheint, oder hat gar X selbst gegenüber der Zeugin die Beziehung zu Y verheimlicht? Beides deutete auf eine möglicherweise konspirative Beziehung zwischen X und Y hin.

Beispiel: Rasterfahndung

Auch scheinbar banale Aussagen können zur Aufstellung von Rastern dienen. Die harmlose Eigenschaft, Leser der Süddeutschen Zeitung zu sein, ließ Rolf Pohle in das Fangnetz des BKA laufen. Durch Observierung der Zeitungskioske in Athen wurde er beim Kauf einer solchen erwischt.

Im Rahmen der Rasterfahndung ergeben dann auch Fragen nach Krankheiten, Angewiesensein auf bestimmte Medikamente, Allergien, Kontaktlinsen einen Sinn.

Es gibt keine banalen Fragen

Auch scheinbar banale Fragen und solche, auf die es amtliche Antworten gibt, erfüllen ihren Zweck!!! Prinzipiell gilt, daß die BAW keine dummen Fragen stellt.

Beispiel: Verhöhrsituation

Die BAW stellt eine Reihe Fragen wie: "wo hat X zu einem bestimmten Zeitpunkt gewohnt?" - Natürlich wo er gemeldet war - "wo hat X gearbeitet?" etc.

Die Zeugin überlegt angestrengt, welche Frage ihr relativ harmlos erscheint, welche nicht. Ihr Zögern, Ausweichen, ihre schnelle Antwort können der BAW Hinweise auf sie möglicherweise interessierende Punkte in der Biographie der gesuchten Person geben.

ZeugInnenbefragungen finden in der Regel als Frage und Antwort-Spiel statt. Dh. die ZeugInnen bekommen nicht einen Fragenkatalog vorgelegt, wo sie von vorneherein einen Überblick über die einzelnen Fragen und deren mögliche Bedeutung haben und eventuell in Ruhe entscheiden können, welche Frage sie beantworten. Die BAW bemüht sich um die Atmosphäre eines Gesprächs. Blockiert eine Zeugin an einzelnen Punkten dieses Gesprächs muß sie dies häufig begründen. Diese zermürbende Situation hat zB. im Falle eines Hamburger Zeugen 3 Stunden gedauert. Die wenigsten ZeugInnen werden sich nach einer solchen Prozedur noch erinnern können, welche Informationen sie dem Staatsschutz gegeben haben.

Für den eigenen Schutz!

EinE ZeugIn ist schnell BeschuldigteR

In 129a-Verfahren können ZeugInnen im Nu selbst zu Beschuldigten werden, da die Bekanntschaft mit einer verdächtigen Person jede und jeden selbst in den Kreis verdächtiger Personen kommen läßt. Dies ist in der Vergangenheit schon häufig geschehen (in RAFVerfahren).

Insbesondere mit der Verweigerung der Aussage unter Berufung auf den § 55 belastet man/frau sich selbst. Im Kern besagt dieser Paragraph, daß Antworten, die eine mögliche Selbstbelastung beinhalten, verweigert werden können.

Diese Selbstbelastung kann durchaus von BKA und BAW für künftige Verfahren erwünscht sein.

Außerdem sieht das Gesetz vor, daß jeder Bezug auf den § 55 erstmal begründet werden muß. Eine schizophrene Situation, weil das heißt, daß mit der Begründung, warum eine solche Aussage etwas mit der eigenen Person zu tun hat und belastend sein könnte, jede Menge Informationen geliefert wird.

Ob die BAW bei der jeweiligen Frage den § 55 akzeptiert, hängt von ihrer Wilikür ab: wurden viele andere Fragen beantwortet, lassen sie vielleicht eine unbeantwortete zu.

Ist eine ZeugIn bereits Beschuldigte in einem anderen Verfahren, so ergibt sich daraus noch nicht automatisch das Recht auf Aussageverweigerung nach § 55. Denn auch in diesen Fällen behalten sich die Ermittlungsbehörden die Entscheidung darüber vor, ob ein Zusammenhang zwischen den Verfahren und damit ein Aussageverweigerungsrecht besteht. Im schlimmsten Fall faßt die BAW die Berufung der ZeugIn auf den § 55 als Bestätigung der gegen sie erhobenen Vorwürfe auf.

Für die Zukunft ist noch vermehrt zu befürchten, daß die Bekanntgabe von Ermittlungsverfahren solange hinausgezögert wird, bis die ZeugInnen ihre Funktion erfüllt haben.

Aussagen schützen nicht vor weiteren Vorladungen

Die ZeugInnenvorladungen im Zusammenhang mit den Schüssen an der Starbahn West in Frankfurt zeigen: Auch Aussagen schützen nicht vor weiterer Verfolgung. Bei signalisierter Aussagebereitschaft kann eine ZeugIn immer wieder vorgeladen werden....

Das eigene Gewissen

JedeR wird sich die Frage stellen: Habe ich mich so verhalten, wie ich es richtig finde?

Bei Aussagen kann man/frau sich nie sicher sein, möglicherweise doch jemanden belastet zu haben.

Immer bleibt die Aussicht, bei einem späteren Prozeß Aussagen wiederholen zu müssen, die der Angeklagten Person möglicherweise Knast einbringen.... "

... Zu den oben genannten kommt noch hinzu, daß in Verfahren, in denen mehrere ZeugInnen geladen werden, deren gemeinsame Verweigerung der Aussage eine Spaltung der ZeugInnen in die, die keine "gefährlichen" Informationen zu bieten haben und solche, die eben etwas näher dran sind. und alleine deswegen die Aussage verweigern müssen, verhindern kann.

Zudem kann die Verweigerung der Aussage durch viele die Schwelle der BAW erhöhen, tatsichlich Beugehaft zu verhängen.

Vergessen werden sollte auch nicht, daß schon die Empörung darüber, daß dieser Staat das Recht hat, Menschen, die nicht mit dem Staatsschutz zusammen arbeiten wollen, bis zu einem halben Jahr in den Knast zu stecken, ausreichen kann, das Maul zu halten.

Was bleibt, ist die Frage nach den Gründen für die Diskrepanz zwischen Anspruch/Überzeugung und Wirklichkeit.

IN DER WIRKLICHKEIT

Politisch wird die Aussageverweigerung mit dem Kampfverhältnis der Linken zum Staat begründet.

Vergessen werden darf dabei aber nicht, daß Repression unter anderem häufig deswegen so gut greift, weil sie eben auch Leute trifft die gar kein solches Verhältnis zum Staat haben, beziehungsweise mit eskalierten repressiven Mitteln überzogen werden, die ihrer eigenen Ebene des Widerstandes/Angriffs nicht entsprechen (zB. wenn "Autonome" plötzlich von Anti-Terror-Einheiten bekämpft werden, die früher gegen die Guerilla eingesetzt wurden).

Es ist eben ein Unterschied, ob Aussageverweigerung zu einem Teil der eigenen politischen Identität wird, oder aber ob die Politisierung erst über die Konfrontation mit der staatlichen Repression beginnt. Hier sind Geduld und Einfühlungsvermögen mehr angesagt, als das Konfrontieren mit super-straighten Positionen, die letzlich dem Druck der Beugehaft, nur einen weiteren Druck, nämlich den der politischen Ansprüche. entgegenstellen.

Es erscheint unwahrscheinlich, daß ein, solchermaßen im Schnellverfahren "überzeugter" (funktionalisierter?) Mensch Monate Knast durchstehen würde.

Aus Erfahrung wissen wir auch, daß die Bereitschaft zu Aussagen umso größer ist, je mehr Diskrepanz zu den verfolgten Inhalten oder Taten besteht (zB. Startbahn) bzw. je heftiger die Vorwürfe sind (zB. Kaindl-Verfahren), dem etwas entgegenzusetzen scheint häufig fast aussichtslos.

Zudem werden viele Menschen sehr unvorbereitet mit der Verhörsituation konfrontiert und reagieren dann aus Angst und Überforderung anders, als sie es vielleicht eigentlich beabsichtigt hatten....

Die Aussageverweigerungskampagne läßt sich nicht konsumieren, sie ist immer nur so stark wie die ernstgemeinte konsequente und gemeinsame Auseinandersetzung mit diesem Thema, die ja erst ermöglicht, daß die einzelnen sich entsprechend verhalten...

DER PREIS

Hierzu nochmal einen Abschnitt aus der Bochumer Broschüre:

"Die Repressionsmöglichkeit der Beugehaft trifft jeden EinzelneN in ihrer gesamten Lebenssituation:

Sie/er ist nicht nur mal eben ein halbes Jahr weg vom Fenster, sondern sie hat weitreichende Konsequenzen zu tragen. An diesem Punkt stellt sich die Frage nach der Verhältnismäßigkeit zwischen dem Preis, der für die Verweigerung zu zahlen ist (nämlich Knast) und dem Schaden, den eine Aussage anrichten kann. Es gibt kein Patentrezept, was diese Frage eindeutig lösen könnte, denn jedeR ZeugIn ist in einer unterschiedlichen Situation, was ihre persönliche Lebensituation und den möglichen, von ihr/ihm gestifteten Schaden angeht."

Auch wenn wir meinen, daß jede nicht gemachte Aussage ein Gewinn ist, können wir die anfangs aufgeführten Argumente für Aussageverweigerung nicht einfach jeder individuellen Lebensituation überstülpen.

... Wir können die Entscheidung keineR abnehmen, ob sie/er letztlich bereit ist, die Gefahr auf sich zu nehmen, bis zu einem halben Jahr in den Knast zu gehen.

Wir können nur die Grundlagen, auf denen diese Entscheidung gefällt wird, zumindest zu einem Teil verändern:

Dazu gehört als allererstes ein solidarisches und genaues Diskussionsklima, in dem Ängste und Zweifel offen geäußert werden können. Das heißt nicht, die Richtigkeit der Aussageverweigerung zu bezweifeln, sondern anzuerkennen, daß der Staat ieser Verweigerung einen hohen Preis abverlangen kann, den nicht immer jede und jeder zahlen kann.

Zudem liegt es in der Verantwortung der Linken, zumindest die materiellen Kosten der Aussageverweigerung für die einzelnen gemeinsam zu tragen ... und nicht zuletzt ist es unsere politische Verantwortung, nicht nur für Aussageverweigerung zu streiten, sondern auch für die Abschaffung der Beugehaft als Mittel, den verordneten Denuziationszwang durchzusetzen, zu kämpfen...

Aussageverweigerung bleibt eine konkrete Handlungsmöglichkeit, den § 129a ins Leere laufen zu lassen!

Laßt uns die Bedingungen schaffen, daß möglichst viele Männer und Frauen diesen Weg gehen können!


5.) Schleich di Saupreiss boarischa!
Libertäre Presseagentur, RGL

Nun isse geschlagen die Wal-Schlacht und die CDU/CSU/FDP. Vorläufig also die Sozis im ausgebleichten roten Talar und die NATO-Grünen mit immerhin einem erklärten Kriegsgegner in ihren Reihen, den die Basis geschlossen aufs Schild gehoben hat: Ströbele, der Störenfried der Befriedungsaktionen (angeschlagen von einem [gedungenen?] Nazi). Und die PDS, die partei DES sozialISMUS guckt in die rote Röhre und kein Licht am Ende von der - nur kraftloses Geröhre.

Immerhin hat sich eine halbwegs deutliche Mehrheit der Wahlentschlossenen, vielleicht nicht für bleichrot mit grünen Punkten, aber immerhin gegen die neubraune Kacke entschieden. WahlboykotteurInnen brauchen sich nicht in den Arsch zu beissen und sich heimlich zu wünschen doch besser gegen Stoiber gekreuzt zu haben. Mit leichtem Krampf in Därmen, Rücken und Waden lehnt sich das Wahlvolk zurück. Aufatmen.

Stoiber bleibt in Bayern bei seinen Amigos. Ein Saupreiss weniger in Berlin. Pünktlich kommt auch die Meldung über den Ticker, dass der Sohn seines Ziehvaters Strauss gerade von der Staatsanwaltschaft wegen Steuerhinterziehung angeklagt wird - wegen nichtbezahlter Steuern von "Provisionen" in mehrfacher Millionenhöhe, die er von Waffenhändler Schreiber erhalten hat. Sauba! Saubär! Ein guter Sohn seines Vaters. So reimt sich doch prima Ziehsohn Stoiber auf Schreiber und ersterer darf nun auch wieder ungeniert ins Kriegshorn stossen und die Kreide wieder ausspucken die er zu seinem Leidwesen monatelang fressen musste.

Derweil kriecht der Sozi-Kanzler zu Kreuze (In God we trust!): Canossa auf Knien war dagegen wahrscheinlich gemütlich: "Lasst mich doch bitte-bitte wieder ein bisschen Krieg zusammen mit euch machen, ihr lieben Amifreunde - das hab ich auch nur wegen des Wahlkampfs gesagt. Ich tu´s auch nie wieder!" Aber der Oberkommandierende der WAR-Macht Bush tut beleidigt. Nein er ists auch. Solln sie doch in ihrem dekadenten Pazifismus versauern diese Krauts. Eis um Eis, Bein um Bein.

In den letzten Sonnenenergiestrahlen des 2002er Spaethsommers denken die gealterten Grünen Jungs und Mädels bei grüner Weisse mit Schuss (Waldmeistergeschmack) genüsslich über neue Ökosteuern nach (mit denen vielleicht ökologisch unbedenkliche biologische Waffen entwickelt werden könnten um Saddam und Sodom sauber zu vernichten. - Sorry, das geht vielleicht ein bisschen zu weit, oder.) Aber ach ja - im Herbst wird der grünste Baum bald gelb und braun und die Blätter fallen unter den Tisch, egal was draufstand.

Alles wie gehabt? Klar, alles wie gehabt. Nur, dass sich die GRUeNdliche SOZIALwalze nun gleich ohne Quietschen und Knirschen weiterbewegt um ihren Aufsitzern den Weg zur Pension zu glätten. Wer nun den kapital verursachten Notstand (im Überfluss!) weiterverwaltet und eventuelle Löcher in den Geldsäcken der reichen Säcke FLICKen darf ist nun klar.

Ermüdet vom Fressen kitzelt sich Henkel den Gaumen mit einer Feder vom Bundesadler und wenn alle zum Kotzen finden, was er von sich gibt, findet er das ganz in Ordnung und kotzt und frisst seelenruhig weiter. Von DIESER Regierung in Armani-Anzügen droht ihm und Spiessgesellen - nichts.

Steuern zahlen sie sowieso schon lange nicht mehr. So what!?

WAS TUN also?!

Die Regierung da liegen lassen wo sie sich gibt: links. Sich nicht über die Zustände beschweren, sondern sie ändern. Das politische System bedarf einer dringenden revolutionären Reform ... oder einer reformierten Revolution. Die alten Rezepte mit denen nun schon wieder Unverbesserliche herumkaspern und die Proletkult-Pritsche schwingen reizen noch nicht einmal mehr zum Lachen, geschweige denn zum Widerspruch. Sie sind einfach obsolet. Prekäre Politexistenzen. Konsumolzen. Täglicher Widerstand ist angesagt. Gegen den Raubbau in den schon geplünderten Sozialsystemen, gegen den totalen Überwachungsstaat, gegen die immer sklavenähnlicher werdenden Verhältnisse in den unteren Lohnbereichen, den neuen Sweatshops, dem schwarzen Arbeitsmarkt auf dem immer gefährdeter und immer schlechter verdient wird. Gegen den täglichen Rassismus.

Die noch relativ komfortablen Verhältnisse in einer führenden Industrienation, in einem angeschlagenen, aber noch weitgehend satten EUropa sollten genutzt werden endlich mehr parallelgesellschaftliche Selbstverwaltungs- und Gegenmacht-Strukturen aufzubauen um eines hoffentlich nicht zu fernen Tages die marode turbokapitalistische Dekadenzgesellschaft mit entschlossenem Druck ablösen zu können und gerechte solidarische und ökologische Weltverhältnisse zu schaffen. Nachund nach. So schnell wie möglich.

Und da wo es geht sofort.

Nun, wir scheinen davon weiter entfernt denn je zu sein. Aber wie weit sind wir von einem endgültigen Scheitern des Kapitalmodells oder einem neuen Abdriften in finsterste Zeiten aller gegen alle - wie weit sind wir vom, vielleicht finalen, Dritten Weltkrieg? Stecken wir vielleicht schon mitten drin in seinen Anfängen? Oder hat Der Weltkrieg andauernd seit dem Aufschwung des Grosskapitals nur regionale Pausen der Schauplätze der Vernichtung eingelegt, ebenso wie "die" Revolution (!) gegen ihn? Hundert Jahre Krieg und nur Steigerung in Sicht?

"Wir haben keine Chance - nutzen wir sie!" (Alter Spruch mit neuem Wert) Wer in den unzweifelhaft kommenden Dilemmen nur eine Aufforderung erblickt (auf Kosten der weltweit Ausgebeuteten und Unterdrückten) so viel wie möglich weiterzukonsumieren, sich zu vergnügen, über die Stränge zu schlagen, sich auch noch den allerletzten Kick zu geben - der/die mag ruhig untergehen, sich um den Verstand saufen, koksen, speeden. Wem nicht zu helfen ist, dem ist nicht zu helfen. Aber die, die sich selbst helfen wollen und eine Zukunft für (ihre) Kinder und Kindeskinder wollen, begangenes Unrecht beenden wollen, müssen aufhören zu lamentieren und immer wieder entschlossen anfangen und zupacken. Wo? Es gibt genügend Ansatzpunkte und gerade das finden die meisten sicherlich DAS Problem. Es ist ihnen alles zu viel. Fangt irgendwo an, das ist besser als nirgendwo anzufangen und sich im Nirgendwo wiederzufinden! Tun und Nichttun hat Auswirkungen. Manchmal unmittelbare. Und Manches dauert eben etwas länger. Wunder zum Beispiel.

Aber wundert euch nicht, wenn ihr NICHTS tut!

Der Wahlzirkus ist vorbei. Die Clowns haben ihre roten Knubbelnasen abgelegt und sich das aufgemalte Lächeln vom Gesicht gewischt. Die Tiger sitzen wieder hinter Gittern und die Elefanten liegen an der Kette. Die Akrobaten haben wieder festen Boden unter den Füssen und das Publikum steht wieder draussen im Jahrhundertregen, zusehend wie ihm die Sitzfelle davonschwimmen. Es wird ungemütlich.

Schwarze Katze Nachtrag: Mehr zum Thema Wahlzirkus gibts bei der Sonderseite anarchistische Parlamentarismuskritik


6.) "Ich träume noch immer von der Revolution"
Ein GWR-Interview mit Ilse Schwipper von Bernd Drücke
Graswurzelrevolution # 271, September 02

Ilse Schwipper (geb. 1937) wurde im Juni 1971 erstmals wegen militanten Aktionen gegen den Vietnam-Krieg verhaftet. Bis Ende 1973 saß sie in Isolationshaft in Vechta. Nach der Haftentlassung wurde sie im August 1974 erneut inhaftiert. Ihr wurde die Beteiligung an der Ermordung des Berliner Verfassungsschutz-Mitarbeiters Ullrich Schmücker durch das Kommando 'Schwarzer Juni' aus der 'Bewegung 2. Juni' unterstellt. Nach 17 Jahren endete der 'Schmücker-Prozeß' im Januar 1991 mit einer Verfahrenseinstellung, die im November 1991 rechtskräftig wurde. Insgesamt hat Ilse Schwipper 7 3/4 Jahre wegen dieser Anklage in Untersuchungshaft gesessen. Im Mai 1982 wurde sie wegen Haftunfähigkeit vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen. Heute lebt sie in Berlin und arbeitet hauptsächlich in anarcha-feministischen Zusammenhängen. Sie ist Mitautorin des Buches "Bei lebendigem Leib. Von Stammheim zu den F-Typ-Zellen. Gefängnissystem und Gefangenenwiderstand in der Türkei".

Graswurzelrevolution (GWR): Sie sind 1969 als 32jährige in die SPD eingetreten. Anfang 1970 hat die SPD Sie wegen "parteischädigendem Verhalten" ausgeschlossen. Wie kam es dazu und was war mit "parteischädigendem Verhalten" gemeint?

Ilse Schwipper: In Niedersachsen gab es im Frühjahr 1970 Landtagswahlen, an denen die DKP teilnehmen wollte. Um das zu können, brauchten sie 40.000 Unterschriften. Jungsozialisten aus Wolfsburg, u.a. ich, haben diese Unterschriften gesammelt. Für die "Mutterpartei SPD" war das Anlass genug, trotz ihrer Propaganda "mehr Demokratie wagen" 19 Jusos auszuschließen wegen parteischädigenden Verhalten. Für meine Begriffe war das aber einzig ein Vorwand, weil die Wolfsburger Jungsozialisten, deren zweite Vorsitzende ich war, für die damalige Zeit sehr revolutionär agierte.

GWR: Anfang der 70er Jahre beteiligten Sie sich an militanten Aktionen der "Bewegung 2. Juni". Wie erklären Sie sich Ihre damalige Entwicklung von der "Sozialdemokratin" zur Stadtguerillera? Können Sie diese Entwicklung skizzieren?

Ilse Schwipper: Die Frage ist nicht ganz richtig. Zu dem Zeitpunkt haben Wolfsburger das Konzept Stadtguerilla diskutiert, waren aber nie an Aktionen der Bewegung 2. Juni beteiligt. Die Wolfsburger waren eine eigenständige Gruppe, die in der K3 lebten (später Bäckergasse 2). Unsere Auseinandersetzungen mit den verschiedenen Konzepten beinhalteten allerdings eine Nähe eher zur Bewegung 2. Juni als zur RAF. Einzelne Aktionen aufzuzählen, die damals von der Gruppe gemacht wurden, halte ich für unangebracht.

Ich war nie Sozialdemokratin. Von meiner familiären Geschichte her, war ich Anarchistin. Repressive Erfahrungen nicht nur mit der SPD sondern auch mit Polizei und dem was staatliche Institutionen generell ausmachen, haben mich immer radikaler werden lassen.

GWR: 1977 sorgte ein Artikel des Göttinger "Mescalero", in dem er sich aus libertärer Sicht kritisch mit der Politik des Staates und der Stadtguerilla auseinander setzte, für Aufsehen. In dem 1977er Graswurzelrevolution-Positionspapier "Feldzüge für ein sauberes Deutschland" (siehe: www.graswurzel.net) ging es im Anschluss an eine gewaltfrei-anarchistische Kritik sowohl der staatlichen Gewalt als auch der RAF-Politik um die Begründung direkter gewaltfreier Aktionen. Wie wurde die Kritik des Mescalero und anderer gewaltfreier AnarchistInnen damals von den Stadtguerillas aufgenommen? Gab es dazu Diskussionen?

Ilse Schwipper: Das Graswurzelpapier ist nicht bis zu mir vorgedrungen, wobei ich nicht weiß, ob es zu den damals oftmals beschlagnahmten Dingen gehörte. Ob andere Gefangene an dem Papier diskutiert haben, entzieht sich meiner Kenntnis. Allerdings konnte ich dem Mescalero-Papier nicht sehr viel abgewinnen, da ich es von Hause aus albern finde, sich klammheimlich zu freuen. Ähnlich geht es mir bei Diskussionen zur Frage der Gewalt oder Gewaltfreiheit, weil ich denke, dass andere Diskussionen in einer global repressiven Welt voller Kriege wichtiger sind.

GWR: Wie sehen Sie die Politik der Stadtguerilla aus heutiger Perspektive?

Ilse Schwipper: Im Rückblick und an Hand der Tatsache, dass ich eine relative Geschichtsaufarbeitung hinter mir habe, kann ich nur sagen, dass die Politik der Stadtguerilla eine richtige war. Zumal sich die gesamte amnestierte Studentenschaft auf Karrieretrip begab. Stadtguerilla war weltweit der Versuch, ein gerechtes, menschenwürdiges Gesellschaftsgefüge zu beginnen. Dass die Niederlage so bitter sein würde, konnte zum damaligen Zeitpunkt niemand ahnen. Für die Einzelnen war es nicht nur eine wichtige Erfahrung sondern mit dem Versuch, das Private zum Politischen zu machen gesellschaftliche Verhältnisse revolutionär zu verändern.

Der Slogan der Musikgruppe Ton-Steine-Scherben: 'Macht kaputt, was Euch kaputt macht' wurde sehr ernst genommen.

GWR: Viele Menschen können sich nicht vorstellen, dass im "Rechtsstaat" Bundesrepublik Menschen (durch Isolation) gefoltert wurden und werden. Wie haben Sie Ihre eigene Isolation erlebt? Unter welchen Bedingungen waren Sie inhaftiert?

Ilse Schwipper: Es ist schwierig, in einem Interview darauf ausführlich zu antworten. Bevor ich es versuche, gleich eine Buchempfehlung, in dem es ausführlich um die Entwicklung von Isolationshaft - besser bekannt als weiße Folter - geht. Der Titel: "Bei lebendigem Leib", erschienen im Unrast-Verlag.

Meine Haftbedingungen waren von insgesamt fast 12 Jahren 6,5 Jahre Isolationshaft mit allen Merkmalen der Weißen Folter.

Stündliche Nachtkontrollen (ist Schlafentzug), Fliegengitter vor dem Normalgitter (zu wenig Sauerstoffaustausch), ständige Kontrollen und Zellenwechsel (Stress - Orientierungslosigkeit - nie heimisch werden), nirgendwo teilnehmen, also Ausschluss vom Anstaltsleben (Reizentzug), Trennung von jeglichen Gemeinschaftsveranstaltungen, Arbeitsverbot, Berührungsverbot bei Besuchen, häufiger Zellenwechsel, tägliche Zellendurchsuchungen und überfallartige nächtliche "Besuche" vom Staatsschutz. Außerdem bei jedem Zellenverlassen gründliche körperliche Durchsuchung. Schikanöse Postzensur und vielfache Nichtaushändigung von Publikationen. Was auch eine Rolle spielt, ist der Farbanstrich der Zellen. Das ist ein nicht definierbares gelb/weiß. Die Möbel sind nur um Nuancen dunkler, was über Jahre bedeutet, dass klare Konturen im Blick (Auge) verschwinden.

Die Auswirkungen grundsätzlich sind: Erschöpfungszustände, Depressionen, Venenerkrankungen, Kreislaufprobleme, Magen-Darmprobleme, Kopfschmerzen, Konzentrationsschwächen und Gedächtnisausfall - Tinitus.

Diese Haftbedingungen haben zu schweren körperlichen und seelischen Erkrankungen geführt, so dass ich am 2.Mai um 15.15 Uhr, 1982 schwerkrank als haftunfähig entlassen wurde. Bis zum heutigen Tag habe ich oft mit den Spätfolgen zu kämpfen.

GWR: In Stammheim und anderen Isolationsgefängnissen sitzen immer noch politische Gefangene. Wie ist ihre Situation heute?

Ilse Schwipper: So weit mir das bekannt ist, sind die Bedingungen im Großen und Ganzen nicht geändert. Bei einzelnen Gefangenen hat es geringfügige Haftverbesserungen gegeben, die aber meiner Meinung nach an der Gesamtrepression wenig ändern. Die Gefangenen sollten bedingungslos freigelassen werden. Das aber gilt für alle revolutionären Gefangenen weltweit.

GWR: Am 20. Oktober 2000 sind ca. 2.000 politische Gefangene in türkischen Gefängnissen in einen Hungerstreik getreten. Sie wehren sich gegen die Verlegung in neugebaute F-Typ-Isolationsgefängnisse, in denen sie der Willkür der Wärter ausgesetzt sind und unter der weißen Folter leiden. Nachdem ihre Forderungen nicht gehört wurden, wandelten sie ihren Hungerstreik in ein "Todesfasten" um. Diese Verweigerung der Nahrung forderte inzwischen mehr als 90 Opfer.

Wie erklären Sie Sich, dass sich nur wenige Menschen in der Türkei und in Europa mit den Gefangenen solidarisieren?

Ilse Schwipper: Abgesehen von der Tatsache, dass vielen Menschen solch konsequenter Kampf Angst macht, gibt es zur Zeit keine revolutionäre Gefangenenbewegung, die diesen Kampf unterstützten könnte. Einzelne Gruppen und Einzelpersonen, die auf verschiedene Arten den Kampf unterstützt haben und auch heute noch unterstützen, haben es seit dem 11. September 2001 nicht einfach. Vielfach wird dieses Todesfasten mit Selbstmordaktionen gleichgesetzt. Übersehen wird dabei, dass es einzig und alleine an den jeweiligen Regierungen liegt, wie mit Gefangenen umgegangen wird. Zum anderen ist es auch eine Tatsache, dass sich europaweit die "Linke" anderen Themen zuwendet, wie z.B. dem globalisierten Turbokapitalismus ohne zu begreifen, dass Inhaftierungen jeder Zeit unter genau diesen Weiße Folter-Bedingungen für jeden möglich sind. (Siehe Seattle, Göteborg, Genua).

GWR: Wie lässt sich gegen die Isolationsfolter eine Kampagne organisieren?

Ilse Schwipper: Eigentlich wie jede Kampagne über sämtliche linke Medien Öffentlichkeit herstellen, unter Einbezug auch der bürgerlichen Medien. Tatsache ist aber, dass dieser Kampf der türkischen Gefangenen weitgehend totgeschwiegen wird.

Es hat ja nicht nur einen Kongress organisiert von Tayad (Verein der Angehörigen von politischen Gefangenen) gegeben, sondern häufiger Delegationen zum Schutz der Angehörigen, die sich ebenfalls im Hungerstreik und Todesfasten befanden und befinden. Auch die internationalen Delegationen konnten keine relevante Bewegung initiieren. In Berlin, Hamburg und Köln hat es Ende 2001 auf öffentlichen Plätzen Solidaritätshungerstreiks und Veranstaltungen gegeben, die ebenfalls keine Massenbewegung hervorbrachten. Bis heute weigert sich die türkische Regierung die Isolationsgefängnisse nach dem deutschen Modell abzuschaffen. Nicht einmal die Minimalforderung des Zusammenschlusses einzelner Gefangener untereinander ist verwirklicht.

GWR: Das Buch "Bei lebendigem Leib" will "mit dazu beitragen, dass die Frage von politischer Gefangenschaft und Solidarität in der Linken wieder diskutiert wird." Ihr Artikel ist bewegend und beschreibt "Das Isolationszellensystem als wissenschaftliches Forschungsprojekt". Was ist Ihnen besonders wichtig?

Ilse Schwipper: Mir ist wichtig, dass wieder ein Bewusstsein dafür geschaffen wird, dass Isolationsgefängnisse mit der Methode Weiße Folter ein Mittel der Bekämpfung des politischen Gegners ist.

Mir ist wichtig, dass heute kämpfende Menschen eine realistische Einschätzung der Situation weltweit behalten. Mir ist wichtig, dass sich wieder mehr internationale Solidarität entwickelt, und die Grabenkämpfe unter den Linken aufhören.

GWR: Viele einst politisch engagierte Menschen haben resigniert, sich angepasst und entpolitisiert. Sie machen dagegen einen engagierten und hoffnungsvollen Eindruck. Welche politischen Perspektiven sehen Sie?

Ilse Schwipper: Ich träume noch immer von der Revolution.


7.) Französisches Gymnasium aus Rache verwüstet?
Tagesspiegel Berlin 11.06.02
Von Jörn Hasselmann

Polizei vermutet die Täter unter Schülern, die Ärger hatten oder verwiesen wurden / 100 000 Euro Schaden / Unterricht fällt bis Mittwoch aus

Unbekannte haben am Wochenende das Französische Gymnasium in Tiergarten verwüstet. Vermutlich aus Rache wüteten die Täter systematisch im Sekretariat und im Lehrerzimmer, nahezu alle Klassenzimmer wurden aufgebrochen und Physik- und Bioräume zerstört. Zudem versprühten die Vandalen sämtliche 61 Feuerlöscher und stahlen wertvolle Geräte. Den Schaden bezifferte die Schulleitung auf 100 000 Euro. Die Täter versuchten auch, den Stahlschrank zu knacken, in dem Unterlagen kommender Prüfungen verwahrt sind. Die 750 Schüler wurden gestern nach Hause geschickt. Der Unterricht soll erst Mittwoch wieder beginnen.

Selbst das Skelett im Bioraum zerstörten die Täter, „die Knochen lagen auf dem Fußboden“, berichtete ein Mädchen, das als Schulsprecherin das Gebäude betreten durfte. Die Täter unterschieden offensichtlich genau, was sie zerstörten: Kunst- und Computerräume wurden verschont, im naturwissenschaftlichen und Musik-Bereich gewütet. Auffällig sei, dass vor allem die Lehrerzimmer und dort persönliches Eigentum von Pädagogen Ziel der Aggressionen waren – die zerstörte Uhr eines Pädagogen war um 15.45 Uhr stehen geblieben. Im Sekretariat schmierten die Täter an die Wand: „Wir haben euch gefickt.“ Andererseits benahmen sich die Täter wie normale Kriminelle: Viele Schülerschränke wurden geknackt, ein wertvoller Video-Projektor, ein Mischpult und Plattenspieler gestohlen. „In dieser Größenordnung hatten wir Vandalismus noch nie“, sagte der Leiter des Bezirksschulamtes, Jürgen Willuhn. Der Glasbruch sei versichert, die zerstörten Geräte müsse die Schule selbst ersetzen, sagte Willuhn. Auch Mitarbeiter der französischen Botschaft informierten sich gestern in dem Neubau an der Derfflingerstraße über das Ausmaß der Schäden.

Die Täter müssen nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen zwischen Freitag- und Sonntagabend eingedrungen sein. Gegen 19 Uhr hatte eine Lehrerin der Theater-AG zunächst das weiße Pulver von Feuerlöschern bemerkt, das im ganzen Gebäude in der Luft waberte. Die Vandalen kamen über den Hof, schlugen im Untergeschoss eine Türscheibe ein. „Da haben sich welche ausgetobt, die alte Rechnungen offen hatten“, sagte eine Beamtin. Die Ermittler halten es für sicher, dass die Täter Ortskunde hatten – zudem wüteten sie auf allen Etagen – „normale Täter wollen schnell weg“.

Die Kripo will sich nun in den kommenden Tagen alle Schüler vornehmen, die in der Vergangenheit angeeckt oder rausgeflogen sind. Neben Fußabdrücken sicherte die Kripo auch Blutspuren im Physikraum. Eine heiße Spur gab es auch am Abend nicht.

Am vergangenen Freitag hatten die 12. Klassen die letzte Abiturprüfung, drei sollen durchgefallen sein, berichtete eine Schülerin. Am Ende dieser Woche steht am Französischen Gymnasium – eine der renommiertesten Schulen der Stadt – die zusätzliche Prüfung „Baccalaureat“ an.

Die 15-jährige Schulsprecherin berichtete, dass im Aufenthaltsraum der Oberstufenschüler nichts zerstört worden sei. Jedoch seien die Sessel umgestellt worden – „als ob die sich da hinterher ausgeruht hätten“. Bislang habe es in dem Gymnasium keine Probleme mit Vandalismus gegeben. Auch der 16-jährige Sebastian hält „Rache“ für das Motiv der Verwüstungen.

Im Landesschulamt wird Vandalismus nicht statistisch erfasst, sagte die Gewaltexpertin des Amtes, Bettina Schubert: „Es gibt keine Meldepflicht.“ Vandalismus sei ein Fall für die Bezirke.


8.) Voran und hoch die schwarze Fahne
Mika, 07.11.2000

Inszenierte Angst wird uns nicht mehr erschrecken,
schöne Worte unseren Blick nicht mehr verdecken.
Stück für Stück werden wir erkämpfen,
kein Kompromiß unsere Forderungen dämpfen,
munter gegen den Staat und seine Polizei.
Viele lachen und reden von Träumerei,
doch fehlt denen nur die Phantasie
als ersten Schritt zur Anarchie.

Die schwarze Fahne laßt nur wehn
im aufgehenden Licht, in dem wir sehn,
daß alle Wege uns offenstehn,
daß alle Richtungen, die richtigen sind,
in denen es nicht fehlt am frischen Wind.

Das Leben ist Änderung, Bewegung und Traum,
Ihr könnt es verändern, ihr müßt Euch nur traun.
Selber denken und dann handeln,
so das Leben selber wandeln.
Träumen, reden, fühlen, denken,
nur nicht die schwarze Fahne senken.
Und bekämpfen, was Euch zerstört,
und zerstören, was Euch empört.
Nehmt Euch das, was Ihr begehrt,
ansonsten bleibt es Euch verwehrt.

Laßt immer diese Fahne wehn,
Kampf jedem herrschenden System.

Schwarze Katze Nachtrag: weitere Gedichte gibts in der Piratenutopie


9.) Politiklobby - wem gehört der neue Bundestag?
Mika, 07.11.2000
Bericht: Georg Restle, Philip Siegel
MONITOR Nr. 494 am 26.09.2002

Sonia Mikich: "Und jetzt weiter: Wenn Sie glauben, dass Ihr Abgeordneter seinen Arbeitstag damit verbringt, Ihre Interessen im Bundestag zu vertreten, dann liegen Sie nur halb richtig.

Im alten Bundestag hatten etwa 50 Prozent der Parlamentarier Geschäftsbeziehungen zur privaten Wirtschaft: als Berater, als Aufsichtsräte, als Chefs von Unternehmen. Oder anders ausgedrückt: Jeder zweite bekam zusätzlich zu seinen Diäten auch noch Honorar von den unterschiedlichen Branchen.

Das ist legal. Manche sind inzwischen betuchte Lobbyisten mit großem Einfluss auf die Gesetzgebung. Das ist fragwürdig.

Bald beginnen 603 Abgeordnete ihre Arbeit im neuen Parlament. Georg Restle und Philip Siegel untersuchen, wie es mit Artikel 38 der Verfassung steht: 'Die Abgeordneten sind Vertreter des ganzen Volkes und an Aufträge und Weisungen nicht gebunden.'"


Heinz Riesenhuber, der Mann mit der Fliege, letzten Samstag beim Wahlkampfendspurt im Main-Taunus-Kreis. Der Spitzenkandidat der hessischen CDU ist im neuen Bundestag wieder mit dabei. Seinen Wahlkreis hat er mit großem Abstand gewonnen. Aber Spitze ist der ehemalige Forschungsminister auch in ganz anderer Hinsicht: Kaum ein Abgeordneter hat mehr Nebentätigkeiten aufzuweisen als er. Als Aufsichtsrat oder Beirat vor allem für Biotech-Unternehmen, für die er sich auch im Bundestag als Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses immer wieder engagiert. Für den CDU-Abgeordneten ist dies alles kein Problem.

Heinz Riesenhuber: "Wenn es darum geht, Bedingungen so zu setzen, dass Biotechnologie-Unternehmen erfolgreich sind, dann ist es mir schon sehr wertvoll, dass ich wirklich weiß, was ein Gesetz in der Praxis bedeutet."

Riesenhuber, der Kämpfer für die Biotechnologie. Wie eng der CDU-Abgeordnete privates Geschäft und politisches Mandat verquickt, zeigt zum Beispiel dieser Gesetzesantrag zur Förderung der Biotechnologie, der auch Riesenhubers Namen trägt. Darin fordert er unter anderem:
"Eine Wirtschaftspolitik, die die Entwicklung der jungen Biotech-Unternehmen stabilisiert."
Also genau solche Unternehmen, in deren Aufsichtsräten er sitzt und von denen er bezahlt wird.

Prof. Erwin K. Scheuch: "Das ist ein klarer Konflikt der Interessen, der im Falle Riesenhuber gegeben ist. Im Ausschuss als Vorsitzender des Ausschusses zumal macht er nicht nur Forschungs- und Technologiepolitik, sondern entscheidet auch über einzelne Gelder für Projekte. Dieses wiederum ist interessant für die Firmen, die Herr Riesenhuber berät. Es drängt sich der Eindruck auf, dass hier Interessenkonflikte sehr schwierig zu vermeiden sind, will Herr Riesenhuber den Erwartungen entsprechen, deretwegen er für die Firmen berufen wurde?"

Lobbyisten im neu gewählten deutschen Bundestag. 603 Abgeordnete sitzen im neuen Parlament. Ein großer Teil von ihnen steht auf den Gehaltslisten großer deutscher und internationaler Unternehmen. Ganz vorne auf der Liste: Banken, Versicherungen und Stromkonzerne. Nicht mit aufgeführt die zahlreichen Verbände, die sich die Abgeordneten gern zu Diensten machen. Dabei heißt es im Grundgesetz, dass Abgeordnete an Aufträge und Weisungen nicht gebunden sind.

Prof. Hans Herbert von Arnim: "Abgeordnete werden nach dem Grundgesetz zur Sicherung ihrer Unabhängigkeit vom Steuerzahler bezahlt - und nicht zu schlecht. Wenn sie sich jetzt in die finanziellen Hände eines Unternehmens oder Verbandes begeben, verkaufen sie diese ihre Unabhängigkeit. Sie werden zu Dienern zweier Herren, und das darf eigentlich nicht sein."

Diener zweier Herren. Dies gilt wohl auch für den wieder gewählten Abgeordneten Reinhard Schultz von der SPD. Nebenberuflich ist der bisherige stellvertretende energiepolitische Sprecher der Fraktion Unternehmensberater mit besten Kontakten zur Energiebranche. Zum Beispiel beriet er die Hamburger Elektricitätswerke HEW, die mittlerweile zum schwedischen Energiegiganten Vattenfall gehören. Bei der Übernahme der ostdeutschen Stromunternehmen VEAG und LAUBAG konnte sich das Unternehmen auf die Dienste des Abgeordneten stützen - und prompt erhielt der zwei Aufsichtsratsmandate bei den beiden Ost-Unternehmen. Doch von Interessenskonflikten will der Bundestagsabgeordnete Schultz nichts wissen.

Reinhard Schultz: "Mein Job ist es natürlich schon, als Unternehmensberater dafür zu sorgen, dass die Firmen, die ich berate, günstig abschneiden. Aber das ist keine Frage zwischen Staat und dem Unternehmen, sondern in der Regel zwischen unterschiedlichen Unternehmen."

Reporterin: "Das müssen Sie mir jetzt erklären, wie Sie das hinkriegen."

Reinhard Schultz: "Es stehen keine Fragen an, wo die Politik gefragt wäre, um Unternehmen zu begünstigen, wenn es um die Frage geht, von Fusionen oder Neuaufstellungen von Unternehmensgruppen. Dann begleitet Politik das zwar mit großem Interesse, aber es ist keine Sache des Parlamentes."

Auf der Homepage des Abgeordneten Schultz klingt das ganz anders. Da äußert er sich eindeutig zu dem Mega-Deal, den er als Unternehmensberater mit eingefädelt hat.
"Der VEAG/LAUBAG-Erwerb durch HEW ist ein großer Schritt zur vierten Kraft der Stromwirtschaft"
feiert da der Abgeordnete Schultz und macht klar, dass es
"wichtig ist, dass die Politik dem neuen Unternehmen zu einem guten Start verhilft".

Prof. Erwin K. Scheuch: "Der Abgeordnete Schultz ist offensichtlich ein reiner Interessenvertreter seines Brötchengebers. Er verfolgt dessen Politik. Hier kann von einer unabhängigen Tätigkeit als Abgeordneter nicht mehr die Rede sein. Hier ist er als reiner Lobbyist für einen Arbeitgeber tätig und nicht, wie es seine Aufgabe wäre, als Volksvertreter."

Mit einem kann es allerdings keiner aufnehmen: Günter Rexrodt, Alt- und Neuparlamentarier, ehemaliger Wirtschaftsminister unter Helmut Kohl. Der Berliner Spitzenkandidat der FDP ist ganz vorne mit dabei, wenn es um Sitze in Aufsichtsräten, Vorständen und Beiräten von Unternehmen geht. Eine beeindruckende Liste kommt da zusammen, vor allem Versicherungen und Immobilienunternehmen. Aber auch als Unternehmensberater ist Günter Rexrodt tätig. Und auch für ihn gilt: Alles kein Problem!

Günter Rexrodt: "Sie dürfen auch nicht abzählen, sondern Sie müssen sehen, dass ich in kleinen, auch in kleinen, Unternehmen bin. Und dass ein Wirtschaftsminister nicht nur Sonntagsreden hält, sondern gerade kleinen Unternehmen seinen Rat zur Verfügung stellt, damit sie wachsen können. Das ist, glaub' ich, in sich schlüssig, und das müsste man eigentlich erwarten."

Kleine Unternehmen? Da hat Günter Rexrodt wohl den Überblick verloren. WMP, Wirtschaft, Medien, Politik nennt sich das PR-Unternehmen, für das Rexrodt im Vorstand sitzt. Rund 740.000 Mark betrug das Gesamt-Vorstandsgehalt im Jahr 2000. Die Kunden gehören zu den größten europäischen Unternehmen. Darunter der Energieriese e.on oder der Telekommunikationsverband vatm. Und - wieder einmal - der schwedische Energiekonzern Vattenfall, für den Rexrodt sich auch als Politiker einsetzt. Als es um den Einstieg in den ostdeutschen Strommarkt ging, machte sich Rexrodt öffentlich für seinen eigenen Großkunden stark. Vattenfall sei der beste Bewerber, schrieb Rexrodt in der "Welt" und weiter:
"Der schwedische Vattenfall-Konzern hat da wesentlich mehr vorzuweisen... Die Schweden haben sich da mehr Mühe gegeben."

Prof. Erwin K. Scheuch: "Der Abgeordnete Rexrodt setzt sich öffentlich für die privaten Interessen des Vattenfall-Konzerns ein. Und er tut das als Bundestagsabgeordneter. Zugleich wissen wir, dass er als Geschäftsmann Beziehungen zum Vattenfall-Konzern hat. Hier liegt also ein klarer Fall von Lobbyismus vor, der Verwischung von beruflichen Interessen und offiziellem Mandat."

"Mehr Transparenz!" fordern Kritiker schon lange bei den Nebenjobs der Abgeordneten. Doch damit sieht es schlecht aus, bei der ganz großen Koalition der Nebenverdiener im Parlament.

Prof. Hans Herbert von Arnim: "Die Amerikaner haben sehr weitgehende Konsequenzen seinerzeit aus ihrem Watergate-Skandal gezogen und den Abgeordneten jede Nebentätigkeit verboten. Bei uns fehlen entsprechende Konsequenzen, wir haben weder Konsequenzen aus der seinerzeitigen Flick-Affäre gezogen, noch haben wir Konsequenzen aus dem CDU- oder dem SPD-Parteispendenskandal gezogen. Bei uns scheinen die Kontrollen nicht zu funktionieren."

"Alle Macht geht vom Volke aus", auch das steht in der Verfassung. Doch dem deutschen Volk allein fühlt sich wohl auch der neue Bundestag nur eingeschränkt verpflichtet.

Sonia Mikich: "In wenigen Wochen, wenn der neue Bundestag zusammentritt, sollen die Abgeordneten auch über Beraterverträge Auskunft geben. Mehr Transparenz? Von wegen. Das ist nur Kosmetik, nach vielen Skandalen. Denn: Wie viel ein Parlamentarier konkret bei einem Konzern oder Verband nebenbei absahnt, dass bleibt weiterhin geheim. Im Namen des Volkes."

Schwarze Katze Nachtrag: Weitere Infos gibts bei der Schwarze Katze Sonderseite Korruption


10.) »... daß Politik auch Spaß machen muß ...«
Wildcat-Zirkular Nr. 64 - Juli 2002 - S. 23-34

Das Folgende ist ein Gespräch mit zwei jüngeren Leuten aus Frankreich und der BRD, die sich als Teil einer neuen Bewegung begreifen. Beide stehen für sehr minoritäre, radikale Positionen innerhalb dieser Bewegung, insofern kann das Gespräch nicht dazu dienen, unsere Thesen zu dieser Bewegung zu belegen. Trotzdem ist für uns aus mehreren Gründen hochinteressant:

... und es ist natürlich nur ein erster Schritt ...


Madeleine: 1994 bin ich mit 14 Jahren über meinen damaligen Freund bei der Jugendorganisation der Sozialistischen Partei gelandet. Ich wollte mich politisch engagieren und hatte gedacht, er sei in der Jugendorganisation der Kommunistischen Partei. So bin ich durch Zufall in die Sozialistische Partei eingetreten und zwei Jahre lang geblieben. Mit 16 war mir dann klar, daß ich mit denen überhaupt nicht einverstanden war: eine große, autoritäre Partei, die zudem an der Regierung war! Zu der Zeit war ich im Gymnasium, und wir haben spontan mit anderen Freunden zusammen eine Zeitung gemacht und eine Schülergewerkschaftsgruppe gegründet, um uns den Streiks der Studenten anzuschließen. In diese Zeit fiel der '95er Generalstreik, das Wort hab ich damals zum ersten Mal gehört, ich war aber noch zu jung, um mich dem anzuschließen. Im Nachhinein habe ich gemerkt, welch große Rolle dieser Generalstreik gespielt hat: alle jungen Leute, die ich danach getroffen habe, haben '95 am Streik teilgenommen.

1997, mit 17, bin ich zum Studium in eine andere Stadt gegangen. Dort wollte ich eigentlich in die Jugendorganisation der LCR eintreten, die JCR [rev. komm. Jugend], da sind nicht die Arbeiter, die sind bei der LO, sondern die Lehrer, die Funktionäre usw. - aber mein Freund hat zu der Zeit gerade die JCR mit derselben Kritik verlassen: autoritäre Strukturen usw.; so mußte ich diese Erfahrung nicht zweimal machen. Wir haben dann mit ein paar Freunden eine Studentengewerkschaftsgruppe gegründet, um einen Streik an der Uni zu organisieren; wir waren alle noch jung und ziemlich neu da, deshalb hatten wir wie bei jedem Studentenstreik - in Frankreich gibt es fast jedes Jahr einen - die Illusion: diesmal werden wir die Uni wirklich ändern! Wir haben [1998] sehr lange gestreikt, sechs Monate lang in der Uni geschlafen, mit großer Beteiligung usw. Es ging gegen die Privatisierung der Uni. Am Ende waren wir sehr frustriert; wir hatten die anderen Gewerkschaftsgruppen und ihr Spiel mit den Parteien kennengelernt; die sind stark verbandelt, kriegen Geld von der Partei, nur Gruppen, die zu einer Partei gehören, können mit dem Minister diskutieren usw. Das war ein weiterer Schritt in meiner Position zu Institutionen, der Kollaboration usw.

Am Ende des Streiks hatten wir deshalb viele Ideen. Wir wollten eine feministische und anti-homophobe Gruppe aufbauen, weil während des Streiks vieles passiert war, das uns zu der Überzeugung gebracht hatte, daß so eine Aktivität nötig sei. Zweitens haben wir gedacht, 'Kämpfen ist nicht genug', es ist problematisch, wenn die Studenten nur für sich kämpfen; wir wollten also mehr sprechen und nachdenken, und das mit anderen zusammen. Infos finden, um zu verstehen, was wir tun, und nicht nur auf der Straße sein. Deshalb haben wir mehrere Arbeitsgruppen gegründet, hauptsächlich zur Kritik der kapitalistischen Universität, aber auch zur Frage: wie können wir unseren Kampf mit den Arbeitern zusammen führen? Während des Streiks hatten wir uns dieser neuen Gewerkschaft SUD angeschlossen und eine Studentensektion aufgebaut. SUD ist zwar die übliche »geheime« Trotzkistengründung, aber interesssant ist, daß sie neue Methoden anwenden: direkte Aktionen wie Hausbesetzungen, Blockadeaktionen, ein bißchen Sachschaden. Und das hat uns wirklich interessiert, diese neuen Methoden, die Kreativität in der Sprache usw. Die Fernfahrer und andere Arbeiter von SUD haben uns während des Streiks auch geholfen; z.B. haben wir mit ihrer Hilfe in einer Nacht ein Haus auf das Campusgelände gebaut, um zu zeigen »wir sind da!«

»...daß wir ein Netz von Freunden geworden sind,
und daß aus einem Hobby ein Leben geworden ist...«

Ich fand es interessant, daß wir ganz viele Leute waren, die sich im Streik politisiert haben und vorher keine Aktivisten gewesen waren. Im Endeffekt haben wir die feministische Gruppe gegründet und im Mai 1999 ein Festival mit Aktionen, Debatten, Filmen usw. organisiert. Um auf lokaler Ebene andere Leute kennenzulernen, haben wir v.a. Kontakt zu Assoziationen aufgenommen, zu Leuten, die sich zu Energie, Industrie, Verkehr, Frauen, Migranten usw. engagieren. Mit denen zusammen haben wir das Festival organisiert.

Das erstemal war nicht so gut, sehr schnell organisiert, nicht so viel Publikum usw., aber es war interessant und wir hatten so viele Kontakte gekriegt, daß wir uns entschieden haben, eine richtige Organisation nur für das Festival aufzubauen; das läuft seither jährlich und dadurch haben wir sehr viele Leute aus vielen unterschiedlichen Milieus kennengelernt: aus der Antiglobalisierungsbewegung, aus besetzten Häusern... Von da an gab es eine komische Mischung bei uns zwischen einer Radikalisierung des politischen Bewußtseins und der praktischen Methoden (die werden direkter, konfrontativer, auch illegal) - die zweite Richtung war: immer mehr Kreativität; Kunststudenten, Leute, die tanzten, Malereien, auch mit einer Kritik der Kunst als Institution und als Begriff.

Das Festival dauert eine Woche, im Rest des Jahres bereiten wir es vor oder ziehen Resümee. Außerdem laufen in Frankreich immer irgendwelche Arbeiterkämpfe oder andere Bewegungen, an denen wir aus Solidarität teilnehmen. Wir arbeiten auch zu speziellen Themen wie z.B. »kostenloser Transport« (Null-Tarif) und machen dazu auch Aktionen. Es gibt viele neue Gruppen zu unterschiedlichen Themen; es gibt verschiedene Zeitungen, andere organisieren Alternativkonzerte, ein Haus hat sich zum Anti-Psychiatriezentrum erklärt, usw.. Viele von uns haben ihr Studium unterbrochen, wir reisen sehr viel. Ganz wichtig ist, daß wir ein Netz von Freunden geworden sind, daß aus einem Hobby ein Leben geworden ist; viele Leute sind rund um die Uhr aktiv, viele leben in besetzten Häusern zusammen.

Nach dem ersten Festival sind wir aus SUD rausgegangen, wir hielten es für unmöglich, weiterhin in dieser pseudotrotzkistischen Gewerkschaft zu bleiben, wenn viele Leute aufs Festival kamen, die anarchistisch beeinflußt waren oder sonstwie mit dem Trotzkismus nichts anfangen konnten. Wir haben auch unser eigenes Verständnis geändert. Deshalb haben wir eine eigenständige Gruppe aufgebaut, die keine Verbindung mehr zu SUD hat.

Ich habe in der Zeit auch noch spezielle Sachen gemacht; ich hab mich mit Freunden zusammen auf die Antiglob-Bewegung konzentriert. In Prag haben wir die Repression erlebt, und seither beschäftige ich mich besonders mit Fragen der Kriminalisierung, der Sozialkontrolle, der Repression usw.; ansonsten nehme ich in einem geografisch weiter gespannten Netz teil, wir machen Treffen und diskutieren über Texte; und solche Aktionen wie die antikapitalistische Karawane vor und nach Prag im September 2000. Zur Zeit arbeiten wir besonders zum No-Border-Camp.

Wir streiten v.a. über Industrialisierung und Naturalismus; manche beziehen sich sehr auf die Kämpfe im Süden der Erde, auf die Problematik Stadt/Land, Süd/Nord usw. - gegen die Multis, gegen gentechnisch veränderte Lebensmittel, Alternativenergie usw. ...

Es gibt viele Leute, die in unterschiedlichen Netzen organisiert sind, die sich treffen; ich kann nicht sagen, wie viele das sind und ob sie eine starke Bewegung sind, sicherlich sind das viele Leute, die sich wirklich treffen - die Informationen gehen sehr schnell rum; aber es gibt keine nationalen Kongresse oder so, und die allgemeine Stimmung ist auch so, daß wir so was nicht brauchen; wir wollen autonom bleiben, unsere eigenen Orte haben, die lokalen und globalen Thematiken miteinander verbinden, schnell reagieren können, aber in unseren Vierteln, unseren Städten und Dörfern lokal weiterkommen. Und natürlich brauchen wir auch frontale Kämpfe, wie soll ich sagen - »Klassenkämpfe« -, aber man braucht auch diese zweite, alternative Schiene: das eigene Leben ändern, kleine Alternativen entwickeln als Beispiele, daß etwas anderes möglich ist.

Wir sind gut organisiert, mehr an Organisationsstrukturen brauchen wir nicht. Manchmal haben wir Wandzeitungen gleichzeitig in mehreren Städten gemacht und dafür haben wir keine Organisation und keine Zentrale in Paris gebraucht, die gesagt hätte »macht das!«. Wir haben natürlich ständig Streit über unsere Organisierung, daß es zuviel Hierarchie gebe usw.; aber für mich gehört das zu den täglichen Auseinandersetzungen, man braucht das nicht zu dramatisieren. Die »gut organisierten« Trotzkisten mit ihrer Omnipräsenz - die gehen überall hin und mischen sich ein - sind für mich ein abschreckendes Beispiel. Sie haben Antworten auf alle Fragen, deshalb können die anderen Leute sich nicht selbst entwickeln. Die hauptberuflichen Aktivisten geben alles vor, du hast kaum Möglichkeiten, dich selber (intellektuell) aktiv zu fühlen, das ist genauso wie mit Attac. Die Trotzkisten sind heute überall: die sind SUD, die sind Attac, die sind Porto Alegre ...

»... Wir sind gut organisiert,
mehr an Organisationsstrukturen brauchen wir nicht ...«

Fritz: Mitte der 90er Jahre, etwa mit 15, hab ich angefangen, mich für Einpunktthemen zu interessieren: Umweltschutz, Krieg, Ausländer, Nazis, soziale Themen ... Ich bin mit Freunden zu Demos gegangen, hab Transparente gemalt usw. Dann bin ich mit Leuten aus dem ML-Spektrum in Kontakt gekommen und so habe ich mich mit Marx und Lenin auseinandergesetzt. Irgendwann hab ich mich von den Sachen auch wieder mehr distanziert, weil da zwar gute Ansätze vorhanden sind, aber ich gerade den Leninismus mit seiner Auffassung, daß die Leute angeführt werden müssen, doch nicht so gut finde. Für mich steht der selbstorganisatorische Ansatz im Vordergrund, die Leute müssen selber aktiv werden, selbst die Macht haben. Auch wenn es vielleicht Leute gibt, die sich mehr mit der Materie beschäftigt haben und gewisse Impulse geben können, aber das darf nicht so ausarten, daß die dann die anderen Leute beherrschen. Ich hab mehr und mehr die Illusionen verloren, daß es sinnvoll sein könnte, die PDS beim Wahlkampf zu unterstützen, oder reformistische Forderungen zu übernehmen, um die Leute anzusprechen. Ich hab gemerkt, daß alles im Gesamtzusammenhang Kapitalismus steht und daß es Veränderungen nur aufgrund von sozialen Protesten gibt und nicht von Parteiaktionen, auch wenn Verbesserungen im Kapitalismus immer nur im kleinen Umfang möglich sind.

Zum Studium bin ich dann nach Berlin gezogen. Da war mein Interesse für Leute und Gruppen schon geweckt, die das Ganze in Frage stellen, und ich bin zur linksradikalen Szene gestoßen. Dann kamen die ganzen Antiglobalisierungsproteste, das war für mich ein positiver Bezugspunkt, weil sich Leute selber organisieren, weil da ein Potential von Leuten ist, die gemerkt haben, daß sie selber - sozial, durch Kriege, durch Umweltveränderungen - vom Kapitalismus betroffen sind. Nach Seattle bin ich dann gezielt zu einer solchen Gruppe gegangen. Wir haben zu den nächsten Gipfeln mobilisiert, Göteborg, Genua usw. Ich wollte nicht mehr irgendwelchen Sachen hinterherlaufen - wie z.B. Antifa, wo Kapitalismus höchstens am Rande thematisiert wird - sondern etwas machen, wo man radikale Kritik am System äußern kann. Eins unserer Hauptziele ist, vor allem normale Leute zu erreichen, die noch nicht so politisch sind und denen auch die Brüche aufzuzeigen, weil die Leute in ihrem Leben vom Kapitalismus betroffen sind und sich auch immer wieder ärgern - da müssen Revolutionäre ansetzen. Unsere Kritik an den klassischen Autonomen ist, daß sie stark subjektiv handeln, aber nicht unbedingt den Gesamtkontext sehen, daß sie sehr theoriefeindlich sind, sich inhaltlich nicht fortbilden, in ihrem Szeneghetto bleiben und nicht versuchen, auf normale Leute zuzugehen.

Es gab starke Mobilisierungen, es haben viele Leute an Genua und anderen Gipfeln teilgenommen, aber es ist immer noch ein relativ kleiner Kreis, der kontinuierlich dazu arbeitet und sich - so wie wir - als feste Gruppe organisiert und regelmäßig trifft. Wir machen Org-Kram und Soli-Geschichten, organisieren Konzerte, um uns zu finanzieren. Inhaltlich versuchen wir, nach den Aktionen Resümee zu ziehen, und wir beschäftigen uns mit bestimmten Themen, wie Argentinien oder was auf den Gipfeln besprochen wird. Nach außen kommt so was, wenn wir z.B. zu 'nem Gipfel mobilisieren, dann gibt's 'n Aufruf und dann müssen irgendwelche Inhalte stehen, die haben wir vorher in irgendeiner Form diskutiert.

Wir hatten mit dieser klassischen Gipfelmobilisierung angefangen und dazu unsere Propaganda gemacht: Aufrufe, Internet, Flugis, Pressearbeit, Plakate, Veranstaltungen usw. Wir haben auch immer aufgezeigt, was auf den Gipfeln besprochen wird, welche Leute sich da treffen. Um zu zeigen, wohin diese Politik führt und in welchem Kontext sie steht. Wir haben es auf jeden Fall inhaltlich thematisiert. Aber vielen Leuten ist es wahrscheinlich egal, wer sich da genau trifft; das sind halt irgendwelche Politiker, ob die nun Krieg, Sozialabbau oder sonst was besprechen; man ist generell gegen Kapitalismus, und fährt deswegen hin. Es waren schon ne Menge Leute auf den Gipfeln, die den Kapitalismus nicht verbessern, sondern insgesamt abschaffen wollen. Das kam ja nach Göteborg und Genua sogar in den bürgerlichen Medien durch. Für uns als Gruppe war das die Hauptmotivation: wir wollen das System an sich in Frage stellen und den Leuten aufzeigen, wie Kapitalismus funktioniert.

Wir haben recht schnell gemerkt, daß es nicht dabei bleiben kann, daß es keine Perspektive ist, von einem Gipfel zum anderen zu reisen. Die meisten Leute in unserer Gruppe waren vorher schon aktiv und so war es relativ schnell klar, daß wir auch vor Ort was machen wollen. Umweltzerstörung, Krieg, Armut, oder auch konkret auf Berlin bezogen und das in den Gesamtzusammenhang Kapitalismus gestellt. In Berlin gab es auch ein paar Projekte, die Proteste nach Göteborg und Genua, global action days, das soziale Zentrum oder die soziale consulta, damit wollten wir einen Anlaufpunkt für Interessierte schaffen. Es gibt auch ein Projekt, das sich mit dem Thema Lohnarbeit auseinandersetzt... Manche Leute sind auch in anderen Gruppen aktiv und machen ohnehin vor Ort etwas, weil es letztenendes auch das einzige ist, was Sinn macht. Politik fängt konkret im eigenen Leben an. Es geht uns weniger um Globalisierung, sondern wir sind gegen Kapitalismus an sich, wir wollen eine herrschaftsfreie Gesellschaft und das ist im Kapitalismus nicht möglich. Wenn ich nur irgendwo hinfahre und protestiere, droht meine Politik abstrakt zu bleiben. Wir fordern die Leute ja auch immer auf, daß sie sich selber oder in bestehenden Strukturen organisieren.

»... Wir hatten mit dieser klassischen Gipfelmobilisierung angefangen ... - ... Wir haben recht schnell gemerkt, daß es nicht dabei bleiben kann ...«

Nach Genua gab es eine Zeitlang den Hype einer neuen Bewegung. Es haben sich einige neue Gruppen gebildet, das ist ein langwieriger Prozeß, eine Entwicklung. Aber es ist was in Gang gekommen, es befassen sich Leute mit der Thematik, einige organisieren sich, z.B. haben auch Antifa-Gruppen aufgrund von Genua angefangen, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen. Andererseits war nach Genua ein gewisses Loch da, vor allem weil die Leute, die das aktiv organisiert haben, relativ wenige waren. Nach Barcelona ist sehr wenig mobilisiert worden. Ich denk, das hängt auch damit zusammen, daß die Presse das nach Genua nicht mehr so gepusht hat und daß auch nicht mehr so viel passiert ist (in Brüssel z.B.).

M: Das ist diesselbe Entwicklung wie bei uns. Man hat das Gefühl, mehr über eine kollektive Strategie sprechen zu müssen, um zu wissen, wofür man die Sachen macht. Es wird komplizierter, zu Demos aufzurufen, weil wir nicht mehr wissen, wozu wir aufrufen. Ist es noch strategisch interessant, Blockaden zu machen mit vielen Leuten, sich der Repression auszussetzen, wenn wir das Überraschungsmoment verloren haben? Diese Diskussion läuft gerade bei uns, und deshalb zweifeln die Leute auch für sich selber: sollen sie selber weiterhin auf solche Demos gehen? Und dann wird es schwierig, andere Leute hin zu mobilisieren. Für mich hat die Frage schon nach Prag angefangen. Wir hatten im Vorfeld sehr viel gearbeitet, viel organisiert, und nach dem Gipfel hatte man das Gefühl, jetzt ist vielleicht Schluß mit den Mobilisierungen. Es könnte sinnvoll sein, weiterhin zu solchen Events zu fahren, weil man dort neue, junge Leute kennenlernt - aber die Zweifel überwiegen seit Prag, und das hat mit der Frage zu tun: wie kriegen wir die globalen Mobilisierungen lokal auf die Erde?

F: Ein weiterer Punkt ist, daß ein Gipfel nach dem anderen stattfindet, man kann doch nicht alle zwei Monate zu einem Gipfel mobilisieren! Wir wollen uns nicht in blindem Aktionismus verzetteln, sondern die Sache vernünftig vorbereiten und uns auch mit den Leuten vor Ort austauschen usw.

W: Inwiefern haben die Mobilisierungen euer Leben verändert?

F: Die Bewegung hat mein Verhältnis zu Lohnarbeit, wie ich mein eigenes Leben gestalte, ob ich Karriere mache, verändert. Da hab ich mir Gedanken gemacht und einiges geändert. Das Thema Globalisierung macht es möglich, mit vielen Leuten über alles zu reden, und so was wie in Argentinien ist motivierend und zeigt Möglichkeiten auf, wie sich die Leute organisieren, wie sich die Kämpfe entwickeln. Da kann man Erfahrungen draus ziehen.

M: Für mich ist wichtig, wie wir weiter »vor Ort« eingreifen können und zweitens wie wir uns selbst weiterentwickeln und unsere Vorstellungen genauer machen können. Es wird langsam deutlich, daß wir eine »Strategie« brauchen: was machen wir wozu? Ich selber habe mich stärker in die Entwicklung von Netzwerken gehängt, den Austausch mit anderen Formen der Bewegung: was ist der gemeinsame Punkt, worüber können wir größer werden, mehr Stärke für den Kampf gewinnen? Es gibt eine große Spannung zwischen den beiden Richtungen (alternativ/autonom vs. strategisch/frontaler Kampf), aber ich denke, das ist immer so. Es gibt eine Spannung zwischen Kleingruppe (Affinitätsgruppe) und Massenbewegung. In meinen Kreisen tendieren die Leute mehr zu affinitären Methoden, aber weil es in Frankreich ständig Streiks und große Massenbewegungen gibt, bleibt auch dieser Gedanke trotz allem prägend und die Leute sehen immer wieder, daß es gut ist, mit so vielen Leuten auf der Straße zu sein, daß ein kollektives Gedächtnis wichtig ist usw. Die Debatte bleibt offen darüber, welche Rolle wir als kleine Gruppe in einer solchen Massenbewegung spielen könnten.

»... Es wird deutlich, daß wir eine »Strategie« brauchen ...«

C: Wovon leben die Leute, mit denen du zusammen bist?

M: Sie haben oft studiert oder hatten sogar einen Job; dann haben sie Häuser besetzt, ihr Studium unterbrochen oder ihren Job hingeschmissen. Sie haben im Moment keine Möglichkeit, an gut bezahlte Jobs ranzukommen, brauchen aber auch nicht soviel Geld, weil sie viel selber machen usw..

F: Bei uns haben die meisten Leute ihre Priorität schon mehr aufs Leben gesetzt als auf den Konsum, haben kein dickes Auto, das sie unterhalten müssen oder so. Entweder studieren sie noch und kriegen Bafög oder Geld von ihren Eltern, oder sie jobben, oder sie grasen staatliche Stellen ab (Sozialamt, Arbeitsamt o.ä.).

Z: Redet ihr darüber, woher das Geld kommt?

F: Nicht so detailliert. Die meisten schlagen sich halt so durch, so n richtig geregelten Job hat glaub ich keiner. Wenn ich 40 Stunden die Woche arbeite, hab ich nix mehr vom Leben. Wir leben nicht als Gruppe zusammen, aber die meisten leben in WGs, besetzten Häusern und Wagenburgen.

M: Das ist genauso wie bei uns mit dem Problem Arbeitengehen und Geld. Viele haben nur noch einen Studentenstatus, um leicht an Jobs ranzukommen. Als Gruppe lebt man auch viel billiger: wir zahlen keine Miete, wir kriegen das Brot umsonst, auf dem Markt kriegen wir das Obst billiger usw. Wenn von zehn Leuten in einem besetzten Haus zwei oder drei arbeiten, reicht das Geld zum Leben.

Z: Bei uns in den besetzten Häusern hat jeder sein Geld selber behalten ...

M: Auch bei uns wird nicht alles geteilt. Wenn die Leute nicht wollen, können sie ihr Geld auch behalten. Aber real geben ein paar Leute, die mehr verdienen, einen Teil ihres Geldes für die Allgemeinheit ab. Oder diejenigen, die arbeiten, geben mehr Geld, weil sie weniger am Haus machen.

Z: ... ist gefährlich: der eine arbeitet am Haus, der andere gibt Geld ...?

M: Bis jetzt hat niemand eine ständige Arbeit. Die Leute sind noch sehr jung, zwischen 19 und 25 in der großen Mehrheit.

C: Gibt es Leute, die sagen, 'die Bewegung nimmt so stark zu und es ändert sich alles, es hat gar keinen Sinn mehr, daß ich an der Uni weiter studiere, wir müssen unser ganzes bisheriges Leben ändern, alles hinschmeißen und ganz in diese Bewegung einsteigen.' Gibt es eine solche Tendenz?

M: Ich würde sagen »ja«, aber das ist relativ. Viele unterbrechen ihr Studium, es gibt Leute, die nie wieder arbeiten gehen wollen, andererseits ist es fast schon zynisch, wie wir die Erfahrung unserer Eltern sehen: sie wollten auch die Revolution machen und sind gescheitert. Viele halten einen Bruch (nicht mehr zu arbeiten usw.) nicht für die einzig mögliche radikale Strategie. Es gibt in der Bewegung sehr starke radikale Tendenzen, die jeden Kompromiß ablehnen usw. - aber in dieser Gesellschaft ist es immer möglich, das Studium wieder aufzunehmen o.ä. In meiner Gruppe bin ich die einzige mit Studienabschluß, die anderen haben mit der Uni aufgehört.

Z: ... die haben vielleicht aufgehört, sie können den Abschluß aber nachholen. Wie in der Bewegung in den 80ern: die haben jahrelang die Uni ruhen lassen, und als nichts mehr los war, ihren Abschluß gemacht ...

F: ... ja das kannst du immer machen, oder?

Z: Es gab ja auch andere, die haben mit dem Studium aufgehört und sind zum Arbeiten in die Fabrik gegangen.

M: Es gibt auch Leute, die das Studium abgebrochen haben und arbeiten gegangen sind. Mit denen ist die Diskussion oft sehr schwierig, weil sie jetzt z.B. in 'ner Bank arbeiten und sich als Helden der Arbeiterklasse aufführen.

F: Meine politischen Aktivitäten haben mein Leben soweit verändert, daß ich mir schon überlege, was ich mit meinem Leben anfange, ob ich irgendwann einen beschissenen Job mache, wo ich total viel arbeiten muß usw. Aber trotzdem hab ich immer Möglichkeiten, das zu ändern, auch wenn ich das Studium abgebrochen haben sollte!

C: Gibt es in der Bewegung die Tendenz, daß viele Leute nicht so weiterleben wollen wie bisher? Mir ist das zu existenzialistisch, wie dieser 'Bruch' thematisiert wird! Das kann ja auch ein Akt von Selbstmarginalisierung sein. Ich wollte verstehen, ob es eine Aufbruchstimmung in der Bewegung gibt.

M: Es gibt einige Gruppen, die einen sehr radikalen Bruch gemacht haben, sie haben eine lange kollektive Geschichte und konnten deshalb ein »alternatives Leben« aufbauen. Sie sind Aktivisten rund um die Uhr, immer auf der Straße, bei jedem Kampf dabei, sie können alles selber machen, brauchen niemand anderen, haben keine Verbindung zu anderen Kämpfen, zu traditionellen Streiks, keine Verbindung zu dieser Gesellschaft - und sie haben immer eine innere Krise, das ist ihr erstes Problem und darum kümmern sie sich, sehr klug und umsichtig, aber es bleibt immer das wichtigste Problem - ist das überhaupt relevant bei der Frage, wie wir diese Gesellschaft ändern können? Meiner Ansicht nach ist die Frage offen, wie die Radikalisierung aussehen kann und wo »der radikalste Punkt« ist.

W: Ist der Begriff »Bewegung« überhaupt angebracht? Eine Bewegung zeichnet sich dadurch aus, daß viele Neue dazukommen, Leute, die ihr bisheriges Leben radikal umkrempeln. Das findet doch bisher nicht statt - eigentlich können wir (noch?) nicht von einer Bewegung sprechen....

M: Für junge Leute ist es nicht sehr riskant, ein Risiko einzugehen: das Studium zu unterbrechen o.ä. - sie haben noch keine Familie usw. - und du kannst dein Studium jederzeit wieder aufnehmen. Andererseits könnte ich sagen, das sind Leute, die machen einen richtigen, großen Bruch, das ist absolut wichtig, das ändert alles: ihre Meinung, ihr bisheriges Leben usw. Wir könnten aber genausogut sagen: was wird aus ihnen in 5, 6 Jahren geworden sein? - Dazu hab ich keine Ahnung, wirklich nicht!

W: Wir sollten die Frage nach der Aufbruchstimmung nicht zu einem moralischen Argument umdrehen, à la »wir erwarten von jeder und jedem, die sich einer revolutionären Bewegung anschließt, daß sie einen radikalen Bruch macht« - mit diesem Argument haben die Anti-Imps in den 80er Jahren die Bewegung von innen heraus kaputt gemacht: wer mehr als einen Schlafsack und ein paar Kampfstiefel hat, ist schon ins System integriert usw.. Diese Mythologie des »radikalen Bruchs« dient heute der postmodernen Beliebigkeit als Argument: »weil der radikale Bruch falsch war, machen wir auf Beliebigkeit. Ich mache beruflich Karriere, mische in der Pop-Kultur mit und politisch engagiere ich mich ein bißchen und schreibe in der Arranca!« - Deshalb bin ich an diesem Punkt sehr vorsichtig.

F: Natürlich muß sich jede/r überlegen, was sie oder er aus seinem Leben macht. Ich muß doch sehen, wie ich in dieser Gesellschaft zurechtkomme. Ich habe gewisse Wünsche, und da muß ich sehen, daß ich möglichst wenig arbeite, um mehr Zeit für mich zu haben. Kann ich trotzdem einen Job haben, der zumindest mich nicht ganz so stark entfremdet? Ich muß mir über mein Leben Gedanken machen, wie komm ich am besten zurande. Das ist bisher die Schwäche der Bewegung: es sind zu wenige aktiv und deshalb können sie sich in solchen Punkten gar keine radikaleren Gedanken machen.

M: Die jungen Leute wollen Aktivisten sein, ihr eigenes Leben führen usw. Sie haben einen wichtigen Bruch gemacht, sind aber schlau genug zu wissen, daß es ein großes Risiko gibt, daß es ihnen so wie ihren Eltern geht, die auch einen Bruch machen wollten und heute hohe Chefs in Unternehmen, Dozenten usw. geworden sind. Deshalb bedeutet es meiner Generation nichts mehr, zu sagen »Ich bin Revolutionär für mein ganzes Leben«; denn es gibt immer die Möglichkeit, sich zu de-radikalisieren. Ich sehe das positiv, weil es den Realismus der Bewegung zeigt, sie sind aufmerksam und sprechen auch darüber. Viele aus der Bewegung, die 30 und älter sind, verabschieden sich aus der Bewegung, gehen aufs Land und organisieren dort Projekte. Wenn du zwei Jahre in einem besetzten Haus ohne Strom und Warmwasser lebst, dann kommt der Zeitpunkt, wo du entweder Warmwasser im Haus haben willst, oder halt mit dem Projekt aufhörst.

F: Der entscheidende Punkt ist, daß Politik auch Spaß machen muß. Für mich ist das eine Frage von Lebensphilosophie: inwieweit haben sich Leute der Warengesellschaft, dem Konsum und dem ganzen System schon unterworfen und merken es vielleicht gar nicht, wenn sie arbeiten, um sich Klamotten oder ein neues Auto kaufen zu können. Und es ist auch nicht Sinn der Sache, daß Leute immer nur ganz straight Politik machen und keinen Spaß mehr daran haben. Sinn der Sache ist eine befreite Gesellschaft, sich selber entfalten zu können. Das ist die Frage, die für mich im Vordergrund steht, was die Leute für ne Lebensphilosophie haben.

M: Das find ich auch! Ich glaube, daß Spaß, Lust, Kreativität usw. wirklich wichtig sind. Wir wollen Aktivismus als Leben machen und nicht als messianischen Opfertrip. Und das bedeutet, sich mit Leuten in besetzten Häusern nicht nur deswegen auseinanderzusetzen, weil besetzte Häuser gut sind, sondern weil sie unsere Freunde sind und wir Lust haben zusammenzuleben, auch wenn wir politisch unterschiedliche Ansichten haben. Das tägliche Zusammenleben wird wichtig, um fähig zu sein, was zusammen aufzubauen und auch als politische Arbeit. Das Netzwerk hält zusammen, weil es einen Konsens über die innere Organisation gibt und nicht weil man sich über alle theoretischen Fragen wie Marxismus oder Anarchismus, Klassenkampf oder so einig wäre. Ich halte das für einen sehr wichtigen Punkt.

Ich habe auch Kontakt zu traditionellen Gewerkschaftsgruppen, organisierten Arbeitslosen usw., und jedesmal wenn ich solche Leute treffe, bin ich schockiert darüber, wie traurig sie sind, wie schrecklich sie ihr Leben empfinden. Es gibt auch im KP-Umfeld Arbeitslosengruppen, die sich gegen die Arbeit aussprechen, aber trotzdem leiden sie unter ihrer Arbeitslosigkeit. Wir dagegen sind froh uns zu treffen und wir kämpfen, weil wir Lust darauf haben und nicht nur, weil wir uns schlecht fühlen.

Es gibt große Unterschiede zwischen Frankreich und Deutschland, aber ich sehe auch viele Ähnlichkeiten: daß Politik Spaß machen soll, der Bezug auf die Umwelt, das unklare Verhältnis der politischen Theorie gegenüber.