Antipädagogik, Erziehung und Summerhill

Inhaltsverzeichnis


1. Einleitung

1.1 Vorwort

Die Erziehung eines Kindes, bzw. Der Umgang mit ihm während der ersten Lebensjahre prägen es wesentlich, so dass sich hier erlernte Verhaltensweisen in der Persönlichkeit des späteren Erwachsenen manifestieren. Für eine Gesellschaft bildet also die Erziehung eine der wichtigsten Säulen.

Ich gehe davon aus, dass jeder Mensch ein Wesen ist, dass immer innerhalb einer Gesellschaft nach Glück strebt. Doch tatsächlich ist unsere Gesellschaft unter anderem geprägt von hierarchischen Strukturen (Wirtschaft, Schule etc.), Kunkurrenzdruck und dem daraus resultierenden Verhalten, wie Agressivität, und viele psychischen Krankheiten.

Das Erkennen dieser Gegebenheiten hat mich veranlasst, nach den Gründen zu suchen, welche zum grossen Teil in der Erziehung liegen. Der zweite Blick suchte nach Alternativen für die herkömmliche Erziehung, welche bisher nicht imstande war die o.g. Misstände auszubessern. Eine dieser Alternativen ist die Antipädagogik.

1.2 Definition

Mit Antipädagogik wird sowohl die wissenschaftliche Theorie, als auch eine praktzierte Form des Umgangs zwischen Eltern und Kindern bezeichnet, die aus der Negation der Pädagogik entstanden sind.

Antipädagogen wollen insbesondere aus den hierarchischen Strukturen der herkömmlichen Pädagogik ausbrechen. Sie wollen nicht, dass ein ein Erwachsener ein Kind erzieht, es also in eine von ihm bestimmte Richtung leitet. A. S. Neill geht z. B. davon aus, dass ein Kind a priori gut ist und einen Anspruch darauf hat, für sich Verantwortung zu übernehmen. Daraus ergibt sich die Maxime des gleichberechtigten konsequent demokratischen Umgangs zwischen Erwachsenen und Kindern.

Nicht zu verwechseln ist die Antipädagogik mit der antiautoritätren Erziehung. Denn Alice Miller erläutert z.B., dass Kinder in der ,antiautoritären Erziehung der sechziger Jahre darauf gedrillt werden, ein bestimmtes Verhalten anzunehmen, das ihre Eltern sich selbst einmal gewünscht haben und das sie deshalb als allgemein wünschenswert betrachten.

1.3 Zum Thema der Arbeit

Die Negation der bestehenden Erziehungsstrukturen ist als Ausgangspunkt verschiedenen Antpädagogen gemeinsam. Während sich der wohl bekannteste Vertreter der Antipädagogik Ekkehard von Braunmühl fast ausschliesslich auf theoretische Kritik beschränkt, widmet sich die Psychotherapeutin Alice Miller auf kritische Art und Weise den Folgen von Erziehung. Alexander S. Neills Schule Summerhill ist die praktische Umsetzung von antipädagogischem Umgang zwischen Kindern und Erwachsenen.

Diese Arbeit soll zeigen, ob Antipädagogik zeitgemäss ist.

Im Folgenden werde ich zwei wesentliche Aspekte der Frage beantworten:

Es muss aber auch darauf verwiesen werden, dass dieses Thema und auch konkret diese Fragestellung bereits Gegenstand weitaus umfangreicherer Abhandlungen war und in diesem Umfang nur ein Abriss der aufs wesentliche begrenzten Argumente und deren Abwägung erfolgen kann.


2. Stellungnahme zur Antipädagogik aus der Sicht des Pädagogen M. Winkler

In seinem 1982 erschienen Text Subjektentwicklung durch sinnstiftenden Eingriff von aussen begründet der Pädagoge Michael Winkler die Notwendigkeit der Erziehung für die Entwicklung des Kindes. Zunächst stellt er dar, dass sich ein Neugeborenes ausschliesslich über Aktivität mitteilen kann, ferner besitzt es noch kein Verständnis für seine Umwelt. Dieses Verständnis kann, so Winkler, allein die Erziehung dem Kind vermitteln. Geschieht dies nicht, kann es weder seine Umwelt verstehen, noch etwas an ihr verändern. Danach geht Winkler auf den Begriff des Subjektes ein. Welches für ihn ein Synonym für Persönlichkeit oder Ich ist. Die Bedingung für die Bildung eines Subjekts ist die Erziehung. Eine weitere Funktion, die der Erziehung zukommt ist die Anleitung des Kindes im Umgang mit abstrakter Wissenschaftlichkeit und Moralvorstellungen. Ohne Erziehung und Unterricht sei kein Überleben möglich.

Winkler nennt in seinem Text vor allem die Abhängigkeit des Kindes von den Erfahrungen der Eltern als Grund für Erziehung. Die Wissensvermittlung kann in seinen Augen nur über den regulativen Eingriff der Erzieher erfolgen, das heisst auch, dass die Erzieher sowohl den Gegenstand des Lernes auswählen, als auch die Mittel. Winkler nennt die Subjektivität [ ... ] eine Möglichkeit, der das Erzieherverhalten erst Wirklichkeit verschaffen muß. Diese Einstellung weist erneut auf die Abhängigkeit des Kindes vom Erzieher hin, denn der Erzieher übernimmt die Verantwortung, die Art der Subjektivität zu bestimmen. Durch das Erzieherverhalten wird bewusst das Ziel der Erzieher verfolgt.


3. Theorie der Antipädagogik nach Alice Miller

3.1 Warum Antipädagogik? Die Negation der Pädagogik

In ihrem Buch Am Anfang war Erziehung deckt Alice Miller Mechanismen und Folgen der Erziehung wissenschaftlich fundiert auf.

Eine wichtige Basis für ihre Ergebnisse ist die jahrelange psychoanalytische Arbeit. Im o.g. Buch untermauert sie ihre Thesen zusätzlich mit Analysen der Erziehung einer Drogenabhängigen (Christiane F.), eines Diktators (Adolf Hitler) und eines Kindermörders (Jürgen Bartsch). Ihre antipädagogische Haltung wendet sich nicht gegen eine bestimmte Art der Erziehung, sondern gegen Erziehung überhaupt, auch gegen die antiautoritäre. Miller fordert Liebe, Solidarität und Barmherzigkeit welche jedoch nicht machbar sind, ohne die wichtigen Voraussetzung des mitmenschlichen Fühlens und Verstehens.

Im Kapitel Der Hauptmechanismus der Schwarzen Pädagogik: Abspaltung und Projektion deckt die Autorin einen Mechanismus auf, der eine Form der Verdrängung ist. Zur Erklärung analysiert sie eine 1943 gehaltene Rede Heinrich Himmlers. Er behauptet, dass beim Anblick hunderter Leichen anständig geblieben zu sein hart mache. Normale menschliche Gefühle wie Mitgefühl werden in der NS-Zeit als schlecht und schwach interpretiert und aller Hass auf die eigenen schwachen Seiten, die von Säuglingsalter an verboten worden sind, wird auf die Juden gerichtet. Die Juden tragen die verhassten Facetten, sie sind Sinnbild für alles schlechte, sie sind der Bazillus den man ausrotten muss. Das Verdrängen alles Schwache[n] (d.h. auch Emotionalität, Tränen, Mitleid, Einfühlung in sich und andere, Gefühle von Ohnmacht, Angst, Verzweiflung)11 wird unter dem Begriff Abspaltung von Selbsteilen zusammengefasst. Diese Selbstteile werden anschliessend auf einen Träger aller dieser verabscheuten (weil in der eigenen Kindheit verbotenen und gefährlichen) Eigenschaften11 projeziert. Die Folge ist, keine eigenen Gefühlsregungen zu spühren, sondern die Wünsche der Eltern als die eigenen zu erleben10.

Später stellt Alice Miller die These Erzieher- nicht Kinder- brauchen die Pädagogik auf, da sie das Bedürfnis haben, die einst erlittenen Demütigungen anderen weiterzugeben. Sie geht davon aus, dass Kinder ein wichtiges Mittel des Verdrängungsprozesses ihrer Eltern sind. Alice Miller fordert hiermit von den Eltern die konsequente Überprüfung der eigenen unbewussten inneren Konflikte, aber auch der Einstellungen und Erwartungen.

3.2 Wie kann ein antipädagogischer Umgang aussehen?

Da der gleichberechtigte Umgang zwischen Menschen u. a. von Antipädagogen als natürlich angesehen wird, lassen sich die Grundlagen der antipädagogischen Praxis mit wenigen Worten zusammenfassen:

Im Wort Erziehung liegt die Vorstellung bestimmter Ziele, die der Zöling erreichen soll und damit wird schon seine Entfaltungsmöglichkeit beeinträchtigt. Aber der ehrliche Verzicht auf jede Manipulation und auf diese Zielvorstelung bedeutet nicht, dass man das Kind sich selbst überlässt. Denn das Kind braucht die seelische und körperliche Begleitung des Erwachsenen in einem sehr hohen Maße. Um dem Kind seine volle Entfaltung zu ermöglichen, muss diese Begleitung folgende Züge aufweisen:

Die Erfahrung in der neuen Generation zeigen, dass eine solche Bereitschaft auch bei Menschen möglich ist, die selber Opfer von Erziehung waren.

Die einzige Forderung, die an das Kind gestellt wird, ist der Respekt vor den natürlichen Grenzen der Eltern, Freiheit wird solange gewährt, bis die eigene Freiheit als gefährdet erscheint. Die Grenzen werden in gleichberechtigtem Dialog abgesteckt.


4. Die Praxis der Antipädagogik am Beispiel Neill und Summerhill

Alexander Sutherland Neill beschreibt in seinem Buch Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung das Konzept und dessen Umsetzung der von ihm 1921 gegründeten Internatschule Summerhill.

Neill schildert seine psychologischen Beobachtungen anhand zahlreicher Beispiele und geht zusätzlich auf die Geschichte Summerhills, die Resonanz der Gesellschaft und vor allem auf die Zukunft von Summerhill-Absolventen ein.

Summerhill vertritt und lebt die Grundsätze der Gleichberechtigung zwischen Kind und Erwachachsenen. Es sind die Ideen der Nichteinmischung in das Heranwachsen des Kindes und des Verzichts auf jeglichen Druck, die Summerhill zu dem machen,was es ist. Es besteht kein Schulzwang und die Kinder sind selbst für das verantwortlich, was sie tun. In den wöchentlichen Meetings werden die Schulregeln diskutiert und beschlossen oder verändert. Interessant hierbei ist, dass das Meeting von allen Bewohnern Summerhills, den Lehrern und den Schülern, besucht wird, und alle bei den Abstimmungen eine gleichgewichtige Stimme haben. Diese Prinzipien Summerhills sind Gegenstand der Antipädagogik. Zwar spricht Neill in seinen Büchern noch über Erziehung doch meint er damit eine freundschaftliche Hilfestellung, da er den Kindern selbst die Wahl läßt, das zu sein, was sie sein wollen. Sein wichtigstes Anliegen ist es, dass die Kinder zu glücklichen Menschen erzogen werden.

In Bezug auf die Frage, wie zeitgemäß Antipädagogik ist, muß zunächst Neills Werteverständnis geklärt werden. Das Kriterium, nach dem ich den Erfolg eines Menschen beurteile, ist die Fähigkeit, mit Freude zu arbeiten und ein erfülltes Leben zu führen. An diesen Maßstab gemessen sind die meisten Schüler von Summerhill im späteren Leben erfolgreich. Weiterhin berichtet Neill, dass er oft mit Fragen konfrontiert wird, wie Wenn wir sie tun lassen, was sie wollen, wie werden sie dann jemals unter einem Vorgesetzten arbeiten können? Wie können sie mit anderen konkurrieren, denen Disziplin beigebracht worden ist? Wie werden sie je fähig sein, Selbstdisziplin zu üben?. Er antwortet, dass Menschen, die auf solche Art an Kindern zweifeln, von einer unbegründeten und unbewiesenen Voraussetzung ausgehen, von der Behauptung, ein Kind könne nicht aufwachsen oder sich entwickeln, wenn es nicht dazu gezwungen wird.14 Hier wird deutlich, welches Vertrauen Neill und seine Mitarbeiter in die Vernuft des Kindes legen. Zur Frage der Selbstdisziplin ist anzumerken, dass es in Summerhill zwar viele Regeln gibt, doch diese werden z.T. von den Kindern selbst festgelegt, somit lernen sie, Verantwortung für sich und ihre Mitmenschen zu übernehmen. Um Auskunft über die Gesellschaftstauglichkeit frei erzogener Kinder zu geben, führt Neill die Beispiele von Kindern an, die in einem Fach keine guten Leistung zeigen, gar nicht zum Unterricht gingen, oder nicht Lesen lernen wollten. Er betont, das jedes dieser Kinder die Chance auf einen Arbeitsplatz bekam und dort oftmals durch seine Individualität auffiel. Allgemein ist zu sagen, dass Summerhill Menschen geprägt hat, die in die unterschiedlichsten Berufe gingen, relativ viele von ihnen sind jedoch in schöpferische Berufe gegangen.


5. Auswertung

5.1 Vergleich der dargestellten Standpunkte

Martin Winkler betont, dass eine Erziehung des Kindes notwendig ist, da es ohne sie keine Möglichkeit hat, ein Selbst, also eine Persönlichkeit, die sich von ihrer Umwelt abgrenzt aufzubauen. Da dieses Selbst Voraussetzung für ein Wirken innerhalb der gegebenen Umstände ist, könnte eine funktionierende, sich dialektisch entwickelnde Gesellschaft nicht auf dem Prinzip der Antipädagogik aufgebaut sein.

Alice Miller deckt unbewusste Mechanismen der Erziehung auf, die grosse Schäden in der Psyche des Menschen hinterlassen könen. Ihrer Ansicht nach sind u. a. Psychosen, Neurosen und verschiedenste Süchte unmittelbar auf in der Kindheit ausgeübte Zwänge zurückzuführen. Das Fazit dass Alice Miller aus ihren Untersuchungen zieht zeigt, dass nur ein zwangloser Umgang zu einer gesunden Psyche verhelfen kann.

Alexander S. Neill hat die Beobachtung gemacht, dass Kinder keinen Zwang brauchen, um sich zu entwickeln. Ihre angeborene Neugierde reicht als Antrieb für Erfahrungen und Lernen aus. Ferner traut Neill Kindern die richtge Auswahl des Lerngegenstandes zu. Er stellt ausführlich dar, dass Erziehung Kinder unglücklich macht und zeigt, dass ein antipädagogischer Umgang eine sinnvolle Art ist, ein Kind auf ein selbstständiges und glücklichmachendes Leben vorzubereiten.

5.2 Stellungnahme

Feststeht, dass die Antipädagogik praktisch umsetzbar ist. Kinder, die ihr Leben selbst so frei, wie möglich gestalten können, lernen für sich und ihre Mitmenschen Verantwortung zu übernehmen, sie sind selbstbewusster und glücklicher.

Nun kommt es darauf an wie man zeitgemäß definiert.

Zum Wesen dieser Zeit passt der antipädagogische Umgang nicht, da er eine Negation der Strukturen dieser Zeit ist. Doch könnte er einen postiven dialektischen Prozess einleiten, da er darum bemüht ist, die negativen Strukturen und ihre Folgen zu überwinden und sie durch Veränderung an der Wurzel zu unterbinden.


Literaturverzeichnis


Anmerkung der Schwarzen Katze zur Entstehungsgeschichte dieses Textes

Die Schwarze Katze verfügt wie andere Bewegungsarchive über ein umfangreiches Archiv zu alternativen Themen. Deswegen konnte sie verschiedenen SchülerInnen und StudentInnen bei Referaten und Facharbeiten helfen. So auch einer Schülerin aus dem Märkischen Kreis, die diese Facharbeit über Antipädagogik erstellt hat. Wir haben der Schülerin einen Vortrag über Antipägdagogik und die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu antiautoriärer Erziehung gehalten. Ausserdem gaben wir ihr Hinweise über weitere Materialien zum Thema und wie sie sich diese beschaffen konnte.