»... viele Leute können nicht damit umgehen, dass Autonome nicht mehr den Alleinvertretungsanspruch zum Thema Antifaschismus haben«

aus: Zeck # 93, November 2000

Aus Anlass der breiten öffentlichen Debatte über Antifaschismus und Strategien gegen Rechts haben wir - die Zeck-Redaktion - mit drei Hamburger Antifas (A, B, C) über die Situation und Perspektiven antifaschistischer Politik gesprochen.


X: Nach dem Anschlag auf eine Gruppe jüdischer SprachschülerInnen in Düsseldorf in diesem Sommer gab es in den bürgerlichen Medien eine breite Diskussion über Strategien gegen den Rechtsextremismus. Von Seiten der Antifa war praktisch nichts zu hören. Woran liegt das?

C: Ich glaube, das wurde tatsächlich erst mit dem Anschlag in Düsseldorf zum Mainstream, aber ohne einen Vorfrühling wäre das auch gar nicht zu diesem Sommer gekommen. Und in diesem Vorfrühling war es schon so, dass von Linken und Antifas mehr Inhalte in die Debatte reingebracht werden konnten. Ich denke, dass viele Leute, die sich zu diesem Thema geäußert haben, sich vorher bei Antifa-Gruppen auch informiert haben. Durch diesen Anschlag in Düsseldorf ist das Ganze zu einer staatlichen Diskussion geworden, in der sich jeder Hulli-Gulli bemüßigt sah, sich zu äußern und in der dann Zwischentöne und interessante Beiträge kaum mehr Relevanz hatten.

X: Mein Eindruck war nicht, dass es an fundierten Beiträgen fehlte. Die gab es beispielsweise in Form von langen Hintergrundartikeln in der FR oder auch in der Antifa-Debatte in der Jungle World. Es war nur so, dass sich die autonome Antifa weder in den Debatten, noch in Form von den Hintergrundartikeln selbst geäußert hat. Und das, obwohl sie in den letzten 10 Jahren das Thema gegen das Desinteresse des Mainstreams kontinuierlich bearbeitet hat.

B: Ich denke man muss den Vorlauf sehen. Mit der rot-grünen Regierung hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden. So hat beispielsweise Außenminister Fischer in einer Rede vor Botschaftsangehörigen formuliert, dass eine wichtigere, aggressivere Rolle Deutschlands nur dann außenpolitisch vertretbar sei, wenn es gelingt, innenpolitisch für Ordnung zu sorgen. Damit meint er die ganze Sicherheits- und Ordnungs-Debatte, zu der aus seiner Position auch der Umgang mit den Neonazis gehört. Ich glaube schon, dass im Vergleich zu Kohl-Regierung da ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat, indem ein Feld besetzt wurde, was vorher im Grunde nur von Antifas bearbeitet wurde. Damit wird es natürlich schwieriger, dieses Feld alleine von Seiten linker oder autonomer Antifa zu besetzen..

Y: Aber wie bewertet ihr die öffentliche Thematisierung? Du sagst »jeder Hulli-Gulli« und du bringst es in Verbindung mit der veränderten außenpolitischen Rolle Deutschlands. Bewertet ihr die neue Situation als positiv und sagt aber, das hat mit unserer Politik nichts zu tun, wir machen einfach weiter wie bisher, oder haltet ihr die öffentliche Thematisierung eigentlich für unglaubwürdig und bewertet sie daher negativ?

A: Ich halte die Thematisierung auf jeden Fall für zweischneidig. Einerseits ist das Thema »Neonazis« plötzlich fett in die Presse gekommen, was natürlich längst überfällig war und in Einzelfällen wurden da in der bürgerlichen Presse auch ganz vernünftige Positionen vertreten. Aber auf der anderen Seite lief die Thematisierung sehr schnell in die Richtung eines "Standort-Antifaschismus". Da wurden die Nazi-Angriffe problematisiert, weil sie den »Wirtschaftsstandort Deutschland« gefährden würden, oder es wurden in der Greencard-Debatte die ökonomisch nützlichen AusländerInnen von den unerwünschten, weil ökonomisch nicht verwertbaren getrennt. <\n>Vom Praktischen her bietet die Thematisierung natürlich einen guten Ausgangspunkt und für unserer Gruppe kam das gesteigerte öffentliche Interesse zu einem Zeitpunkt, als wie eh überlegt hatten gegen die Nazi-Strukturen an Punkten vorzugehen, die jetzt plötzlich auch staatlicherseits angegangen wurden: ihre Postfächer, ihre Websites. Hier ist uns unser Handlungsansatz plötzlich und unvermutet von staatlicher Seite abgenommen worden, was uns natürlich erst mal etwas ins Leere laufen ließ.

X: Und wie seht ihr anderen das? Teilt ihr diese doch recht pessimistische Einschätzung?

C: Ich würde dem widersprechen. Ich denke chronologisch war es so, dass zu Beginn dieser Sommerloch-Debatte viele fundierte Beiträge kamen. Und diese Beiträge kamen vor allem von Leuten, die sich nicht gescheut haben, sich bei antifaschistischen Initiativen, autonomen Anitfas usw. ihre Informationen zu besorgen. Zu nennen wäre da z.B. Thierse, der schon seit Jahren vernünftige Sachen zu den sog. »national befreiten Zonen« gesagt hat und der - vielleicht weil er im Osten auch eine andere Arbeit mitgekriegt hat - auch progressivere Initiativen wie die Antonio-Amadeu-Stiftung1 unterstützt hat, deren politische Analyse gar nicht so weit von unserer entfernt ist. Zu nenne wäre da sicher auch Annette Kahane von der Antonio-Amadeu-Stiftung. Solche Leute haben schon sehr früh gesagt, dass die Nazi-Übergriffe kein Standortproblem sind, sonder dem Rassismus in Deutschland geschuldet sind. Solche Positionen wurden zu Beginn der Debatte aufgenommen. Spätestens aber mit dem Anschlag in Düsseldorf hat die Debatte eine andere Dynamik bekommen. Kurz danach gab es ja auch die ersten Diskussionen um ein NPD-Verbot. Ich glaube, das hatte etwas damit zu tun, dass das Thema Rassismus wieder aus der Diskussion genommen werden sollte. Vorher war es so, dass die Anschläge oft in einen engen Zusammenhang mit einer rassistischen Stimmung gestellt wurden und dieser Rassismus - das gesellschaftliches Problem, das aus der Mitte der Gesellschaft kommt, das auch gesellschaftlich gelöst werden muss - beschrieben wurde. Darin zeigte sich auch eine oppositionelle oder zumindest kritische Haltung gegenüber dem staatlichen Rassismus.
Nach Düsseldorf ging es dann praktisch nur noch um Neonazis und Gewalt, was die Gewalt der Neonazis letztlich entpolitisierte. Diese Konzentration auf die losgelöste Gewalt kulminierte schließlich in der Forderung nach einem NPD-Verbot. Das NPD-Verbot wird, wenn es denn dann einmal umgesetzt werden sollte, für die Neonazi-Szene und für den Rassismus in Deutschland keine Bedeutung haben. Aber dadurch, dass suggeriert wird, die NPD sei das Problem, fallen die anderen Ursachen wie z.B. der Rassismus komplett aus der Debatte.
Eine ähnliche Entwicklung lässt sich bei den antisemitischen Anschlägen beobachten. Vor den Anschlägen um den Wiedervereinigungstag gab es immer wieder Mahnungen, man dürfe den Antisemitismus nicht aus den Augen verlieren. Jetzt wird der Antisemitismus auf ein Sicherheitsproblem reduziert. Schlimm ist nicht mehr der Antisemitismus, schlimm ist es, dass jüdische Einrichtungen nicht richtig geschützt werden können. Es wir also wieder zu einem entpolitisierten Sicherheits- bzw. Gewaltproblem. Ich glaube, dass wir als autonome oder unabhängige Antifas in diesen Debatten irgendwann keine Relevanz mehr hatten, die wir zu Beginn der Debatten durchaus noch hatten.

Nazi-Mobilisierungen

X: Kommen wir nun von der Einschätzung der allgemeinen Situation zum Problem der zunehmenden Nazi-Aufmärsche: Obwohl es zu einzelnen Anlässen gelungen ist, mehrere Tausend Leute aus einem breiten politischen Spektrum gegen die immer häufiger werdenden Nazi-Aufmärsche zu mobilisieren, wurde das immer wieder von der Antifa propagierte Ziel, den Aufmarsch zu verhindern bzw. ihn effektiv anzugreifen nie erreicht. Haltet ihr es für sinnvoll, dennoch an dieser Strategie festzuhalten?

B: Auch hier würde ich sagen, dass sich die Situation in den letzten Jahren gewandelt hat. Es war ein langer, schmerzlicher Prozess für die autonomen Antifas zu erkennen, dass es nicht mehr möglich ist, Neonazi-Aufmärsche aus eigener Kraft zu verhindern. Darüber haben natürlich Diskussionen stattgefunden. Inzwischen hat sich aber doch die Erkenntnis durchgesetzt, dass es besonders auch angesichts des riesigen Bullenaufgebots, mit dem diese Aufmärsche abgeschirmt werden, nicht mehr möglich ist dagegen irgend etwas militant zu tun. Ich denke heute wird kaum mehr jemand die Position vertreten, wir könnten das noch aus eigener Kraft schaffen. Die Erkenntnis wird sich durchsetzten, dass wir andere Wege und Formen finden müssen, um auf das Phänomen Neonazi-Aufmärsche zu reagieren.

X: Was wären das für Wege und Formen?

B: Eine Konsequenz ist, sich wieder stärker auf Bündnis-Arbeit zu konzentrieren. Ich halte das auch für richtig. Neonazi-Aufmärsche sind in der momentanen Situation nicht mehr zu unterbinden, und daher muss man gucken, wie man seine Inhalte bei solchen Anlässen dennoch auf die Straße bekommen kann. Man kann nicht mehr alleine auf ein Verhinderungskonzept setzen - auch wenn wir uns natürlich immer freuen, wenn das dann trotzdem mal gelingt.

C: Ich denke, die autonome Antifa hat da in den letzten Jahren vielleicht den Zug verschlafen. In Erinnerung an die Stärke früherer Jahre, als es noch gelang, Nazi-Aufmärsche aus eigener Kraft zu verhindern, wurden die Reaktionen der Bullen nicht ausreichend berücksichtigt. Heute ist es nicht mehr möglich, solche Aufmärsche aus eigener Kraft zu verhindern. Ich denke, die Beispiele, bei denen Aufmärsche angegriffen oder blockiert oder sogar verhindert worden sind, wie in Altona im Juli, das ist eher eine Melange gewesen aus Polizeiinteressen und einer »Verbrüderung« oder »Verbündnissung« zwischen organisierten und unorganisierten Antifa, Migrantenjugendlichen und empörten BürgerInnen etc. auf die der Polizeiapparat nicht so schnell reagieren konnte. Wenn wir es schaffen gegen solche Neonazi-Aufmärsche mal Punkte zu machen, dann liegt das daran, dass da halt Lücken waren, die dann genutzt werden konnten. Das hat nichts damit zu tun, dass die Antifa in der Situation eine besondere Stärke hatte. Im Gegenteil, im Moment ist die Hamburger Antifa gar nicht in der Lage aus ihren Strukturen eine offensive Politik nach außen zu tragen.

B: Ich glaube, wenn es gelingt, Neonazi-Aufmärsche in nächster Zeit zu verhindern, dann wird das aufgrund politischen Drucks passieren.

Y: Das mein ihr mit »nicht aus eigener Kraft«?

B: Ja, der politische Druck muss entwickelt werden und das ist die einzige Chance, gegen diese Neonazi-Aufmärsche etwas zu machen.

A: Ich denke, dass es auch schon seit geraumer Zeit so ist, dass diese Parole »Nazi-Aufmärsche verhindern« eigentlich nicht mehr im Raum steht. Mag sein, dass die immer wieder auf Flugblättern verwendet worden ist, aber in der Praxis ist es doch so, dass man hingeht, einfach, weil man die Nazis nicht unkommentiert marschieren lassen will. Wir sind maximal noch in der Lage zu stören und das wird ja auch zurecht immer propagiert. Was aber viel problematischer ist, ist dieses ewige Reagieren, und sich den Terminkalender praktisch von den Nazis diktieren zu lassen. Daher wurde in letzter Zeit auch vermehrt überlegt, wie es gelingen kann auch selber wieder aktiv Punkte zu setzen und trotzdem die Aufmärsche nicht ganz unkommentiert zu lassen.

Y: Ich würde ja behaupten, dass die Unzufriedenheit nicht nur daher kommt, die Nazi-Aufmärsche nicht verhindern zu können, sondern dass es da ein Mißverhältnis zwischen Strategiedebatte und Information gibt. Ihr sagt jetzt ziemlich deutlich, dass ihr es nicht für möglich haltet, diese Aufmärsche zu verhindern, aber viele der Nicht-Organisierten gehen genau mit diesem Ziel im Kopf hin, weil das ja auch in den Flugblättern steht. Eure Einschätzung wird ja eher nicht öffentlich vertreten. In der konkreten Situation ist es dann so, dass die Nicht-Organisierten vor den Absperrungen stehen und sich auf die Antifa-Strukturen verlassen, von denen dann nichts zu sehen ist.

A: Diesen Eindruck kann ich aus meiner Sicht so nicht bestätigen. Eigentlich müssten die meisten Leute doch auch inzwischen mitbekommen haben, dass es in Hamburg eigentlich kaum mehr solche Antifa-Strukturen gibt, auf die man sich verlassen könnte.

C: Es gibt aber auf der anderen Seite auch noch Antifa-Gruppen, die genau das Konzept, den Aufmarsch anzugreifen in der Vorbereitung propagieren. Und die haben dort oft eine Dominanz oder versuchen sich durchzusetzen. Zumindest verbal nach außen wird diese Position nach wie vor durch Flyer und Parolen noch transportiert. Ich denke aber das ist eine komplette Selbstüberschätzung dieser Gruppen, die immer noch glauben, da ein Rädchen am Wagen drehen zu können. Das kommt vielleicht auch von einer anachronistischen Mystifizierung der eigenen Stärke oder aber daher, dass die Leute - wenn man es mal böse sagt - nie aus ihrem Sumpf rauskommen. Ich denke es gibt da durchaus eine Auseinanderentwicklung innerhalb der Hamburger Antifa-Szene. Ein Teil der länger arbeitenden Antifa-Gruppen versucht eher aus den Erfahrungen der letzten Jahre eine Weiterentwicklung der Antifa-Politik voranzutreiben - in Bündnissen etc.. Aber viele Leute können auch nicht damit umgehen, dass Autonome plötzlich nicht mehr den Alleinvertretungsanspruch zum Thema Antifaschismus haben. Aber seit einigen Jahren ist das so, dass es innerhalb einer fortschrittlichen Linken die unterschiedlichsten Strömungen und Gruppen gibt, die inzwischen auch lange kontinuierlich zum Thema Antifaschismus gearbeitet haben.

B: Gerade im Bereich Antifa gilt, dass man eigentlich nichts versprechen dürfte, was man nicht halten kann, sonst wird man unglaubwürdig. Da ist in der Vergangenheit eine Menge verratzt worden. Vorstellungen von »wir wuppen das« oder »wir kriegen die Nazis schon von der Straße weg« ist zu wenig widersprochen worden. Auch wenn das real gar nicht mehr möglich war, wurde dieser Anspruch immer noch mit sich rumgetragen. Aber um als politische Kraft überhaupt ernst genommen zu werden und weiterhin präsent zu sein, muss die Antifa die Veränderung der politischen Situation diskutieren und sich darauf einstellen.

A: Was zu wenig öffentlich diskutiert wurde ist dieser Schritt vom militanten Verhindern hin zum politischen Verhindern. Und es wird zu langsam erst verstanden, dass im Rahmen eines breiten Bündnisses z.B. bei einer Demo mehr zu erreichen ist.

X: Ich denke auch, dass sich die Aufmärsche nicht auf der Straße, sondern nur politisch verhindern lassen werden. Es ist aber durchaus auch möglich, an die Nazis auf der Straße heranzukommen. Und mein Eindruck war, dass bei den letzten Aufmärschen die Nicht-Organisierten oft schlecht ausgestattet an den Polizeisperren demonstrierten, während von den organisierten Antifa-Strukturen oft wenig am Ort des Geschehens zu sehen war, weil diese mit lauter »wichtigeren« Dingen beschäftigt waren wie dem Beobachten der Nazi-Bewegungen, Abchecken der Route etc.

C: Ich fand das in Altona gut, dass sich aus dem Zusammenkommen ganz vieler verschiedener, zumeist unorganisierter Menschen eine Eigendynamik entwickelt hat. Ich denke, es ist immer noch ein entscheidender Fehler der autonomen Antifa, den Anspruch zu haben allein dafür zuständig zu sein, Militanz auf die Straße zu tragen. Die merken gar nicht, dass sie als Bewegung dazu gar nicht mehr in der Lage sind. Es ist nach wie vor richtig, zu vesuchen, die Nazis auch militant anzugehen, aber wenn man sich die Radikalisierung und Militarisierung der Neonazi-Szene etwas näher anschaut, kann ich nur davor warnen zu glauben, man könne sich einer Horde von Neonazis einfach entgegenstellen. Ich hätte da Schiss vor und weiß genau, ich bräuchte eine unglaublich gute und starke Gruppe, um mich denen entgegen zu stellen. Ich denke daher, dass diese diffuse Mischung aus Unorganisierten, empörten AnwohnerInnen, Gang-Jugendlichen etc. eine Eigendynamik im positiven Sinne entwickelt hat, die wir als Autonome ja früher auch immer gut fanden. Das kann dann u.U. auch wesentlich offensiver zu Angriffen auf die Nazis führen als so Konzepte, die theoretisch gut ausgedacht sind, die sich aber gar nicht mehr auf gemeinsame Erfahrungen stützen können. Die Entwicklung wird auch dahin gehen, dass offensives Agieren gegen die Nazis bei solchen Demonstrationen weniger durch Planung als vielmehr durch diese Eigendynamik zustande kommen wird.

Y: Wie würde ihr denn dann eure Rolle bei solchen Aufmärschen und Gegendemos definieren?

B: Die Rolle der organisierten Antifas wäre, Voraussetzungen zu schaffen, dass eine solche Eigendynamik entstehen kann.

A: Es ist auch angesagt, dieses Bild von den Antifas, die los gehen und »mal einen klopfen gehen« und damit was klar machen, weg zu bekommen. Das stimmt nicht mehr und ist von vielen auch gar nicht mehr gewollt. Gerade jetzt sollte es viel mehr darum gehen stärker inhaltlich gegen die Neonazis vorzugehen.

C: Man muss auch erkennen, dass in den letzten Jahren ein Wechsel stattgefunden hat. Die Parole »Den antifaschistischen Selbstschutz organisieren!« entstand Anfang der 90er vor allem vor dem Hintergrund der Erfahrung von Jugendlichen, hauptsächlich aus dem Osten, die sich damals massiv gegen neonazistische Überfälle zu Wehr setzen mussten. Heute ist es so, dass wir - d.h. die autonome, antifaschistische Szene - von diesem gewöhnlichen deutschen Mord-Neonazismus gar nicht mehr in erster Linie betroffen sind. Die Angriffe der Nazis richten sich heute gegen ganz verschiedene Teile der Gesellschaft, die sich auch dagegen zur Wehr setzen muss. Da müssen wir Antifas lernen, uns selbst nicht mehr so wichtig zu nehmen.

B: Die rassistische Qualität der Angriffe hat ja auch enorm zugenommen und der Neonazi-Terror ist vielerorts zum Alltag geworden. Das ist schon eine ganz andere Situation als wir sie in den 80er Jahren hatten, als sich die Angriffe der Nazis doch relativ klar auf eine linke Subkultur konzentriert hatten. Wobei ich hier die Situation im Westen in den Metropolen beschreibe, im Osten sieht es da teilweise schon etwas anders aus.

Bündnisse

X: Was für Erfahrungen habt ihr in letzter Zeit mit Bündnissen gemacht. Hat sich durch die Ereignisse im Sommer da etwas verändert?

C: Ich denke, dass sich das Verhältnis zu Bündnissen auch schon vor dem Sommer verändert hat. Früher war das so, dass wir total stolz waren, wenn wir ein Bündnis mit der VVN, der DKP und der PDS auf die Beine gestellt haben. Heute denke ich, dass der Spruch stimmt, »Wenn du mit allen im Bündnis der selben Meinung bist, ist dein Bündnis zu eng«. Ich glaube, heute ist die Bereitschaft viel größer andere Meinungen in einem Bündnis zuzulassen. Das Interesse an Diskussionen ist viel größer. Dadurch, dass wir uns auch als kompetente Bündnispartner dargestellt haben, die nicht nur von den bösen Faschos reden, sind wir auch beispielsweise von linken GewerkschafterInnen oder den Gruppierungen, die man vielleicht als die Reste der Zivilgesellschaft bezeichnen könnte, ernst genommen worden.

B: Man muss Bündnisse aber auch begreifen als kontinuierliche Zusammenarbeit mit Leuten außerhalb seines eigenen kleinen Tellers. Es ist notwendig, Gespräche und Diskussionen an ganz unterschiedlichen Orten zu führen und seine Positionen im Bereich Antifaschismus/Antirassismus dadurch weiter zu entwickeln. Das würde dann auch den Bündnisbegriff, den man so klassischerweise im autonomen Antifaspektrum kennt ein wenig erweitern. Natürlich geht es auch darum, anlassbezogen möglichst viele Leute zu mobilisieren, aber es geht auch darum die Diskussionen in die Breite zu tragen, und das ist über die Jahre entschieden zu kurz gekommen.

Y: Ist das jetzt Wunschdenken, oder wird das auch schon so praktiziert?

B: Ich bin oft erstaunt darüber, wie schnell man mit anderen ins Gespräch kommen kann. Das ist natürlich auch eine ganz nette Erfahrung immer wieder fest zu stellen, dass es doch eine ganze Menge Leute gibt, die nicht aus unserem Spektrum kommen, die froh sind wenn sich Kontakte ergeben oder alte Kontakte wieder aufleben. Oft stellen wir dann fest, dass inhaltliche Positionen gar nicht so weit voneinander entfernt sind.

C: Anfang der 90er Jahre war Antifaschismus für uns eben auch ein offensiver Kampfbegriff. Da diente Antifa zur Identitätsstiftung und unter dem Begriff Antifaschismus wurde alles mögliche subsumiert. Kampf dem Imperialismus, Kampf dem Kapitalismus etc.. Das Problem ist, dass viele Leute ideologisch-politisch auf diesem Level stehen geblieben sind. Ich denke, die letzten Jahre haben gezeigt, dass Antifaschismus als offensiver Kampfbegriff nichts taugt, weil Antifa immer von einer Negation ausgeht. Man wehrt sich gegen etwas. Mit dieser Erkenntnis kann auch anders mit Bündnisarbeit umgegangen werden. In einem Bündnis geht es dann eher darum, gemeinsam mit anderen Leuten eine Analyse der Situation zu entwickeln: Wie funktioniert rassistische Formierung, wie funktionieren hier Vorstellungen von Sozialhygiene, wie funktioniert so ein SPD-Neoliberalismus? In solchen Auseinandersetzung wurde dann ganz oft die Erfahrung gemacht, dass es ganz viele Leute gibt, die eine ähnliche Analyse wie wir haben. In solchen Bündnissen ändert sich auch die Wahrnehmung, die andere von der Antifa haben. Wir sind dann nicht mehr nur die Experten für Nazi-Strukturen, sondern Leute hören uns auch zu, was wir zu Fragen wie der völkischen Formierung zu sagen haben, und finden das auch teilweise gut, was wir sagen. Dadurch ist dann auch eine andere Basis für eine langfristige Zusammenarbeit gelegt.

Y: Läuft diese Zusammenarbeit dann mit den Organisationen oder eher mit einzelnen Oppositionellen in den Organisationen?

A: Meistens sind es doch eher die einzelnen Personen. Schwierig wird es meistens dann, wenn eine Zusammenarbeit mit den leitenden Funktionären von Gewerkschaften oder SPD versucht wird. Entscheidend ist es ja, den Schritt zu schaffen von einem Anti-Nazi-Ansatz, wie er ja staatlicherseits gerade auch propagiert wird, zu einem antirassistischen Ansatz. Allerdings wird genau an dieser Stelle die Zusammenarbeit mit Organisationen wie dem DGB wieder schwierig. In einer solchen staatstragenden Organisation wird eben doch recht aggressiv auf eine Position, die staatlichen Rassismus thematisiert, reagiert. Das aktuelle Beispiel ist ja die Kundgebung am 1.September,2 zu der ein breites Bündnis, an dessen Spitze der DGB stand aufgerufen hatte. Da hat es dann auch richtig geknallt.

Y: An welchen Punkten?

A: Geknallt hat es zwischen dem DGB und dem linken Bündnis, weil der DGB mindestens angepisst war über das, was der Vertreter des linken Bündnisses auf der Kundgebung gesagt hatte. Das passte denen natürlich gar nicht, dass staatliche Abschiebepolitik und die rassistische Position der IG Bau scharf angegriffen worden ist.

X: Diese Veränderungen der antifaschistischen Analyse von »Hinter dem Faschismus steht das Kapital« hin zur Verteidigung der Zivilgesellschaft ist ja schon ein großer Schritt. Steht ihr mit einer solchen Position alleine in der Antifaszene oder wird das von der Mehrheit so gesehen? Um es an einem konkreten Beispiel festzumachen: Bei der gemeinsamen Kundgebung mit dem DGB am 1.9. gab es innerhalb des autonomen Vorbereitungsplenums recht unterschiedliche Positionen: Die einen wollten die Veranstaltung angreifen und die anderen wollten einen Redner stellen. Gibt es einen inhaltlichen Streit innerhalb der Antifa über so eine Positionierung ?

B: Gibt es schon und gab es auch. Also es ging ja schon los mit der Frage: Was ist tolerierbar, welche Redner und welche nicht. Es gibt ja die Meinung mit den Grünen machen wir absolut gar nichts. Da wird sich dann berufen auf: »Das haben wir doch damals so festgelegt«. Ich finde das aber fatal, wenn Positionen nicht mehr reflektiert werden. Sicherlich gibt es immer noch gute Gründe an bestimmten Positionen festzuhalten, diese sollten aber immer wieder abgeglichen werden. Und in diesem Zusammenhang gibt es auch RednerInnen, die ich nicht tolerieren würde. Ich finde aber, mensch muss auch auf veränderte gesellschaftliche Verhältnisse reagieren können, sonst droht Politikunfähigkeit. Also um deine Frage zu beantworten: es wird kontrovers darüber diskutiert. Das Beispiel der Kundgebung am 1.9. zeigt, dass man sich letztendlich doch konsensuell auf so ein Level geeinigt hat und gesagt hat, es wäre fatal, wenn wir nichts dazu sagen und wenn wir nicht unsere Meinung dort kundtun würden. Ich denke, dass das die Erkenntnis wir sollten da nicht außen vor bleiben von den meisten doch letztendlich getragen wurde. Ich fand es viel interessanter, dass die einzelnen Gewerkschaften teilweise auch untereinander in Streit geraten sind. Die einen sagten »Nehmt den von der Bühne!« und die anderen sagten »Hör doch mal zu, dass stimmt doch was der sagt!«. Es war richtig, sich zu äußern und unsere Positionen ins Gespräch zu bringen.

C: Ich denke eher, dass innerhalb der autonomen Szene oder der Antifaszene darüber kaum diskutiert wird. Ich glaube, es wird sich eher mit einem Dogmatismus dagegen gewehrt seine eigene Rolle neu zu definieren. Ich finde aber den Vorwurf, die Antifa öffne sich gegen die Mitte der Gesellschaft, falsch. Wenn in der Jungle World steht, Antifa wird mehr und mehr staatstragend, halte ich das für total hahnebüchen. Wir als autonome Antifa haben in den letzten Jahren immer wieder auf das Verhältnis zwischen staatlichem Rassismus, Neonazis und der rassistischen Formierung innerhalb der Gesellschaft hingewiesen. Allerdings ist unsere Analyse der 80er und Anfang der 90er Jahre, die Neonazis seien die Marionetten des Kapitals, des Staats und so weiter im nach hinein ziemlich falsch gewesen. Für die heutige Zeit stimmt sie auf keinen Fall mehr. Eine permanente Neuformierung von Kapitalismus oder Neoliberalisms wird dort überhaupt nicht mehr adäquat beobachtet. Ich vertrete in der Zwischenzeit die Position, dass die Neonazis nicht der verlängerte Arm von irgendwelchen Politikern sind, sondern dass sie der verlängerte Arm der ganz gewöhnlichen gesellschaftlichen Formierung sind. Die machen das, was Eltern und Lehrer immer nur sabbeln, aber nie in die Tat umsetzen. Aber ich habe festgestellt, dass viele vielleicht dogmatische Linke oder konservative Linke mit einer sochen Analyse gar nicht klar kommen, den Imperialismus oder den Kapitalismus nicht mehr als das böseste aller bösesten Übel ansehen zu können.

A: Ich möchte noch mal etwas sagen zu der Parole: »Hinter dem Faschismus steht das Kapital!«. In der klassischen Version würde ich das auch auf gar keinen Fall unterschreiben wollen. Trotzdem finde ich, dass danach gefragt werden muss, welche vom Kapital initiierten faschistoiden Entwicklungen im Moment stattfinden? Sicher falsch ist zu sagen, dass das Kapital in der momentanen Situation hinter den Stiefelnazis steht. Aber diese ganze Repressionsschiene wird auch darüber wieder legitimiert. Das ist z.B. ein ganz wichtiges Feld, über dass sich in der näheren Zukunft noch einmal ein Kopf gemacht werden muss. Nicht um diese Parole wieder zu installieren, sondern um den staatlichen Antifaschismus richtig einordnen zu können.

B: Das Erschreckende ist, dass bestimmte Sachen durchaus miteinander kompatibel geworden sind. Demokratie als Regierungsform, als Regierungsmodell ist kompatibel geworden mit einer absoluten Ausgrenzung von großen Teilen der Bevölkerung. Dass dies möglich ist, ist meiner Meinung nach qualitativ neu in der Geschichte. Es gab früher immer Alternativmodelle, dass bestimmte Systeme im Widerstreit standen. Mittlerweile ist es möglich, dass sich Leute hinstellen und sagen, »wir wollen eine humane Gesellschaft« und gleichzeitig einen unglaublichen Rassismus produzieren. Das ist möglich und das ist auch kein Widerspruch mehr. Darauf zu reagieren, dass solche Dinge möglich geworden sind, bedarf es einer ziemlich genauen Analyse. Es bedarf auch einer Verortung der Linken, wie sie in diesem Phänomen, diesem Konglomerat letztlich überhaupt noch tätig werden können, oder was es für Veränderungsmöglichkeiten gibt. Ich denke, dass der Punkt Rassismus dabei ganz entscheidend ist. Diese Gesellschaft funktioniert nicht ohne Rassismus und Ausgrenzung, und die Frage nach antirassistischen Strategien ist gleichzeitig eine Frage danach, die Grundfeste dieser Gesellschaft zu hinterfragen. Inzwischen ist es nämlich durchaus kompatibel geworden, dass sich jemand ganz offen Antinazi oder Antifaschist nennen kann, und gleichzeitig auch ganz offen rassistische Politik betreibt. Wie so etwas möglich ist, darauf gibt es noch keine richtigen Antworten, sondern eher Fragen. Darüber würde ich mir eine größere und tiefere Diskussion innerhalb von Antifa- und linken Zusammenhängen durchaus wünschen.

Antifa-Strategien

X: In einem Artikel im antifaschistischen Infoblatt, der ja auch in der letzten Zeck nachgedruckt war, wird auf die Frage nach unterschiedlichen antifaschistischen Strategien, die ihr ja vorhin schon angesprochen habt, eingegangen. Dort wird gesagt, das Ende der 80er entwickelte Konzept: »Den antifaschistischen Selbstschutz organisieren« war letztlich viel radikaler als die der Strategie der 90er unter der Parole »Antifa heißt Angriff«. Die Selbstschutzstrategie setzte erstens am Leben der Leute direkt an, und ermöglichte es viel mehr Leute überhaupt anzusprechen. Auch solche, die vielleicht der konkreten Konfrontation mit den Nazis aus guten Gründen, oder weil man sich das einfach nicht zutraut, aus dem Weg gehen wollen. Die AutorInnen fordern, man solle im Grunde an dieses Konzept des antifaschistischen Selbstschutzes wieder anknüpfen. Das scheint mir so'n bisschen wie eine etwas hilflose Rückkehr zum Bewährten nachdem man festgestellt hat, dass das, was man danach gemacht hat, hat nicht (mehr) funktioniert. Findet ihr die Argumentation die im AIB vertreten wird überzeugend?

A: Die Argumentation, dass diese Phase »Antifa heißt Angriff« nicht nur überholt ist, sondern dass die auch sehr fragwürdig war, halte ich für richtig. Ich find es andererseits aber nicht richtig, genau da wieder anzuknüpfen, wo Antifa mal stehen geblieben ist. Wir wären rein praktisch überhaupt nicht mehr in der Lage wie Anfang der 90er zum 20.4. als besonderen Tag bestimmte Asylbewerberunterkünfte zu schützen. Das ist von den Kräfteverhältnissen unsererseits und der ich sag mal Schlagkräftigkeit der Nazis anderseits überhaupt nicht mehr zu machen. Der Ansatz, viel mehr Leute einzubinden und von deren Möglichkeiten auszugehen, den finde ich auf jeden Fall aber weiterhin richtig.

C: Man sollte den Begriff Antifaschismus viel offener diskutieren und darf den Blickwinkel nicht zu sehr auf die militanten Neonazis richten. In Hamburg sieht man bei jeder Neonazi-Demo die selben 150 Nazis, und ich glaube, dieses Problem der militanten Neonazis findet auf einer Spektakel-Ebene statt. Ich denk auch, dass die Neonazis selber diese Demonstrationen auch unter dem Blickwinkel des Spektakels sehen. Sie wollen sich präsentieren, aber das ist ja auch 'ne relativ eingegrenzte Gruppe. Man müsste viel mehr auf die Ursachen und auf die Hintergründe der Neonaziformierung eingehen. Ich glaube, dass an diesem Punkt Rassismus viel klarer benannt werden muss. Das darf nicht auf so 'ner ganz eingegrenzten Ebene passieren, wie es oft bei autonomen Antifas bisher passiert; dass Rassismus in so Nebensätzen: »Da sind wir auch noch gegen.« genannt wird. Ich denke, dass ganz viele Funktionsmuster dieses Staats über eine rassistische Formierung funktionieren. Und das ist auch der Punkt, wenn man an Gegenstrategien überlegt, dass man an Alternativen überlegt? Wir können uns an den Neonazis abarbeiten, das ist auch gut und richtig, ich hasse die auch und ich will auch, dass die nicht mehr auf der Straße rumlaufen. Aber selbst wenn die Neonazis als Erscheinungsbild - vielleicht auch aufgrund der staatlichen Repression - aus der Öffentlichkeit verschwunden sind, bleibt dieser rassistische Bodensatz, der jetzt in seiner ganzen Aggressivität zum Explodieren kommt, weiterhin vorhanden. Wir als Mittelklasse-Mehlgesichter haben als Antifas immer Schwierigkeiten gehabt mit Migrantengruppen direkt zusammen zu arbeiten. Das hat vielfältige Ursachen und ich denke, dass man zum einen da vielleicht viel mehr sich öffnen muss zu anderen Gruppen, die schon länger Antira-Arbeit machen. Auf der anderen Seite müsste man in diesen neuen Bündnissen und bei der Zusammenarbeit mit anderen gesellschaftlichen Gruppen gucken, inwieweit die auch sensibilisierbar sind für das Problem der rassistischen Formierung. Der DGB beispielsweise ist natürlich eine staatstragende Organisation, aber ich glaube, dass innerhalb des DGBs vielen Leuten klar ist, dass sie als politische Organsiation irgendwann auch sich selbst erledigt haben, wenn sie sich nicht auch wieder zu politischen Themen äußern. Das kann auch ein Schwerpunkt von Antifa-Arbeit sein, z.B. in Gewerkschaftskreisen antirassistische Initiativen zu fördern und da auch Bündnisarbeit praktisch werden zu lassen, durch Bildungsarbeit, was weiß ich auch immer, Informationsarbeit.

Y: Das heißt für dich würde weder der eine noch der andere Slogan eine zukunftsweisende Strategie verkörpern?

B: Ich würde auch sagen, Antifa ist mehr Selbstschutz als Angriff. Im Infoblatt-Artikel haben die da so'n bißchen die Stunde 0 angesetzt. Aus meiner Erfahrung war das aber anders. Das mag vielleicht in Berlin so gewesen sein. Aber die entscheidende Frage ist doch eine andere. In der Rassismusforschung gibt es das geflügelte Wort des Rassismus ohne Rassisten und es gibt mittlerweile vielleicht auch Neofaschismus ohne Nazis. Also das Problem verschiebt sich und verändert sich, und darauf muss man 'ne Antwort finden. Natürlich muss auch einer Bedrohung entgegentreten werden, die aber regional und altersmäßig auch sicherlich sehr verschieden ist. Es gibt nicht mehr so was wie den 20.4., um den damals ein unglaublicher Medienhype veranstaltet wurde, eine unglaubliche Angst geschürt wurde, von Linken wie von Bürgerlichen, eine Panik vor einem Phänomen, das es so gar nicht gegeben hat. Und jetzt haben wir das Phänomen, aber die Panik bleibt aus. Sich darauf einzustellen und darauf zu regieren, das finde ich viel entscheidender.

X: Um noch mal an den Punkt der rassistischen Formierung anzusetzen. Ich frage mich ja, ob dieser Begriff zwei Tendenzen zusammenführt, die ganz unterschiedliche Begründungszusammenhänge haben. Ganz eindeutig ist in den 90ern der ökonomische Staatsrassismus der dominante Diskurs, in dem Menschen nur nach ihrer Verwertbarkeit innerhalb des Systems betrachtet werden. Ich glaube aber nicht, dass sich auf der gleichen Ebene der Rassismus der Nazis erklären lässt. Ich würde sogar vermuten, dass er genau das Gegenteil ist. Im Grunde ist der Rassismus der Nazis eine total anti-ökonomische Reaktion. Diese Verwertbarkeitslogik, dieser Ökonomismus wird von denen, die auf der Straße Ausländer angreifen durchaus auch als Bedrohung empfunden. Und genau an die Stelle dieses ökonomischen Prinzips versuchen sie andere Gruppenkonstruktionen zu setzen, in denen sie sich selber im klassischen Rassismusschema als »Herrenrasse« als die Besseren stilisieren. Diese beiden gegenläufigen Entwicklungen wirft der verwendete Begriff der rassistischen Formierung zusammen, und daher kann man daraus meiner Meinung nach keine politische Strategie ableiten.

C: Naja, was aber beiden gemeinsam ist, ist der Wille zur Ungleichbehandlung von Menschen nach rassistischen Kriterien. Der staatliche Rassismus beruft sich auf die Ökonomie, der Neonazi macht's ganz plump: »Du schwarz, ich weiß, ich besser du doof.« Die Neuen Rechten argumentieren mit der »Gleichheit der Rassen, aber ihr da und wir hier«. Das sind unterschiedliche Erscheinungsformen, aber das Entscheidende ist der Rückgriff auf unterschiedliche Wertigkeiten. Und dagegen sollten wir an dem Ideal festhalten, das besagt »Alle Menschen müssen und sollen das gleiche Recht haben, so zu leben, wie sie wollen und da zu leben, wo sie wollen«. Das ist als Gegenmodell durchaus oppositionell zu dem staatlichen Rassismus sowie zu einem völkischen neonazistischen Rassismus. Ich gehe mit dir d'acord, dass es da fundamentale Unterschiede gibt, wie sich der Rassismus ausprägt. Nur: mörderisch sind beide Erscheinungsformen und verachtenswert auch. Ich glaube, dass dieser neonazistische Rassismus eher ein Ventil für den Mob ist, während es beim staatliche Rassismus um »Sozialhygiene« geht.

B: Ich denke, das Eine ergänzt sich halt mit dem Andern. Zynischerweise sage ich oft: die beste Waffe gegen Nazis zur Zeit ist das Kapital. Aber das ist interessant für 'ne Analyse, um das Problem zu begreifen.

X: Naja, doch: es ist schon auch interessant für eine Strategie, wie gegen Rassismus vorzugehen wäre.

B: Es interessant für die Motivation von Neonazi-Gewalt.

Y: Ja, aber die Frage ist ja die: Kannst du mit ein und derselben Handlungsstrategie zwei unterschiedlich ausgeprägte rassistische Strömungen bekämpfen, oder muss man das getrennt angehen? Wenn du zynisch sagst, die beste Waffe gegen Nazis ist das Kapital, das würdest du doch wohl in Strategiediskussionen woanders nicht sagen, oder?

C: Naja, so einfach ist das natürlich nicht. Wir sind da in unserem Kampfbegriff nicht so eindimensional. Genauso wie jede linke Politik ziemlich weit gefächert sein muss, muss auch eine Diskussion und Entwicklung von so einer Gegenstrategie weit gefächert sein. Wir müssen das passende Mittel gegen die explosive, brutale Ausdrucksform des Neonaziterrors finden, und wir müssen eine Alternative und Strategie gegen den staatlichen Rassismus finden. Solange es staatliche rassistische Politik gibt, die von der Bevölkerung begierig aufgenommen wird, solange wird es auch den stumpfen Mob geben, der nicht »zivilisiert« Flüchtlinge abschiebt, sondern ganz brutal hingeht und sagt: »Du bist ein Ausländer, ich hau dich jetzt tot.« Solange der sich sicher fühlt, dass seine rassistische Motivation mehr oder wenige kompatibel ist mit dem, was in der Gesellschaft passiert, solange wird das seine Handlung bestimmen.

A: Grundsätzlich halte ich es für wichtig sich die Bandbreite faschistischer Ideologie ins Bewusstsein zu rufen. Es gibt ja durchaus Strukturen oder Organisationen bei den Nazis, die sich auch ganz klar als antikapitalistisch bezeichnen und auch von ihrer Programmatik her so zu sehen sind. Und da sieht man auch, dass die Nazis nicht immer im Sinn der kapitalistischen Ökonomie und des Staats handeln.

C: Wir haben jetzt viel über Erklärungsansätze, Theorien usw. geredet. Ich denke das Entscheidende ist aber auch eine Praxis daraus zu entwickeln. Wenn z.B. da jetzt am Samstag (7.10.) bei diesem Büchertisch in Bramfeld sich Leute offensiv gegen einen Neonazi-Angriff gewehrt haben, dann finde ich das super und total richtig.3 Und ich glaube, so eine Arbeit und theoretische Auseinandersetzungen müssen parallel stattfinden. Das Problem ist halt zur Zeit, das ganz viel praktischer Antifaschismus in der Öffentlichkeit wieder auf seine Ausdrucksform reduziert wird: die linken und rechten Gewalttäter. Und wir müssen natürlich darauf hin arbeiten, dass wir irgendwann auch mal wieder soweit sind, sagen zu können: unsere Motivation militant gegen Neonazis vorzugehen, ist 'ne Motivation die von Teilen der Bevölkerung auch getragen wird, weil sie sehen, dass es da durchaus Unterschiede gibt in der Motivation militant vorzugehen.

Y: Wieviel Zeit bleibt euch denn neben Orga-Kram, Anti-Nazi-Mobilisierungen und Recherche eigentlich noch für diese globaleren politischen Diskussionen über Handlungskonzepte, Rassismusanalyse etc.? Welchen Stellenwert hat das in Eurer praktischen, konkreten Arbeit für euch momentan?

A: Also, man muß sich viel Zeit nehmen.

X: Und tut ihr das?

A: Ich würde sagen, wir tun das. Die inhaltliche Diskussion gelingt uns nicht immer in der Fülle, in der wir das gerne hätten, aber im Großen und Ganzen würde ich sagen, es geht voran.

C: Da gibt es auch eine gewisse Arbeitsteilung. Es gibt Gruppen, die eher diskutieren und sich eher aufgrund einer theoretischen Auseinandersetzung dann auch praktisch weiterentwickeln und es gibt Gruppen, die eher auf einer praktischen Ebene Arbeit machen. Das Entscheidende und Wichtige ist, dass das in einem symbiotischen Verhältnis steht. Ich glaube, dass da vor 'nem Jahr oder vor 'nem halben Jahr viel tiefere Gräben waren zwischen den unterschiedlichen Handlungskonzepten. Und ich hoffe natürlich, dass das auch wieder mehr zusammengeht, dass vielleicht auch mal wieder Zeit da ist, gemeinsam zu diskutieren, aber natürlich auch, gemeinsam auf die Straße zu gehen.

A: Ein sicher positives Beispiel für mehr inhaltliche Arbeit ist das seit der Wandsbek-Demo kontinuierlich bestehende »Bündnis gegen Rassismus und Faschismus«. Das hatte bereits eine zweiwöchige Veranstaltungsreihe gemacht und wird demnächst einen sogenannten »antifaschistischen Ratschlag« veranstalten, bei dem es darum gehen wird einfach mal ohne konkreten Aktionsanlass, ungebunden inhaltlich sich auszutauschen und zu bestimmten Positionen Stellung zu beziehen. Das ist auch ein ganz erheblicher Schritt nach vorne im Vergleich zu früher.

Y & X: Ja, dann danken wir Euch für dieses Gespräch. Bis bald dann mal.


Die Anmerkungen zum Antifa-Interview:

1 Antonio Amadeo war das erste Opfer rechtsextremer Gewalt in Ostdeutschland. Der Angolaner Antonio Amadeo war Ende '90 so schwer von Skinheads durch Tritte und Schläge verletzt worden, dass er zwei Wochen später daran starb.

2 Anlässlich eines naziaufmarsches fand auf dem Gänsemarkt eine Bündnisveranstaltung statt. Dieses Bündnis reichte von autonomen antifaschistischen Gruppen bis zum -DGB.

3 Am 7.10.00 fand in Bramfeld ein antifaschistischer Büchertisch statt, der von Neonazis angegriffen werden, der Angriff konnte zurückgeschlagen werden.



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