Am 25. und 26. März 1995 wurde in der italienischen Stadt Albinea fünf Männern die Ehrenbürgerschaft verliehen, die gegen Ende des 2.Weltkrieges ihrem Gewissen stärker gefolgt sind als der Verpflichtung, die sie als Soldaten gegenüber dem faschistischen Regime in Deutschland eingegangen waren. Einer von ihnen stammte aus Iserlohn und hiess Erwin Schlünder. Er wurde 1921 geboren und wuchs in der Bonstedtstrasse 12 auf. Nach der Schule absolvierte er eine kaufmännische Lehre in der Metallwarenfabrik Ernst Schreiber. Im Oktober 1940 wurde er in den Reichsarbeitsdienst und Ende des Jahres in die Wehrmacht eingezogen. Er war vorwiegend in Italien stationiert und aufgrund seines zivilen Berufes in der Schreibstube eingesetzt. Die überlieferten Karten und Briefe waren wegen der Geheimhaltungsvorschriften sehr allgemein gehalten. Andere Eindrücke, seine geheimen Gedanken und Gefühle vertraute er einem Tagebuch an, dass vermutlich nach seiner Hinrichtung vernichtet wurde. Hinweise auf dessen Inhalt lassen sich aus dem Brief des Hauptmannes R.Dehning vom 08.12.44 an den Vater von Erwin Schlünder: |
Bereits in der letzten Friedensfestzeitung haben wir über den Iserlohner Soldaten Erwin Schlünder berichtet, der am 27. August 1944 in der italienischen Stadt Albinea von einem Kriegsgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet worden war.
1995 wurde Schlünder zusammen mit vier anderen Deserteuren zu Ehrenbürgern von Albinea erklärt. Im gleichen Jahr wurde auch im Iserlohner Rathaus eine Ausstellung gezeigt, die von den Italienern zusammengestellt worden war. Die konkreten Widerstandhandlungen der Gruppe um Erwin Schlünder waren zu diesem Zeitpunkt allerdings nur auf der Grundlage von wenigen Quellen erforscht.
Nun gibt es neue Forschungsergebnisse durch das Institut "Istoreco Istituto per la Storia della Resistenza e della Societa Comtemporanea in Provinzia di Reggio Emilia". Im August und September 1996 wurden weitere Veranstaltungen zum Wirken der deutschen Widerstandskämpfer durchgeführt. Bei diesen Veranstaltungen haben sich einige Partisanen gemeldet, die Kontakte und Treffen mit der deutschen Gruppe hatten. Sie lieferten folgende neue Informationen:
Bei der Truppe von Erwin Schlünder und seinen Freunden hat es sich um die 12. Kompanie des Luftnachrichtenregimentes 200 gehandelt, das im Sommer 1944 in Albinea stationiert war. Für einige Monate gab es Kontakte zwischen italienischen Partisanen und einer Gruppe von sechs deutschen Soldaten. Es wurden Informationen ausgetauscht und auch Waffen weitergegeben. Alle zwei bis drei Wochen gab es kurze, geheime Treffen. Ende August sollte die "Villa Rossi", der Sitz der 12. LN-Regimentes den Partisanen geöffnet werden. Man plante die Offiziere zu verhaften, das Kriegsmaterial zu übergeben und gemeinsam in die Berge zu flüchten. Es gab sogar die vage Idee, eine deutsche Partisanengruppe zu bilden.
Der Plan wurde entdeckt und zwei deutsche Feldwebel sofort getötet. Einer aus der Gruppe der vier einfachen Soldaten sagte in Panik aus und lieferte seine drei Kameraden dem Kriegsgericht aus.
Durch diese neuen Berichte entsteht ein klareres Bild von den deutschen Widerstandskämpfern, die dem Wüten der deutschen Truppen gegen die Zivilbevölkerung zumindestens an dem Punkt, an dem sie stationiert waren, ein Ende bereiten wollten. Das Institut erforscht derzeit die Lebensläufe der Mitglieder der Widerstandsgruppe und beabsichtigt, einen Schüleraustausch mit Klassen aus den deutschen Heimatgemeinden, also auch aus Iserlohn, aufzubauen.
Der Bundestag hat im April dieses Jahres zumindestens bedingt eine Rehabilitierung deutscher Deserteure und Widerstandskämpfer beschlossen. Unzureichend ist aber immer noch die Entschädigungsregulung von 7500 Mark und der in den Beschluß eingebaute Vorbehalt, daß damit nicht Handlungen rehabilitiert werden, die auch nach heutigem Recht strafbar wären. Damit wird die Ausnahmesituation, in der alle Menschen standen, die sich gegen das Gewaltsystem des 3.Reiches wehrten, nicht ausreichend berücksichtigt.
Zur Erinnerung an Erwin Schlünder und alle anderen Deserteure und Widerstandskämpfer werden wir am Vorabend des Friedensfestes, am Donnerstag, 26. Juni 1997, um 18 Uhr am Mahnmal für die Opfer des Faschismus gegenüber dem Hauptbahnhof eine kurze Gedenkveranstaltung abhalten.
Päule