Im März 1998 auf dem AKW Chmelnizki im westukrainischen Neteschin kam es zu einem für die heutige Ukraine einmaligen Streik. Weder die offiziellen noch die quasi-"oppositionellen" Medien haben die Ereignisse mit auch nur einem Wort erwähnt, und deshalb ist es wichtig, kurz darüber zu informieren.
Wie immer wurden die Unruhen in Neteschin durch massive Lohnrückstände ausgelöst. An die Betriebsleitung und die offiziellen Gewerkschaften vorbei wurde ein Streikkomitee gebildet, das während des ganzen Streiks illegal funktioniert. In der Nacht vor dem Streik blockierten ein Hundert der entschlossensten AKW-Angestellten in einer gut vorbereiteten Aktion die Wohnungen der führenden Geheimdienstleute und oberen Polizeibeamten der Stadt sowie der Betriebsleitung und Mitglieder des AKW-Notfallsstabs - insgesamt ca. 40 Wohnungen. Eine Gruppe der Streikenden besetzte die Telefonzentrale und sorgte dafür, dass die Anschlüsse der "Festgesetzten" stillgelegt wurden. Auf der Straße, die in die Stadt führt, wurden beladene LKW abgestellt und Beobachtungsposten eingerichtet.
Am nächsten Morgen ging beim Ministerium für Atomkraft ein Telegramm ein:
"Die Macht in Netschin liegt jetzt in den Händen der AKW-Belegschaft. Wir fordern die Auszahlung der Löhne, sonst geht das Werk sofort vom Netz und zwar so, dass es nie wieder hochgefahren werden kann."
Die Behörden hätten die Möglichkeit gehabt, eine Einheit der OMON-Spezialtruppe nach Neteschin zu entsenden, um die Festgesetzten mit Gewalt zu befreien und den Streik zu unterdrücken. Aber statt dessen entschieden sie sich, damit die Nachricht sich möglichst nicht verbreitet, die Forderungen schnell und unauffällig zu erfüllen. Bereits am Abend des nächsten Tages trafen in Neteschin LKW mit Bargeld ein. Die Lohnrückstände und Kommunalgebühren der AKW-Angestellten wurden in vollem Umfang gezahlt.
Es muss betont werden, dass die Ereignisse am AKW Chmelnizki sich ohne die Einmischung irgendwelcher politischen Parteien abspielten und entgegen allen Gesetzen liefen - hier waren Selbstorganisation und direkte Aktion am Werk. Das zeigt, dass der Syndikalismus nicht die Erfindung irgendwelcher Schreibtischtheoretiker ist, sondern eine lebendige Praxis der entstehenden Arbeiterbewegung. Den Begriff "Syndikalismus" kennt diese Bewegung noch gar nicht, aber wichtig ist nicht das Etikett, sondern die konkreten Erfahrungen.
Die Erfahrung zeigt: echte, wenn auch zahlenmäßig kleine *Arbeiterinitiativen* ignorieren den Weg der parlamentarischen Betätigung, gründen keine "Arbeiterparteien", die um die Beteiligung an der Macht kämpfen würden, sondern *verlassen sich auf ihre eigenen Kräfte* und die Mittel des direkten Klassenkampfes.
Der *zweite Schluss*: auch die erfolgreichsten und radikalsten Arbeitskämpfe sind vollkommen unzureichend, solange sie episodisch bleiben.
Im Jahr 2000 wurden einige Dutzend AKW-Mitarbeiter der "Unzuverlässigkeit" verdächtigt und entlassen. Das heißt, man hätte den Kampf kontinuierlich führen müssen. Man braucht eben Solidarität, gegenseitige Unterstützung und koordinierte Aktion. Früher oder später wird dies vielen klar werden - dann werden die elementaren Keime des Syndikalismus aufgehen und eine überzeugte, tatkräftige syndikalistische Massenorganisation entstehen lassen.
VW-Werk in Emden, Ostfriesland, mit 10 000 Beschaeftigten der groesste Unternehmer der Gegend. Hier wird der VW-Passat gebaut.
Zum 3. Mai 1999 sollten die befristeten Arbeitsvertraege von 550 Zeitarbeitern auslaufen und die Leute nach Hause geschickt werden. Damit waren die Betroffenen selbst und die Festangestellten nicht einverstanden. Sie forderten gemeinsam deren Uebernahme in ein festes Arbeitsverhaeltnis.
Am 28. April waere der letzte Arbeitstag der Zeitarbeiter gewesen. An diesem Donnerstag marschierte die Fruehschicht zum Verwaltungsgebaeude und forderten die Festeinstellung. Die Geschaeftsleitung weigerte sich. Der Betriebsrat genehmigte ab sofort keine Ueberstunden mehr. Die Kollegen gingen erstmal zurueck an die Baender. Die Spaetschicht arbeitete eine halbe Stunde, ging auch zum Verwaltungsgebaeude und trug erneut ihre Forderung vor. Die Geschaeftsleitung weigerte sich immer noch. Das war zuviel.
Die Spaetschicht schaltete alle Baender ab und das gesamte Werk streikte den Rest-Donnerstag und Freitag. Mit sofortigem Erfolg: die Zeitarbeiter koennen erst einmal fuer ein weiteres halbes Jahr bleiben. In der gesamten VW-AG wurden die befristeten Arbeitsvertraege auf 24 Monate verlaengert.
4000 Autos wurden nicht gebaut im Emdener Werk. Jeder kann sich ausrechnen, was das fuer ein Verlust fuer VW bedeutet.
Die IG Metall, wohl in Worten auf Seiten der Kollegen, zahlte fuer die zwei Tage keine Streikgelder. Begruendung: dies sei kein Streik der Gewerkschaft gewesen, sie haetten Friedenspflicht. Darueber waren die Kollegen maechtig sauer, zumal der Betrieb zu ueber 90% organisiert ist.
Hier ging es nicht um Lohnerhoehung. Es war ganz einfach entschlossen durchgesetzte Solidaritaet, die auch den Festangestellten zu Gute kommt, nach dem Motto:"Heute ihr, morgen wir". Dabei ging die Aktion von der Belegschaft selbst aus. Sie hat nicht auf die Gewerkschaftsfuehrung gewartet. Sie hat sich auch nicht einlullen lassen von der Geschaeftsleitung, die meinte, die Prognosen fuer die Zukunft seien schlecht. Kurz mal 1 1/2 Tage gestreikt, und schon ist die Forderung erstmal erfuellt. Ein Beispiel, dass hoffentlich Schule macht.
kolinko - Januar 2001
Im November machten die französischen Transportarbeiter, die «Routiers» wieder durch Streiks und Straßenblockaden von sich reden. In den deutschen Massenmedien wurden sie bisweilen gerne als ”Geiselnehmer" bezeichnet, Bilder aufgebrachter deutscher Fahrer, die mit ihrer Fracht in einer der Blockaden steckten, machten die Runde. Ähnlich wie beim Streik der spanischen Trucker im letzten Jahr erwiesen sich die «Just-in-time»-Zulieferketten der hiesigen Automobilindustrie wieder als deren Achillesferse. Kaum drei Tage nach Beginn des Streiks drohten Opel Bochum die ersten Teile auszugehen. Die von der Geschäftsführung vorsorglich beantragte Kurzarbeit wurde vom Betriebsrat mit dem Hinweis darauf, es handele sich um ein ”hausgemachtes Problem" abgelehnt. Und auch auf europäischem Niveau scheinen die Nerven in anbetracht der mittlerweile fast zyklisch wiederkehrenden Fahrerstreiks blank zu liegen. Als die Verhandlungen nicht vorwärts kommen wollten, schaltete sich die EU-Bürokratie ein und drohte der französischen Regierung mit Repressalien.
Die Zustände im französischen Transport-Sektor lassen sich wahrscheinlich am besten als Form der Halbsklaverei charakterisieren. Anlaß für den jüngsten Streikzyklus war die Forderung der Fahrer, daß endlich alle abgeleisteten Stunden auch bezahl werden sollen. Das ist vor allem auf dem Hintergrund bedeutsam, daß alle Arbeitszeitbeschränkungen für Fernfahrer in Frankreich abgeschafft wurden. Kaum einer der 221.000 lohnabhängigen Routiers reißt weniger als 200 Stunden im Monat ab, die meisten mehr.
Es sind in diesem Sektor in erster Linie die großen Supermarktketten wie Auchan und Continent, sowie Transportkonzerne wie Calberson und Giraud, die die größten Auftraggeber sind und die damit die Transportpreise nach unten drücken. Zwischen den auftragnehmenden Spediteuren herrscht eine erbarmungslose Konkurrenz. Calberson beispielsweise funktioniert ausnahmslos auf Basis von Subunternehmen. Verschärft wird die Situation der Fahrer zusätzlich durch sich immer mehr ausbreitende Just-in-Time-Ketten (Null-Lager, Null-Wartezeit, Maximaler Profit).
Ein kleines Beispiel macht den Druck deutlich, dem die Routiers bei ausgesetzt sind: Ein Fahrer aus Lyon mußte, um seine Stunden abgerechnet zu bekommen, seinen Boss vor Gericht verklagen, die Fahrtenscheiben herauszurücken, die die einzige anerkannte Methode sind, die tatsächliche Arbeitszeit festzustellen. Willkommen in den modernen Zeiten! Mittlerweile steht selbst der Rahmentarufvertrag für das Transportgewerbe aus dem Jahre 1950 zur Disposition.
Kaum ein Jahr ist seit dem letzten Streik der Routiers vergangen. Damals war u.a. von den Gewerkschaften ausgehandelt worden, daß der Vorruhestand auf 55 Jahre vorgezogen wird. Die Regelung war allerdings nicht einmal das Papier wert, auf dem sie stand. Von 2.600 Anträgen auf Vorruhestand wurden seither lediglich 517 genehmigt. Und das bei immerhin 221.000 lohnabhängigen Fahrern. Was die Trucker allerdings noch viel mehr auf die Palme brachte war, daß die einmalige Prämie von 1.000 DM, die am Jahresende 1996 fällig gewesen wäre, praktisch in keinem Unternehmen ausgezahlt wurde. Lediglich 4.000 Fahrer bekamen sie. Und das teilweise auch noch anstelle von sonst üblichen Zulagen, wie etwa einem 13. Monatsgehalt. So verwundert es kaum, daß ein Anlaß des aktuellen Streiks die Erfüllung eben dieser Forderung aus dem letzten war.
Der Streik lag seit Juni 1997 in der Luft. Er war also von den Routiers gut vorbereitet. Allerdings auch von den Patrons, die reichlich Zeit hatten sich auf ihn einzustellen. Nach der Abzieherei mit der Prämie im letzten Jahr forderten die Fahrer jetzt im wesentlichen deren Auszahlung, sowie Lohnerhöhungen ”10.000 F für 200 Stunden im Monat" (Macht rund DM 13,30 pro Stunde).
Im Unterschied zum letzten Jahr, wo es ständig wechselnde Straßenblockaden gab, gab es dieses Mal mehr Sperren (rund 150 in den ersten Tagen), allerdings mit weniger mobilisierten Fahrern und Lastzügen. Das hatte einen einfachen Grund: Die Bosse waren vorgewarnt und haben deshalb in viel größerem Umfang die Laster in den Depots eingeschlossen und Fahrer in Zwangsurlaub geschickt. Um diese Taktik der Bosse zu umgehen, haben sich die Streikenden nicht nur darauf beschränkt, die Hauptverkehrswege dicht zu machen, sondern haben Blockaden an wichtigen strategischen Punkten errichtet, wie z.B. Raffinierien und Ölverladehäfen. In Lyon ging z. B. in der Großraffinerie von Feyzin, wo normalerweise 250 Tanklaster täglich abgefertigt werden, überhaupt nichts mehr. Auch der Ölhafen von Givors, südlich von Lyon war praktisch dicht.
Die meisten Fahrer hatten sich auf eine lange Auseinandersetzung eingerichtet, nachdem der Streik im letzten Jahr 12 Tage gedauert hatte. Es kam allerdings anders. Die regierungsnahe Gewerkschaft CFDT, in der die meisten Fahrer organisiert sind, hatte bereits im Vorfeld alles getan um den Streik zu verhindern. Als er dennoch ins Rollen kam, beeilten sich die Gewerkschaftsbosse möglichst schnell alles wieder ins Lot zu bringen. Sie unterzeichneten ein Übereinkommen mit den Bossen, mußten das aber mangels Akzeptanz bei den Streikenden wieder zurückziehen. Im zweiten Anlauf schließlich setzte sich die Gewerkschaft gegenüber den Fahrern durch. Der Abschluß fiel mehr als mager aus: von der Prämie war auf einmal nicht mehr die Rede, die geforderten 10.000 F pro Monat soll es zwar geben, aber erst im Jahre 2000. Der Abschluß wurde von der CFDT gegenüber den Streikenden durchgepeitscht, sie sollten über ein 25-seitiges engbedrucktes Papier binnen kurzer Zeit abstimmen. Als auch die beiden anderen Gewerkschaften FO und CGT einknickten, ohne Rückendeckung und unter dem Druck der Regierung, die an-drohte, die Blockaden räumen zu lassen, akzeptierten die Fahrer schließlich den Abschluß, obwohl die Routieres wieder einmal alle Trümpfe in der Hand hatten.
Angesichts aller nicht eingehaltenen Zusicherungen aus dem letzten Jahr dürfte es allerdings nur eine Frage der Zeit sein, bis die französischen Straßen wieder dicht sind.
Im August 1997 fand beim weltgrößten Paketdienst United Parcel Service (UPS) ein 16-tägiger Streik statt, an dem sich 185.000 Arbeiter in allen Teilen der USA beteiligten und der damit der erste landesweite Streik seit 14 Jahren und vorallem der größte seit einem Vierteljahrhundert war. Erstmals seit langer Zeit hat die Gewerkschaft die Verhandlungen nicht mit Zugeständnissen an die Interessen des Firmenprofits eröffnet.
Es besteht keine Frage, daß dieser Streik die Aufmerksamkeit der gesamten Arbeiterklasse auf sich gezogen hat. Selbst die bürgerlichen Meinungsumfragen zeigten eine überwältigende Sympathie bei den Massen für diesen Streik der Transportarbeiter-Gewerkschaft, der ?Teamsters“(IBT). Durch die von der Gewerkschaftsbürokratie in den vergangenen Jahren organisierten Niederlagen, wurde unter den Arbeitern eine Athmosphäre der Spaltung und des Pessimismus erzeugt. Dieser Streik war da eine entscheidende Entwicklung.
Carey, der Gewerkschaftsführer der IBT, war durch die harte Haltung von UPS zu diesem Streik gezwungen worden, um nicht der weiteren Erosion seiner Gewerkschaft und damit der Basis ihrer bürokratischen Führung tatenlos zuzusehen. Gleichzeitig wollte er aber auch nicht, daß der Streik lange dauerte. Immerhin gab es die Möglichkeit, daß der Gewerkschaftsbürokratie die Dinge in den Großstädten aus den Händen gleiten könnte. UPS ist bei den schwarzen und latino Communities als das traurige Schicksal vieler junger Arbeiter bekannt und als ein harter bösartiger Arbeitgeber, bei dem rassistische Praktiken verbreitet sind. Zudem hatten sich auch Mitglieder anderer Gewerkschaften offen mit den UPS-Arbeitern solidarisiert und sind mit ihnen z.B. Streikposten gestanden.
Carey antwortete gegenüber der Drohung Streikbrecher einzusetzen, mit der Drohung von Massenversammlungen. Er hat es dann allerdings nicht nur vermieden, die Mitglieder über ein Großteil dessen, was vor sich ging, zu informieren, noch weniger hat er UPS-Arbeiter oder andere Mitglieder der Teamsters und der AFL-CIO zu Massenversammlungen aufgerufen. Die Gewerkschaftsfuntionäre haben die Streikposten so klein wie möglich gehalten und es UPS sogar erlaubt, eine kleinere Zahl von Lastwagen durch Streikbrecher aus dem Management fahren zu lassen. Dagegen haben sich verschiedenen Ortes allerdings die Streikenden gewehrt. Es kam zu Zusammenstößen mit der Polizei und Streikbrechern. UPS mußte angesichts alle dieser Faktoren und vorallem auch angesichts dessen, daß sie Gefahr liefen, größere Teile ihres Geschäfts an die kaum gewerkschaftlich organisierte ?Federal Express“ (Fed Ex) zu verlieren, weitgehend nachgeben.
Nicht nur die Arbeiter von UPS haben das Streikergebnis alle als ihren Sieg gesehen. Der Vertrag war allerdings zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz bekannt. Bislang gibt es offensichtlich bei den Streikenden keine offene Opposition gegen das Verhandlungsergebniss, obwohl die Pferdefüße allmälich zum Vorschein gekommen sind.
Zusammenfassend ist das Ergebnis in dieser Frage so: Die Gewerkschaft hat zwar die meisten ihrer Forderungen durchgesetzt, aber schon diese Forderungen waren angesichts der extrem harten Arbeitsbedingungen bei UPS völlig unzureichend.
Die Arbeiterklasse insgesamt sieht wie gesagt den UPS-Streik als einen moralischen Erfolg für die Klasse. Aber der Sieg ist sehr begrenzt, und es könnte sein, daß mit der Zeit, wenn im Ergebnis vorallem Entlassungen und stärkere Spaltung zwischen Teilzeit- und Vollzeitarbeitern zu Buche schlagen, eine Demoralisierung einsetzt.
Bisher kann man allerdings sagen, daß der Streik vorallem die Möglichkeiten für einen wirklichen Fortschritt im Klassenkampf eröffnet hat. Er hat deutlich gemacht, daß es auch in Zeiten der Flexibilisierung und Deregulierung grundsätzlich möglich ist, zu streiken. Soweit der Erfolg begrenzt war, lag das ausschließlich daran, daß die Gewerkschaftsbürokratie die Interessen des Kapitals grundsätzlich nicht in Frage stellt und im Interesse ihrer eigenen Machtposition auch nicht stellen kann.
Der Streik und vorallem die Frage des Pensionsfonds hat jedoch wie gesagt noch einen anderen Aspekt, einen unerwarteten, denn er könnte leicht Ausgangspunkt eines Rechtsrucks der gegenwärtigen Führung um Ron Carey werden. Carey, seit einem Vierteljahrhundert führender Gewerkschaftsboss in New York, hatte sich seinerzeit gegen die von Jimmy Hoffa Jr. geführte alte Garde durchsetzen können. Allerdings hatte es für diese Wahlsiege 1991 und 1996 der direkten Einmischung des Staates in die Angelegenheiten der Teamster-Gewerkschaft bedurft. Er war nur von 15 Prozent der IBT-Mitglieder gewählt worden.
Die Regierung der Demokratischen Partei hatte die offene Korruption der alten Führung genutzt, die überdies die Republikaner unterstützte, um angesichts der in nicht ferner Zukunft zu erwartenden erneut ausbrechenden Klassenkämpfe eine neue Gewerkschaftsführung zu installieren, die die Basis besser kontrollieren könnte. UPS hatte gehofft, die von Hoffa und seinen Leuten kontrollierten Ortsverbände gegen den Streik einsetzen zu können. Als sich beim Streik die Voraussage der Hoffa-Funktionäre, daß Carey in der Frage des Pensionsfonds nachgeben werde, nicht erfüllte, hat das dazu geführt, daß ein wachsender Teil der bisherigen Hoffa-Leute nunmehr zu Carey überlaufen. In der Vergangenheit hatte sich Carey auf die reformistische Bewegung der ?Teamsters for a Democratic Union“ stützen müssen. Das bedeutete, daß er gegenüber der TDU Zugeständnisse machen mußte. Jetzt kann er sich verstärkt auf ehemalige Hoffa-Bürokraten stützen. Diese Aussichten allerdings haben die Linken, die die TDU führen, nicht davon abhalten können, ihm jetzt schon ihre Unterstützung zu versichern, was ihm natürlich seine Hinwendung zur Rechten erleichtern wird.
Allerdings ist es möglich, daß Carey demnächst ohnehin sein Amt verliert. Die Regierung könnte nach seinem Sieg die Entscheidung treffen, ihm unter dem Vorwand der Verwicklung in finanzielle Unregelmäßigkeiten von einer erneuten Kandidatur zu den von ihr auf Januar 1998 angesetzten Neuwahlen auszuschließen. Dem haben er und die TDU nichts entgegenzusetzen, nachdem sie ja seienerzeit das Tor für die Einmischung des bürgerlichen Staates in die Angelegenheiten der Gewerkschaft weit geöffnet hatten.
[A. Holberg]
Als am 4. August in den USA 185.000 ArbeiterInnen beim United Parcel Service (UPS), dem weltweit größten Transportunternehmen in den Streik für einen neuen Tarifvertrag traten, wurde das als "der bedeutendste Arbeitskampf in den USA in den letzten 25 Jahren“ gewertet. Das Ergebnis des Streiks, ein Vorschlag, der derzeit gehütet wird wie ein Staatsgeheimnis, wurde vom Vorsitzenden der Transportarbeitergewerkschaft, Ron Carey, als "historischer Wendepunkt für die arbeitende Bevölkerung in diesem Land“ bejubelt. Eine Haltung, die sich diverse linke Zeitschriften in unseren Breitengraden zu eigen machten, um mit in den Chor des Jubels einzufallen. Über solche Merkwürdigkeiten, wie die, daß den 400 Gewerkschaftsdelegierten, die über die vorläufige Annahme des Entwurfs abstimmen sollten, dieser überhaupt nicht zur Diskussion vorlag, sah man dabei gnädig hinweg. In den letzten Wochen sickerte dennoch nach und nach die eine oder andere Information durch, die uns dazu bewegt, den nachfolgenden Artikel aus dem Industrial Worker abzudrucken, der ein durchaus anderes Bild des Vertragsabschlusses zeichnet. Danach muß eher die Frage gestellt werden, ob der Streik bei UPS wirklich auch nur ansatzweise mehr war, als das übliche Gemauschel zwischen Gewerkschaftsbürokratie und Bossen auf dem Rücken der ArbeiterInnen.
Während die meisten Zeitungen darüber berichten, daß die FahrerInnen beim United Parcel Service mit ihrem 15-tägigen Streik einen glänzenden Sieg errungen hätten, scheint sich der vorgeschlagene Entwurf bei genauerer Betrachtung eher als Unentschieden darzustellen.
Die Teamster haben was die Renten angeht tatsächlich gewonnen, indem sie den Versuch von UPS zurückgeschlagen haben, aus dem über die Gewerkschaft abgesicherten Rentenmodell auszusteigen und sie die Firma gezwungen ihre Rentenzahlungen zu erhöhen. Vielleicht war ja die Sache mit den Betriebsrenten der eigentliche Kern der Auseinandersetzung, obwohl die Gewerkschaft nach außen immer die Problematik der Teilzeitjobs in den Vordergrund gestellt hatte. Die Zukunftspläne vieler Teamster wären ohne die Zahlungen zusammengebrochen, angesichts des dramatischen Rückgangs gewerkschaftlich organisierter Trucker in den letzten 20 Jahren. Und eine bedeutende Zahl von TeilzeitarbeiterInnen bei UPS (dennoch eine Minderheit) hat diese Jobs eben deswegen angenommen, um ihre Rentenansprüche zu wahren, nachdem sie bei anderen Firmen rausgeflogen sind. Dennoch aber sind die meisten ArbeiterInnen bei UPS von diesem Rentenplan überhaupt nicht betroffen. Das liegt besonders an der enormen Fluktuation unter den Teilzeitbeschäftigten, die bei UPS nahezu zwei Drittel aller ArbeiterInnen ausmachen.
Der zweite erwähnenswerte Gewinn durch den vorgeschlagenen Fünfjahresvertrag über den die Teamster zum Zeitpunkt unserer Drucklegung abstimmen werden ist eine Bestimmung, die UPS verpflichtet, Zahlungskürzungen kurzfristig zu korrigieren. Viele ArbeiterInnen sagen, daß UPS ihre Zahlungen regelmäßig zusammenstreicht, indem die Firma ihre Arbeitsstunden unterbewertet.
Was allerdings die Teilzeitjobs angeht, scheint der Vertragsentwurf bestenfalls auf ein Unentschieden hinauszulaufen. Obwohl der aktuelle Vertragstext immer noch nicht vorliegt, scheint es so, als habe UPS zugestimmt, kurzfristig 10.000 Teilzeitstellen in feste umzuwandeln und weitere 10.000 neue Vollzeitstellen zu durch Ausweitung und Zusammenlegung einzurichten.
Der erste Punkt kostet UPS überhaupt nichts, weil diese Jobs sich durch die normale Fluktuation ergeben werden. Die 10.000 neue Stellen sind weitgehend bedeutungslos. UPS hat während der vier Jahre Laufzeit des letzten Tarifvertrags 8.000 Vollzeitstellen (und 38.000 Teilzeitjobs) eingerichtet. Die Firma hat sich also zu nicht mehr bereit erklärt, als während der fünf Jahre Laufzeit der vorgeschlagegen Vereinbarung genau so weiterzumachen. Sogar dieses Versprechen könnte sich allerdings als Illusion herausstellen. So betont eine Zusammenfassung des Vertrages, die von UPS veröffentlicht wurde, daß "ein Zuwachs bei den Vollzeitstellen abhängig ist, von einem kontinuierlichen Wachstum des Transportvolumens“ (Eine solche Hintertür wird übrigens in der Presseerklärung der Gewerkschaft nicht erwähnt).
Während eine Handvoll Teilzeitbeschäftigte die Möglichkeit haben werden, in Vollzeitstellen zu rutschen, ändert der Vertragsentwurf allerdings überhaupt nichts an der von UPS geübten Praxis "Teilzeit“ nicht etwa über die Anzahl der Arbeitsstunden zu definieren, sondern darüber, was die Firma bereit ist zu zahlen. Tausende von UPS-"Teilzeit“-ArbeiterInnen machen 30, 40, 50 oder sogar 60 Stunden in der Woche, werden aber zu dem Ramschtarif für Teilzeitbeschäftigte bezahlt, den die Teamster-Gewerkschaft 1982 mit UPS ausgehandelt hat und der seither nie mehr erhöht wurde.
Der Vertragsentwurf sieht eine Erhöhung des Einstiegsgehalts für neue TeilzeitarbeiterInnen um 50 Cent pro Stunde vor und eine Erhöhung von 40 Cent pro Stunde für diejenigen schon Beschäftigten, die über die volle Vertragslaufzeit von fünf Jahren für UPS arbeiten. Die Fluktuation ist allerdings dermaßen hoch, daß die wenigsten ArbeiterInnen, tatsächlich etwas von dieser Erhöhung sehen werden. Die Vollzeitbeschäftigten werden sich mit Lohnerhöhungen im Rahmen der Inflationsrate bescheiden müssen.
Während der Entwurf Subkontraktierung außerhalb der Spitzenzeiten einschränkt, stimmten die Teamster gleichzeitig einer erhöhten "Arbeitsflexibilisierung“ zu. Die neuen VollzeitarbeiterInnen müssen mehr Pakete abfertigen und können von ihren Vorgesetzten zu Hilfsarbeiten verpflichtet werden, wenn diese der Meinung sind, daß sie nicht genug zu tun haben. Die Firma hat auch die Verfügunsgewalt darüber, wo die neuen Vollzeitstellen eingerichtet werden und zwingt damit die ArbeiterInnen in eine gegenseitige Konkurrenz darum, wer am schnellsten arbeitet und wer am fügsamsten ist.
Viele der Arbeiter, die "Vollzeiter“ werden sollen, werden als "Air driver“ bezeichnet. Sie arbeiten nachts in der Abfertigung von Paketen, die mit dem Flugzeug ankommen und vormittags bei den Kunden angeliefert werden müssen. Oft ist es so, daß diese Teilzeitarbeiter sich auf die Fahrerbank setzen, nachdem sie zuvormehrere Stunden Sortierung und Verladung hinter sich gebracht haben und auf diese Weise ihre Schichten um mehrere Stunden verlängern. Mit dem neuen Kontrakt würden ihre Löhne als neu bestellte Vollzeitarbeiter auf $ 17.50 pro Stunde über die nächsten fünf Jahre steigen und das von den lumpigen $ 11, die sie als Teilzeitbeschäftigte jetzt bekommen. Es ist allerdings immer noch weniger als die $ 20, die die traditionellen UPS-Auslieferungsfahrer bekommen, die ausschließlich Bodenfracht fahren. Der neue Entwurf sieht jetzt allerdings vor, daß auch "Air driver“ Bodenfracht fahren sollen (natürlich zu $ 17.50 pro Stunde).
Das Lohngefälle zwischen den Vollzeitarbeitern und den allerdings wenigen langjährigen Teilzeitarbeitern würde sich mit dem neuen Kontrakt reduzieren, teilweise dadurch, daß die Löhne für die Vollzeitstellen gekürzt werden. Für UPS wird das ein starker Anreiz sein, die sowieso schon enorme Fluktuation weiter zu erhöhen, da die Einstiegslöhne der Teilzeitarbeiter bei unter dem neuen Kontrakt bei $ 8.50 anfangen (rund ein Drittel dessen, was ein erfahrener Vollzeitarbeiter verdient).
Die Vereinbarung enthält keinerlei Schutz gegen Repressalien, wie jede Menge Teamster feststellen mußten, als sie nach dem Streik an den Arbeitsplatz zurückkehrten und feststellen mußten, daß man sie gefeuert oder wegen gewerkschaftlicher Aktivitäten diszipliniert hatte. Wegen des Fehlens einer solchen Schutzvereinbarung muß jetzt in jedem Einzelfall Beschwerde eingelegt werden.
Der Vertragsentwurf geht weiterhin mit keinem Wort auf Gesundheits- oder Sicherheitsbelange ein abgesehen von dem derzeitigen Limit von 70 Kilo für Pakete und dem Recht der Arbeiter, für Pakete mit mehr als 30 Kilo Gewicht eine Unterstützung anzufordern. Und das trotz der erschreckenden Verletzungsrate bei UPS. Im letzten Jahr kamen auf 100 Arbeiter 33.8 Fälle von Verletzungen eine Rate, die zweieinhalb mal über dem Durchschnitt im US-Transportgewerbe liegt. Unter dem Druck von Managern, die die Teilzeitpacker ständig dazu drängen, schneller zu arbeiten, sind solche Verletzungen unvermeidlich. Wenn es zu Verletzungen bei diesen Teilzeitarbeitern kommt, werden sie einfach beiseite geschoben und durch neue, billigere Arbeiter ersetzt.
[Dieser Beitrag erschien erstmals im "Industrial Worker", der Monatszeitung der IWW. Die Einleitung stammt von der Redaktion Internationales]
In Süd Korea wird Freiheit klein geschrieben. Nicht nur die Studenten kämpfen immer wieder gegen staatliche Willkür, auch die Lohnabhängigen schliessen sich zu freien Gewerkschaften zusammen, um ihre Interessen zu vertreten. Unternehmensleitungen und der Staat antworten mit gelben Gewerkschaften und Terror.
Im Hyundai-Konzern in Ulsan war es im Frühjahr zu Aktionen von Arbeitern gegen das hohe Arbeitstempo und die enorme Arbeitsdichte in der Produktion gekommen. Aktive Arbeiter wurden daraufhin entlassen und an der weiteren Teilnahme an Protestversammlungen auf dem Betriebsgelände gehindert. Aus Protest verbrannte sich der Gewerkschafter Yang Bong-Soo selbst. Der daraufhin einberufene 24stündige Streik wurde brutal von Polizeikräften zusammengeknüppelt. In Folge wurden zahlreiche Arbeiter verhaftet, einige Gewerkschafter mußten untertauchen und werden seitdem steckbrieflich gesucht. Bereits anläßlich früherer Proteste hatte der Konzern die Staatsmacht zur gewaltsamen Beendigung der friedlichen Aktionen der Arbeiter zur Hilfe gerufen.
Immer wieder wird die internationale Solidarität beschworen. Die asiatischen freien Gewerkschaften wissen, daß ein Gewerkschaftskampf heutzutage erfolgversprechender ist, wenn er international geführt wird. Wir wissen, daß Arbeitsbedingungen, sind sie in einem Land erstmal erprobt, schnell ihren Weg in alle Kontinente finden. Deshalb entschloß sich die FAU auf ihrem letzten Kongreß dazu, den Kampf der Süd-Koreanischen Kollegen und Kolleginnen zu unterstützen.
Gegen die Machenschaften des südkoreanischen Hyundai-Konzerns demonstrierte am Sonntag, den 24.09.95 eine Gruppe von GewerkschafterInnen der anarchosydikalistischen Freien Arbeiter und ArbeiterInnen Union auf der Internationalen Automobil Ausstellung.
Die Gruppe entrollte am Hyundaistand ein Transparent und verteilte Flugblätter, in denen sie auf die Praktiken des größten koreanischen Automobilkonzerns gegenüber Gewerkschaften und ArbeiterInnen hinwies.
Mit der 20minütigen Protestaktion auf der IAA, die auf reges Interesse stieß, informierten die deutschen GewerkschafterInnen die potentiellen Hyundai-KäuferInnen über die Praktiken des größten Autokonzernes des boomenden Exportlandes Südkorea. Es gehe nicht allein darum, die Arbeiter dort in ihrem berechtigten Anliegen zu unterstützen - vielmehr sind die ArbeiterInnen auch hier mit einer rapiden Verschlechterung ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen konfrontiert, einer Entwicklung, der man nur international wirkungsvoll entgegentreten kann.
Die Protestierenden bekundeten ihre Solidarität mit den ArbeiterInnen in Südkorea und bekräftigten ihre Unterstützung für deren Forderungen:
freie Gewerkschaftsarbeit in SüdkoreaDiese Solidaritätskundgebung war erst der Anfang, als nächstes werden die potentiellen Kunden direkt bei den Hyundai-Autohäusern informiert. Hier geht es um einen international operierenden Konzern, also wird auch unsere Antwort international sein. Die Gewerkschaften und Initiativen, die in Europa und weltweit noch nicht dem Solidarpakt mit den Unternehmern erlegen sind, sind informiert und werden sich an der Kampagne beteidigen.
Über vier Millionen Arbeitslose registriert die großdeutsche Statistik. Das wären Weimarer Verhältnisse. Nur, diese Zahl kann man getrost verdoppeln, wenn es darum geht, wie viele Menschen hierzulande tatsächlich arbeiten können und wollen, aber keine Möglichkeiten dazu finden. Die offizielle Statistik wurde ursprünglich als Maßstab für die "Inanspruchnahme der Arbeitsämter" entwickelt, und entsprechend gilt jeder, der die vielfältigen Antrags-, Frist-, Melde-, und sonstigen Vorschriften nicht genau erfüllt, als "nicht arbeitslos gemeldet". Er wird schlicht nicht wahrgenommen! Diese Tatsache verschweigen die politisch Verantwortlichen ganz bewußt und systematisch. Aber Menschen, die vor bürokratischen Hürden kapitulieren, sind deswegen noch lange nicht in der Lage, ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
In anderen westlichen Industriestaaten gelten übrigens durchaus abweichende Erhebungsverfahren zur Feststellung des Arbeitslosenanteils. Die haben aber andere Tücken. In den USA gilt z.B. jeder als beschäftigt, der auch nur einige Stunden wöchentlich eine bezahlte Arbeit ausführt. Ob er davon leben kann, interessiert nicht. Dies ist zu berücksichtigen, wenn die dortige offizielle Arbeitslosenquote mit 5,5% nur rund halb so hoch liegt, wie in den maßgeblichen EU-Ländern gewohnt.
Aber von seiten der Unternehmer und ihrer Lakaien in Politik und Publizistik wird dieses "Amerika" ja mal wieder als Vorbild angepriesen. 8,4 Millionen neue Arbeitsplätze seien seit dem Amtsantritt Bill Clintons geschaffen worden, der ja mit dem Slogan "Jobs, Jobs, Jobs" in den Wahlkampf um das US-Präsidentenamt gezogen war. Wie wurde nun dieses "Wunder" erreicht" Schließlich wüten in US-Großbetrieben Rationalisierungspeitsche und Entlassungswellen nicht weniger als hier in Europa. Haben etwa "Flexibilisierung" und "Lohnzurückhaltung" "Beschäftigungsanreize" geschaffen"
Also, "flexibel" war die US-Arbeitswelt mit ihrer "hire and fire"-Unkultur eigentlich schon immer. Der dortige Kündigungsschutz ließ sich kaum noch verschlechtern. Eher schon gelang es der "sozialen Politik" der US-Administration, die "Wohlfahrtsleistungen" (vergleichbar der hiesigen Sozialhilfe, also Lebensmittelrationen, notdürftige Krankenversorgung usw.), gnadenlos zusammenzustreichen und so die Menschen zu zwingen, jede noch so erbärmliche Arbeitsmöglichkeit wahrzunehmen. Dies macht wegen der eigenartigen Zählweise, die die erzielte Höhe des Lohnes nicht berücksichtigt, schon einen großen Teil der Beschäftigungszunahme aus. Selbst "reguläre" bezahlte Tätigkeiten erbringen oft nicht mehr als (umgerechnet) 6,30 DM pro Stunde, häufig genug bei "Teilzeitarbeit". Wie dann etwa eine alleinverdienende Mutter mit zwei Kindern von 200 bis 300 DM pro Woche leben soll, ist ihr Problem. Sie hat jedenfalls einen Job! Geradezu sprichwörtlich bekannt wegen ihrer diesbezüglichen Ausbeutungsverhältnisse wurde eine berüchtigte Schnellrestaurantkette. Und auf derartige "Mc-Jobs" am unteren Ende der Lohnskala entfallen 60% der zusätzlichen Erwerbstätigkeit.
Überhaupt gilt die "Schaffung von Arbeitsplätzen im Dienstleistungsbereich" ja vielen als Ei des Kolumbus. Wer infolge steigender Produktivität beim produzierenden Gewerbe "freigesetzt" wird, darf sich hierzulande um (notorisch unterbezahlte) Arbeit als Alten- oder Krankenpflegerin, Gebäudereiniger oder Bestattungsgehilfe bewerben. In den USA werden da noch ganz andere "Beschäftigungsnischen" genutzt. Dort freut sich mancher über eine Anstellung als "Hundeausführer", "Tütenpacker" im Supermarkt oder Liftboy. Die Entlohnung ist Verhandlungssache. Tarife existieren hier nicht. Von solchen "paradiesischen Zuständen" mögen auch in Großdeutschland etliche "Besserverdienende" träumen, die dann zu Schleuderpreisen ihre spätbourgeoisen Neigungen mit Dienstmädchen, Butler, Chauffeur, Gärtner, Privatlehrer. ausleben könnten. Offensichtlich hat aber eine solche Vision mit der Aussicht auf menschenwürdige Arbeit nichts gemein!
Eher einem gigantischen Taschenspielertrick gleicht eine Methode, die gegenwärtig seitens der USA angewandt wird, um sich einen (vorübergehenden) Vorteil im Kampf der Industriestaaten um die Absatzmärkte zu verschaffen. Seit Jahr und Tag notiert der US-Dollar gegenüber DM (und japanischem Yen) weit unter einem Wert, der bei einem Vergleich der Kaufkraft dieser "Weltwährungen" im eigenen Land angemessen erschiene. Also angenommen, eine bestimmte Menge Nahrungsmittel oder Kleidung kostet in den USA 100 Dollar, so müßten diese Dinge in gleicher Menge und Qualität nach dem Devisenkurs (Stand: Mitte April 1996) hierzulande für ca. 148 DM zu haben sein. Tatsächlich kosten sie hier aber so etwa um die 200 DM. Damit kann jeder, der in den USA zu den dortigen Löhnen und Materialpreisen produziert und die so hergestellten Waren dann nach Europa exportiert, einen saftigen Wechselkursgewinn einstreichen. Auf diese Art gleicht die US-Industrie zur Zeit einen Teil des Produktivitätsrückstandes aus, den sie in vielen Bereichen gegenüber ihren Konkurrenten in Übersee aufweist. Der durch diesen Wechselkursprotektionismus ermöglichte höhere Umsatz hat zunächst natürlich auch zur Folge, daß in den USA mehr Arbeitsplätze als sonst entstehen oder erhalten bleiben. Nur läßt sich diese Form der Wirtschaftsförderung nicht endlos fortsetzen. Die Einfuhren der USA (z.B. Erdöl) verteuern sich nämlich im gleichen Umfang, wie sich die Ausfuhren verbilligen.
Außerdem verringert sich durch die verstärkte Nachfrage des Auslandes das einheimische Warenangebot. Beides führt nach der Logik der kapitalistischen Ökonomie zu einer schnelleren Geldentwertung. Außerdem bewirkt der verminderte Modernisierungsdruck eine Verlangsamung der Produktivitätsentwicklung. Beide Faktoren vermindern aber die Konkurrenzfähigkeit der US-Wirtschaft gegenüber den "Handelspartnern" auf Dauer so sehr, daß der ursprüngliche Abwertungsvorteil mehr als verloren geht.
Deshalb muß dieser faule Zauber seine Wirkung über kurz oder lang einbüßen. Nicht lange nach den letzten US-Präsidentschaftswahlen, die Clinton bestätigt haben, droht die laufende "Konjunktur" dann wie ein Kartenhaus zusammenzubrechen. Der fällige Rückgang der überhitzten Aktienkurse trifft die Lohnabhängigen wohl weit weniger als eine erneute sprunghafte Zunahme der Arbeitslosigkeit und ein gleichzeitiger weiterer Rückgang des realen Stundenlohns für die noch Beschäftigten vom derzeitigen niedrigen Niveau aus. Ob diese Entwicklung dann mit einer noch massiveren Verelendung eines Großteils der Bevölkerung endet, hängt nicht zuletzt von der Reaktion der Betroffenen ab. Bis jetzt jedenfalls hat die nordamerikanische Freihandelszone (NAFTA) eher zu einem Angleichen der US-Löhne an mexikanisches Niveau als zur versprochenen allgemeinen Prosperität geführt. Diese beschränkte sich nämlich auf die Aktionärsprofite und die Gehälter in den Chefetagen, die vielfach bedeutend höher liegen, als die ohnehin schon üppigen Ausstattungen der hiesigen Managerelite.
In den letzten 50 Jahren haben sich die inneren Widersprüche des kapitalistischen Systems schon des öfteren zuerst in den USA manifestiert. Zu denken ist etwa an die Proteste gegen den Vietnamkrieg, die Ermordung Martin Luther Kings, die Polizeiwillkür in Los Angeles oder eine Vielzahl militanter Streikbewegungen. Vielleicht kann uns "Amerika" doch einmal in ganz anderer Hinsicht zum Vorbild dienen, als es die Herrschenden in den Konzernzentralen gerne hätten.
Das Konzept der Bundesdeutschen Arbeitgeberverbände heißt: ”Wenig Lohn mehr Arbeit". Niedriglohngruppen sind das Ziel des BDA Präsidenten Dieter Hundt. Damit die ”working poor" aber nicht völlig verarmen, soll der Staat den Rest, bis zu einem Einkommen mit dem sich einigermaßen überleben läßt, draufzahlen. Der Kombilohn ward geboren. 7 Millionen Arbeitslose, davon 1/3 Langzeitarbeitslose, 5 Millionen 610,- Mark Jobber/innen, 1 Million Scheinselbständige und ungezählte Schwarzarbeiter/innen, bei ungefähr 35 Millionen Lohnsklaven insgesamt, lassen einige Leute nachdenklich werden. Da liegt ungenutztes Potential billiger Arbeitskräfte auf der Straße und zehrt genüßlich an der Sozial- und Arbeitslosenhilfe bzw. schwelgt im Arbeitslosengeld. Da liegt doch der Gedanke nahe, daran etwas zu ändern. Beispiele sind leicht in den angelsächsischen Ländern zu finden. In den USA gilt wer nicht innerhalb sieben Tagen einen Versuch macht Arbeit zu bekommen als nicht mehr Arbeitssuchend und fällt aus der Arbeitslosenstatistik raus. Das hätten die Arbeitgeber hier auch gerne. Sie möchten den Arbeitsmarkt etwas mehr in ihrem Sinne in die Gänge bringen.
Dabei geht es ihnen nicht darum gut bezahlte Vollzeitarbeitsplätze zu schaffen, sondern legale Jobs, bei denen die unteren Tarifgruppen noch um zwanzig bis dreißig Prozent gesenkt werden. Die Zahlung von Arbeitslosengeld soll auf 12 Monate gesenkt werden. Arbeitslosen- und Sozialhilfe sollen zusammengefaßt werden und zwar auf der Grundlage des BSHG. ”Hilfe zum Lebensunterhalt" nennt sich das dann. Die (Zusatz) Einkommensanrechnungen sollen so verändert werden, daß ein haushaltsbezogener Sockelbetrag von 80 DM bei Alleinstehenden und 150 DM bei verheirateten und 50 DM je Kind, anrechnungsfrei bleibt.
Ein über diesen Betrag hinausgehendes (Zusatz) Einkommen, wird bei einem Betrag bis zu 1000 DM zu 70 Prozent verrechnet, 1001 DM bis 1500 DM mit 80 Prozent und alles darüber mit 90 Prozent. Doch nicht genug. Diese Hilfe zum Lebensunterhalt soll auf dem heutigen Stand eingefroren werden und dann nach und nach gesenkt werden. Dies muß schon wegen des Abstandgebotes geschehen. Da es dann voraussichtlich immer mehr sogenannte McJobs mit vielleicht 6 oder 8 Mark Stundenlohn darf eine solche Lebensunterhaltshilfe nicht zu hoch sein, damit immer wieder der Anreiz zum Arbeiten da ist.
Daß mit diesen Vorstellungen der Bundeshaushalt mit 24 Milliarden Mark entlastet und zumindest ein großer Teil dieser Summe auf die Kommune abgewälzt wird, ist nur ein Nebenaspekt. Sinkt das Lohnnivau weiter, muß bei gleichbleibender Krankenversorgung die Sozialversicherung prozentual steigen. Die bisherige längere Absicherung für ältere Arbeitslose ist gänzlich abgeschafft.
Bei diesem Modell wird davon ausgegangen, daß sich tatsächlich Jobs finden lassen, wenn die Arbeitslosen nur entsprechend motiviert sind. In einer Dokumentation in der Frankfurter Rundschau zu diesem Thema wurde dazu folgendes formuliert: ”Hinter dieser Argumentationsfigur steht die neoklassische, mikroökonomische Entscheidungstheorie: sie konstuktiert beim Arbeitsangebot ein nutzenmaximierendes Individuum, das seine Wahlentscheidung, einen Arbeitsplatz anzunehmen oder aber statt dessen den ,Vorzug von Freizeit zu genießen' nach dem ökonomischen Rationalkalkül ausrichtet. Das führt zu der doppelten Fragestellung: ist Arbeitslosigkeit von Sozialhilfeempfängern und von Beziehern von Arbeitslosengeld/hilfe tatsächlich ein Anreiz- und Motivationsproblem und damit freiwillig gewählt? Und wenn dieses vermeintliche Anreizproblem gelöst ist: ,Findet jeder der arbeiten will, überhaupt Arbeit?' Tatsächlich widerlegen sämtliche für die Bundesrepublik vorliegenden empirischen Befunde die Annahme, fehlende finanzielle Anreize seien ein Haupthindernis für die betroffenen Hilfsempfänger, eine Arbeit anzunehmen. Insofern ist die These, die gegenwärtige Arbeitslosigkeit sei im wesentliche Folge eines Motivationsproblems, nicht haltbar".
Dem ist fast nichts hinzuzufügen, außer, daß die massive Diskrepanz zwischen der Zahl der offenen Stellen und den Arbeitssuchenden gekennzeichnet ist. Hier werden wieder einmal nur Scheinlösungen Angeboten, deren Gefährlichkeit aber nicht verkannt werden darf. Wird so etwas beschlossen, kann die Zahl der Arbeitslosen im günstigsten Fall zwar gleichgeblieben sein, die Durchschnittslöhne dürften erheblich sinken, ja wenn die Menschen keinen Widerstand gegen solche Gesetzesänderungen leisten
Auf die reformistischen Gewerkschaften können sie dabei nicht zählen. Außer Feierabenddemonstrationen und drohenden Worten ist diese Entwicklung kaum zu stoppen. Negative sozialpolitische Veränderungen kann nur mit sozialpolitischen Streiks und sozialem Widerstand entgegengewirkt werden.
Solche gravierende Veränderungen können nicht durch Tarifgewerkschaften, sondern nur durch revolutionäre Gewerkschaften gestoppt und positiv verändert werden.
Der Lohn wird aus unterschiedlichen Quellen gezahlt. Ein Teil zahlt wie bisher der Arbeitgeber (Tarif), einen anderen Teil das Arbeitsamt oder das Sozialamt. Damit soll es den Arbeitgebern leichter gemacht werden zum Beispiel Langzeitarbeitslose einzustellen. Vor allem im Dienstleistungsbereich sollen dadurch massig Arbeitsplätze entstehen. Das Max Planck Institut für Gesellschaftsforschung in Köln schätz das Potential auf 7 Millionen.
Sozialhilfeempfänger/innen sollen, nach dem Willen von Bundesgesundheitsminister Seehofer, nur noch 10 Prozent des hinzuverdienten nicht auf die Sozialhilfe angerechnet werden (bisher 15 %). Dafür soll es allerdings keine Obergrenze mehr geben (bisher 265 Mark monatlich). Die Arbeitgeber wollen den Sozialhilfeempfänger/innen immerhin 30 Prozent belassen. Schließlich steigt dann der Anreiz überhaupt lohnabhängig zu schuften. Gleichzeitig fordern sie aber wieder verstärkt niedrigere Tarifgruppen.
Klar ist, egal welche dieser Modelle sich durchsetzen wird, die Löhne und Gehälter der noch Beschäftigten geraten wieder einmal mehr unter Druck.
In der Nr. 109 der "direkten Aktion" wurde über die Geschichte der Landwirtschaft bis 1990 und über die Waldprivatisierung berichtet. In dieser Nummer soll die ökonomische und soziale Entwicklung (im Groben) seit 1989 dargestellt werden. In dieser und in den weiteren Nummern sollen auch über Möglichkeiten einer anarchosyndikalistischen Praxis nachgedacht und Perspektiven entwickelt werden.
In der DDR-Landwirtschaft (einschließlich der Bereiche Forstwirtschaft und Gartenbau) arbeiteten in der DDR (1989) etwa 800.000 Menschen, ca. 10% der Gesamtbeschäftigten. Der Selbstversorgungsgrad betrug 90%, wobei etwa die Hälfte der Produktion in westliche Länder exportiert wurde. Es wurde also etwa doppelt so viel produziert als verbraucht, natürlich nicht ohne ökologische Folgeschäden. In den Bereichen der Industrie, des Dienstleistungssektors und in den staatlichen Bereichen wurden Tariflöhne gezahlt und auch entsprechende Leistungslöhne, Zuschläge und regionale Vergünstigungen. Im genossenschaftlichen Sektor des Gartenbaus und der Landwirtschaft gab es keine gewerkschaftliche Organisation (FDGB) oder Tarife.
Die Tarife auf den volkseigenen Gütern, im privaten Sektor des Gartenbaus und der Forstwirtschaft lagen auf niedrigem Niveau. In der Industrie bewegten sich die Durchschnittslöhne etwa bei 800-1.100 M, in der Forst- und Landwirtschaft zwischen 500-1.000 M. In der Forstwirtschaft gab es neben dem Grundlohn noch einen Brigadeleistungslohn. Die landwirtschaftlichen und gartenbaulichen Genossenschaften waren wie alle Bereiche in die zentrale staatliche Planung integriert, in der Praxis hieß das festgelegte Preise, Abgabesoll usw. Die übriggebliebenen Gewinne wurden zu einem Teil in neue Technik investiert, zum anderen an die Genossenschaftsmitglieder abgegeben (über verschiedene Fonds). Diese Praxis zementierte weiter die regionalen sozialen Unterschiede (siehe auch Nummer 109), die sich aus der Größe des Besitzes, der Bodenqualität und der örtlichen Infrastruktur ergaben. Die Arbeitszeit richtete sich nach den Vegetationzyklen, 7-8 Stunden im Winter, 13-14 Stunden im Sommer, das gleiche gilt für die Lohnauszahlungen, die zwischen 400 und 1500 M. lagen. An Gewinnausschüttungen gab es je nach Betrieb zwischen 0 und einigen tausend Mark (ähnlich wie in der Industrie und den staatlichen Sektoren die Jahresendprämie).
Durch staatliche Reglementierung wurden Forstleute im Sommer zur Ernte eingeteilt und landwirtschaftliche ArbeiterInnen in die Forstwirtschaft geschickt.
Wie in anderen Bereichen auch, kauften die Menschen in der DDR ihre eigenen Produkte nicht mehr. Es herrschte die allgemeine Meinung vor, Ostprodukte seien schlechter. Die politische Geisteshaltung spiegelte sich ja schon in dem Wahlausgang von März 1990 wieder. Nach der Währungsunion im Juli 1990 kam es zum massiven Zusammenbruch in der Landwirtschaft, der Marktanteil ging in kürzester Zeit auf 7-8% zurueck. Die Produkte wurden fast ausschließlich direkt vermarktet. Die Zahl der Beschäftigten sank von 800.000 auf 180.000 (1992), besonders stark sind die Frauen betroffen. Nach gut einem Jahr verlangen die VerbraucherInnen einheimische Produkte, nur die großen Handelsketten kontrollieren schon den Markt, die Direktvermarktung gewinnt an Bedeutung. Ab 1992 nehmen die großen Handelsketten verstärkt Ostprodukte in ihr Sortiment auf und der Marktanteil betägt regional zwischen 30 und 60%. Die Agrargenossenschaften wurden im Gegensatz zu den staatseigenen Betrieben nicht unter Treuhandverwaltung gestellt.
Die Bodenreform wurde im Einigungsvertrag festgeschrieben, soll jetzt aber über die Hintertür aufgeweicht werden. Die Betriebe schrumpfen sich gesund, ein neuer Absatzmarkt wurde nicht gesichert. Der vom Bauernverband vorausgesagte Untergang der verhaßten LPG's trat nicht ein. Im Gegenteil, gut 80% werden von Agrargenossenschaften oder GmbHs bewirtschaftet, die sich praktisch aber nicht von anderen Lohnarbeitsbetrieben unterscheiden. Der Umsatz je Arbeitsakraft und Jahr beträgt im Moment in Ostdeutschland ca. 65.000 DM, in Westdeutschland nur 42.000 DM. Gründe sind u.a. die effektivere Flächen- und Maschinenauslastung bzw. die noch aus DDR-Zeiten stammende Berufsspezialisierung (z.B. Traktorist, Melkerin, Schlosser usw.). Ansonsten sind ostdeutsche Betriebe mittlerweile voll in die EG-Subventionspolitik integriert, was z.B. dazu führt, daß Rapsflächen angebaut werden, die nie abgeerntet werden. Bei Kartoffeln wiederum sank die Produktionsmenge in Brandenburg seit 1989 um gut 80%. Sie werden nicht ausreichend subventioniert, daür verfünffachten sich die Großhandelspreise. Die Bereiche Landwirtschaft und Gartenbau sind die beiden einzigen in Ostdeutschland, die ein reichliches Überangebot an Lehrstellen haben. Bei einem Durchschnittsverdienst von 1.000-1.600 DM im Monat, vielen Mehrarbeitszeiten und keinerlei Interessenvertretung auch kein Wunder. Der Tariflohn eines Facharbeiters im Gartenbau liegt offiziell bei durchschnittlich 2.300 DM brutto (näheres dazu in der nächsten DA).
Die Forstwirtschaft ist der einzige Bereich, in dem auch seit 1990 Tarife gezahlt werden und die Gewerkschaft regional unterschiedlich 30-40% Mitglieder hat. Der Durchschnittsverdienst liegt im Moment bei etwa 2.600 DM (brutto) im Monat. In Brandenburg arbeiten in den Staatsforsten noch etwa 2.600 Forstleute von ehemals 4.000. Die Hälfte des Staatswaldes wird in den nächsten Jahren privatisiert (etwa 300.000 ha), weitere 1.000 ForstarbeiterInnen werden dadurch entlassen. In den staatlichen Forsten werden etwa 5 ForstarbeiterInnen pro 100 ha eingesetzt. Die meisten privaten WaldbesitzerInnen haben keine eigenen Forstbrigaden, sondern sie heuern eine der neu entstandenen forstlichen Lohnunternehmen an, davon gibt es mittlerweile etwa 180 in Brandenburg. Diese zahlen zwar auch 2.600 DM (brutto), jedoch bei einer Arbeitszeit von 10-12 Stunden täglich, bei harter Forstarbeit, eine knochenbrechende Arbeit.
Der Gewerkschaftliche Organisationsgrad ist in den Bereichen des Gartenbaus gering. Tarifliche Bezahlung gibt es in der Regel nur in den Bereichen der Floristik, des Landschaftsbaus und bei den kommunalen Arbeitskräften (Grünanlagen, Friedhöfe). Wobei im kommunalen Bereich in Zukunft verstärkt SozialhilfeempfängerInnen zu Arbeitsdiensten herangezogen werden sollen. Die tariflichen Bedingungen ähneln hier denen in der Forstwirtschaft. In den Bereichen Zierpflanzen-, Gemüse- und Obstproduktion ist die Situation ähnlich wie im landwirtschaftlichen Bereich: umgewandelte GPG's, jetzt Gartenbaugenossenschaften sind dominierend. Während der Bereich der Zierpflanzenprodktion sich dem Standard von 1990 nähert, gibt es im Bereich der Obst- und Gemüseproduktion eine andere Situation. Obstbauanlagen wurden zum Teil drastisch vernichtet, in Werder/Havel (dem größten Anbaugebiet) z.B. zu 70%. Pro gerodetem Hektar gab es damals 10.000 DM von der EG, einen Hektar neu anzulegen kostet aber 25-30.000 DM. Ab 1992 gab es einen großen Run auf einheimisches Obst und Gemüse, auch bei guten ha-Erträgen (speziell beim Obst) reicht das Erntevolumen nicht mehr aus. Das wird sich auch die nächsten Jahre nicht ändern, weil Neuanlagen teuer sind und einige Jahre bis zur Ernte brauchen. Bei einheimischen Birnen beträgt der Selbstversorgungsgrad nur noch etwa 30%.
Eine neue, von der Öffentlichkeit wenig beachtete Entwicklung stellt die im Bereich des Gartenbaus dar, betroffen sind hier vor allem polnische ArbeiterInnen. Selbst stark von Arbeitslosigkeit betroffen, werden sie in den Erntzeiten maßlos ausgebeutet, obwohl die Verbraucherpreise steigen. Dazu 2 Beispiele: Die Obstbaugenossenschaft Markendorf (bei Frankfurt/Oder) suchte für 6 DM die Stunde Arbeitskräfte zur Apfelernte, es fanden sich kaum deutsche ArbeiterInnen fuer diesen Hungerlohn (etwa 1991). Daraufhin schloß Landwirtschaftminister Zimmermann offizielle Verträge mit polnischen Behoerden ab, die die Anzahl der ArbeiterInnen, die ärztliche Versorgung, Unterbringung (in Baracken) usw. regeln. Markendorf ist das zweitgrößte Obstanbaugebiet in Brandenburg, die Erntearbeiten werden heute fast ausschließlich von polnischen LandarbeiterInnen durchgeführt.
Noch schlechter sind die Bedingungen in einigen Spargelanbaugebieten, so in Beelitz bei Berlin (dort befinden sich mit 182 ha Anbaufläche etwa 15% der ostdeutschen Spargelfläche). 300.000 kg werden dort in dieser Saison verkauft. Zwischen 5.000 Leuten an manchen Wochentagen und 10.000 an den Wochenenden kommen mit dem Auto von Berlin rausgefahren, um Spargel zu kaufen. 80% der Ware wird direkt vermarktet, die Preise bewegen sich zwischen 8-10 DM je kg. Ein Großteil der Anlage steht noch nicht im Ertrag, d.h. es sind Neuanpflanzungen.
Der Chef der größten Firma vor Ort, Jörg Buschmann (GdR Buschmann und Winkelmann in Klaistow) plaudert in der "Deutschen Gärtnerpost" einige Zahlen aus. Produziert wird natürlich biologisch/dynamisch. In der Saison (von April bis Juni) werden 220 polnische LandarbeiterInnen, die 400-500 DM (nach der "Märkischen Allegemeine") pro Monat bekommen, beschäftigt. Unterkunft und Verpflegung sind gratis, die Grundnorm beträgt 5 kg Spargel pro Stunde. Für einen ha Spargel muß der biologisch/dynamische Ausbeuter etwa 20.000 DM im Laufe der Zeit investieren. Nach etwa 3 Jahren wird das erste Mal geerentet. Der Ausbeuter rechnet mit einer Jahresernte von etwa 4 Tonnen je ha, bei einer Gesamtnutzung der Anlage von zehn Jahren. Alle Zahlen zusammengezogen, dazu noch fiktive Kosten von 30.000 DM pro ha in 10 Jahren dazugenommen, ergeben einen Gewinn von 25.000 DM pro ha und Jahr. Die Lohnkosten in der Erntezeit betragen ganze 0,50 DM pro kg. Bei 100 ha gibt es einen Gewinn von 2,2 Millionen im Jahr.
So konnte auch schon in kürzester Zeit für rund 1,5 Millionen eine hochmoderne Vermarktungsstation mit sechs Wasch- und Sortiermaschinen gekauft und installiert werden. In der heutigen Zeit scheint es ganz normal, über so unverschämte Ausbeutung oeffentlich zu reden (zumindest in Fachblättern). Ein Ende des Spargelbooms ist auch nicht abzusehen, vor 70 Jahren wurden in Beelitz schon mal 600 ha angebaut und der Bedearf des Berliner Marktes ist nur zu 40% mit einheimischen Spargel abgedeckt. Die biologisch/dynamischen VerbraucherInnen scheinen sich oft um soziale Interessen und Belange von ArbeiterInnen einen Dreck zu scheren bzw. informieren sich schlecht. Hauptsache, die Sachen werden frisch und biologisch angebaut. Das gleiche gilt für die biologischen Anbauverbände, die zwar definieren was ökologische Produktion ist, über soziale Belange findet man in Prinzip wenig. Gibt es ein Beispiel wo ein Anbauverband gegen einen Betrieb eingeschritten ist?
Schaffung einer wirksamen Interessenvertretung bzw. einer Gewerkschaft in den bisher geschilderten Bereichen, einschließlich der der Genuß- und Nahrungsmittelbranche, Sammeln von Informationen, Formulieren von Forderungen durch die Beschäftigten, Durchsetzung dieser Ziele, z.B. durch Streiks, Verbraucherinformationen bzw. Boykotte, Direkte Verneztung von Stadt und Land, z.B. über Konsumgenossenschaften (Food-Coops), gegenseitige Unterstützung bei sozialen Kämpfen (1921 z.B. beim Ruppiner LandarbeiterInnenstreik verhinderten Berliner Arbeitslose, die auf Fahrrädern unterwegs waren, die Einsetzung des Technischen Notdienstes zur Streikbrecherarbeit), Aufbau von selbstverwalteten Strukturen als Gegengewicht zu Knochenbrecherbetrieben. Da es mittlerweile zahlreiche Anfragen und InteressentInnen fuer die Mitarbeit oder Mitgliedschaft gemeldet haben, wollen wir im Januar 1996 zu einem ersten Treffen nach Hamburg einladen. Da wir immer deutlicher erkennen müssen, dass es vielfältige Überschneidungen von konventioneller und ökologischer Nahrungsmittelindustrie und Landwirtschaft gibt, sollte unsere Gewerkschaft oder Freie Vereinigung auch das entsprechende Spektrum abdecken:
Eine Freie Vereinigung der Nahrungsmittelindustrie/Landwirtschaft mit Untergliederungen wie Einzel- und Großhandel, Landwirtschaft und Produktionsbetriebe waere dabei anzustreben.
Initiative Freie Vereinigung Nahrungsmittel/Landwirtschaft