Nach der faktischen Aufkündigung des Atomkonsenses durch die Atomkraftwerksbetreiber RWE, E.on, Vattenfall und EnBW rufen Umwelt- und Verbraucherschutz-Organisationen die Menschen in ganz Deutschland auf, sich von den Atomkonzernen zu trennen. Wechseln Sie jetzt Ihren Stromlieferanten. Erteilen Sie dem Wortbruch der Konzerne mit der Aufkündigung Ihrer Vertragsbeziehungen eine angemessene Antwort. Es kostet Sie fünf Minuten. Helfen Sie, den Atomausstieg in Deutschland so schnell wie möglich zu vollziehen.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,
in diesen Tagen werden wir Zeugen eines beispiellosen Wortbruchs. Wir erleben die endgültige Abkehr einiger der einflussreichsten Manager dieses Landes von einem Vertrag, der am 14. Juni 2000 nach schweren Geburtswehen unterzeichnet wurde wie ein Friedensabkommen zwischen feindlichen Lagern. Die Vereinbarung über den Atomausstieg entschärfte einen Konflikt, der die alte Bundesrepublik ein viertel Jahrhundert und das vereinigte Deutschland eine Dekade lang gespalten hat wie kein anderer innenpolitischer Streit – zeitweise bis hin zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen.
Formal wurde der Atomkonsens ausgehandelt zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und einer Handvoll Spitzenmanager, die einige der bis zum heutigen Tag umsatzstärksten und gewinnträchtigsten Unternehmen dieses Landes vertraten. Sie mussten handeln, weil das bedingungslose Festhalten an der Atomenergie dem in hunderten von Demonstrationen und ungezählten Umfragen erklärten Willen der großen Mehrheit der Bevölkerung zuwider lief. Die Deutschen wollten und wollen die mit der Nutzung der Atomenergie verbundenen Risiken nicht länger tragen.
Der so genannte Atomkonsens wurde vor sechs Jahren vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder, von dessen Wirtschafts- und Umweltminister und den Vorstandsvorsitzenden der Energiekonzerne unterzeichnet. Es gab an diesem Abkommen von Anfang an auch Kritik von Umweltverbänden und Bürgerinitiativen. Denn für ihren Verzicht auf die zuvor unbefristeten Laufzeiten ihrer Atomkraftwerke ließen sich die Manager fürstlich entlohnen: An den Standorten erhielten sie Genehmigungen für Zwischenlager für die verbrauchten Reaktorbrennelemente, womit die latente staatliche Drohung, Meiler wegen fehlender Fortschritte bei der Atommüllentsorgung stillzulegen, nach Jahrzehnten beendet war. Vor allem aber setzten sie sich mit ihrer Forderung nach üppigen Restlaufzeiten durch, ein Umstand, der ihnen bis heute Jahr für Jahr enorme Gewinne garantiert und dazu geführt hat, dass in Deutschland immer noch 17 Atomkraftwerke am Netz sind.
Immerhin, fortan wurde in Deutschland über die Energiewende und die Abkehr von der Atomenergie nicht mehr nur theoretisch geredet. Mit den spektakulären Ausbauerfolgen der Erneuerbaren Energien wurde sie auch eingeleitet. Diese Entwicklung hat der Atomkonsens nicht ausgelöst. Aber die Erwartung, dass alle Atomkraftwerke nach und nach abgeschaltet werden, hat die Notwendigkeit und den Druck erhöht, eine alternative Stromproduktion konkret zu entwickeln.
Die beiden ältesten Atomkraftwerke in Stade und Obrigheim wurden abgeschaltet, die Atomtransporte zur Wiederaufarbeitung atomarer Abfälle nach Frankreich und England gestoppt. Die vier Altreaktoren Neckarwestheim 1 (Betreiber: EnBW), Biblis A und B (RWE) und Brunsbüttel (Vattenfall, E.on) werden bei Einhaltung von Geist und Buchstaben der Konsensvereinbarung und durchschnittlicher Auslastung in den Jahren 2008 und 2009 ihre im Atomgesetz fest geschriebene Reststrommenge aufgebraucht haben und vom Netz gehen. Neue Atomkraftwerke zur Stromproduktion dürfen in Deutschland nicht mehr gebaut werden, solange das Atomgesetz in seiner heute gültigen Fassung Bestand hat. Bis heute wollen zwei Drittel aller Deutschen den Atomausstieg. Sehr viele wünschen seine Beschleunigung.
Diese Zahl hat sich weiter erhöht, seit das Hochtechnologieland Schweden Ende Juli 2006 in Forsmark nur knapp einer atomaren Katastrophe entging – und sich die gedankenlose Behauptung der deutschen Reaktorgemeinde, Vergleichbares sei in Deutschland nicht zu befürchten, für Brunsbüttel als Propaganda-Märchen erwies. "Beide Seiten werden ihren Teil dazu beitragen, dass der Inhalt dieser Vereinbarung dauerhaft umgesetzt wird."
Von dieser in der Atomkonsensvereinbarung vom 14. Juni 2000 eingegangenen eindeutigen Verpflichtung hat sich der Stromkonzern RWE mit seinem Antrag auf Laufzeitverlängerung für den 1975 in Betrieb gegangenen Reaktor Biblis A endgültig verabschiedet. Dieser Vorstoß ist ein Tabubruch. Er soll sicherstellen, dass das Atomkraftwerk, einer der umstrittensten Meiler Deutschlands, über den nächsten Bundestags-Wahltermin gerettet wird – in der Hoffnung auf eine Regierung, die nach 2009 den Atomkonzernen zu Diensten ist. Geht es nach RWE, ist mit dem Tag der Antragstellung der Ausstieg aus dem Atomausstieg eingeleitet. RWE Vorstandschef Harry Roels erweist sich als wortbrüchig. Die Aussicht auf Sonderprofite in Höhe von rund 250 bis 300 Millionen Euro pro Jahr wiegt für den Manager schwerer als die Sicherheit und der erklärte Wille der Mehrheit der Bevölkerung. Die Behauptung, er müsse mit Blick auf die Aktionäre so handeln, ist absurd: Die Anteilseigner kennen die Modalitäten des Atomausstiegs, seit vor sechs Jahren die Konsensvereinbarung auch von RWE unterzeichnet wurde. RWE steht mit seinem Wortbruch nicht allein. Auch die Herren Wulf Bernotat (E.on), Klaus Rauscher (Vattenfall Europe) und Utz Claassen (Energie Baden-Württemberg) rühren seit dem Tag der Bundestagswahl im September 2005 unentwegt die Trommel für eine Renaissance der Atomenergie in Deutschland mit dem einzigen Ziel, die ältesten und unfallträchtigsten Reaktoren länger betreiben zu können, als es ihre Vorgänger vertraglich zugesichert haben. Vattenfall, gemeinsam mit E.on Betreiber der Unfall-Reaktoren in Forsmark und Brunsbüttel, hat einen Antrag auf Laufzeitverlängerung des Atomkraftwerks Brunsbüttel für 2007 angekündigt. EnBW will den ersten Schritt zum Ausstieg aus dem Ausstieg noch in diesem Jahr gehen und einen entsprechenden Antrag für das Kraftwerk Neckarwestheim 1 stellen.
Die große Mehrheit der deutschen Haushalte bezieht ihren Strom direkt von RWE, E.on, Vattenfall, EnBW oder von Stadtwerken, die von den Atomkonzernen aufgekauft und beherrscht werden. Das Versprechen der Konzernherren, ein Weiterbetrieb der Atomkraftwerke wirke dämpfend auf die Strompreise, ist von der Wirklichkeit längst widerlegt. Die Preise steigen seit Jahren, obwohl die Atomkraftwerke laufen. Schuld ist der faktisch nicht vorhandene Wettbewerb am Strommarkt. Es liegt an Ihnen, ob das so bleibt. Sie alle, die Sie sich über den Wortbruch der Manager ärgern und für den Atomausstieg eintreten, können mit wenigen Zeilen auf einem Briefbogen oder ein paar Klicks im Internet die Vertragsbeziehung zu den Atomstromproduzenten beenden und Ihre Elektrizität ab sofort von Unternehmen liefern lassen, die sich einer zukunftsfähigen, Klima schonenden und risikoarmen Stromerzeugung verschrieben haben. Sie gründet auf effizienter Energieumwandlung und Erneuerbaren Energien aus Sonne, Wind, Wasser oder Biomasse.
Verabschieden Sie sich von den Atomstromproduzenten. Dazu ruft Sie ein Zusammenschluss
von Organisationen und Initiativen auf, von denen einige den Atomkonsens in den vergangenen
Jahren als Etikettenschwindel kritisiert und andere ihn als alternativlos befürwortet haben. Wie
Millionen Menschen in diesem Land sind wir überzeugt, der Ausstieg aus dieser Hochrisikotechnologie
müsste – auch nach dem jüngsten Weckruf aus Forsmark – schneller vollzogen werden
als ursprünglich vereinbart. Voraussetzung dafür ist, dass viele Menschen jeden Versuch der
Konzerne, Atomkraftwerke länger zu betreiben, mit ihrem persönlichen Atomausstieg beantworten.
Die Entscheidung liegt bei Ihnen.
Dr. Aribert Peters, Bund der Energieverbraucher
Dr. Gerhard Timm, Bund für Umwelt und Naturschutz
Winfrid Eisenberg, IPPNW
Leif Miller, Naturschutzbund Deutschland
Roland Hipp, Greenpeace Deutschland
Jürgen Sattari, ROBIN WOOD
Jochen Stay, X-tausendmal quer
Rainer Baake, Deutsche Umwelthilfe
Hubert Weinzierl, Deutscher Naturschutzring