2.) Lauscher: live dabei
aus Indymedia
Abhören von Telefonaten im Zusammenhang mit dem Castor
Deutsche Ermittler hören immer mehr Telefongespräche ab. Welche Auswüchse das haben kann, zeigt ein Fall aus Niedersachsen.
Es sollte ein großer Schlag gegen die Organisierte Kriminalität werden. Ein Informant aus dem Zuhältermilieu hatte der Polizei einen Tipp gegeben. Die Staatsanwaltschaft Potsdam besorgte eine Abhörgenehmigung. Ab sofort wurde jedes Gespräch des Verdächtigen und seiner Frau aufgezeichnet.
Schon nach wenigen Tagen schien klar: Die Beamten hatten einen Volltreffer gelandet. Immer wieder war in den Telefonaten von "Pistolen" und "Stoff" die Rede. Vier Monate lang hörten die Beamten Gespräch für Gespräch mit, protokollierten Tag für Tag, analysierten Wort für Wort.
Am Ende brachte die gigantische Untersuchungsmaschinerie zwei Erkenntnisse zu Tage: Bei den Pistolen handelte es sich um Spritzpistolen zum Lackieren von Pkw - entsprechend "der Tätigkeit des Verdächtigen", wie der Bericht vermerkt. Beim "Stoff" ging es "tatsächlich um Textillieferungen".
Fünfmal mehr Abhöraktionen
Abgehörte Telefongespräche
Die Pleite von Potsdam ist kein Einzelfall, sondern droht zum Massenphänomen zu werden. Für Ermittler wird es juristisch wie auch technisch immer einfacher, Telefongespräche abzuhören. Das nutzen sie weidlich aus: Seit 1995 hat sich die Zahl der abgehörten Telefonate verfünffacht, Tendenz weiter steigend. Erst recht seit dem 11. September und Innenminister Schilys Sicherheitspaketen.
"Die Regierung nutzt die gestiegene Terrorangst, um Eingriffsrechte durchzusetzen, die sich die Sicherheitsbehörden schon lange wünschen", beklagt Verfassungsrechtler Johann Bizer von der Goethe-Universität in Frankfurt. Da Kritiker wie Bizer die Überwachung der Ermittler gleichzeitig für unzureichend halten, fürchten sie: Mit der Zunahme der Abhöraktionen wächst auch ihr Missbrauch dramatisch.
Neue juristische wie technische Möglichkeiten bietet dabei vor allem der Mobilfunk. So sind Handynetzbetreiber nach dem neuen Paragrafen 100g StPO verpflichtet, den Strafverfolgern die Gesprächspartner ihrer Kunden preiszugeben. Mehr noch, die Funkmasten, über die ein Telefonat ins Netz ging, geben den Ermittlern Auskunft über den Standort des Handybenutzers während des Gesprächs. Detaillierte Bewegungsprofile sind so leicht zu erstellen.
Kurt Euring vom Bund deutscher Kriminalbeamter hält die Verschärfungen für dringend nötig: Bei den Ermittlungen müsse die Polizei alle Möglichkeiten ausschöpfen. "Dabei ist die Telefonüberwachung (TÜ) von großer Bedeutung."
Auslöser 11. September
Bereits die Erfahrungen aus der Vor-Handy-Zeit belegen jedoch, welch Missbrauch durch die TÜ auch möglich ist. Besonders deutlich wird der Missbrauch der Zugriffsrechte beim Ausspionieren politischer Gruppierungen. Einer der drastischsten Fälle ereignete sich in Niedersachsen im Zusammenhang mit den Castor-Transporten.
"Im Wendland sind Abhörmaßnahmen an der Tagesordnung", sagt Mathias Edler. Bis vor kurzem war er Sprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg (BI), die sich gegen die Transporte stark macht. Die Sonderkommission 611 des Landeskriminalamts (LKA) schnitt ein halbes Jahr jedes seiner Telefonate mit: Ob sich Edler mit Politikern oder Journalisten unterhielt, ob es um die Herzkrankheit einer Freundin oder den Besuch beim Heilpraktiker ging - die Soko war dabei.
Offiziell fahndete sie nach den Tätern, die Mitte September 1996 im Raum Hildesheim drei Züge mit einer Hakenkralle stoppten. Im Visier der Ermittler: Ein Mitglied der Bürgerinitiative, auf dessen Hof in der Nähe von Lüchow Edler wohnte und dessen Telefon er mitbenutzte.
"Den Ermittlern kam es gerade recht, dass sie sich beim Belauschen des Mitglieds der Bürgerinitiative auch über die Kontakte ihres Pressesprechers informieren konnten", sagt Jürgen Seifert, Mitglied der G-10 Kommission der Bundesregierung. Das vierköpfige Gremium überwacht die Abhörmaßnahmen von Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst (BND) und Militärischem Abwehrdienst (MAD).
Dass auch Familienangehörige, Freunde oder Mitbewohner belauscht werden, wenn sie den gleichen Anschluss benutzen, hält Niedersachsens Innenminister Heiner Bartling für unproblematisch. "Auch gegen Nichtverdächtige lässt Paragraf 100a StPO verfassungsrechtlich unbedenklich die Überwachung zu", schreibt der Sozialdemokrat in einem Brief an Kommissionsmitglied Seifert.
Bundestag wirbt für Liberalität
Dabei wirbt der Bundestag gerade in ganzseitigen Zeitungsanzeigen bei politikverdrossenen Jugendlichen mit flotten Sprüchen für die angebliche Liberalität des Bundestags: "Flirten, lästern, tratschen. Und niemand hört mit", heißt es da.
Die 18 Aktenordner voller Abhörprotokolle, die Mathias Edler auf Nachdruck seines Anwalts ausgehändigt wurden, zeichnen ein anderes Bild: Die Sonderkommission hörte die Gespräche der Ehefrau des Beschuldigten ebenso ab wie die der Kinder. Insgesamt wurden 4249 Telefonate und 438 Faxe abgefangen. Experten rechnen damit, dass es 1,5 Millionen Deutschen wie Edler ergeht. Die meisten, ohne dass sie es je erfahren. Selbst Politiker oder angesehene Experten wie Kommissionsmitglied Jürgen Seifert geraten unbemerkt ins Visier der Fahnder.
Der Jura- und Politikprofessor der Uni Hannover telefonierte damals mit einem seiner Studenten. Im Gesprächsprotokoll 4287/96 notierte daraufhin ein Fahnder, Professor und Student wollten einen Artikel über den "Widerstand" schreiben. Seifert erfuhr davon rein zufällig. Der Name des Studenten: Mathias Edler.
Kritiker halten Richtervorbehalt für wirkungslos
Im April 2002 beschwerte sich Seifert bei der Hildesheimer Staatsanwaltschaft und berief sich auf Paragraf 101 StPO. Der sieht vor, dass die Beteiligten einer Abhörmaßnahme zu benachrichtigen sind, sobald dies "ohne Gefährdung des Untersuchungszwecks" geschehen kann.
In der Praxis geschieht dies fast nie, wie auch die Antwort der Hildesheimer Ermittler offenbart: Das Gespräch, schrieben die Ermittler zurück, sei so unwichtig gewesen, dass es unzumutbar gewesen sei, Seifert ausfindig zu machen und zu informieren.
Dabei greifen Staatsanwälte und Polizei mit Abhörmaßnahmen in Artikel 10 des Grundgesetzes ein, das eherne Post- und Fernmeldegeheimnis. Das ist nur erlaubt, wenn ein konkreter Tatverdacht vorliegt und die Ermittlung auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Um den Missbrauch auszuschließen, muss jeder Maßnahme ein Richter zustimmen, es gilt der so genannte Richtervorbehalt. Den aber halten immer mehr Kritiker für wirkungslos.
Etwa Bernd Asbrock, Vorsitzender Richter am Landgericht Bremen: "In Bremen gab es bei etwa 150 Lauschanträgen keine einzige Ablehnung." Er erklärt dies damit, dass den Richtern häufig das Fachwissen im jeweiligen juristischen Spezialgebiet fehlt. Überdies kommt es zu keinerlei Überprüfung der Erlaubnis am Ende der Ermittlungen. Was auch dazu beiträgt, dass Unbeteiligte so leicht ins Telefonnetz der Fahnder geraten. Wie etwa Rebecca Harms - Fraktionsvorsitzende der Grünen im niedersächsischen Landtag. Harms wurde ebenfalls abgehört, als sie mit Edler sprach.
Vorbeugende Lauscher
Die Landesregierung in Hannover beteuerte: Der Einsatz solcher Ermittlungsmethoden diene ausschließlich Zwecken der Strafverfolgung. Doch nach über zwei Monaten Mithören hatte die niedersächsische Soko 611 keinerlei Hinweise gefunden.
Dennoch stellte sie einen Antrag auf Verlängerung der Abhörmaßnahme: Die Ermittlungen hätten den Verdacht bestätigt, dass sich auf dem Hof "Personen aus dem Anti-Castor-Spektrum aufhalten". Zudem sei von weiteren Anschlägen auf die Bahn auszugehen. "Daran sieht man, dass es gar nicht mehr um die Verfolgung vergangener Straftaten geht", sagt Dieter Magsam, Edlers Anwalt aus Hamburg. Schließlich wurde die Lauscherei beendet. Im Laufe der sechsmonatigen Abhöraktion fand die Soko 611 nach eigenen Angaben "keinerlei kriminalpolizeiliche Erkenntnisse."
Anna und Arthur halten´s Maul.. auch am Telefon!!!!!!!!!!!!!
p.s. und bitte jetzt wieder keine unsinnigen spekulationen.
4.) Antisexismus-Seminar in Hagen
... hier ein Text zu meinen Eindrücken vom Seminar ...
Erfahrungen und Eindrücke zum Seminar
"Feminismus und antisexistische Praxis" vom 5.-7.7.01 in Hagen
Freitag:
Tagungsort war ein Seminarhaus in Hagen, verkehrtstechnisch zwar abgelegen, dafür aber in schöner Umgebung ... mit Spielplatz, riesigen Wiesen und Wald, die uns zu ausgiebigen Sit-ins im Gras und schönen Theoriespaziergängen ermunterten. Die antisexistischen Bücher und Zeitschriften, die Grundlage für das Seminar waren, stammten zum Teil aus dem Schwarze Katze Archiv.
Erleichtert war ich, weil es von Anfang an keine Trennung in TeilnehmerInnen / TeamerInnen gab, und Entscheidungsprozesse sehr offen verliefen. Grund dafür war sicher auch die entspannte, offene, witzige, zwanglose und persönliche Atmosphäre in unserer Runde, die mir sehr gefallen hat & an die mich gerne zurück erinnere.
Es gab keine vorgegebene, von "Leitern" abgekasperte Struktur, sondern ein an Open Space orientiertes Modell. Ziel dabei ist ein gleichberechtigter, offener Prozess, möglichst nah an den spontanen, individuellen Bedürfnissen. Dazu gab es Plakate für Erwartungen und Themensammlung und zwei weitere als leerer Strukturplan für Samstag und Sonntag - was passieren würde, war also vorher nicht klar ... was für mich auch ein spannendes, reizvolles Moment war.
Im Grünen starteten wir mit zwei Runden zu Erwartungen, Wünschen und Ängste sowie zu gewünschten Themen. Dabei kam beachtliche Sammlung heraus, z.B. Sozialisation, parteiliche Mädchenarbeit, "Geschlecht bewusst gemacht" (Körpersprache), Riot Grrl, anarcha-feministische Theorien, antisexistische Praxis (Direkte Aktion / Intervention, Freiräume usw.), Kritik an feministischer Esoterik, Minderheiten und Sexismus ("behinderte" / homosexuelle Menschen), Dekonstruktion von Geschlecht, Ehe / patriarchale Beziehungen und weitere. (Wobei diese Phase schon sehr stark von den vorbereiteten Menschen dominiert wurde, da wir durch Vorbereitung eher "klar" hatten, was wir wollten ... glaube ich zumindest.) Erst gab es die Überlegung, mittels Strichen o.ä. Themen zu gewichten, dann kam der Vorschlag, einfach da einzusteigen, worauf wir gerade Lust haben, der sich als zeitsparend erwies & den wir auch beibehalten haben. Daher brauchten wir die "Tagespläne" überhaupt nicht.
Über den Einführungstext kamen wir sehr schnell in die Diskussion, sehr intensiv zu Schlankheitswahn, Schönheitsnormen, die wir alle auch in unseren eigenen Leben wieder finden konnten. Dabei gab es eine recht "ausgeglichene" Beteiligung aller mit ihren Erfahrungen. Ich fand das sehr angenehm, gerade weil ich ja auch Angst hatte, in eine "TeamerInnen"-Rolle gedrängt zu werden. Puuuh.
In einer kleinen Runde machten wir Abends einen längeren Theoriespaziergang zu "Ehe, patriarchlen Beziehungen & Alternativen", inzwischen vergrößerte sich die barfußlaufende Fraktion ;-) Die Ehe hatten wir sehr schnell abgehandelt (kam individuell nicht in Frage & wurde wegen der Privilegien abgelehnt). Danach hatten wir über längere Zeit einen regen Austausch über eigene Beziehungsformen, Eifersucht & Besitzdenken, Bi-/Homosexualität, den (Un-)sinn von Kategorien wie Freundschaft-Beziehung, "Zusammen sein"-"Schluss machen" usw., wobei ich überrascht-erfreut über die Offenheit des Gesprächs war, die mir noch mal Mut gegeben hat, meine Ideen offensiv nach außen zu tragen.
Samstag:
Anhand des Buches "Geschlecht bewusst gemacht", das mit stereotypen Darstellungen aus Modekatalogen arbeitet, haben wir Samstag Morgen versucht, Körpersprache und Unterschiede zwischen männlich und weiblich definierten Menschen zu analysieren. Insgesamt war es für mich krass zu sehen, wie stereotyp Körperverhalten, auch schon bei Kiddies, dargestellt wird, was das für die Praxis von weiblichen Menschen bedeutet, die ständig unbequem stehen, sitzen usw. Meine Wahrnehmung ist dadurch, glaube ich, nochmal geschärft worden. Ich fand diese Phase sehr schön und das Thema anschaulich aufbereitet, wodurch es viele Möglichkeiten gab, sich einzubringen ... und meiner Wahrnehmung nach waren hier auch alle beteiligt. Ein wenig verunsichert war ich wegen des von mir sehr einseitig erlebten Abkotzens über Typen, das ok und verständlich ist, aber schon an meiner Selbstwahrnehmung nagte, da ich ja mit Ängsten vor Dominanz in das Seminar gegangen bin. Nach einem klärenden Gespräch über den Verlauf des Seminars insgesamt und meine Filme legte sich das jedoch - erleichtert.
Später starteten wir einen Streifzug durch feministische Theorien (Gleichheit vs. Differenz, Öko-, Radikal- und Schwarzer Feminismus) ... plus einen intensiveren Part zu Anarcha-Feminismus. Diese Phase war schon sehr vortragslastig, was wohl mit Wissensvermittlung und Erschöpfung zu tun hatte, die auch so geäußert wurde. Ähnlich verlief anfangs auch "Antisexistische Praxis", die Vorstellung des Konzeptes Direkter Aktion & kreativer Widerstand. Das wurde im Verlauf wieder besser, v.a. als es darum ging, wie frau sich gegen Diskriminierungen im Alltag wehren kann, wobei sich zeigte, dass sexistische Anmache usw. weiterhin "Normalität" für fast alle weiblich definierten Menschen ist. Mein Eindruck war schon, dass dieser AK auch noch mal Impulse gegeben hat, in den Zusammenhängen vor Ort was anzustossen, mehr bunte Aktionen auch zu Antisexismus zu machen. Eine coole Aktionsidee: antisexistische Strafzettel hinter die Frontscheiben für sexistische LehrerInnen.
Die anschließende Einführung in "Dekonstruktion von Geschlecht" war leider auch sehr vortragslastig - hier ist zu fragen, wie mit Theorie anschaulicher, praxisorientierter umgegangen werden kann. Insgesamt war die Situation geprägt von Ermüdung & einem "allgemeinen Tief": Viel wurde so sehr schnell hintereinander angehandelt, ohne Diskussion. Die zwanglose Aufteilung in zwei Kleingrüppchen fand ich daher sehr cool, da so noch mal wieder Dynamik rein kam und die Situation aufgebrochen werden konnte. Während eine Gruppe sich über Esoterik, rechte Tenenzen und Feminismus unterhielt, ging es bei einer anderen Gruppe um Sexismus und behinderte / homosexuelle Menschen. Das Problem - für mich - war dabei, dass überall, ob in Architektur, Zeitungen usw. "der" männliche, heterosexuelle, leistungsfähige Mensch als Norm voraus gesetzt wird - und alles andere dadurch zur "Abweichung" definiert wird. Insofern ist die Aufteillung in Minderheit-Mehrheit bereits eine Konstruktion. Daneben ging es um Brüche im Konzepten wie Heterosexualität und Möglichkeiten, Ausgrenzung von behindert definierten Menschen zu überwinden.
Sonntag:
Sonntag Morgen beschäftigten wir uns mit Sprache und darin enthaltender Sexismen (z.B. den Ausschluss von Frauen), dazu ein einfacher Text mit Beispielen. Interssant fand ich: Von einigen Menschen wurde die "is"-Form favourisiert, von anderen kam die Kritik, dass sich Die Intention dahinter nicht vermittele und sich das Ganze weiterhin "männlich" anhört. Das folgende Thema "Riot Grrrl" war für mich auch ein neu ... gefallen hat mir daran das offensive Nein zu Schönheitswahn ("Riot don't diet" als T-Shirt Slogan) und patriarchalen Normen. Die gemeinsame Refelexion und Auswrtung beim Spaziergang war auch sehr nett, zumal ja allgemeine Zufriedenheit geäußert wurde, die ich teile :-)
Fazit:
Auf dem Seminar konnte viel angerissen werden, so als Hilfe, sich selbst in interessante Sachen zu vertiefen. Immer wieder schien auch hervor, dass es in den Gruppen vor Ort kaum antisexistische Debatte & Praxis gibt, überall ähnliche Probleme vorherrschen und das Seminar dabei neue Impulse gebracht hat ... hoffentlich.
Schön fand ich die Phasen des gemeinsamen Entwickelns von Themen (Schönheitswahn, Körpersprache), die sich an eigenen Erfahrungen orientierten. Insgesamt erfreut war ich über den - relativ - gleichberechtigen Gruppenprozess trotz Wissensunterschiede und Sozialisationen. Vor allem in dieser Mischung ... sich persönlich kennen zu lernen, produktiv zu sein und gleichberechtigt zu entscheiden. Und das ist aus meinr Sicht sehr gut gelungen, so dass wir immer sehr nah an unseren augenblicklichen Bedürfnissen waren. Svenja hat das ja auch so gesagt, dass sie es schön fand, sich einfach raus ziehen zu können ... ohne Druck. Ging mir auch so. Das macht Mut für weitere Seminare und dem offensiven Eintreten für hierarchiefeindliche Organisationsmodelle!
Dass der Gruppenprozess nicht von einzelnen gelenkt wurde bzw. werden mußte war extrem angenehm, da ich mich nicht gezwungen sah, immer voll "rein zu powern" ... sehr entspannend. Wobei ich mir gerne mehr Zeit für Reflexion im Stillen genommen hätte, aber irgendwie war ich so drin & fand die Menschen auch so spannend, dass ich mir kaum ruhige Minute gegönnt habe. Na ja, ich hab ja auch nicht jeden Tag so schönen Austausch. Wobei es natürlich auch sehr glücklich war, dass wir alle gut miteinander klar kamen: Antipathien in so einer Kleingruppe hätte ganz schön heavy ein können, zumal mensch sich nicht aus dem Weg gehen kann ...
Ein paar Verbesserungen habe ich noch im Kopf:
Was ich mir stärker gewünscht hätte wäre eine queere Perspektive, also zu kucken, wo (individuelle) Brüche sind, an denen mensch ansetzen kann ... da kein Mensch dem Ideal von Mann | Frau, Mackerum, Heterosexualität usw. entspricht. Wo bin ich nicht typisch männlich bzw. weiblich, wo klaffen Normen und Wirklichkeit, Bedürfnisse auseinander? Vor allem bei Sozialisation und "Geschlecht bewusst gemacht" hätte sich das angeboten, um nicht den Eindruck zu erwecken, alle Menschen seien halt so. Auch das Festhalten von Diskussionsprozessen wäre cool gewesen.
6.) Die Erdbeeren, die wir essen ...
Rundbrief der Ökoli Köln # 4, Juli 02
Kurz vor dem EU-Gipfel in Spanien, am 10 Juni 2002, haben 500 ArbeiterInnen
aus der Erdbeerernte in Huelva die Universität Pablo de Olavide in Sevilla
besetzt. Sie wollen damit auf ihre Forderungen nach besseren
Arbeitsbedingungen, nach der Legalisierung ihres Aufenthaltsstatus sowie auf das drohende
spanische Ausländergesetz aufmerksam machen. Darin ist u. a. vorgesehen, den
Familiennachzug zu unterbinden, die Aufenthaltsberechtigungen zu befristen und
arbeitslose AusländerInnen aus Spanien abschieben zu können. Über die
Verhältnisse auf den Erdbeerfeldern Südspaniens informiert der folgende Text.
Erdbeeren mit Zucker, Erdbeeren mit Orangensaft, Milchshakes mit "richtigen"
Erdbeeren... Die meisten Erdbeeren, die in Europa konsumiert werden, kommen
aus der spanischen Provinz Huelva in Andalusien. Manchmal werden sie in den
Geschäften als "Früchte der Region" angepriesen, so daß leichtgläubige
TouristInnen beim Besuch irgendeines schönen Ortes etwas "Ursprüngliches" kaufen
können. Manchmal werden die Erdbeeren ganz unverfroren als Produkte von der
Küste Barcelonas verkauft, auch wenn sie in Kisten mit dem Aufdruck "Palos de la
Frontera (Huelva)" verpackt sind. (...)
Aber die Erdbeeren, die in Huelva wachsen, stammen gar nicht aus Huelva.
Jedes Jahr zweigen die Agrarfirmen aus Huelva Millionen von Dollar
Lizenzgebühren für kalifornische Industriebetriebe ab, die die Erdbeerpflanzen gezüchtet
haben. Erdbeeren sind ein globales Produkt mit amerikanischem copyright. Sie
werden in den regenarmen Kiefernwäldern Zentralspaniens genährt und
aufgezogen, bevor sie aus dem Boden geholt und in die sandigen Böden Huelvas wieder
eingepflanzt werden. Erdbeeren brauchen einen toten, mikrobenfreien Boden, damit
sie von Krankheiten verschont bleiben. Deshalb werden sie in einen Teppich
aus giftigem Pflanzenschutzmitteln gesetzt, der alle Arten von Ungeziefer
vernichtet und nebenbei noch das Ozonloch vergrößert, das jedes Jahr Tausende von
Hautkrebsfällen verursacht. Der Erdbeeranbau trägt also auch zu den Profiten
der Gesundheitskonzerne bei...
Der Anbau von Erdbeeren verlangt Sorgfalt und ist teuer. Sie werden unter
Plastikplanen gehalten und brauchen große Mengen an Düngemitteln, Pestiziden,
Herbiziden und viele Arbeitsstunden zum Pflücken. Die Behörden helfen, indem
sie kostenlos die Plastikabfälle einsammeln, und falls sie es doch nicht tun,
sind die Farmen von Schluchten und Sümpfen voller Plastik umgeben. Wenn die
Abfallhaufen dann doch zu groß werden, reicht ein Streichholz, um sie in
giftigen Rauch zu verwandeln, was zur Erwärmung des Planeten beiträgt. Das ist
eine gute Nachricht, denn steigende Temperaturen bedeuten, daß die Erdbeeren
irgendwann einmal nicht mehr mit Plastik abgedeckt werden müssen (...).
Die großen europäischen Vertriebszentren sowie die Verpackungs- und
Transportunternehmen erhalten den größten Batzen aus den Profiten des
Erdbeergeschäfts. Dann müssen die AgrarunternehmerInnen neben den Lizenzgebühren noch das
Plastik, die Pflanzenschutz- und Düngemittel bezahlen. Bei starkem Wind und
Regen werden die Pflanzen zerstört. Glücklicherweise erhört der Staat ab und zu
die Forderungen der BäuerInnen und leistet Schadensersatz.
Wie kann das Agrokapital überhaupt Profit machen, wenn es so viel Fixkosten
hat? Dadurch, daß es die PflückerInnen bis auf's Blut auspresst. In den
letzten Jahren haben Tausende von andalusischen TagelöhnerInnen (darunter viele
Frauen) zusammen mit ImmigrantInnen aus Portugal und Nordafrika die Erdbeeren
auf den Feldern Huelvas gepflückt. Harte Arbeit, die auf den Rücken geht,
stundenlang unter heißer Sonne schuften, für niedrigen Lohn und mit Unterkünfte
zu TouristInnenpreisen - das müssen die Menschen aushalten, die die Erdbeeren
pflücken, die wir essen.
Die KapitalistInnen können sich nicht den Luxus leisten, daß ihre
ArbeiterInnen Forderungen stellen. Sie haben zuerst die Gewerkschaften angegriffen,
später haben sie ArbeiterInnen aus kämpferischen Dörfern keine Jobs mehr gegeben
und sie durch EinwanderInnen ersetzt. Wenn sie illegal waren, um so besser,
dann protestierten sie weniger...
Mit dem neuen Ausländergesetz und nach den Besetzungen und Protesten des
letzten Jahres bekamen ungefähr 1.200 nordafrikanische ArbeiterInnen Papiere:
Sie wurden "regularisiert", um ausschließlich bei der Ernte in der Provinz
Huelva zu arbeiten. Weder die Agrokonzerne noch die großen Gewerkschaften (die
mit den vorangegangen Kämpfen nichts zu tun hatten) wollten es zulassen, daß
die ArbeiterInnen, die für ihre Papiere gekämpft hatten, auf diesen Farmen
arbeiten konnten. Ende Herbst 2001 kamen Vertreter der Regierung, der Arbeitgeber
und der großen Gewerkschaften überein, 7.000 Menschen in ihren Heimatländern
anzuwerben. Dieses Abkommen wurde von der zentralen Einwanderungsbehörde
gebilligt.
Also gingen die Arbeitgeber auf dem internationalen Arbeitsmarkt einkaufen
und heuerten ungefähr 4.500 Menschen in Polen, 1.500 in Rumänien und die
restlichen 1.000 in Marokko und Kolumbien an. Es waren vorzugsweise Frauen, um zu
verhindern, daß die Arbeitskräfte in Huelva bleiben, denn überall auf der
Welt haben die Frauen die Hauptverantwortung für die (zurückgelassene) Familie.
Die Regierung schien sich nicht darum zu kümmern, daß die vorgesehene Anzahl
für Anwerbungen von Arbeitskräften in ihren Heimatländern (zusätzlich zu den
"Regularisierten" vor Ort) für 2002 nur bei 3.500 und nicht bei 7.000 lag.
Ihnen war klar, daß durch diese Verdopplung die RebellInnen aus dem letzten
Jahr ihre Jobs verlieren würden. Statt von AfrikanerInnen werden unsere
Erdbeeren jetzt also von blonden, weißen Menschen gepflückt. Fügsam und gewillt,
wieder nach Hause zurückzukehren.
Ungefähr 5.000 Nordafrikaner haben in den Orten der Erdbeerernte Hütten aus
Plastik errichtet. Dort sind sie ohne Job und ohne jede Versorgung, sie
hungern und müssen sogar um Wasser betteln, andere stehlen. Vor einigen Tagen sind
einige Hundert von ihnen aus diesen Dörfern zur Provinzhauptstadt
marschiert, organisiert von den kleinen Gewerkschaften, die sie unterstützen. Ein
Großteil von den 1.200, die nur Papiere für die Arbeit auf den Feldern von Huelva
haben und von den Nahrungsmittelfirmen jetzt verschmäht werden, machte bei
diesem Marsch mit: Vielleicht kriegen sie bald, wenn die Pflanzen in voller
Blüte stehen und jede Hand gebraucht wird, einen Job. Und sie werden die Lektion
genau gelernt haben: Um Erdbeeren zu pflücken, muß man sich nach vorne
beugen - in demütiger und unterwürfiger Körperhaltung.
Zwischenzeitlich haben die Bürgermeister und andere wichtige Kräfte in den
Dörfern der Umgebung ein hartes Durchgreifen und Abschiebungen gefordert.
Diese werden selektiv gehandhabt: Alle, in deren Gesicht das Wort "Protest"
gesehen werden kann, werden abgeschoben. Obwohl die Behörden in Huelva von 2.500
illegalen ArbeiterInnen ausgehen, die sich in der Gegend aufhalten, lassen sie
sich mit deren Abschiebung Zeit: Sie könnten ja noch als eine Art
Sklavenarbeitskraft während der wenigen Tage nützlich sein, in denen die Erdbeerfelder
ihre volle Pracht entfalten.
Wenn jemand immer noch Lust auf Erdbeeren aus Huelva hat, dann hat mensch
mehr als die Geschmacksnerven verloren.