anarchistische Geschichte des 1. Mai
Schwarze Katze: Anarchistische Ursprünge des 1. Mai
Zur Geschichte des 1. Mai, Interhelpo # 7, Mai 01, Zeitung des Bildungssyndikats Münster
Nie wieder Arbeit!, Interhelpo # 7, Mai 01, Zeitung des Bildungssyndikats Münster
Adolph Fischer - Ein militanter
Anarchosyndikalist, direkte aktion # 138
Schluss mit dem Gejammer - Heraus zum 1. Mai!, direkte aktion # 133
Schwarze Katze: Anarchistische Ursprünge des 1. Mai
Den Artikel findest du hier: http://schwarze.katze.dk/texte/1mai12.html
Zur Geschichte des 1. Mai
Quelle: Interhelpo # 7
Die Geschichte des 1. Mais als ArbeiterInnenkampftag geht seit Beginn der ArbeiterInnenbewegung mit deren Entwicklung einher. Schon in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts kam es zu Diskussionen darum, an einem Tag kollektiv die Arbeit niederzulegen.
1884 forderten die "Föderierten Gewerkschaften und Arbeitervereine der USA und Kanadas", daß ab dem 1. Mai 1886 der legale Arbeitstag nicht mehr als 8 Stunden zu betragen hätte.
Als dieser Tag dann kam, traten in den USA 340.000 ArbeiterInnen in den Streik, allein in Chicago waren es 40.000. Wenige Tage später fand hier das bekannt geworden Massaker vom Haymarket statt, bei dem durch einen von Provokateuren angezettelten Bombenanschlag ein Polizist um das Leben kam und in einer folgenden Schießerei 6 Polizisten und 7 oder 8 ArbeiterInnen. 30 - 40 Verletzte soll es gegeben haben.
In einem anschließenden Schauprozeß wurden sieben Anarchisten zum Tode verurteilt, in der klassischen Manier, wie es z.B. auch bei den mittlerweile rehabilitierten Sacco und Vanzetti geschah oder aktuell in den Fällen Mumia Abu Jamals oder Leonard Peltiers.
Am 14. Juli 1889 wurde auf Vorschlag der amerikanischen Delegation in Erinnerung an die Märtyrer von Chicago auf dem internationalen Arbeiterkongress in Paris der 1. Mai zum internationalen ArbeiterInnentag erklärt.
Das Ziel, der Achtstundentag, sollte - so die Sozialdemokraten - jedoch nicht durch einen Generalstreik, sondern durch Verhandlungen erreicht werden. Gerade die deutsche Sozialdemokratie lehnte einen Generalstreik vehement ab. Die Resolution der SPD zum 1. Mai wurde jedoch mißverständlicherweise als Aufruf zum Streik aufgefaßt. Daß die SPD-Funktionäre diesem entgegentraten, wurde ihnen von Basis und von den Gewerkschaften allenthalben übel genommen. Während nun am 1. Mai die lokalistischen Gewerkschaften (später: FVDG) und die sozialdemokratische Opposition der "Jungen" für den Generalstreik am 1. Mai eintraten, sammelte die SPD relativ erfolglos Unterschriften.
Die Drückebergerei der Sozialdemokraten ging noch weiter: Als 1891 von der 2. Internationale beschlossen wurde, am 1. Mai die Arbeit niederzulegen, verlegte die SPD den Aktionstag in Deutschland auf den 1. Sonntag im Monat. Mit immer wieder neuen Ausreden versuchte die SPD im Folgenden, Arbeitsniederlegungen am 1. Mai zu verhindern: Die ökonomische Lage spräche dagegen, oder die "gegenwärtige Arbeitslage" usw. Dennoch fanden jedes Jahr Streiks statt. Die Streikenden hätten allerdings der finanziellen und organisatorischen Unterstützung der Gewerkschaften bedurft, was dieser ein Dorn im Auge war. Daher lehnten auch diese 1914 offiziell den Generalstreik ab, abgesehen von den lokalistischen und syndikalistischen Organisationen.
Als die Nationalsozialisten nach 1933 die ArbeiterInnenbewegung weitestgehend zerschlugen, machten sie aus dem vormaligen internationalen ArbeiterInnenkampftag den nationalen "Tag der Arbeit". Als solcher steht er auch heute noch in jedem Kalender und Neofaschisten beziehen sich auf diese rein deutsche autoritäre "Tradition".
SPD und reformistische Gewerkschaften haben nie ihren Teil dazu getan, aus dem 1. Mai, der ein Kampftag der arbeitenden Basis war, einen wirklichen ArbeiterInnenkampftag zu machen, und das sich der DGB heute diesen Tag auf die Fahnen schreibt, ist der blanke Hohn.
Es ist allerdings auch konsequent, wenn wir uns die Schwäche des jetztigen 1. Mai anschauen: Ein offizieller Feiertag, der vom DGB für müde Kundgebungen genutzt wird und an dem Familien spazieren gehen und Jugendliche sich besaufen.
Konsequent war es, daß historisch an einem nicht offiziellen Feiertag die Arbeit niedergelegt wurde, oder in Zeiten ohne oder mit wenig Urlaub eine arbeitsfreie Woche oder gar ein Monat gefordert wurde.
Dies ist ein Punkt, an dem wir einhaken können. Ebenso müssen wir als gewerkschaftlich orientierte AnarchistInnen den 1. Mai wieder zu dem machen, was er einmal war: Dem internationalen Kampftag der ArbeiterInnenbewegung.
Um dem 1. Mai seine Aussagekraft zurückzugeben, ist es auch nötig, sich nicht auf den Kampf der ArbeiterInnen und damit auf den ökonomischen Kampf zu beschränken: Wie es in Münster der Fall ist, muß es ein Tag der internationalen Solidarität sein, ein Tag nicht nur gegen den Kapitalismus, sondern auch gegen den alltäglichen Rassismus, den wieder aufkeimenden Militarismus, gegen das Patriarchat und für die internationale Solidarität.
Literaturhinweise:
-Halfbrodt, Michael: Generalstreik, Achtstundentag und Erster Mai. Ein Kapitel aus der radikalen Arbeiterbewegung. Ed. Blackbox, Bielefeld 1997.
-Hausmann, Friederike: Die deutschen Anarchisten von Chicago. Oder warum Amerika den 1. Mai nicht kennt. Wagenbach, Berlin 1998.
-Marßolek, Inge (Hg.): 100 Jahre Zukunft. Zur Geschichte des 1.Mai. Büchergilde Gutenberg, Frankfurt a.M. und Wien 1990.
Nie wieder Arbeit!
Eine ArbeiterInnenbewegung muss gegen die Arbeit sein
Quelle: Interhelpo # 7
In den heutigen Industrieländern ist die Arbeit mittlerweile zu einem zentralen Wert gewachsen. Statt wie in vorkapitalistischen Gesellschaften - in denen Arbeit noch als ein notwendiges Übel gesehen wurde - definieren sich die Menschen heute über ihren Beruf.
So ist die weit bekannte Frage "Was willst du einmal werden?" nicht nur eine Frage nach der künftigen Tätigkeit eines Menschen, sondern impliziert immer auch, welche Position jemand in der Gesellschaft einnehmen wird, zu welcher Klasse jemand gehört. Es gibt also eine allgemein akzeptierte "Rangordnung" der geleisteten Berufe und damit auch eine Einteilung der Menschen, die diese Berufe ausüben, in verschiedene "Schichten" - oder genauer - in Klassen. Damit einher geht eine ungerechte Verteilung des vorhandenen gesellschaft-lichen Reichtums, politischen Rechten und der Verteilung zu leistender Arbeit.
Menschen, die aus der Arbeitswelt herausfallen - weil sie zu alt, den "falschen" Bildungsstand, den "falschen" Pass oder einfach nur keine Lust auf fremdbestimmte Arbeit haben, werden an den gesellschaftlichen Rand gedrängt. Doch anstatt sich gegen ein solches ausbeuterisches Arbeitsverhältnis gemein-sam zu solidarisieren und auch wieder ein Recht auf Faulheit zu fordern, ist der Kampf der ArbeiterInnenbewegung immer ein Kampf für Arbeit gewesen - zumindest im autoritären, sozialdemokratischen Flügel. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass sich der DGB z.B. in einem "Bündnis für Arbeit" wiederfindet, und auch der 1. Mai wird im allgemeinen noch "Tag der Arbeit" anstatt "Tag der ArbeiterInnen" genannt.
Die Befreiung der Menschheit von der Arbeit ist seit der Industrialisierung immer mehr verdrängt worden, mittlerweile sogar zum Gegenteil verkehrt. Ein Beispiel dafür ist es, dass es für die meisten Menschen nebensächlich ist, welche Arbeit sie ausüben, für viele zählt nur: Hauptsache Arbeit. Durch die fortschreitende Technologisierung der Arbeitsabläufe gibt es nur noch wenig Beschäftigung für immer mehr Arbeitssuchende, dafür aber immer höher werdende Anforderungen an die, die noch Arbeit haben. Maschinen werden nicht erfunden, um uns die Arbeit zu erleichtern, sondern dienen der Leistungssteigerung derer die sie bedienen, ohne auf deren tatsächliche Bedürfnisse einzugehen.
Und zudem arbeiten Maschinen zuverlässiger, länger und auch noch ohne Lohn für den Unternehmer/ die Unternehmerin. Deshalb ersetzen in allen großen und kleinen Betrieben mittlerweile Maschinen die Arbeitskraft vieler Menschen, die dann häufig zu hohen Zahlen auf die Strasse gesetzt werden. Aus Angst, selbst von so einer "Rationalisierungsmaßnahme" betroffen zu sein, oder zu wissen, dass mensch jederzeit ausgetauscht werden kann, leisten nur wenige Widerstand gegen die Arbeitsverhältnisse oder solidarisieren sich mit den immer mehr werdenden arbeitslosen Mitmenschen.
Es gibt vielmehr einen Konkurrenzkampf um die wenigen verbliebenen Arbeitsplätze, bei dem jene, die schon aus der Arbeitswelt herausgefallen sind, als "SozialschmarotzerInnen" bezeichnet und am untersten gesellschaftlichen Rand gehalten werden. Die Gewinner bei diesem Kampf um Arbeit sind die Arbeitgeber, für die es ein Leichtes ist, die Löhne niedrig zu halten, da die Nachfrage auch nach unangenehmen Beschäftigungen groß bleibt; der gesellschaftliche Druck ist für viele einfach zu hoch, um sich gegen solche ausbeuterischen Bedingungen zu wehren. Der Wert der Arbeit in solchen Gesellschaften hat sich mittlerweile zu einem Dogma mit faschistoiden Auswirkungen gegen Arbeitslose entwickelt.
Eine wichtige Ursache, die diese drastische soziale Situation begünstigt hat, liegt sicherlich in der bodenlosen Konsumhaltung der in den Industriegesellschaften lebenden Menschen. Um diesen - luxuriösen - Massenkonsum aufrecht zu erhalten und den Profit der Reichen weiter zu steigern, ist ein hoher Grad an Selbstversklavung der ArbeiterInnen von Nöten, wogegen massiv angegangen werden muss. Denn klar ist, dass diese kapitalistische Wirtschaftsordnung jeden Tag unser ökologisches und soziales Klima mehr zerstört.
Organisiert euch selbst, leistet Widerstand und sorgt dafür, dass dieser Horror ein Ende nimmt!
Literaturhinweise:
- Gruppe Krisis: Manifest gegen die Arbeit. Eigenverlag, Köln 1999.
- Lafargue, Paul: Das Recht auf Faulheit. Widerlegung des "Rechts auf Arbeit" von 1848. Edition Sonne und Faulheit, o.O.1980.
- Materialien zu Paul Lafargues "Recht auf Faulheit". O.v., o.O., o.J. (evtl. Marburg 1973).
- Unruh, Ludwig: Hauptsache Arbeit? Zum Verhältnis von Arbeit und menschlicher Emanzipation. Syndikat A, Moers 2001.
Adolph Fischer - Ein militanter
Anarchosyndikalist
Autor: H., Lokalföderation der FAU Bremen
Quelle: direkte aktion # 138
Der gebürtige Bremer
Adolph Fischer war in der anarchistischen amerikanischen ArbeiterInnenbewegung
aktiv und gehörte schießlich zu den 8 Hingerichteten im Chicagoer
"Haymarket-Prozess " von 1886
frühe Jugend in
Bremen
Adolph Fischer ist in Bremen geboren, und dort 8
Jahre zur Schule gegangen ("Ich bin wie jedes normale Kind aufgewachsen"). So
aufzuwachsen hieß , schon als Kind Staats- und Kaisertreu und antisozialistisch
erzogen zu werden. Er entdeckte jedoch den Widerspruch zu seiner eigenen
proletarischen Herkunft und gewann durch seinen Vater Sympathien für den
Sozialismus. Zusammen mit ihm besuchte er regelmäßig sozialistische
Versammlungen. Die Staatsschule bezeichnet er nur als eine "Einführung in die
praktische Schule des Lebens". Eine große Anzahl von Arbeitern würden ihre
Erfahrungen in der harten Schule ihres Lebens sammeln und beginnen, die
Krankheitssymptome der Gesellschaft richtig zu deuten. Dazu gehören Kapitalisten
und Profitgeier, die geistige Betäubung der Arbeiter.
Engagierter
Anarchosyndikalist in Amerika
1873 ist er im Alter von 15 Jahren
wie Tausende andere SozialistInnen nach Amerika ausgewandert. Dort begann er
kurz nach seiner Ankunft schon eine Ausbildung als Schriftsetzerlehrling in der
Druckerei seines Bruders. Nach dessen Abschluss zog er von Ort zu Ort und trat
in St. Louis schließlich 1879 in die "Deutsche Druckergewerkschaft" ein ( Die
amerikanische ArbeiterInnenbewegung bestand zu einem sehr großen Teil aus
exilierten Deutschen). Dort heiratete er auch zwei Jahre später und wurde bis zu
seinem Tod Vater von drei Kindern. 1883 zog er dann mit seiner Familie nach
Chicago, ein Zentrum der damaligen anarchistischen ArbeiterInnenbewegung und
fand eine Anstellung bei der "Chicagoer -Arbeiter-Zeitung" als
Schriftsetzer. Er hielt es für seine Pflicht, die Lehre des Sozialismus wo und
wann immer es ihm möglich war, zu verbreiten. Die "Chicagoer Arbeiter Zeitung"
hatte eine Auflage von 6000 Exemplaren und war das wichtigste aktuelle
Informationsmedium für die Bewegung. Adolph Fischer war Mitglied im 1875 in
Chicago gegründeten
"Lehr- und Wehrverein". Dieser schulte seine Mitglieder
sowohl politisch, als auch militärisch, was für den Arbeitskampf unabdinglich
war, da sich bei Streiks und Demonstrationen immer wieder vor Polizei und
Militär geschützt werden musste. Er gehörte zu den "Unversöhnlichen", dem
militantesten Flügel der anarchistischen
ArbeiterInnenbewegung.
Haymarket: Tote Arbeiter
Ein
unmittelbares Ziel der ArbeiterInnenbewegung war Erkämpfung des
Acht-Stunden-Tages. Dafür und gegen die sich verschärfenden Klassengegensätze
demonstrierten ab dem 1. Mai 1886 in Chicago Tausende von ArbeiterInnen und mehr
als 40000 traten in den Streik. Zwei Tage später erschossen Polizisten 2
Arbeiter. Darauf reagierte der Herausgeber der "Chicagoer Arbeiter
Zeitung",
August Spies, mit einem Flugblatt mit dem Untertitel: "Arbeiter,
bewaffnet Euch und erscheint massenhaft !", das in hoher Auflage verteilt
wurde.
Adolph Fischer gehörte zu der Gruppe von Anarchosyndikalisten, die zum
selben Thema eine Protestversammlung auf dem "Haymarket" erörterten. Der
gebürtige Bremer erhielt schießlich das Mandat zur Vorbereitung dieser
Massenversammlung. Unter der Bedingung, daß der Aufruf zu Bewaffnung aus dem
Flugblattext wieder gestrichen wird, sagte August Spies als Redner zu. Trotzdem
gelangten einige hundert militante Flugblätter an die Öffentlichkeit. Die
Versammlung besuchten dann etwa 3000 ArbeiterInnen. Da sich die Redebeiträge der
3 Sprecher in die Länge und Gewitterwolken heranzogen, verblieben nur noch etwa
300 Menschen als eine Bombe in den Reihen der Polizisten explodierte. Dies
nahmen sie zu Anlass in die Menge der ArbeiterInnen zu schiessen und weitere 8
Arbeiter zu ermorden. Die Urheber der Bombenexplosion konnten nie ermittelt
werden. Dieser Abschnitt ging als "Haymarket-Tragödie" in die Geschichte
ein.
Nun setzte der Staat alles dran, die anarchistische
ArbeiterInnenbewegung zu zerschlagen: Wohnungsdurchsuchungen, Hunderte von
Verhaftungen, brutale Verhöre mit Erpressung von Geständnissen und Bestechung
von Zeugen für die Anklage, dazu eine intensive
Pressehetze gegen die
ArbeiterInnen. Nichtanarchistische Gewerkschaften und Verbände distanzierten
sich von den angegriffenen AnarchistInnen, um ihre Macht und ihre Pfründe zu
erhalten, wie wir das von Sozialdemokraten und Kommunisten nur zu gut
kennen.
Adolph Fischer erfuhr erst am nächsten Tag aus der Zeitung von
den Vorfällen auf der Versammlung, da er früher gegangen war. Er wurde dann
wenig später um 10.30 Uhr mit anderen Kollegen im Büro der "Chicagoer Arbeiter
Zeitung" verhaftet.
Schauprozess und Morde
Es begann
einer der bedeutendsten Prozesse gegen die ArbeiterInnenbewegung.
Angeklagt
waren neben Adolph Fischer und August Spie noch weitere 6 Arbeiter, die zum Teil
Alibis hatten. Der zunächst entflohene Albert Parsons kehrte schließlich zurück,
da es ein Anwalt als wichtig erachtete, daß der einzig gebürtige Amerikaner beim
Prozess
zugegen sei. Er setzte sich zu seinen GenossInnen auf die
Anklagebank. In einem Schauprozess wurden sieben von ihnen zum Tode verurteilt,
darunter Adolph Fischer.
Der Prozessverlauf sorgte nochmals für eine breite
Solidaritätskampagne, der sich sogar ein Grossteil der eher liberalen
Öffentlichkeit anschloss . Die Verurteilten ließen Kassiber aus den Gefängnissen
rausschmuggeln, in denen Beiträge für die Arbeiterzeitungen und Autobiografien
enthalten waren. Ein Berufungsverfahren wurde jedoch abgelehnt und der
Hinrichtungstermin auf den 11. November gesetzt. Keiner der Verurteilten
distanzierte sich von seiner Überzeugung. Zwei von ihnen reichten Gnadengesuche
ein. August Spieß
zog sein Gesuch wieder zurück. Adolph Fischer und die
anderen hatten sich für den Tod, für die sozial Entrechteten entschieden:
"Wie das Gericht und die
Staatsanwaltschaft öffentlich erklärt haben, wurde das Todesurteil verhängt, um
die anarchistische und sozialistische Bewegung zu zerschlagen.
Ich freue
mich, da diese barbarische Maßnahme das genaue Gegenteil bewirkt hat. Tausende
von Arbeitern sind durch unsere Verurteilung erst dazu gekommen, sich mit dem
Anarchismus eingehender zu beschäftigen. Wenn wir hingerichtet werden, können
wir das Schafott mit dem befriedigenden Gefühl besteigen, daß wir durch
unseren Tod die Sache, die uns allen so am Herzen gelegen hat,
weiter
vorangetrieben haben, als es uns möglich gewesen wäre, wenn wir so alt wie
Methusalem geworden wären." (Adolph Fischer).
Den Gnadengesuchen wurde stattgegeben
und die Todesstrafe in lebenslange Haft umgewandelt, die anderen wurden
pünktlich erhängt. unter ihnen Adolph Fischer (Bremen), Albert R. Parsons
(Montgomery), August Spieß (Landeck), Georg Engel (Kassel).
Dieser 11.
November wurde in Amerika zu einem Gedenktag der ArbeiterInnenbewegung. Die
Ereignisse wurden weltweit bekannt und zogen viel Solidarität von allen
Kontinenten nach sich.
Adolph Fischer schrieb
Für
welchen Kampf und gegen welche Mißstände Adolph Fischer einstand, legte er in
einem Schreiben aus der Haft heraus dar, von dem hier ein Auszug dokumentiert
werden soll:
"...Die Arbeiter werden von frühester Kindheit an auf ihr
späteres Schicksal vorbereitet, genauso wie Tanzbären von ihren Meistern
dressiert werden. In Schulen und Kirchen lernen sie, es sei Gottes Wille, daß es
Reiche und Arme gäbe. Die Werke des Allmächtigen sind weise und unergründlich.
Er weiß ganz genau, was er tut, wenn er einige seiner Kinder mit Reichtum und
Besitz überhäuft, während andere nicht genug zum Leben haben. Nun mögen einige
engstirnige Leute behaupten, Gott handle hiermit sehr voreingenommen.
Aber
sie irren sich. Auf diejenigen, die auf dieser elenden Erde augenscheinlich
vernachlässigt werden, wartet im Himmel höchste Anerkennung, so daß alles wieder
ins rechte Lot kommt. Gott liebt die Demütigen und Bescheidenen, die Geduldigen
und Gehorsamen, wird den Arbeitern eingeredet. Bete und arbeite, denn Gott selbst hat die sündige
Menschheit dazu verdammt, ihr tägliches Brot im schweiße ihres Angesichts zu
essen.
Diese und ähnliche Ratschläge verfehlen ihre Wirkung auf das
aufnahmebereite Bewusstsein des Kindes nicht, und so bleiben sie, wenn sie
erwachsen sind, gehorsame, anspruchslose und unwissende Sklaven, ohne sich
dessen bewusst zu sein. Man hat sie zur Unwissenheit erzogen, und sie vermuten
nirgends ein Unrecht, sondern glauben, daß der Gesellschaftszustand, in dem sie
leben, die natürliche Ordnung der Dinge sei. Kein Wunder also, da die
herrschende Klasse diese Leute als "rechtschaffende, ehrliche und gesetzestreue"
Arbeiter bezeichnet. Sie haben nun Grund genug, über sie zu herrschen, denn sie
sind wirklich so gehorsam, wie eine Schar Gänse und so sanft wie Lämmer.
Aber
wenn diese blinden, ewig träumenden Sklaven nur einmal hinter die Kulissen
blicken, würden sie entdecken, da sie auf eine infame Weise betrogen werden. Sie
würden herausfinden, da diejenigen, die ihnen "bete und arbeite!" in die Ohren
schreien, sich zwar zum Beten herablassen, aber nicht arbeiten; und da
diejenigen, die ich müde werden, die Arbeiter daran zu erinnern, da sie ihr
tägliches Brot im Schweiße ihres Angesichtes verzehren sollten, diesen Anspruch
nicht auf sich selber beziehen. Sicher, diese Heuchler geraten a und zu ins
Schwitzen, aber nicht weil sie arbeiten, sondern weil sie ausschweifende Orgien
feiern.
Das stärkste Bollwerk des kapitalistischen Systems ist die
Unwissenheit seiner Opfer. Der Durchschnittsarbeiter schüttelt wie der
ungläubige Thomas den Kopf, wenn man ihm zu erklären versucht, daß er
unter ökonomischen zwängen lebt. Als ich an der Seite meiner Kollegen
arbeitete und versuchte, sie von meinen Ideen zu überzeugen, pflegte ich
ihnen eine Geschichte über Füchse zu erzählen:
"Mehrere Füchse
sannen über einen Plan nach, der es ihnen ermöglichen sollte, zu leben, ohne auf
die Jagd gehen zu müssen. Schließlich kamen sie auf eine Idee, und sie nahmen
alle Quellen und anderen Wasserstellen in Besitz. Als nun die anderen Tiere
kamen, um ihren Durst zu löschen, sagten die Füchse zu ihnen: "Die Wasserstellen
gehören uns. Wenn ihr trinken wollt, müsst ihr uns etwas dafür geben und uns als
Gegenleistung zu fressen bringen." Die anderen Tiere waren dumm genug zu
gehorchen. Und um trinken zu können, mußten sie den ganzen Tag auf Jagd gehen,
um das Fressen für die Füchse zu besorgen, so daß für sie selbst nur sehr wenig
übrigblieb."
Ich fragte einen meiner Kollegen, der als überzeugter Gegner des
Sozialismus bekannt war, was er von dieser Geschichte halte ? Er sagte, daß die
Tiere, die von den Füchsen so sehr betrogen worden waren, sehr dumm gewesen
wären. Er meinte, da sie die Füchse von den Wasserstellen hätten vertreiben
müssen.
Als ich ihn darauf hinwies, daß in der modernen Gesellschaft etwas
ähnliches praktiziert würde, nur mit dem Unterschied, daß die Rolle der Füchse
von den Kapitalisten eingenommen würde und die Wasserstellen nur ein anderer
Ausdruck für Produktionsmittel wäre, blieb er mir die Antwort schuldig. Dieses
Beispiel zeigt die Unwissenheit und Gleichgültigkeit des Durchschnittsarbeiters.
Im Vorgehen der Füchse sehen sie nichts als Raub, während sie die Methoden der
Kapitalisten billigen.
Von seinen Gegnern werden dem Anarchismus einander
widersprechende Vorwürfe gemacht. Einige Leute haben das Gefühl, daß der Mensch
in der anarchistischen Gesellschaft, in der niemand herrscht und niemand
beherrscht wird, sehr vereinsamt sein müsse. Das ist nicht richtig. Die Menschen
neigen von Natur aus dazu, mit ihren Mitmenschen zusammenzuleben. In einer
freien Gesellschaft würden die Menschen ökonomische und soziale Verbände bilden,
aber alle Organisationen wären freiwillig und nicht erzwungen. Im Gegensatz dazu
sind Gesetzt und Gesetzesübertretungen Attribute des Privateigentums, vor allem
der ungerechten Verteilung von lebensnotwendigen Gütern, der Erniedrigung und
der Not. Zu behaupten, ein Mensch ist in der Regel nur das Spiegelbild
der
gesellschaftlichen Verhältnisse. In deiner Gesellschaft, die der freien
Entfaltung des Menschen keinen Stein in den Weg legt und die jeden in gleicher
Weise an dem Streben nach Glück teilhaben läßt, wird niemand einen Grund haben,
Verbrechen zu begehen.
Wie wollen die Anarchisten ihre Ideen verwirklichen ?
Anarchismus an sich heißt nicht Gewalt, sondern Frieden. Aber ich bin sicher,
daß jeder, der den wahren Charakter des kapitalistischen Systems erkannt hat und
der sich keiner Selbsttäuschung hingeben will, mit mir darin übereinstimmen
wird, daß die herrschende Klasse ihre Privilegien nie und nimmer freiwillig
abtreten wird.
Für die Abschaffung der Leibeigenschaft in diesem Land wurde
ein langer und furchtbarer Krieg geführt. Obwohl man ihnen anbot, sie für ihre
Verluste zu entschädigen, wollten die Sklavenhalter ihren Sklaven nicht die
Freiheit geben. Meiner Meinung nach sind diejenigen, die glauben, daß die
modernen Sklavenhalter, die Kapitalisten, ihre Privilegien freiwillig aufgeben
und ihre Lohnsklaven freigeben, bedauernswerte Theoretiker.
Die Kapitalisten sind viel zu
selbstsüchtig, um Vernunft anzunehmen. Ihr Egoismus ist so groß , da sie sich
sogar weigern, unbedeutende Zugeständnisse zu machen. Die Kapitalisten und
Syndikate (gemeint sind hier die Zusammenschlüsse der Kapitalisten, Anm. d.
Autoren) büßen lieber Millionen von Dollars ein, als der Forderung nach dem
Achtstundentag zuzustimmen. Wäre eine friedliche Lösung der sozialen Frage
möglich, wir Anarchisten wären die ersten, die sich darüber freuen würden.
Es
ist doch ohne Zweifel so, daß bei fast jedem Streik die Speichellecker des
Privateigentums - die Miliz, Polizei, Sheriffs, ja sogar Bundestruppen - zu den
Schauplätzen der Auseinandersetzungen zwischen Arbeitern und Kapitalisten
gerufen werden, um die Interessen des Kapitals zu schützen.
Ist es schon
einmal vorgekommen, daß diese Truppen die Interessen der Arbeiter geschützt
haben ?Zu welchen friedlichen Mitteln können die Arbeiter denn greifen ? Gibt es
da nicht zum Beispiel den Streik ? Wenn die herrschende Klasse "das Gesetz"
anwenden will, dann kann sie jeden streikenden Arbeiter wegen "Einschüchterung"
und Konspiration verhaften und bestrafen lassen. Ein Streik jedoch kann nur dann
erfolgreich sein, wenn die streikenden Arbeiter verhindern, daß ihre Plätze von
anderen eingenommen werden. Aber nach dem Gesetz ist das wiederum ein
Verbrechen. Boykott ?
In mehreren Bundesstaaten haben die Gerichte
entschieden, daß Boykott eine Rechtsverletzung darstellt. Folglich wurde eine
Reihe von Arbeitern der "Verschwörung" gegen die Interessen des Kapitals für
schuldig befunden und hatten das Vergnügen, sich die Zuchthäuser von innen
ansehen zu dürfen.
Wir Anarchisten sind nicht blind. Wir verfolgen
die Entwicklung und sagen voraus, daß ein Zusammenstoss zwischen Plebejern und
Patriziern unvermeidlich ist. Deshalb rechtzeitig für den bevorstehenden Kampf -
zu den Waffen ! Wenn sich Gewitterwolken am Himmel zusammenziehen, rate ich
meinem Freund, einen Schirm mitzunehmen, damit er nicht naß wird. Verursache ich
deshalb den Regen ?
Nein ! So lassen Sie mich meine Meinung deutlich sagen,
nämlich, daß sich die Lohnsklaven nur mit Waffengewalt aus der kapitalistischen
Knechtschaft befreien können." (Adolph Fischer)
Literatur:
Christiane Harzig, Die
Haymarket Tragödie in Chicago 1886,
in: Inge Marßolek (Hrsg.), 100 Jahre
Zukunft - Zur Geschichte des 1. Mai,
Frankfurt/ M und Wien
1990
Karasek, Horst (Hrsg.), Haymarket - 1886: Die deutschen Anarchisten
von
Chicago - Reden und Lebensläufe, Berlin 1975
Schluss mit dem Gejammer - Heraus zum 1. Mai!
direkte aktion # 133, Mai/Juni 99, Titelseite
Der letzte ,,Tag der Arbeit" in diesem Jahrtausend geht ins Land. Von Jahr zu Jahr gibt es mehr Gründe, an diesem Tage auf die Straße zu gehen - aber die Zahl der DemonstrantInnen hat sich kaum verändert.
Viele Linksradikale gehen nur noch aus Tradition zur ,,revolutionären" Maidemo, wie um einem Pflichtgefühl nachzukommen. An praktische Konsequenzen dieser Demonstrationen der Hilflosigkeit, oder eine revolutionäre Perspektive gar, glauben nur noch sehr Wenige. Dabei schreien die Verhältnisse geradezu nach Veränderung. Der erste Angriffskrieg von deutschem Boden seit dem letzten Weltgemetzel ist ein eindringliches Beispiel für das Fortschreiten der Barbarei und müßte eigentlich auch den letzten denkenden Menschen davon überzeugen, daß nicht nur hierzulande mehr auf dem Spiel steht als der heißgeliebte ,,Sozialstaat".
SPD, Grüne und zunehmend auch die PDS wollen jedoch nur noch eines: Regieren, Mitmachen bei der unendlichen Geschichte der Krisenverwaltung und neoliberaler Standortpolitik. Dabei erweisen sie sich als effektivere Werkzeuge des Systems als ihre ,,christlich"-liberalen Vorgänger. Die zu Zeiten der Kohl-Regierung von Zeit zu Zeit wenigstens noch wort-"radikalen" Gewerkschaften überschlagen sich heute geradezu mit entwürdigenden Zugeständnissen an das Unternehmerlager, nur, um doch noch ein ,,Bündnis für Arbeit" zustande zu bekommen.
Koste es, was es wolle - der soziale Frieden muss gesichert bleiben. Soziale und rechtliche Standards, erkämpft in Jahrzehnten, werden innerhalb kürzester Zeit auf den Misthaufen der Geschichte befördert. Gleichzeitig setzt das ,,rot-grüne Reformprojekt" die Bestrebungen ihrer Vorgänger fort, die immer mehr werdenden Verlierer dieses Systems zur Annahme jeglicher Arbeit zu zwingen. Aber auch die schwindende Anzahl der ,,Arbeitsplatzbesitzer" (mein persönlicher Favorit für das ,,Unwort des Jahrzehnts hat alles andere als einen Grund, sicher ihres Glückes, ausgebeutet zu werden, zu erfreuen. Angesichts des immer größer werdenden Heeres derer, die sich mit miesen, ungesicherten Jobs von einer Arbeitslosigkeit in die andere reifen oder gar keine Chance mehr haben, am Erwerbsleben teilzunehmen, wächst der Druck auf die verbliebenen Belegschaften. Zu nehmende Arbeitshetze; massenhafte (oft auch noch unbezahlte) Mehrarbeit und der immer häufiger werdende Herzinfarkt mit Mitte 30 machen die ohnehin meist schon stumpfsinnige Maloche zu einem sehr zweifelhaften ,,Privileg".
Es sind nicht nur die seit Jahren sinkenden Realeinkommen einerseits und die steigenden Unternehmergewinne andererseits, die die Unfähigkeit des kapitalistischen Systems beweisen, den Bedürfnissen der Mehrheit der Bevölkerung gerecht zu werden.
Allein schon die Tatsache, dass die immens gestiegene Produktivität der Arbeit und die damit verbundene Möglichkeit eines nicht mehr durch lebenslange Vollzeitjobs versauten Lebens für alle, im Kapitalismus zum Fluch werden, dürfte ausreichen, über Alternativen ernsthaft nachzudenken.
Es ist höchste Zeit, endlich aus der Lethargie aufzuwachen. Die Zahl der Unzufriedenen wächst, allein die vermeintliche Ausweglosigkeit der Situation verhindert ein entschlossenes Eintreten für wirkliche Veränderungen. Gleichzeitig wird das Elend vor den Mauern Westeuropas dazu benutzt, uns innerhalb der "Festung" Angst einzujagen und zu Komplizen des Systems zu machen. An uns ist es jetzt, unsere Utopien für ein selbstbestimmtes und schöpferisches Leben in einer freien Gesellschaft den heutigen Bedingungen entsprechend zu aktualisieren und endlich wieder offensiv zu propagieren. Nicht ,,Vollzeitarbeitsplätze für Alle!" - wie einige ,,Linksentrückte" fordern, sind das Gebot der Stunde, sondern Kampf der Zerstörung des Lebens durch die Arbeit. Zeigen wir durch aktives solidarisches Handeln, daß es ein sinnvolles Leben jenseits der Knochenmühle der Lohnarbeit gibt! Holen wir das uns gestohlene Leben zurück!