Schwarze Katze Rundbrief 10.10.04
1990 scheiterte die englische Fussball-Nationalmannschaft im WM-Halbfinale gegen Deutschland. Helmut Kohl meinte höhnisch, die Briten seien von Deutschland in ihrem Nationalsport geschlagen worden. Darauf konterte Maggie Thatcher: Richten Sie ihm aus, dass wir die Deutschen in diesem Jahrhundert schon zweimal in ihrem Nationalsport besiegt haben.

1.) Sie brauchen eine Zukunftsperspektive
2.) Der Eierwurf von Wittenberge
3.) Rückblick Friedensfest 04
4.) Umweltzentrum Münster
5.) Solitranspi in Lüdenscheid
6.) Die grosse Koalition der Bonzen
7.) Ein Sixpack Aufklärung


1.) Sie brauchen eine Zukunftsperspektive
Interview über politische Gefangene in der BRD

Schwarze Katze: Ich spreche jetzt mit einer Vertreterin der "Gruppe für die Freiheit der politischen Gefangenen". Was will die Gruppe?

Wir sind seit Jahren dabei zu überlegen, wie wir die Gefangenen, besonders die Gefangenen aus der RAF, aus dem Knast ..., dass sie rauskommen. Das muss sein, weil sie mittlerweile ziemlich krank sind und überhaupt brauchen sie eine Lebensperspektive, d.h., dass sie, nach den ganzen langen Jahren, aus dem Knast raus müssen.

Schwarze Katze: Wie sehen denn die Haftbedingungen für die politischen Gefangenen in der BRD aus?

Das ist natürlich mittlerweile unterschiedlich. Also die Gefangenen aus der RAF haben alle eine ganz lange Geschichte der Sonderhaftbedingungen hinter sich, d.h. verschiedenste Formen von Isolationshaft, und Isolationshaft ist bekanntlich Folter, weisse Folter.

Schwarze Katze: Was kann man sich darunter konkret vorstellen?

Darunter kann man sich sensorische Deprivation vorstellen, das bedeutet Reizentzug, das bedeutet, wenn es in der Extremform ist, 24 Stunden allein auf der Zelle, das bedeutet es für heute immer noch, Zensur, Trennscheibenbesuche, kein Kontakt zu anderen Gefangenen ...

Schwarze Katze: Gilt das nur für die Gefangenen der RAF oder gilt das auch für andere politsche Gefangene in der BRD?

Das gilt natürlich auch für andere politsche Gefangene, also z.B. alle die per se wegen dem §129a eingefahren sind.

Schwarze Katze: Was ist der §129a?

Mitgliedschaft in einer "terroristischen Vereinigung".

Schwarze Katze: Ist das so´n Gummiparagraph oder was ist das?

Das ist ein Instrument um politische Gegner zu kriminalisieren. So würde ich das verstehen. Alle die einfahren, haben Sonderhaftbedingungen.

Schwarze Katze: Vielen Dank für das Interview.


2.) Der Eierwurf von Wittenberge - Anfang für mehr?
Schwarze Katze, September 04

So hatte sich Bonzenkanzler Schröder seine Propagandatour nicht vorgestellt. In Wittenberge, wo jede/r 5. arbeitslos ist, wollte der Genosse der Bosse am 24.08.04 den für 76 Millionen Euro sanierten Bahnhof einweihen um nach den vielen Negativschlagzeilen mal wieder positiv in der Öffentlichkeit zu erscheinen. Das hat nicht geklappt.

Obwohl mit Polizei und Bundesgrenzschutz die Leibgarde des Systems den Bahnhofsvorplatz abriegelte, um die aufgebrachten Arbeitslosen nicht in die Nähe des Sozialraub-Kanzlers zu lassen, wurde er trotzdem mit Eiern beschmissen, ausgepfiffen und ausgebuht. Das Ei verfehlte ihn, Schröder fühlte sich dennoch getroffen. Der Zorn der Arbeitslosen über den Hartz-Sozialraub nimmt zu. Die Menschen wollen sich nicht mehr alles von korrupten Politikern gefallen lassen, die in fetten Bonzenschlitten vorfahren und die Armen bestehlen. Sie fühlen sich nicht mehr von ihnen vertreten und veranstalten wie schon 1989 Montagsdemos. Schon einmal konnte so ein übles Unterdrückungssystem, in dem sich einige Wenige auf Kosten der Massen bereicherten, gestürzt werden.

Während die SPD Altenheimbewohnern ihr Taschengeld kürzt und viele Arbeitslose wegen der Praxisgebühr nicht mehr zum Arzt gehen, können sich die Reichen über Steuergeschenke in Milliardenhöhe freuen. Jahrelang in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt und was ist der Dank? Suppenküche und Kleiderkammer. Hartz und Agenda2010 ist Armut per Gesetz. Für Militär und Repression ist in diesem System immer genug Geld da. Die Gelder werden von unten nach oben umverteilt. Das ist Klassenkampf von oben und Zorn und Wut dagegen ist mehr als verständlich.

1 Euro Jobs sind nichts anderes als staatlich verordnete Zwangsarbeit. Arbeitslose, die dazu gezwungen werden, sollen nach SPD-Vorstellungen nicht mehr in der Arbeitslosenstatistik auftauchen. Wenn wir uns eins nicht mehr leisten können, dann ist es ein asoziales System und seine korrupten Profiteure. Die bisherigen Mittel und Organisationen haben sich als ungeeignet erwiesen. Unsere Agenda heisst Widerstand!

Der Sozialraub von Regierung und Kapital hat auch etwas positives: Er zerstört Illusionen in die Reformierbarkeit des kapitalistischen Systems. Wir müssen nur aufpassen, dass bei den Montagsdemos Parteivertreter nicht wieder ihr eigenes Süppchen mit dem Elend der Menschen kochen. Solange die Arbeitslosen bei den Sozialprotesten in der Minderheit sind, wird sich nichts grundlegendes ändern. Wie heisst es in der Internationalen: "Es rettet uns kein höheres Wesen, kein Gott, kein Kaiser noch Tribun. Uns aus dem Elend zu erlösen können wir nur selber tun." Die Befreiung der Arbeiter kann nur das Werk der Arbeiter selbst sein. Es bringt nichts auf Parlamentarier zu hoffen, die sowieso nur ihre eigenen Taschen füllen. Die Politikverdrossenheit nimmt zu und das ist gut so. Sind die Eierwürfe von Wittenberge erst ein Anfang? Wir werden sehen... Wir brauchen keine angepassten Gewerkschaften, keine neue Partei mit profilierungssüchtigen Volkstribunen, keine salbungsvollen Sozialworte der heuchlerischen reichen Kirchen - wir brauchen aufgeklärte Menschen, die anfangen ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen.


3.) Rückblick Friedensfest 04
Schwarze Katze, Sommer 04

Am ersten Juliwochenende 2004 fand in Iserlohn das beliebte Friedensfest statt. Infostände, Musik, Kinderprogramm, lecker Essen und Trinken sorgten für gute Stimmung. Leider spielte das Wetter dieses Jahr nicht mit, mehrere starke Regenschauer vertrieben einige Menschen vom Platz an der Bauernkirche. Deswegen fiel auch kein nennenswerter Überschuss an, der ansonsten wie in den Vorjahren der lokalen Flüchtlingsarbeit zugekommen wäre. Freitag und Samstag liessen Windstösse Zeltplanen mit dem Boden Bekanntschaft machen.


FAU beim Friedensfest, Foto: Schwarze Katze

Das Informationsangebot war reichhaltiger als letztes Jahr. So gab es Infostände von folgenden Gruppen: FAU Dortmund, Schwarze Katze, Venceremos Halver, amnesty international Hemer/Iserlohn, Antifa-Infostand, Friedensgruppe Lüdenscheid, DKP MK, PDS MK, The Voice, Rattenloch Schwerte, Tierrechtsgruppe Iserlohn, Umweltzentrum Münster, Packpapier Versand, Terres des Hommes.

Das ökumenische Friedensgebet sprach wenige gläubige Menschen an, während die Freibierausgabe die zahlreich anwesenden Punks begeisterte. Gut kam die düstere Musikgruppe Saltatio Mortis rüber.

Die begeisterten Besucher konnten aus einem reichhaltigen Essensangebot auswählen. So machten syrische Kurden Falafeln, kongolesische und kamerunische Küche verwöhnten den Gaumen, für die Fleischfresser gabs einen Bratwurststand, die veganen Körnerpicker kamen bei der Tierrechtsgruppe auf ihre Kosten, Vegetarier konnten sich am Grill der anarchosyndikalistischen FAU versorgen. Verschiedene selbstgebackene Kuchen und nicht zu vergessen die Crepes, die von einem Kurden angeboten wurden, rundeten das ganze ab.

Bild vom Iserlohner Friedensfest 2004Negativ fielen rechte Gabbers auf, die für Stress sorgten und wegen denen sogar die Polizei kam. In der Techno-Subkultur werden wohl zuviele Pillen eingeschmissen, die Matsche in der Birne machen. So hiess es von einem Gabber, dass die Linken für Frieden sind, die Rechten für Krieg und er deswegen rechts wäre. Dazu kamen einige unausgereifte deutsch-nationale Sprüche, die auf Widerspruch bei den Punks stiessen.

Eine schöne Tradition des Friedensplenums ist es, am Donnerstag vor dem Friedensfest eine Gedenkveranstaltung für die Opfer des Faschismus zu veranstalten. Die eigentlich eingeladene Referentin konnte nicht kommen, so dass ein anderer Vertreter der Jüdischen Gemeinde sprach. Thema war der neue Antisemitismus weltweit. Deutliche Kritik gab es an der einseitig die israelische Regierung und den Bau der Mauer in Schutz nehmenden Ausrichtung der Rede. Kleinere Grüppchen diskutierten anschliessend über den Nahostkonflikt.

Die Schwarze Katze hatte das Friedensfest neben dem Infostand mit drei Radiosendungen unterstützt. Wobei von den 3 Sendungen die Technik für zwei Friedensplenumssendungen gefahren und eine eigene Sendung im Vorfeld produziert wurde. Das Erstellen der Doppelstunde im Hemeraner Studio hat den beteiligten Friedensfreunden viel Spass gemacht. Ausserdem gab es zwei Schwarze Katze Artikel in der Friedensfestzeitung über die Situation in Chiapas und Kriegslügen der USA.

Fazit: Das vom Friedensplenum Iserlohn organisierte Friedensfest war wieder eine runde Sache. Positiv anzumerken ist, dass es auch einige unerwartete Helfer aus anderen Städten gab. Wir werden auch nächstes Jahr dabeisein und können das Friedensfest als gelungene Kombination zwischen Musik, Kultur und Politik nur empfehlen.


4.) Weil es meiner Meinung nach einfach wichtig ist solche Inhalte weiterzuverbreiten
Schwarze Katze Interview mit dem einem Aktiven vom Umweltzentrum Münster

Schwarze Katze: Du machst mit beim Umweltzentrum Münster. Was ist das Umweltzentrum?

UWZ: Das Umweltzentrum ist hauptsächlich ein Infoladen und das gibt es schon seit über 20 Jahren. Es gibt neben dem Infoladen noch Räume, wo sich Gruppen treffen können, die in der ausserparlamentarischen Linken arbeiten. Ausserdem haben wir noch ein großes Archiv.

Schwarze Katze: Was sammelt ihr da für Sachen?

UWZ: Wir sammeln Sachen aus den Sozialen Bewegungen Deutschlands, aber auch ein paar überregionale Sachen. Und ein Schwerpunkt liegt bei Umweltpolitik, beispielsweise bei Anti-Atomkraft. Wie der Name Umweltzentrum auch schon sagt. Es ist ein gutsortiertes Archiv, wo aber der Inhalt mittlerweile weniger geworden ist, auf Grund von finanztechnischen Problemen. Unser Schwerpunkt liegt auf den achtziger/neunziger Jahren.

Schwarze Katze: Wir machen im Sauerland ja etwas ähnliches, das Schwarze Katze Archiv. Wir haben leider die Erfahrung gemacht, dass das Archiv viel zu wenig von Leuten aus der ausserparlamentarischen Opposition nachgefragt wird. Sieht das in Münster anders aus?

UWZ: Leider nicht. Wir haben auch sehr wenig Kundschaft. Ich würde schätzen, wir haben in der Woche vielleicht so 2 Leute, die mal reinschauen und sich weiterbilden wollen.

Schwarze Katze: Das UWZ in Münster macht wie die Schwarze Katze Bücher- & Zeitschriftentische. Was ist da so drauf?

UWZ: Wir haben ein ziemlich breites Sortiment. Wir haben Buttons, Spuckis, aber auch Zeitschriften und ziemlich viele Bücher.

Schwarze Katze: Darunter sind ja auch Zeitungen wie graswurzelrevolution und direkte aktion. Warum verkauft ihr anarchistische Zeitungen?

UWZ: Weil es meiner Meinung nach einfach wichtig ist, solche Inhalte weiterzuverbreiten. Wir sind ja ein linksradikales Infoladen-Kollektiv. Und es gibt ansonsten wenig Möglichkeiten, solche Publikationen zu erwerben.

Schwarze Katze: Ein Infoladen verbreitet alternative Informationen, wo mensch nicht so einfach dran kommt. Darunter auch Plakate für Demonstrationen. Und Infoläden sammeln auch alternatives Schriftgut im Infoladenarchiv, was du grade schon erwähnt hast. Was mich jetzt interessieren würde sind die Zeitschriften, die verkauft werden. Könntest du davon einige kurz vorstellen?

UWZ: Ja, wir haben hier z.B. die graswurzelrevolution. Das ist eine Zeitschrift der gewaltfreien anarchistischen Bewegung. Die Zeitung gibt es seit 25 Jahren. Sie ist vom Themeninhalt sehr gemischt. Artikel zum Anti-Atom Widerstand oder über die Friedensbewegung. Dann haben wir hier als nächstes die direkte aktion. Das ist die Zeitschrift der Freien ArbeiterInnen Union. Die FAU ist eine anarcho-syndikalistische Gewerkschaft. Es gibt schwerpunktmäßig viele Berichte zum Thema Arbeit oder auch gewerkschaftlicher Organisation. Eine spezifischere Publikation ist die anti atom aktuell, die sich mit dem Anti-Atom Widerstand befasst und das Sprachrohr der Aktivisten und Gruppen der Anti-Atom Bewegung ist. Noch zu nennen wären die Lotta und das Antifaschistische Infoblatt. Das sind Zeitschriften, die Antifa-Arbeit machen oder Faschisten aufdecken und zeigen, wie man gegen den Faschismus vorgehen kann.

Schwarze Katze: Manche von diesen Zeitschriften werden kriminalisiert. Wie siehst du das denn als Vertreter eines Infoladens, dass alternative Zeitschriften kriminalisiert werden? Was hat das noch mit Pressefreiheit zu tun?

UWZ: Natürlich nicht viel. Die Zeitschriften werden halt kriminalisiert, weil sie dem Staat bzw. dem herrschenden System ein Dorn im Auge sind. Das ist eine Zwangsmassnahme um die Inhalte die wir vertreten zu unterbinden.

Schwarze Katze: Was kannst du Leuten raten, die in Orten wohnen, wo es keinen Infoladen gibt, die aber trotzdem umweltpolitisch/politisch aktiv werden möchten?

UWZ: Das ist nicht ganz so leicht. Ich würde empfehlen, sich in die umliegenden Städte zu orientieren. Also bei mir wars so, dass ich angefangen hab, mich mit Leuten zusammenzusetzen, die einen ähnlichen Interessenschwerpunkt hatten und angefangen habe, meine eigene Gruppe zu gründen. Im UWZ ist es so, dass Gruppen die sich grade neu gründen z.B. Büchertische bei uns ausleihen können oder im Archiv stöbern können. Oder sie können sich auch von uns einfach Tips holen.

Schwarze Katze: Wenn Menschen im Märkischen Kreis Lust haben einen Infoladen aufzumachen, können sie sich auch an die Schwarze Katze wenden. Da gibt es auch Unterstützung. Unter www.infoladen.de gibts Informationen über weitere Infoläden. Die Adresse des Umweltzentrums Münster ist...

UWZ: ...www.muenster.org/uwz

Schwarze Katze: Vielen Dank für das Interview.

UWZ: Bitteschön!


5.) Solitranspi in Lüdenscheid
Schwarze Katze, 08.09.04

Wendebecken kommt wieder! Freiräume schaffen! Transparent an einer Brücke in Lüdenscheid
Solitransparent für den Wagenplatz Wendebecken
an einer Lüdenscheider Brücke aufgehängt

Auf dem Bormbeker Wagenplatz stehen seit dem Herbst 99 etwa 20 Bauwagen und LKW. Ein alternatives Wohnprojekt im Hamburger Norden, das niemand störte. Nur den Staat. Am Mittwoch, 08.09.04 wurde das Wendebecken geräumt. Deswegen gab es in vielen Städten Soliaktionen, so wurde auch von solidarischen Menschen ein Transpi an einer Brücke in Lüdenscheid befestigt. Die Schwarze Katze findet die Transpiaktion gut. Für alternative Wohnformen! Keine Räumungen! Der Staat wollte schon länger die Bauwägler vertreiben und eine Grünanlage errichten. Ein Ersatzgelände wurde niemals angeboten. Schon der von der Springer-Presse promotete Law-and-Order-Politiker Schill ging gegen Bauwagensiedlungen vor. Momentan liegen gegen alle Hamburger Bauwagenplätze Räumungstermine bis spätestens September 2006 vor. Solidarisiert euch mit alternativen Wohnprojekten!

Weitere Infos gibts hier:

  • www.wendebecken.org - Webseite des Projekts ist nicht mehr existent
  • 1.400 Polizisten räumen Wendebecken Indymedia
  • Regierung stürzen wenn du in Hamburg aktiv werden willst
  • Bambule Hamburg - ein anderes okayes leider geräumtes Wagenplatzprojekt in Hamburg (Webseite nicht mehr existent)


    6.) Die grosse Koalition der Bonzen
    Friedensfestzeitung 04

    Sie sind dumm, ideenlos oder schlicht Marionetten einflussreicher Kreise. Sie faseln von Zwängen und Notwendigkeiten und wollen am Ende nur das Eine: Am nächsten Wahltag sollen wir mit unserem Kreuz ihre persönliche Zukunft absichern. Die Rede ist hier von Politikern - egal welcher Partei - die immer noch meinen, wir seien so blöd, dass wir ihr dreistes Spiel nicht durchschauen.

    Agenda 2010, Hartz-Konzept, Arbeitslosengeld II, Kündigungsschutz- Lockerung, Renten- und Gesundheitsreform: All dies wurde gemeinsam von allen Fraktionen im Bundestag beschlossen. Da hilft es nichts, beim nächsten Mal doch wieder die CDU oder gar die FDP zu wählen. Ginge es nach denen, wäre die Lage für die Mehrheit von uns noch viel schlimmer. Und doch wird es bereits im September so kommen. Bei der Kommunalwahl werden sich die Konservativen in NRW als strahlender Sieger präsentieren. Dass einmal mehr die Hälfte der Wähler gar kein Kreuz abgegeben hat, wird sie nicht irritieren. Notfalls reicht es auch, wenn einer seine Stimme abgibt. Mehrheit ist Mehrheit...

    Wer glaubt noch an Wahlversprechen?
    Wer sich jetzt aufregt und gar von "Wahlbetrug" redet, möge einen kurzen Moment in sich gehen. Habt Ihr wirklich erwartet, dass die da oben das tun, was sie euch vor der Wahl versprochen haben? Habt Ihr geglaubt, dass Berufspolitiker, die niemals selbst beim Arbeits- oder Sozialamt in der Schlange standen oder stehen werden, sich in die Lage von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern versetzen können? Wenn ja, dann ist Euch wirklich nicht mehr zu helfen. Wer nach ein paar Jahren als Hinterbänkler im Parlament mehr Rente bekommt, als wir in hundert Jahren erarbeiten können, der kann unsere Existenzsorgen natürlich nicht nachvollziehen. Ebenso wie die meisten überbezahlten Journalisten, die mit ihnen wortreich in Leitkommentaren über die "Vollversorgungsmentalität" und "Uneinsichtigkeit" der Bürger jammern, können sie nicht verstehen, dass es Menschen gibt, die wegen "läppischer" 10 Euro Praxisgebühr nicht zum Arzt gehen.

    Kein Geld für Arbeitslose
    Die Krönung ihrer Dreistigkeit ist jedoch das Arbeitslosengeld II, das am 1. Januar 2005 in Kraft treten soll. Nehmen wir einen 50jährigen Arbeiter, der so dumm war, sein Geld nicht zu verprassen, sondern sinnvoll für das Alter anzulegen. Aussortiert bei der Firma, für die er Jahrzehnte lang geknechtet hat, sind seine Chancen, einen neuen Job zu bekommen, gleich Null. Nach ein paar Jahren rutscht er ins Arbeitslosengeld II und verliert damit jede Berechtigung auf staatliche Unterstützung. Erst wenn alle Ersparnisse aufgebraucht, Haus und Auto verkauft und seine Versicherungen aufgezehrt sind, darf er wieder vorstellig werden. Denn das ist der kleine aber feine Unterschied zur Arbeitslosenhilfe: Arbeitslosengeld II gibt es nur für den, der wirklich überhaupt nichts mehr hat.

    Die Alternative, die uns die Politiker der längst regierenden Allparteienkoalition von SPD/ CDU/CSD/FDP und Bündnis 90/ Die Grünen anbieten, führt geradewegs in die finsteren Zeiten des Frühkapitalismus. 45 Stunden Wochenarbeitszeit bis zum biblischen Alter von 70 Jahren, dazu weniger Urlaub und natürlich Verzicht auf jegliches Urlaubs- und Weihnachtsgeld bei Löhnen auf chinesischem Niveau - da lacht das Unternehmerherz. Zumal, wenn sich die Gehälter und Abfindungen der Führungskräfte weiter an amerikanischen Vorbildern orientieren. 800 000 neue Arme Was wir derzeit miterleben wird keine Arbeitsplätze schaffen, sondern vernichten. Kürzungen bei den Ärmsten und Schwächsten der Gesellschaft führen ebenso wie Arbeitszeitverlängerungen lediglich zu noch mehr Arbeitslosen und zu noch mehr Armut. Bislang haben die meisten von uns nicht realisiert, was auf sie zukommt. Mitte nächsten Jahres wird sich dies ändern. Wenn dann tatsächlich 800 000 Arbeitslosenhilfe-Empfänger von einem auf den anderen Tag kein Geld mehr vom Staat bekommen, wird es zu massiven Protesten kommen. Es wird sich zeigen, ob die bestehenden Parteien dies einfach aussitzen können.

    Keine Alternativen?
    Spätestens dann wird sich die Frage stellen, was die wirkliche Alternative zu dem üblichen Wechselspiel zwischen SPD und CDU ist. Haben wir wirklich keine andere Möglichkeit, uns entweder von diesen Parteien inklusive ihrer jeweiligen Mehrheitsbeschaffer betrügen zu lassen? Natürlich gibt es sie. Sie ist nur mit Arbeit verbunden. Statt auf andere zu schimpfen müssen wir selbst aktiv werden. Gebt eure Stimme nicht ab, sondern meldet euch selbst zu Wort. Oder anders gesagt: Das entscheidende Problem ist nicht, welche Partei uns regiert, sondern dass uns Parteien regieren.

    Was wir brauchen
    Was wir brauchen sind mehr Mitsprache bei allen wichtigen politischen Entscheidungen und Volksvertreter, die nur ihrer Basis verpflichtet sind. Ob neue Parteien mit anderen Großkopferten die Lösung sind, scheint in diesem Zusammenhang zumindest fraglich. Auch die abtrünnigen Sozialdemokraten und Gewerkschafter, die Anfang des Jahres mit ihrer Idee einer neuen Partei viel Wirbel verursachten, stehen letztlich nicht für eine direktere Art von Demokratie. Doch genau das brauchen wir, wenn wir den Großbanken und international agierenden Konzernen nicht die alleinige Macht überlassen wollen.


    7.) Ein Sixpack Aufklärung
    Sechs Mythen, Lügen und Halbwahrheiten über die Arbeitslosigkeit und wer daran Schuld ist

    direkte aktion # 160, Nov./Dez. 2003, Stuhlfauth, Köln, 08.11.03

    1. Deutschland kommt auf den Hund, weil wir faul geworden sind und seit Jahrzehnten verwöhnt werden.

    Man stelle sich in einer beliebigen Stadt um 8.30 Uhr an eine größere Kreuzung, wahlweise an einen innenstädtischen Bahnhof, und beobachte, was passiert: Die Menschen wuseln herum wie die Ameisen um ihren Hügel. Sie gehen arbeiten. In Deutschland werden nach offiziellen Schätzungen ca. 57 Milliarden Stunden Arbeit pro Jahr geleistet („Gesamtarbeitsvolumen“).

    Merkwürdigerweise ist in Deutschland bis Ende der 90er Jahre nicht nur die Zahl der Arbeitslosen stetig gestiegen, sondern auch die Zahl der Beschäftigten. Erst seit der Jahrtausendwende sinkt die Zahl der Beschäftigten. Eigenartig ist bloß, dass die Summe der geleisteten Arbeitsstunden gleich geblieben ist. Es könnte daran liegen, dass die verbliebenen ArbeiterInnen länger und intensiver arbeiten müssen und stärker ausgebeutet werden.

    Sie würden es nicht tun, wenn sie dafür keine Gegenleistung bekommen würden. Und die sollte nicht nur in einem Stundenlohn bestehen, der zum Leben reicht und vielleicht ein bisschen Wohlstand verspricht, sondern auch in immateriellen Werten wie Absicherung im Alter, bei Krankheit oder Jobverlust. Und was wäre die Plackerei ohne Urlaub, freie Zeit, Muße? Schließlich leben wir nicht, um zu arbeiten.

    2. Die Arbeit muss gemacht werden. Alle müssen ihren Beitrag leisten.

    Es hat sich niemand die Mühe gemacht, zu errechnen, wie viele der 57 Milliarden Arbeitsstunden im Jahr wirklich sinnvoll investiert sind. Natürlich brauchen wir Nahrungsmittel, Wohnraum, Kleidung und so weiter. Wir gehen gern ins Kino, amüsieren uns, auch das Bier nachts um halb vier will gebraut und gezapft werden, die Kinder gehütet, die Kranken gepflegt und die Toten begraben. Das alles ist nicht nur sinnvoll, sondern unverzichtbar.

    Reden wir von anderen Dingen, die durch Arbeit produziert werden: Maschinengewehre, Panzer, Giftgas, Pestizide, Psychopharmaka, Potenzmittel, Haar-Energizer, Brusterweiterung, Genmanipulation, Autobahnausbau, Atomkraft, Abschiebelager, Gefängnisse, SuperRTL, extrabreite Alu-Felgen, DJ Ötzi. Sinnvoll? Da kann man geteilter Meinung sein. Außerdem: Auf einem Berg von zweifelhaften Waren und Dienstleistungen sitzt ein aufgeblähter Wasserkopf, der dafür zuständig ist, diese Produkte unter die Leute zu bringen: Werbung, Marketing, PR, Promotion, Vertrieb etc. Die Firmen liefern sich tagtäglich eine wahre Schlacht, die mit enormem Aufwand an Material, Personal und Zeit geführt wird, nur um uns die gleiche Scheiße in verschiedener Verpackung völlig überteuert zu verkaufen. Omo, Dash oder Persil? Wo ist der Unterschied?

    Reden wir erst gar nicht von der Organisation der Arbeit in den Betrieben, die in den überwiegenden Fällen nicht nur unsinnig und irrational, sondern für einen Großteil der Beschäftigten entwürdigend ist.

    3. Arbeitslose und Sozi-Empfänger leben auf Kosten der Arbeiter und Angestellten.

    Die ArbeiterInnen von heute sind die Arbeitslosen von morgen. Viele plackern sich ab und wissen nicht wofür. Ständig in Angst vor der Entlassung. Es ist jedoch die Frage, ob wir uns zusammenschließen, um gemeinsam für unsere Rechte zu kämpfen - oder ob wir einen Fußabtreter brauchen, auf den wir herabschauen, den wir bespucken können. Anfang der 90er waren es die „Asylanten“, dann wurden unsere Innenstädte von Obdachlosen und Junkies „gesäubert“, dann kamen die „Klaukids“, die „mehrfachkriminellen“ Jugendlichen („Mehmet aus München“). Jetzt sind die Sozialhilfe-EmpfängerInnen und Arbeitslosen an der Reihe(„Miami-Rolf“), die von der Boulevard-Presse als Schmarotzer und Abzocker hingestellt werden. Als nächstes bist Du selber dran.

    Dieser Sozialrassismus schließt immer größere Teile der Bevölkerung aus und versucht, niedere Instinkte gegen sie zu mobilisieren: Neid, Missgunst, Schadenfreude. Diese Kampagnen gehen oft von der Bild-Zeitung, manchmal vom Focus, Spiegel oder Stern als Leitmedien aus und werden von den übrigen Kollegen in den Redaktionsstuben eifrig kopiert. Sie korrespondieren mit den Kampagnen der Parteizentralen. Leider finden sie ihren Widerhall auf der Straße. Und das ist eine Schande.

    4. Man muss die vorhandene Arbeit nur gerechter verteilen (35-Stunden-Woche).

    Eine schöne Idee, die in die richtige Richtung geht. Der britische Philosoph Bertrand Russel hat schon 1935 ganz ernsthaft für 4 Stunden Arbeit am Tag plädiert. Was der DGB und viele Linke den Leuten aber verschweigen: In diesem Wirtschaftssystem ist die gerechte Verteilung von Zeit, Geld, Ressourcen und Belastungen nicht möglich. Die Einführung der 35-Stunden-Woche in bestimmten Sektoren wie der Metallindustrie hat unter dem Strich nur dazu geführt, dass die Überstunden früher gezählt wurden. Die Arbeitslosigkeit lässt sich so nicht bekämpfen. Es ist für ein kapitalistisches Unternehmen stets günstiger, eine Person optimal auszupressen, als zwei Personen halbtags zu beschäftigen.

    5. Die Globalisierung ist an allem Schuld, weil die Fabriken ins Ausland verlegt werden. (Arbeit zuerst für Deutsche).

    Die Globalisierung ist so ein Modebegriff der letzten Jahre. Bei Licht betrachtet beginnt „die Globalisierung“ vermutlich im Jahr 1492 mit der Entdeckung Amerikas durch die spanische Krone. Süd- und Mittelamerika haben sich von der folgenden Ausplünderung nie erholt. Spaniens Reich ist lange untergegangen, Deutschland ist heute die Exportmacht Nr. 2 in der Welt.

    Es liegt in der Natur der Sache, dass das Kapital versucht, dort Produktionsstätten aufzubauen, wo seine Absatzmärkte liegen, um z. B. Währungsschwankungen leichter begegnen zu können. So produzieren amerikanische Firmen seit den 20ern in Deutschland Autos, oder Brause (Ford, General Motors, Coca-Cola). Gleiches tun deutsche Konzerne überall auf der Welt. Ebenfalls ist es klar, dass der Kolonialismus nicht nur Rohstoffe erbeutet, sondern auch Sklaven. Die Sklaven von heute sind die Lohnarbeiter in den Freihandelszonen der Welt. Dem Kapital bieten sich dort traumhaft niedrige Lohnstückkosten. Der Trend scheint momentan allerdings wieder zurück in die guten alten Standorte zu gehen, denn sie haben einen unschätzbaren Vorteil: Sicherheit, Zuverlässigkeit, Bildung, Integration. Die Zahl der Regionen, die von bürgerkriegsähnlichen Zuständen oder kollabierenden Volkswirtschaften oder beidem heimgesucht werden, wächst dramatisch.

    Wenn das deutsche Kapital entscheiden würde, wieder verstärkt in Deutschland zu produzieren, würden die Produkte entweder so teuer, dass sie nicht zu verkaufen wären, oder die Arbeitsbedingungen hier müssten sich den Standards der dritten Welt anpassen. Genau das ist die Tendenz. Die Agenda 2010 soll „die Löhne im Niedriglohnbereich ins Rutschen bringen“. Sie wird die Verelendung auch in unsere Städte bringen. Ihr könnt sie jetzt schon sehen, die Obdachlosen, die in Glascontainern nach Pfandflaschen suchen, die Alten, die neben dem McDonalds die Mülleimer nach Essbarem durchwühlen. Wenn ihr genau hinschaut.

    6. Für's Nichtstun soll man kein Geld bekommen. (Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.)

    Die armen Schlucker erhielten in der Vergangenheit ihr Minimum, eben damit sie besser nichts taten. Damit der Klassenkrieg in Schranken gehalten wurde. Wenn der Staat den Arbeitslosen, Sozi-EmpfängerInnen, RentnerInnen und Kranken den Saft abdreht, dann werden diese - bevor sie sich dem Elend tatenlos fügen - zwangsläufig aktiv werden. Sie könnten Zigarettenautomaten knacken und den Inhalt in Kneipen verkaufen. Fahrräder klauen - um mit simplen Dingen zu beginnen. Sie könnten sich in einer Ecke hinterm Bahnhof für 10 Euro ficken lassen. Sie könnten eure Häuser besuchen und dort nach Wertgegenständen suchen. Auch der Drogenhandel bietet gute Aufstiegschancen bei einem Risiko, das jemand, der nichts zu verlieren hat, wenig interessieren wird. Die Selbstmordrate wird steigen und die Bahn kaum noch pünktlich kommen. Andere werden Millionärs-Erben entführen, Banken überfallen; eine Minderheit dürfte sich politisieren und ständig überall Stunk machen und manche könnten auf die Idee kommen, den örtlichen Arbeitsamts-Chef nach Feierabend in die Mangel zu nehmen. Oder den Schmierlappen von der Lokalzeitung. Es wäre klüger, den Leuten ein Minimum zu lassen.