Stoff zum Nachdenken – TTIP

STOFF ZUM NACHDENKEN

TTIP = „Taktik zur Transformation politische Initiativen in eine
Profi-Protestkultur“ … ein paar kritische Gedanken

Es ist unheimlich. Niemand weiß so richtig, was in dem Vertrag
stehen wird. Und was kann mensch dagegen schon tun? Alles unklar und
keine konkreten Aktionsideen – das ist der Stoff, aus dem in
heutiger Zeit die prägenden politischen Kampagnen entstehen: Angst
und Ohnmacht formen eine Empörung ohne eigene Handlungsoptionen.
Professionelle Bewegungsagenturen nutzen das aus und präsentieren
sich als Rettung – gesetz dem Fall, dass genügend Menschen Geld
spenden und so die scheinbar handlungskompetenten Apparate mit ihren
aufgeblähten Hauptamtlichenbüros sichern. Damit verschärft sich, was
ohnehin gerade läuft: Handlungsfähige Basisinitiativen lösen sich
mehr und mehr auf oder werden zu reinen Zuarbeits-Vereinen für die
Hauptamtlichenapparate namens Campact, Umweltinstitut und andere.

Die klassischen Umwelt-NGOs, von den modernen Massenmail-Agenturen
ein wenig abgehängt, hecheln hinterher und bauen ihre Strategien nun
ebenfalls auf diese Arbeitsweise um. Ziel ist hier nicht (mehr), die
Menschen zum Widerstand zu ermutigen oder gar zu schulen (wer macht
das eigentlich noch?), sondern Herden bereitwilliger Spender_innen
aufzubauen und zu unterhalten, damit der Euro rollt. Keine Frage:
Hier wächst zusammen, was zusammen gehört. Denn die Masse der
Menschen ist müde, ausgebrannt, fühlt sich ohnmächtig – zumindest
die, die länger dabei sind. Die jüngeren Aktiven sind oft ohnehin
auf Internetklicks fixiert und in ihrem Leben gewöhnt, nicht selbst
die Dinge zu organisieren und bei Bedarf auch zu ändern. So entsteht
ein Geben und Nehmen im doppelten Sinne: Die einen geben Geld –
richtig viel Geld -, welches in den riesigen Hauptamtlichenapparaten
versickert. Aber es wirkt auch umgekehrt, denn die Spender_innen
bekommen auch etwas von Campact, Umweltinstitut & Co. – nämlich das
gute Gefühl, trotz Wenig- oder Nichtstuns aktiv zu sein: Durch
Spenden, Unterschreiben, Klicken. Vermeintliche Erfolgsmeldungen aus
den Bewegungsagenturen erhalten dieses gute Gefühl. Insofern ist es
tatsächlich Geben und Nehmen: Geld zahlen, dafür gutes Gefühl bekommen.
Für den Widerstand ist das fatal – und TTIP ist eine Extremform
dieser Entwicklung. Das Thema ist für den beschriebenen Trend
bestens geeignet, weil ohnehin niemand recht weiß, worum es
überhaupt geht und wie mensch aktiv werden könnte. Also bleibt nur:
spenden, Veranstaltungen machen, die Massenmails der irgendwie
schlauer wirkenden und sich so darstellenden Hauptamtlichenapparate
weiterleiten (am besten 10x über alle möglichen Mailverteiler – viel
hilft bestimmt viel …) – und ansonsten die eigene Ohnmacht und
Handlungsunfähigkeit kultivieren. Ach, was waren das noch für
anstrengende Zeit, als wir gegen Genfelder, Tierhaltungsanlagen,
Autobahnen, Stromtrassen oder für eine Entprivatisierung von Wasser-
oder Energienetzen stritten. Als wir uns dem Castor entgegenwarfen
oder eine Abschiebung verhinderten. Davon ist viel vorbei – und TTIP
ist ein Sargnagel beim Tod handlungsfähiger Bewegung.

Doch Ohnmacht ist nicht das einzige, was die Debatte um das TTIP
auslöst und dem Umbau politischer Bewegung in einer
Hauptamtlichen-Spenden-Logik fördert. Die inhaltliche Unbestimmtheit
bietet den optimalen Humus für vereinfachte Welterklärungen aller
Art. Als die Debatte aufkam, wurde vor allem mit der Angst
„argumentiert“, dass die tollen EU-Standards durch die schlechteren
US-Standards verdrängt würden. Das ist nicht nur falsch (z.B. das
Haftungsrecht ist im angloamerikanischen Rechtsraum viel schärfer),
sondern schildert auch das Ziel des TTIP völlig falsch. Es geht um
eine Machtverschiebung zugunsten der Konzerne und auf Kosten der
Menschen. Ob es europäische oder US-Konzerne sind, die dann davon
profitieren, ist völlig egal. Doch das ist offenbar zu kompliziert.
Antiamerikanismus zieht in Deutschland mehr. So verteilte Campact
auf der diesjährigen Demo „Wir haben es satt!“ industriegefertigte
Fahnen (in einem Land billig gedruckt, mit dem Deutschland ein
Freihandelsabkommen hat???) mit zwei Symbolen, die als Monster Angst
schüren sollten: Monsanto und der Dollar. Das ist primitiver
Antiamerikanismus … die Menschen haben die Fahnen massenweise
geschwungen.

Der Protest gegen das TTIP wird aus zwei Gründen die Debatte noch
lange prägen. Erstens ist es das gefundene (Spenden-)Fressen für die
modernen Bewegungsführungen. Sie können große Massen von Menschen zu
bereitwilligen Melkkühen machen. Vorbei ist das Zeitalter, wo sie
sich Bedrohungen durch vermeintliche Neuzulassungen von Genpflanzen
ausdenken mussten, um die dadurch schockierten Menschen zum Spenden
zu animieren. Ja, wirklich, ihr habt euch nicht verlesen: Campact,
Umweltinstitut und andere sind derart geldgierig, dass sie sich
Bedrohungen manchmal auch ausdenken, um an euer Geld zu kommen.
Dummerweise haben sie damit auch noch Erfolg und kaum jemand wird
auf Demos wie „Wir haben es satt!“ so bejubelt wie die Leute, die
mit Panikmache, Erfindungen und professioneller Inszenierung eigener
(vermeintlicher) Erfolge die Spendengelder locker machen – euer
Geld! TTIP steigert das ins Unendliche: Ihr habt gar keine eigene
Aktionsmöglichkeit, die großen Hauptamtlichenapparate erscheinen
euch als Rettung. Das lässt die Kasse klingeln.

Zweitens aber ist gerade die Unbestimmtheit von TTIP gut für die
hohe Akzeptanz des Protestes dagegen. Denn wir leben im Zeitalter
der vereinfachten Welterklärungen. TTIP passt nicht nur zum weit
verbreiteten Antiamerikanismus, sondern auch zu den sich
ausbreitenden Behauptungen über Weltverschwörungen, neue
Weltordnungen usw. Nicht, dass die Mächtigen in Nationen,
Institutionen, Konzernen und den sie überlagernden Seilschaften
untätig herumsitzen. Natürlich basteln sie an allen möglichen
Strategien, noch mehr auszubeuten, noch mehr zu kontrollieren, noch
mächtiger und reicher zu werden. Das ist der Impuls eines Systems,
welches (fast) alle Menschen dazu zwingt, sich konkurrierend gegen
andere durchzusetzen und aus Geld mehr Geld zu machen. Dass dieses
System existiert und die Mächtigen genauso antreibt wie uns, ist
aber sehr breit akzeptiert und wird kaum kritisiert. Die meisten
derer, die diesen Text lesen, sind unterstützender Teil dieses durch
und durch unmenschlichen Systems. Deren Nutznießer_innen aber
dürften sich freuen, dass wir uns immer mehr mit absurden Gerüchten
über die neue Weltordnung beschäftigen. Völlig egal ist, ob die
stimmen oder nicht – es macht uns ohnmächtig. Es gibt da keine
Handlungsoptionen. Wir können nur denen Geld spenden, die uns
versprechen, uns zu retten. Dummerweise sind die dann Teil des
ewigen Spiels um mehr Profit und werden nach immer Geld streben
(hier: Spenden) – da sind Campact, Greenpeace, BUND und andere nicht
anders als Karstadt, Daimler, BASF oder Tupperware. TTIP passt
wunderbar in das Gedankenmodell der Verschwörungen, denen wir
ohnmächtig gegenüber stehen. Und in diesem Sinne, perverserweise,
ist unser ohnmächtiger Hass auf „die da oben“ genau das, was „die da
oben“ brauchen. Wir machen uns selbst zum Kaninchen vor der
Schlange. TTIP nimmt uns die letzte Kampffähigkeit. Dabei müssen wir
nicht aufhören, auch gegen solche Konzernmachtübernahmen zu kämpfen.
Aber wir müssen wieder lernen, dass politische Aktion am Konkreten
das Symbolische angreift. Gegen den Castor, weil wir eine andere
Energiepolitik wollen. Gegen den konkreten Knast vor Ort, weil uns
Strafe und Disziplinierung nicht gefallen. Gegen die
Genehmigungsbehörde oder das konkrete Genversuchsfeld, weil uns die
Landwirtschaftspolitik nicht passt. Usw. Der Widerstand gegen das
TTIP ist, wenn er so weiterläuft wie bisher, eine weitere Beerdigung
handlungsfähiger Bewegung – und der weitere Ausbau geldgeiler
Hauptamtlichenapparate in Berlin, Hamburg, Verden, München oder
sonst wo.

Emanzipatorische Gentechnikkritik:
www.projektwerkstatt.de/gen/emanz_kritik.htm

Quelle: Umwelt & Macht, 11.03.15