Gegen linke Bewusstlosigkeit – für einen konsequenten Antifaschismus!
Eine Bedingung wird sich für die Linke nie ändern: Wenn sie alle Verhältnisse umwerfen will, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist (Marx), wenn sie also Emanzipation und eine befreite Gesellschaft will – dann braucht sie zwar vor allem eine radikale Kritik dieser Verhältnisse, aber kommt dabei nicht um deren aktuelle Beschaffenheit herum. Die Ausgangslage für den Kampf um eine befreite Gesellschaft ändert sich ständig, ihm kommen zu unterschiedlichen Zeiten und Orten unterschiedliche Gegenbewegungen, Probleme und Chancen entgegen. So stehen etwa Faschismus, Wirtschaftswunder oder Krise für sehr verschiedene Ausgangslagen, die stets auch verschiedene Gegenstrategien erfordern.
Aktuell gibt es jedoch eine weltweite, eine rechtsradikale Bewegung, von der Linke überall eigentlich ihre Ausgangslage bedroht sehen müssten – doch wofür ein großer Teil der Linken, ob bürgerlich oder radikal, alles andere als angemessenes Bewusstsein zeigt: Nämlich der Islamismus. In sehr unterschiedlichen Ausprägungen bemüht er sich mit einer fundamentalistischen Auslegung des Islam um eine politische Ordnung der Gesellschaft. Ein absoluter Überlegenheitsanspruch wird expansiv in die Tat umgesetzt – geprägt durch Antimodernismus, Autorität und Ressentiment.
Darauf folgt jedoch kaum eine emanzipatorische Kritik des Islamismus. Stattdessen nehmen in westlichen Gesellschaften nationalistische, rechtspopulistische und rassistische Tendenzen zu – während die Linke dabei meist darin verhaftet bleibt, nur gegen die ihr so gewohnten GegnerInnen zu mobilisieren. Es ist ein Spannungsverhältnis zwischen Rassismus und Islamismus entstanden, das Linke nur selten richtig auflösen: Beides als ihre aktuelle Gegenbewegungen und damit beides als ihr Problem zu verstehen. Gerade, weil wir mit der eingangs beschriebenen Perspektive selbst Teil der Linken sind, rufen wir hier zu einem Ende dieser Bewusstlosigkeit und zu einem konsequenten Antifaschismus auf.
Die antifaschistische Kritik des Islamismus geht dabei über eine – ebenfalls notwendige – pauschale Kritik aller Religionen hinaus. Sei es Christentum, Buddhismus oder eben der Islam: Denn deren „einfacher“ Glaube ist zwar Irrsinn und steht wirklicher Emanzipation im Weg. Aber solange Menschen damit nur ihr eigenes Leben einschränken und andere Vorstellungen zulassen, stellen sich einer Linken heute größere Probleme. Anders ist das bei christlichem Fundamentalismus, der selbstverständlich als Problem wahrgenommen wird. Brutale Glaubenskriege, antiemanzipatorische Moralvorstellungen und Fortschrittsfeindlichkeit mit dem Anspruch auf gesellschaftliche Gültigkeit sind – völlig zu Recht – schon lange im Fokus linker Kritik und Praxis angekommen. Doch was somit bei wahnsinnigen Evangelikalen noch zum guten Ton bürgerlicher und radikaler Linker gehört, wendet sich mit Blick auf die Hamas oder das iranische Regime meist in Schweigen, Akzeptanz oder gar Verständnis.
Das ist absurd, drängt sich doch der Islamismus als Gegner der Linken geradezu auf. Geprägt durch enormen Autoritarismus, Sexismus und Antisemitismus wird hier religiöser Fundamentalismus als Gesellschafts-ordnung durchgesetzt – gewaltsam gegen Unpassende und Andersdenkende. Was sich sehr wahrnehmbar und öffentlichkeits-wirksam äußert: Von rigorosen Vorschriften für alltägliches Leben, über die Hinrichtungen Homosexueller bis hin zum mörderischen Terror gegen „Ungläubige“. So verneinen islamistische Staaten und Bewegungen das linke Projekt einer befreiten Gesellschaft mit außerordentlicher Brutalität und Vollständigkeit. Sie sind faktisch rechtsradikal, und eine Linke, die das nicht als Angriff auf die eigenen Ziele wahrnimmt, gibt ihren emanzipatorischen Anspruch preis und offenbart politische Bewusstlosigkeit.
Doch genau das ist in der aktiven Linken allzu oft Realität. Direkte und indirekte Duldung von IslamistInnen und sogar offene Zusammenarbeit erscheinen nicht als Problem und haben gerade in den letzten Monaten Konjunktur. So hatten viele Linke aus ganz Europa keinerlei Bedenken, mit islamistischen Organisationen an Bord der Gaza-Flotille die Verbindung von Antizionismus und Antisemitismus einzugehen. Gleichzeitig werden Hamas und Hisbollah von der bekannten linken Feministin Judith Butler als Teil der globalen Linken anerkannt – während passend dazu IslamistInnen mit Symbolen der Hamas auf linken Anti-Kriegsdemos mitlaufen. Und auch in der Debatte zu antimuslimischem Rassismus glauben viele AntirasstiInnen offenbar nach wie vor, neben IslamistInnen wie Millî Görüş in Gesprächsrunden sitzen oder auf der Straße demonstrieren zu müssen. Auch wenn solche Kooperationen nur punktuell sind und es dabei gelegentlich Distanzierungen zu allzu deutlichem Fundamentalismus gibt – Problembewusstsein sieht anders aus.
Diese Bewusstlosigkeit ist nicht neu. Sie speist sich aus einem Schwarz-Weiß-Denken das in der Linken, ob bürgerlich oder radikal, nach wie vor verbreitet ist und sich vor allem anhand einer Aufteilung zeigt: Der zwischen „schlechten Unterdrückern“ und „guten Unterdrückten“. Dem einfachen Bild von Imperialisten mit unmenschlichen Vorhaben auf der einen Seite und ihren Opfern mit menschlichen Abwehrreaktionen auf der anderen Seite folgt die Wahrnehmung von mächtigen und eindeutigen Feinden (in der Regel die USA), deren Gegner im Umkehrschluss Solidarität oder zumindest Anerkennung verdient hätten. Das ist schlicht falsch.
Selbstverständlich handelt die USA nicht im Sinne einer befreiten Gesellschaft und steht ihr wie jeder andere bürgerliche, kapitalistische Nationalstaat entgegen. Standortinteressen sind gerade im „Kampf gegen den Terror“ wichtiger als menschliche Interessen und darüber hinaus betreiben die westlichen Gesellschaften eine rassistische Abschottung gegen den ärmeren Rest der Welt. Das geschieht mit großer Gewalt, kümmert sich wenig um Menschenleben und noch weniger um die Perspektive auf eine befreite Gesellschaft. Gleichzeitig entwickeln sich Nationalismus, Rechtspopulismus und antimuslimischer Rassismus immer mehr als gesellschaftliche Aggressionen gegen alles, was mit Unbehagen und Empörung als islamisch und damit als äußerlich und unpassend wahrgenommen wird. Diese Entwicklungen müssen beim Thema Islamismus unbedingt mitgedacht werden, was von Linken seit Jahren auch intensiv in die Praxis umgesetzt wird.
Allerdings nur mit verhaltenem Erfolg, was sich etwa an den „Integrationsdebatten“ ablesen lässt: Einerseits sind offener Nationalismus und Rassismus mit der Sorge um nationale Identität und Arbeitsplätze – und eben nicht in Sorge um die Opfer islamistischen Terrors – vollkommen salonfähig. Andererseits bleiben linke Reaktionen darauf meist bei der Werbung für allgemeinen Multikulturalismus stehen. Die wird jedoch nicht nur umgehend vom Populismus der NationalistInnen kassiert, sondern ist vor allem auch unkritisch. Denn wer Autoritarismus, Sexismus und Antisemitismus, sei es im Gaza-Streifen oder in den „Problemvierteln“ Europas, als Teil einer kulturellen Identität abhakt, verdoppelt rassistische Zuschreibungen und liefert die Emanzipation der Beliebigkeit aus.
So verwehrt sich ein großer Teil der Linken weiter der Tatsache, dass eine islamistische Ordnung des Zusammenlebens der Menschen einen Rückfall bedeutet – selbst hinter Maßstäbe bürgerlicher Gesellschaften. Und dass das Projekt einer befreiten Gesellschaft die Hamas oder das iranische Regime als rechtsradikale Akteure feindlich gegenüber stehen hat – die von Linken auch dementsprechend konsequent behandelt werden müssen: antifaschistisch.
Doch momentan wird beharrlich die eigene Ausgangslage im Kampf um eine befreite Gesellschaft ignoriert. Während die Linke bei all ihren Unterschieden immer einen antifaschistischen Anspruch hatte, fehlt nun allzu oft die Bereitschaft, diesen Anspruch an eine veränderte Ausgangslage anzupassen. Linker Antifaschismus war fast immer darauf gerichtet, einen rechtsradikalen Rückfall hinter die Verhältnisse und in die Barbarei zu verhindern – oder zu bekämpfen. Antifaschismus ist insofern etwas anderes als der Kampf für eine befreite Gesellschaft. Es ist der Kampf dagegen, sich diese Perspektive von FaschistInnen verstellen zu lassen. Aber eben diese Perspektive wird von islamistischen Regimen, Bewegungen und Organisationen täglich neu begraben – zusammen mit den alltäglichen Zielen ihrer Angriffe wie Frauen, Andersdenkenden, Jüdinnen und Juden, Homosexuellen und „Ungläubigen“, die von der Linken bisher kaum Beachtung fanden. Diese Bewusstlosigkeit muss ein Ende haben, neben Neonazis und anderen RassistInnen muss auch der Islamismus ins antifaschistische Visier der Linken genommen werden.
Natürlich ist diese Praxis nicht nur ungewohnter, sondern auch komplizierter als der Kampf gegen Neonazis. Etwa wegen der Frage, wo „normaler“ religiöser Irrsinn aufhört und Islamismus anfängt, und weil Neonazis im politischen Alltag leichter auszumachen sind als IslamistInnen. Aber AntifaschistInnen, die viele Informationen über Neonazis recherchieren und hunderte Kilometer zu deren Aufmärschen fahren, könnten auch islamistische Parolen erkennen, islamistische Symbole identifizieren und zumindest nicht mit IslamistInnen zusammenarbeiten.
Die Linke sollte in einem antifaschistischen Kampf gegen den Islamismus bestimmend sein. Während das wohl nicht so schnell zu haben ist, wäre aber der drängendste Schritt auch der einfachste: Keine Zusammenarbeit mit IslamistInnen, keine Duldung und keine Akzeptanz! Islamismus ist kein Teil der Lösung – sondern Teil des Problems: Gegen linke Bewusstlosigkeit und für einen konsequenten Antifaschismus!
autonome antifa [f] bzw. alle Unterstützer_innen dieses Aufrufs, Herbst 2010